Leo Koenigsberger: Hermann von Helmholtz

Helmholtz als Professor der Physiologie in Königsberg
vom Sommer 1849 bis Michaelis 1855


Anfang des Kapitels

Königsberg 1854/55

Erwiderung auf die Bemerkungen von Clausius

Diese schwierigen optischen Untersuchungen wurden zunächst durch eine andere unaufschiebbare Arbeit zurückgedrängt, zu der sich ihm eine recht unerfreuliche Veranlassung bot. Am Ende des Jahres 1853 hatten Helmholtz die in den Annalen erschienenen, der Form und dem Inhalte nach ungerechtfertigten Angriffe von Clausius gegen seine Schrift über die Erhaltung der Kraft viel Aerger und Missstimmung verursacht, zumal da sie von einem Altersgenossen und angesehenen Mitgliede der physikalischen Gesellschaft ausgingen, mit dem er seit dem Jahre 1848 genau bekannt gewesen und eine längere Zeit hindurch sogar täglich zusammengekommen war; am Anfange des Jahres 1854 wehrte er diese Angriffe in derselben Zeitschrift unter dem Titel „Erwiderung auf die Bemerkung von Herrn Clausius“ so siegreich ab, dass ein Zweifel über die Richtigkeit dessen, was er als erwiesen hingestellt, nicht mehr möglich war.

Aber er brauchte zwei Monate, um der Antwort eine möglichst bündige und ruhige Form zu geben. „Von seinen Aussetzungen“, schreibt er am 2. Februar 1854 an Ludwig, „bleibt glücklicher Weise nur eine auf mir sitzen, und eine, die ich am Ende tragen kann, nämlich mein Missverständniss der Schrift von Holtzmann.“ Und weil Helmholtz es gewesen ist, welcher wie kein anderer die späteren Arbeiten von Clausius der wissenschaftlichen Welt pries, und weil gerade sein Bemühen Clausius der höchsten wissenschaftlichen Ehren theilhaftig machte, darf man es heute gerechtfertigt finden, wenn es Helmholtz verdross, dass Clausius in seinen früheren Aufsätzen die Schrift über die Erhaltung der Kraft nie genannt hat, ehe er glaubte, Fehler in derselben aufdecken zu können. Helmholtz durfte nicht ohne Grund schreiben: „weil die nicht mathematischen Physiker wissen, dass ich nicht studirter Mathematiker bin, werden sie dem Clausius glauben, (Seite 205) wenn er mir in solcher Weise die gröbsten Eseleien vorwirft“. Nur um Clausius für die künftige Zeit etwas mehr Nachsicht gegen andere anzuempfehlen, berichtigt er im Jahresbericht der physikalischen Gesellschaft einen mathematischen Fehler desselben, während er sich in seiner Antwort an Clausius gegen die Angriffe auf seine grosse Arbeit nur abwehrend verhält.

Man muss sich zunächst erinnern, dass Helmholtz zur Zeit, als er „die Erhaltung der Kraft“ veröffentlichte, bereits viel über eine mechanische Theorie der Wärme gearbeitet hatte, nachher aber aus der gedruckten Abhandlung alles wegliess, was nach Hypothesen aussah, „um dadurch nicht die Aufnahme des Aufsatzes bei den Physikern zu erschweren“. Er hatte später die Sache ganz liegen lassen, weil er glaubte, dass die mechanische Wärmetheorie nur dann mit Nutzen gefördert werden könne, wenn man jede besondere Voraussetzung über die Constitution der Molecüle möglichst vermeidet und nur so allgemein wie möglich untersucht, wie Bewegungen innerhalb der zusammengesetzten Molekeln auf die Stellung der Nachbarmolekeln einwirken können. Aber er hatte sich noch viel weiter greifende Fragen vor Abfassung seiner Schrift „Ueber die Erhaltung der Kraft“ vorgelegt. Als Carnot noch unter der Vorstellung, dass Wärme ein Stoff und als solcher unzerstörbar und unvermehrbar sei, diejenigen Vorgänge untersuchte, bei welchen Wärme mechanische Arbeit leisten kann, fand er, dass dies nur der Fall sei, wenn Wärme von heissen zu kalten Körpern übergeht; so ergab sich leicht, dass ein Perpetuum mobile nur dann unmöglich sein würde, wenn die Rückführung der Wärme aus kälteren in wärmere Körper einen entsprechenden Arbeitsaufwand erforderte, wie ihn der entgegengesetzte Uebergang vorher geleistet hatte, und dass ausserdem dieser Aufwand unabhängig von der Natur des übertragenden Körpers sein müsse. Durch die Arbeiten über die Erhaltung der Kraft war es aber unmöglich geworden, (Seite 206) die stoffliche Natur der Wärme noch weiter aufrecht zu erhalten, welche eine wesentliche Voraussetzung der Carnot'schen Deduction war. Helmholtz machte schon damals Versuche, um Beweise für einige der Folgerungen Carnot's, welche ihm thatsächlich richtig erschienen, mit Hülfe mechanischer Principien für die Theorie der Wärme zu ersinnen, musste es aber der Zukunft überlassen, über die Wahrheit jener Sätze eine Entscheidung zu treffen. Er war also in seinen Überlegungen schon viel weiter vorgeschritten, als es Clausius aus seiner Schrift über die Erhaltung der Kraft entnehmen konnte und als es dieser noch einige Jahre später thatsächlich selbst gewesen.

Clausius greift nun zunächst die von Helmholtz gegebene Ableitung des Gesetzes der Wärmeentwickelung bei elektrischen Entladungen aus dem Princip der Erhaltung der Kraft an; wie schon in dem oben erwähnten Briefe an du Bois hervorgehoben wurde, hatte er die von Helmholtz gegebene Definition des Potentials einer Masse auf sich selbst, welche von der gewöhnlichen abweichend war, nicht beachtet. Noch mehrere Jahre später präcisirt Helmholtz in einem Briefe an Tait vom 19. März 1867 eben diese Differenz mit Clausius dahin:

„Was meinen Streit mit Clausius betrifft, so war über das mechanische Aequivalent keine wesentliche Abweichung zwischen uns, als dass Clausius die Wärme des Funkens berücksichtigte, die ich vernachlässigen zu dürfen geglaubt hatte, und dass ich unter Potential eines Körpers auf sich selbst die Summe mamb / rab verstand ohne Ausschluss der Wiederholungen der Indices (ab) und (ba), während Clausius dem schon von anderen Mathematikern gefolgten Gebrauche gemäss die Wiederholungen ausschloss, und also was er Potential nannte, halb so gross war, als was ich so nannte. In der Sache war beides gleich richtig.“

Eben so leicht konnte Helmholtz den zweiten gegen ihn erhobenen Vorwurf zurückweisen, der sich gegen die (Seite 207) Folgerungen richtete, welche er aus dem Riess'schen Gesetze gezogen hatte, dass bei verschiedenen Ladungen und verschiedener Anzahl gleich construirter Flaschen die in jedem einzelnen Theile desselben Schliessungsdrahtes entwickelte Wärme proportional sei dem Quadrate der Quantität der Elektricität und umgekehrt proportional der Oberfläche der Belegung der Flaschen; denn dieser Vorwurf traf gar nicht Helmholtz und seine aus der Annahme der Existenz jenes Gesetzes gezogenen Schlüsse, da Clausius die Richtigkeit des Riess'schen Gesetzes selbst angriff und vor allem die Verallgemeinerungen dieses Gesetzes anzweifelte, deren Richtigkeit Helmholtz selbst in seiner Schrift erst durch Beobachtungen bestätigt wissen wollte. Was ferner das Missverständniss einer Stelle in dem Buche von Holtzmann betrifft, so giebt dies Helmholtz, wie schon in dem letzten Briefe an Ludwig hervorgehoben, unumwunden zu. Der Angriff von Clausius, welcher wohl den Hauptstoss gegen die Arbeit von Helmholtz bilden sollte, war gegen den Beweis des Satzes gerichtet, dass das Princip von der Erhaltung der lebendigen Kraft nur da gilt, wo die wirkenden Kräfte sich auflösen lassen in Kräfte materieller Punkte, welche in der Richtung der Verbindungslinie wirken, und deren Intensität nur von der Entfernung abhängt; derselbe giebt Helmholtz Gelegenheit zu einer längeren und wichtigen Auseinandersetzung, auf welche die fundamentalen thermodynamischen Arbeiten, die grossartigsten Leistungen des letzten Jahrzehntes seines Lebens, wenn auch in völlig veränderter Auffassung, wieder zurückgreifen.

Helmholtz erkennt sehr wohl die Bedeutung eines Angriffs gerade gegen diesen Theil seiner Schrift über die Erhaltung der Kraft, weil derselbe den Hauptfortschritt gegen die Untersuchungen von Robert Mayer darstellte, und auf diesen Betrachtungen die grosse principielle Bedeutung seiner eigenen Arbeit basirte. Techniker und Physiker hatten seit älter Zeit das Product aus der Grösse (Seite 208) eines gehobenen Gewichtes und seiner Hebungshöhe als Maass der Arbeit bezeichnet; dieser Begriff der Arbeitsgrösse, des Productes aus der Kraftcomponente, die längs eines Weges wirkt, und der Weglänge, musste von der mit constanter Intensität und in constant bleibender Richtung wirkenden Schwerkraft übertragen werden auf die Fälle, wo viele oder unendlich viele in Wechselwirkung stehende Massen oder Massenelemente sich gegen einander verschieben, und wobei längs der Wege, die jedes einzelne Massenelement beschreibt, die von den anderen Massenelementen ausgeübten Kräfte Arbeit leisten. Für anziehende und abstossende Kräfte, deren Intensität dem Quadrat der Entfernung der auf einander wirkenden Massen proportional ist, hatte Green die Arbeitsgrösse das Potential genannt und dessen mathematische Eigenschaften für die elektrischen und magnetischen Phänomene verwerthet. Die Einführung dieser negativ genommenen Grösse als potentielle Energie für alle Probleme der Mechanik und Physik, die hinzugenommen zu der halben Summe der Producte der Massen in die Quadrate der Geschwindigkeiten, welche die lebendige Kraft oder die actuelle Energie genannt wurde, hatte Helmholtz von dem schon früher bekannten Princip von der „Erhaltung der lebendigen Kraft“, welches für die Mechanik wägbarer Massen entwickelt war, zu dem grossen Princip von „der Erhaltung der Kraft“ geführt, welches neben die Ueberzeugung von der Unzerstörbarkeit und Unvermehrbarkeit der Materie auch die Constanz der Energie, als Summe der actuellen und potentiellen Energie, hinstellte; in der alten Formulirung des Naturgesetzes, in dem sogenannten Gesetz von der Erhaltung der lebendigen Kraft, verglich man dagegen nur Fälle mit einander, in denen jene Arbeitsgrösse denselben Werth hatte und sich somit aus der Differenz der verglichenen Werthe forthob.

Gegen die Herleitung eben dieses Princips der „Erhaltung der lebendigen Kraft“, wie sie Helmholtz in seiner (Seite 209) Schrift für dieses Gesetz lieferte, welches für ihn den Ausgangspunkt für die Herleitung seines eigenen grossen Naturgesetzes bildete, richtete Clausius seine Einwände. Er behauptete, Helmholtz habe schon für den einfachen Fall, dass zwei einzelne materielle Punkte gegen einander wirken, ausser der Annahme des Princips von der Erhaltung der lebendigen Kraft, noch angenommen, dass die Grösse der Kraft eine Function der Entfernung sei, und habe daraus geschlossen, dass die Richtung der Kraft in der Verbindungslinie der Punkte liege. Helmholtz zeigt, dass auch dieser Vorwurf unbegründet ist und geht bei dieser Gelegenheit auf eine nochmalige und ausführlichere Discussion dieses Punktes ein, die für die Behandlung der Frage wieder neue und interessante Gesichtspunkte liefert. Von der Definition ausgehend, dass bewegliche Punkte gleiche relative Lage zu einander haben, so oft ein Coordinatensystem zu construiren ist, in welchem alle ihre Coordinaten beziehungsweise dieselben Werthe wiederbekommen, spricht Helmholtz den Satz von der Erhaltung der lebendigen Kraft in der Form aus: Wenn in beliebiger Zahl bewegliche Massenpunkte sich nur unter dem Einfluss solcher Kräfte bewegen, die sie selbst gegen einander ausüben, so ist die Summe der lebendigen Kräfte aller zusammengenommen zu allen Zeitpunkten dieselbe, in welchen alle Punkte dieselben relativen Lagen gegen einander entnehmen, wie auch ihre Bahnen und Geschwindigkeiten in der Zwischenzeit gewesen sein mögen, und auf Grund dieses Satzes widerlegt er von Neuem den Einwand von Clausius, dass in gewissen Fällen die lebendige Kraft eine ganz beliebige Function der Coordinaten des Systems sein könne. Er hebt aber noch ausdrücklich hervor, dass er freilich in seiner Arbeit die Annahme gemacht habe, die Kraft, welche ein Punkt auf einen anderen ausübt, sei unabhängig von der Anwesenheit noch anderer auf diesen Punkt wirkender Kräfte, aber dies sei ein in der Mechanik stets als richtig angenommenes (Seite 210) Princip gewesen. Am Schlusse seiner Arbeit sagt Helmholtz, dass er in der Theorie des Galvanismus die Einwürfe yon Clausius erwarten müsse:

„Das Kapitel der Elektrodynamik ist in meiner Schrift nur unter einer sehr beschränkenden Voraussetzung durchgeführt, weil ich damals von aller mathematisch-physikalischen Literatur entblösst, fast auf das beschränkt war, was ich selbst zu erfinden wusste. .... Ich kann es nur für einen Gewinn halten, wenn die Ideenverbindungen, welche ich in meiner Schrift damals zu einer Zeit, wo sie noch wenig Anklang unter den Physikern fanden, darzulegen suchte, jetzt von einem Anderen in anderer Form wieder aufgenommen und in so vollständiger und kritischer Weise durchgearbeitet werden, wie es bisher bei anderen Kapiteln der Theorie von der Erhaltung der Kraft durch Herrn Clausius geschehen ist.“

Nun giebt er noch eine Reihe von Resultaten, welche er mit erweiterten Hülfsmitteln später gewonnen hat, und spricht unter anderem den Satz aus, dass, wenn man einen Magnet aus unendlicher Entfernung einem durch Vertheilung magnetisirten Körper nähert, dabei mechanische Arbeit gewonnen wird, deren Werth am Ende des Weges gleich der Hälfte des Potentials des vertheilten Körpers gegen den verteilenden ist. Aber „um Clausius nicht vorzugreifen“, gab er nicht alle Resultate, zu denen er bereits damals gelangt war. Es ist aus einem Bruchstücke seiner Aufzeichnungen zu ersehen, dass, während er zur Zeit der Ausarbeitung seiner „Erhaltung der Kraft“ nur einzelne aus dem Zusammenhange gerissene Sätze der Arbeiten von Poisson, Green und Gauß benutzen konnte und sich deshalb auf den Fall beschränkte, wo das durch Vertheilung magnetische Eisen vollkommen weich war und somit der Magnetisirung gar keinen Widerstand entgegensetzte — die Vertheilung des Magnetismus also dieselbe war, wie die der Elektricität in Leitern, welche durch Vertheilung (Seite 211) elektrisirt sind — er nunmehr die mathematische Behandlung der hierher gehörigen Probleme durchgeführt hatte, von der Annahme ausgehend, dass die Magnetisirung eines körperlichen Elementes proportional sei der magnetisirenden Kraft.

Die Arbeit von Helmholtz, welche die Angriffe von Clausius zurückweisen sollte, ist deshalb von so grossem Interesse, weil einerseits erst hier die Fülle und Tiefe der mathematischen und physikalischen Untersuchungen sich klar übersehen lässt, die Helmholtz wahrscheinlich schon in seinem 24. Lebensjahre im Princip durchgeführt hatte, andererseits aber auch ähnliche Deductionen den grossen und bewundernswerthen Arbeiten seiner letzten Lebensjahre zu Grunde liegen.

Ueber die Wechselwirkung der Naturkräfte

Die durch die Clausius'sche Arbeit hervorgerufene erneute Beschäftigung mit dem Princip von der Erhaltung der Kraft und die von allen Seiten in Königsberg an ihn herantretende Aufforderung, über dieses immer mehr in das wissenschaftliche Publicum eindringende Fundament der gesammten naturwissenschaftlichen Forschung der Zukunft einen für einen grösseren Kreis gebildeter Zuhörer verständlichen Vortrag zu halten, waren die unmittelbare Veranlassung zu einem seiner glänzendsten und am weitesten verbreiteten populär-wissenschaftlichen Vorträge „Ueber die Wechselwirkung der Naturkräfte und die darauf bezüglichen neuesten Ermittelungen der Physik“. Interessant und charakteristisch zugleich ist die Beurtheilung des streng censirenden Vaters:
„Mich selbst hat sie sehr erfreut, theils durch ihre Klarheit und ihren reichen factischen Inhalt, durch die nicht gesuchte und doch geistreiche Herbeiziehung manches witzigen Schmuckes; das Festhalten wissenschaftlichen Ernstes bei allem Bestreben, ein nicht wissenschaftliches Auditorium zu fesseln und zu erregen, theils aber besonders durch die höhere ideelle Beziehung, in welche die scheinbar ganz ihren besonderen Gang für sich gehenden Untersuchungen (Seite 212) gesetzt sind. Die Einsicht, dass jede sinnliche Erscheinung, sei es ein unendlich kleines Infusionsthier, sei es ein unendlich grosses Sonnensystem, vergänglich sei, ergiebt sich freilich dem philosophischen Denken des Räumlichen und Zeitlichen und einer unendlich schaffenden Idee von selbst; aber das ist eben meine Freude, die mir schon bei Müller's Physiologie aufging, dass gerade die angegriffene Naturwissenschaft auf dem Wege ist, durch das sinnliche Experiment zu demselben Ziele zu gelangen, zu welchem die geistige Entwicklung der Idee gelangt ist, und so dem, der einmal für die Realität'des Geistigen keinen Sinn hat, die äussere Schöpfung ebenso als Offenbarung der ewigen Idee zu eröffnen. Erst wenn man überzeugt werden wird, dass Natur und Geschichte die Aeusserungen des göttlichen Lebens sind, die objectiv unverrückbar, von keiner Subjectivität eines Individuum oder einer Zeitentwicklungsstufe abhängig, für jeden zu jeder Zeit als die heiligen Offenbarungstafeln in unvergängliche Erze niedergelegt sind, und dass jede historische und persönliche Offenbarung erst an ihr geprüft und verstanden werden muss, erst dann werden wir den sichern und nie wieder zu verlassenden Weg der Erkenntniss Gottes betreten haben. Das einzige, was mir an Deiner Vorlesung nicht gefallen hat, obgleich ich Deinen Zweck dabei sehr wohl begreife, ist das Herbeiziehen der mosaischen Schöpfungsgeschichte; das ist doch im Grund und Boden unwahr und eine schwächliche Nachgiebigkeit der Wissenschaft, die man ihren Gegnern, den in ihrer Faulheit auf den Kinderstufen des Geistes beharrenden Buchstabengläubigen, nicht zeigen muss. Ich habe Fichte bei Uebersendung seines letzten grösseren philosophischen Werkes darüber getadelt; er hat es zugegeben und versprochen, es nicht wieder zu thun. Gewonnen und versöhnt wird dadurch kein Gegner, sondern für den Schwachen entweder das Verständniss der Bibel oder das des wissenschaftlichen Resultats verwirrt.“

Selbst der unvergleichlich sprachgewandte du Bois (Seite 213) schreibt ihm über diese Rede: „ich finde sie einzig, namentlich Anfang und Ende, und bewundere, wie Du Dich in stylistischer Hinsicht entwickelt hast. Ueberall ist sie mit grosser Wärme aufgenommen worden.“ Helmholtz genügt in diesem Vortrage vollauf den Bedingungen, deren Erfüllung er für eine populäre Darstellung wissenschaftlicher Resultate als nothwendig erachtet:

„Für eine allgemein fassliche Darlegung der gewonnenen Einsichten“, sagt er bei anderer Gelegenheit, „ist ein gewisses künstlerisches Talent der Darstellung nöthig, eine gewisse Art von Beredsamkeit; der Vortragende oder Schreibende muss allgemein zugängliche Anschauungen finden, mittelst derer er seine Vorstellungen in möglichst sinnlicher Lebendigkeit hervorruft und an diesen dann auch die abstracten Sätze, die er verständlich machen will, concretes Leben gewinnen lässt.“

Die Rede enthält nicht allein eine meisterhafte und allgemein verständliche Darlegung des Princips der Erhaltung der Kraft, in welcher eine historische Entwickelung der hierher gehörigen mechanischen Principien gegeben und bei dieser zuerst sich bietenden Gelegenheit hervorgehoben wird, dass „der Erste, welcher das allgemeine Naturgesetz, um welches es sich hier handelt, richtig auffasste und aussprach, ein deutscher Arzt, J. R. Mayer, in Heilbronn 1842“ gewesen. Helmholtz geht vielmehr, sich stützend auf dieses allgemeine Naturgesetz, zu dessen Verständniss er die Zuhörer geführt, indem er die Kraftentwickelung durch Naturprocesse in ihrem Verhältnisse zum Nutzen der Menschen, als Arbeitskraft in Maschinen dargelegt hat, zu der Frage über, ob die Menge der Arbeitskraft, wenn sie ohne entsprechenden Verbrauch nicht vermehrt werden kann, vermindert werden oder verloren gehen könne, und findet die präcise Antwort: „für die Zwecke unserer Maschinen allerdings, aber nicht für das Naturganze“. Und nun entwickelt er den Carnot-Clausius'schen Satz, dass Wärme nur dann, wenn sie von einem wärmeren zu einem kälteren (Seite 214) Körper übergeht, und auch dann nur theilweise, in mechanische Arbeit verwandelt werden kann, dass wir also die Wärme eines Körpers, den wir nicht weiter abkühlen können, auch nicht in eine andere Wirkungsform, in mechanische, elektrische oder chemische Kräfte zurückführen können, erörtert die Consequenzen dieses Naturgesetzes für das Weltganze — „physikalisch-mechanische Gesetze sind wie Teleskope unseres geistigen Auges, welche in die fernste Nacht der Vergangenheit und Zukunft eindringen“ — und leitet Resultate her, welche du Bois treffend zu seinen „geistreichsten Funden“ rechnet.

Wenn sämmtliche Körper der Natur dieselbe Temperatur hätten, würde es unmöglich sein, irgend einen Theil ihrer Wärme wiederum in Arbeit umzusetzen. Also kann der ganze Kraftvorrath des Weltganzen in zwei Theile getheilt werden, von denen der eine Wärme ist und bleibt, der andere, zu dem ein Theil der Wärme der heisseren Körper und der ganze Vorrath chemischer, elektrischer und magnetischer Kräfte gehört, den ganzen Reichthum wechselnder Veränderung in der Natur unterhält. Da nun die Wärme heisser Körper fortwährend auf weniger warme überzugehen und Temperaturgleichgewicht hervorzubringen strebt, und bei jeder Bewegung irdischer Körper durch Reibung oder Stoss, ebenso bei jedem chemischen oder elektrischen Processe ein Theil mechanischer Kraft in Wärme übergeht, von welcher aber nur ein Theil zurückverwandelt werden kann, so folgt, dass der erste Theil des Kraftvorrathes, die unveränderte Wärme, bei jedem Naturprocesse fortdauernd zunimmt, der zweite, der der mechanischen, chemischen, elektrischen Kräfte fortdauernd abnimmt. Es muss somit, da endlich aller Kraftvorrath in Wärme übergeht, und alle Wärme in das Gleichgewicht der Temperatur kommt, wie schon W. Thomson gefolgert, vollständiger Stillstand aller Naturprocesse eintreten, und das Weltall ist von da an zu ewiger Ruhe verurtheilt.

(Seite 215) Aber es blieb dabei noch das grosse Räthsel des Ursprungs der Sonnenwärme zu lösen, welche auf der Erde den Kreislauf des Wassers durch Wolkenbildung, Niederschläge und Ströme, worauf alle unorganische Bewegung beruht, und den Kreislauf des Lebens durch den Stoffwechsel der Pflanzen und Thiere unterhält. Wie heiss die Sonne sei, und wie viel Wärmeeinheiten sie unaufhörlich allerwärts entsende, konnte berechnet werden, aber keine irgend stichhaltige Vermuthung über den Ursprung dieser Wärme war aufgestellt worden. Von der Kant-Laplace'schen Hypothese ausgehend, dass die jetzt in der Sonne und den Planeten vertheilte Materie ursprünglich in Gestalt eines kreisenden Nebelballes den Raum erfüllte und durch Centrifugal- und Gravitationskräfte die nunmehrige Gestalt des Planetensystems annahm, und unter der Voraussetzung, dass am Anfange die Dichtigkeit der Nebelmasse verschwindend klein gewesen sei gegen die jetzige Dichtigkeit der Sonne und der Planeten, konnte Helmholtz berechnen, wie viel Arbeit bei der Verdichtung geleistet worden, und wie viel von dieser Arbeit noch jetzt in Form mechanischer Kraftgrössen, der Anziehung der Planeten gegen die Sonne und der lebendigen Kraft ihrer Bewegung, besteht, und konnte daraus wieder mit Hülfe des mechanischen Wärmeäquivalentes unmittelbar ermitteln, wie viel jener Arbeit in Wärme verwandelt worden ist. Helmholtz fand, dass nur noch etwa der 454. Theil der ursprünglichen mechanischen Kraft als solche besteht, während das Uebrige in Wärme verwandelt hinreicht, um eine der Masse der Sonne und Planeten zusammengenommen gleiche Wassermasse um 28611000 Grade des hunderttheiligen Thermometers zu erhitzen. „Die ungeheure Wärmequantität, die unserem Planetensystem ohne Ersatz verloren ging, ist aber dem Weltall nicht verloren; sie ist hinausgegangen und geht noch täglich hinaus in die unendlichen Räume, und wir wissen nicht, ob das Mittel, welches die Licht- und Wärmeschwingungen fortleitet, irgendwo Grenzen hat, wo die Strahlen (Seite 216) umkehren müssen, und ob sie für immer ihre Reise in die Unendlichkeit fortsetzen.“

Freilich folgt aus den Helmholtz'schen Ueberlegungen, dass auch jene gewaltige ursprüngliche Wärmemitgift der Sonne einmal erschöpft sein wird, deren leuchtende und wärmende Strahlen den ungeheuren Reichthum von immer neu wechselnden organischen und anorganischen Vorgängen auf der Erde in Gang erhalten, und der Menschheit eine ewige Eiszeit droht, wenn auch, wie W. Thomson bemerkt, die Sonne bei ihrer Zusammenziehung in Folge der Abkühlung stets wieder einen gewissen Wärmezuschuss erhält. So lässt jenes allgemeine Grundgesetz der Natur für unser Menschengeschlecht wohl ein langes, aber kein ewiges Bestehen zu:

„Wie der Einzelne den Gedanken seines Todes ertragen muss, muss es auch das Geschlecht; aber es hat vor anderen untergegangenen Lebensformen höhere sittliche Aufgaben voraus, deren Träger es ist und mit deren Vollendung es seine Bestimmung erfüllt.“

Welch' gewaltigen wissenschaftlichen und moralischen Eindruck dieser Vortrag in der naturwissenschaftlich gebildeten Welt machte, ist aus einem Schreiben Ludwig's an den preussischen Minister deutlich zu erkennen. Ludwig war nämlich mit Rudolph Wagner in Göttingen in eine wissenschaftliche Fehde gerathen, die aber durch die damals mächtige Partei wissenschaftlichen Rückschrittes bald in einen Streit verschiedener religiöser Anschauungen ausartete. „Was hast Du denn in Göttingen mit R. Wagner vorgehabt“, schreibt Helmholtz an Ludwig. „Es sind dunkle Gerüchte hierher gedrungen, als hättet Ihr beide, wie weiland Dr. Eck und Dr. Luther, eine öffentliche Disputation über die Natur der Seele gehalten oder halten wollen, worin Wagner natürlich mit der Bibel in der Hand gestritten und Du die Sache des Teufels, des Atheismus u. s. w. verfochten hättest.“ Ludwig war nun in der That zunächst trotz aller Bemühungen von Helmholtz und du Bois in Preussen keine (Seite 217) genehme Persönlichkeit. Als er ein Jahr später bei der Besetzung des physiologischen Lehrstuhles in Bonn, wiewohl der weit ältere der damaligen in Frage kommenden Physiologen, wiederum übergangen wurde, richtete er ein durch seine vornehme Gesinnung wahrhaft wohlthuendes Schreiben an den preussischen Minister, in dem er jetzt, nachdem die Angelegenheit bereits entschieden sei und unlautere Motive seinem Schreiben nicht mehr untergelegt werden könnten, das Unhaltbare der Verquickung wissenschaftlicher Forschungen mit religiösen Anschauungen darthut, und in dem sich in Bezug auf die oben besprochene Rede von Helmholtz die Stelle findet: „Wie sehr endlich die religiösen Anschauungen ganz unabhängig von der physikalischen Physiologie sind, geht daraus hervor, dass der Haller Physiologe Volkmann, ein hervorragender Anhänger der Richtung und ein lieber Freund von uns anderen, nicht allein ein strenger Christ ist, sondern sich auch neulich bemüht hat, aus der oben erwähnten Rede von Helmholtz einen Beweis für den persönlichen Gott zu gewinnen.“

Am 1. Juni schon theilt Helmholtz seinem Vater mit, dass bereits ein zweiter Abdruck seines Vortrages ausgegeben worden, und fügt hinzu:

„Ich habe mehrere äusserst schmeichelhafte Recensionen davon gelesen, aber man sah ihnen stets an, dass sich die Recensenten fast garnicht in die Betrachtungsweise der Naturwissenschaften hineindenken konnten. Es stehen diese Wissenschaften der allgemeinen Richtung der Bildung in Deutschland noch ausserordentlich fremdartig gegenüber.“

Der Sommer 1854 brachte Helmholtz viele und erfreuliche Abwechselung; vor allem kam endlich der längst projectirte vierwöchentliche Besuch seines Vaters zu Stande, dessen sehnlichster Wunsch es war, seinen Sohn in seinem Familienglück und den hochangesehenen Forscher im Kreise der Königsberger Gelehrten sehen zu können; zu diesen hoffte der Vater selbst in nähere Beziehung zu treten, seit (Seite 218) er von seinem Sohne durch die Mittheilung erfreut worden, dass der Oberbibliothekar und Orientalist Olshausen in der Bibliothek seine Abhandlung über die Araber gefunden und sich sehr darüber gefreut habe, indem er sich selbst schon längere Zeit eine solche Arbeit auszuführen vorgenommen habe. Dann brachte Johanna Wagner reges musikalisches Leben in die Königsberger Gesellschaft, „ich habe schon grössere Gesangskünstlerinnen gehört und schönere Stimmen, und die Schröder-Devrient mag noch gewaltiger gespielt haben, so wie es auch noch andere mehr imponirende Schönheiten auf der Bühne gegeben haben mag, aber so viel von jeder dieser Eigenschaften im Verein wie bei der Wagner habe ich noch nicht gesehen und der frische, volle, natürliche und jugendfrische Fluss ihrer Darstellung macht einen wahrhaft erquickenden Eindruck“. Auch der König kam in die alte Krönungsstadt, und Helmholtz, als Decan der medicinischen Facultät, musste „drei Tage hintereinander im Scharlachmantel bei Hofe erscheinen, zum Empfange, zur Mittagstafel und zum Abschiede“; endlich fand noch die Wiederverheirathung seiner verwittweten Schwägerin Betty in seinem Hause statt, so dass seine Zeit in diesen Sommermonaten sehr in Anspruch genommen war.

Trotz aller dieser Unterbrechungen setzte er während des Sommers neben der Beschäftigung mit den schwierigsten optischen Problemen seine Nervenreizungsversuche fort und übersandte du Bois am 13. Juni eine kleine Notiz für die Akademie: „Ueber die Geschwindigkeit einiger Vorgänge in Muskeln und Nerven“, die er mit seinem Froschzeichenapparat oder, wie er ihn „künftig pompös benennen werde“, mit seinem Myographion angestellt hatte, dessen Verbreitung und Benutzung in den physiologischen Instituten jedoch nur langsam erfolgte; auch du Bois wagte zu seinem grössten Bedauern des hohen Preises wegen nicht, Joh. Müller den Vorschlag zu machen, ein solches für das anatomische Institut anzuschaffen. Schon im Winter 1853/54 hatte er neue (Seite 219) Apparate auch für Menschenzeitmessungen gebaut, konnte aber im Sommer 1854 wegen der Uebersiedelung des Laboratoriums in das Anatomiegebäude Versuche mit denselben noch nicht anstellen, und benutzte daher die freie Zeit „zu allerlei physiologisch-optischen Flickversuchen, welche aber das Gute haben, dass sie die Fassungskraft des wissenschaftlichen Publicums nicht übersteigen und diese würdige Körperschaft daher vielleicht bewegen werden, an meine Zeitmessungsversuche wenigstens zu glauben, wenn sie sie auch nicht verstehen“.

Nachdem er die schon früher von ihm gegebenen Definitionen wieder in Erinnerung gebracht — wonach als Zeitraum der latenten Reizung derjenige bezeichnet wird, während dessen die mechanischen Eigenschaften des Muskels keine Veränderung zeigen, als Zeitraum der steigenden Energie derjenige, während dessen die Spannung des Muskels wächst, bis sie ein Maximum erreicht, und er endlich den Zeitraum der sinkenden Energie denjenigen nennt, innerhalb dessen die Spannung erst schnell, dann sehr allmählich sinkt, bis schliesslich der frühere Zustand der Ruhe wieder eingetreten ist — leitet er mit Hülfe seines Myographions durch den blossen Anblick der sich völlig oder nur theilweise deckenden Zuckungscurven eine Reihe wichtiger Gesetze her, wonach die, eine secundäre Zuckung erzeugende, negative Schwankung des Muskelstromes früher eintritt als die Zusammenziehung des Muskels, der Elektrotonus der Nerven dagegen nicht später als der ihn erregende elektrische Strom. Vor allem aber ergab sich das wesentliche Resultat, dass zwei momentane Reizungen die stärkste Zusammenziehung eines Muskels dann hervorbringen, wenn ihre Zwischenzeit gleich ist der Länge des Zeitraumes der steigenden Energie, dass dagegen zwei Reizungen nicht stärker als eine einzige Reizung wirken, wenn ihre Zwischenzeit so klein ist, dass beim Anfange der zweiten Zuckung die erste noch keine merkliche Höhe erreicht hat. Als ein nur vorläufiges Resultat, dessen (Seite 220) Wichtigkeit für die Mechanik des Rückenmarkes er betont, weil dasselbe ermöglicht, direct erregte und reflectirte Zuckungen zu unterscheiden — Untersuchungen, auf die er später wieder zurückkam — erkennt er aus der Aufzeichnung der Zuckung des Wadenmuskels strychninisirter Frösche mittelst Reizung der Gefühlsnerven, dass im Vergleich zur Fortpflanzungsgeschwindigkeit in den Nerven die reflectirten Zuckungen erst nach verhältnissmässig langen Zwischenräumen eintreten, und dass bei den Reflexen die Uebertragung der Reizung im Rückenmark eine mehr als zwölf mal so grosse Zeit beansprucht als die Leitung in den zu- und abführenden Nerven.

Tod seiner Mutter am 30. September 1854

Helmholtz vertiefte sich nunmehr wieder ganz in optische Probleme und suchte zunächst, nachdem er eine Reihe darauf bezüglicher Arbeiten noch im Laufe des Sommers 1854 an die Journale abgeschickt hatte, seine grosse Arbeit über Accommodation zum Abschluss zu bringen, als ihn am 1. October die schmerzliche Nachricht von dem am 30. September plötzlich erfolgten Tode seiner Mutter traf; bei der grossen Entfernung konnte er nicht mehr rechtzeitig zur Beerdigung eintreffen.
„Für die Geschiedene ist freilich ein so jäher Tod nur segensreich zu nennen“, schreibt er seinem Vater, „sie hat in ihrem Leben genug geduldet, und noch dazu als Lohn für die Bereitwilligkeit, mit der sie ihre Kraft und Gesundheit stets für die Ihrigen geopfert hatte. Dass sie die letzten Jahre ihres Lebens in einem leidlich ruhigen, wenn auch nicht grade freudigen Zustande verbracht und durch einen schnellen und doch wohl auch schmerzlosen Tod einem besseren Lohne entgegengeführt wurde, mag uns einige Beruhigung geben.“

Am 3. October fand die Beerdigung statt.

„Der Geistliche E., den sie sehr verehrte“, schreibt sein Väter, „segnete die Leiche am Sarge in Gegenwart ihrer drei hier anwesenden Kinder und weihte ihr Grab auf eine (Seite 221) erhebende Weise. Eine Rede hatte ich verbeten; er war mit mir einverstanden, dass dahin der Priester, nicht der Prediger gehöre .... Wer viel liebte, dem wird viel zu Gute gerechnet vor dem Throne Gottes; man würde zu wenig sagen, wenn man spräche: sie hat ihre Pflichten erfüllt. Sie hat in wahrer Liebe gelebt und ist in der Liebe gestorben, selbst durch ihren Tod so wenig wie möglich die Ihrigen belästigend.“

Der alte Vater war, der langgewohnten Stütze beraubt, mit zwei Töchtern und einem Sohne tiefgebeugt zurückgeblieben.

Seine älteste Tochter Marie, geboren am 16. Juli 1823, die äusserlich anziehendere und geistig bedeutendere der beiden Schwestern, hatte durch eine ungewöhnliche Begabung versprochen, eine hervorragende Malerin zu werden, musste aber wegen eines Augenleidens der Ausübung ihres künstlerischen Talentes entsagen. Das Verlangen, ihrem reichen anregenden Wissen eine fruchtbringende Thätigkeit zu schaffen, reifte in ihr späterhin den Entschluss, einen selbstständigen Wirkungskreis zu suchen. Sie übersiedelte mit der Familie des Grafen Bareschnikow nach Russland und sollte die Heimath nicht wiedersehen. Sie starb am 17. December 1867 zu Feodorowska bei Smolensk an einem Nervenfieber. Das sonnige Bild ihrer liebenswerthen Persönlichkeit lebte wie ein heiliger Besitz fort in der Erinnerung ihres grossen Bruders.

Die jüngere Tochter Julie, geboren am 2. September 1827, blieb in Potsdam zur Stütze des Vaters. Trotz vieler Kränklichkeit wusste auch sie mit Opferfreudigkeit und Pflichttreue zu allen Zeiten ihr Leben für Andere zu nutzen. Ihre glücklichsten Zeiten verlebte sie, freilich mit jahrelangen Unterbrechungen, in dem Hause ihres Bruder Hermann, theilnehmend an dem Ausbau seines späterhin so reich gestalteten Lebens. Sie starb nach schweren Leidenszeiten an den Folgen eines Schlaganfalles am 21. Juli 1894 zu Illenau bei Achern in Baden.

(Seite 222) Sein Sohn Otto, geboren am 27. Januar 1834, besuchte zur Zeit des Todes seiner Mutter, nachdem er in Potsdam das Gymnasium absolvirt, das Gewerbeinstitut in Berlin, um sich, freilich gegen den Wunsch seines in damals sehr verbreiteten Vorurtheilen befangenen Vaters und seiner Lehrer, aber unter thatkräftiger Zustimmung seines Bruders Hermann, im Maschinenbaufach auszubilden; letzterer schrieb ihm:

„Was den Streit über „Handwerk“ und „nicht Handwerk“ betrifft, so sehe ich aus Deiner Darstellung, dass Du die Sache keineswegs so auffasst, dass ich auf die Seite R's und seiner gelehrten Verachtung der banausischen Beschäftigungen treten müsste. Der Werth des Arbeitens hängt nicht von dem Material, was man bearbeitet, ab, ob es unorganische Materie oder Geistesproducte seien, sondern von der Grösse der geistigen Kraft, mit der es bearbeitet wird, und davon, ob die Arbeit nur den Zweck des Lebensunterhaltes habe oder ob sie Sache des freien geistigen Interesses sei. Wer so arbeitet, wie er es von seinem Lehrer oder Meister einmal zu machen gelernt hat, und nur beabsichtigt, dadurch die Mittel für seine Subsistenz oder sein Vergnügen zu erlangen, der wird durch das Maschinenmässige der Arbeit geistig abgetödtet, wer aber aus Lust an der Sache arbeitet und demzufolge strebt, die Sache zu fördern, der wird durch die Arbeit veredelt, welche es auch sein mag.“

Seiner Neigung entsprechend ging der Bruder dann in das Hüttenfach über und wurde sehr bald ein hochangesehener Ingenieur, jetzt Director der grossen Rheinischen Stahlwerke bei Ruhrort — beide Brüder verband innige Liebe und Freundschaft bis zum Tode unseres grossen Forschers.

Alle Gedanken des vereinsamten Vaters gravitirten jetzt nach Königsberg; es erfüllte ihn mit grosser Freude und ermuthigte ihn, mit Selbstvertrauen und ohne Bitterkeit in die Zukunft zu blicken, als sein Sohn Hermann, dem er seine früher in den Potsdamer Gymnasialprogrammen (Seite 223) veröffentlichten Arbeiten zur Vertheilung an einige der Freunde geschickt hatte, ihm darüber schrieb:

Lobeck hatte mir vor Kurzem einmal gesagt, er habe mit Erstaunen gehört, dass der Philologe Helmholtz ein so naher Verwandter von mir sei. Wegen der Verschiedenheit des Faches sei es ihm gar nicht eingefallen, uns zu combiniren. Dann hatte er gefragt, ob ich Exemplare von Deinen Programmen hätte, und als ich es verneinte, sagte er, er könne sie ja von der Bibliothek haben, in der sie sich befänden. Ich werde ihm wenigstens das Programm über die Hellenen bringen, Olshausen das über die Araber, und vielleicht letzterem auch das über die Erziehung zum Schönen, weil ich glaube, dass sie bei diesem besser angebracht sind, als bei dem rein philologischen Lobeck.“

Er fügte hinzu:

„Was würdest Du gesagt haben, wenn ich Pair von Preussen hätte werden wollen. Da unsere beiden berühmten Politiker Simson und Schubert nicht gehen wollten, fragte man unter andern auch bei mir an, ob ich die Wahl nicht annehmen möchte. Natürlich sagte ich gleich höchst entschieden nein, weil für diese Laufbahn eine andere Art von Ehrgeiz gehört, als ich ihn besitze.“

Stolz gab der alte gebrechliche Mann ihm Recht, dass er die Pairschaft ausgeschlagen, denn „durch Deine Leistungen in der Wissenschaft wirst Du Dich am sichersten fördern“.

Fünf Jahre fruchtbarster akademischer Thätigkeit und grossartigsten Schaffens auf den verschiedensten Wissensgebieten waren in Königsberg dahingegangen, Helmholtz und seine Frau hatten sich dort wohl und heimisch gefühlt. Heiter und genügsam, ernst und fleissig, keiner fröhlichen Gemeinschaft abhold, hatten sie sich allmählich einen liebenswürdigen Freundeskreis gebildet, der die Interessen beider Gatten theilte. Die Professoren von Wittich, Richelot, Olshausen, Friedländer, Werther, der Hausarzt (Seite 224) Dr. Schieferdecker mit ihren Frauen, die Familie des Tribunalrathes Ulrich, der Präsident Simson verkehrten viel im Helmholtz'schen Hause, in dem auch häufig musicirt und Comödie gespielt wurde; daneben ununterbrochen die ernsteste Arbeit und ein enges Zusammenleben in der Familie.

„Wenn ich“, schreibt seine Schwägerin, „zurückdenkend den Styl des damaligen häuslichen und geselligen Lebens mit dem am Schlusse von Helmholtz' irdischer Laufbahn vergleiche, überkommt mich's mit Rührung und Wehmuth über die unendliche Bescheidenheit der Verhältnisse und Ansprüche damals, aber auch mit dem Hochgefühl, dass er mir nie mehr und nie Grösseres gewesen als damals in dem Entfalten und Wachsen seines wunderbaren Genius und seiner edlen und lauteren Natur. Der von der Elite der Geistes-Heroen Europa's und von Fürsten und Königen gefeierte Mann erscheint mir nicht werthvoller, als der unendlich bescheidene, unermüdlich arbeitende und forschende junge Gelehrte, der sich aus den Garnröllchen seiner Frau und den Bausteinen seiner Kinder, aus Wachsstockendchen und Schnürchen die kleinen Apparate für seine optischen Versuche construirte.“

Aber diese geringfügigen und werthlosen Apparate für seine schwierigen und feinen Versuche waren ihm nicht unbequem und überflüssig; als er schon so viel später die glänzendsten Institute zu seiner Verfügung hatte, erzählte er: „Ich selbst war gewöhnt und habe diese Gewohnheit sehr nützlich gefunden, wenn ich ganz neue Wege der Untersuchung einschlagen wollte, mir Modelle der erforderlichen Instrumente, freilich zerbrechlich und aus schlechtem Material vorläufig zusammengeflickt, herzustellen, die wenigstens so weit reichten, dass ich die ersten Spuren des erwarteten Erfolges wahrnahm und die wichtigsten Hindernisse kennen lernte, die ihn vereiteln konnten. Dabei lernte ich aus eigener Erfahrung beurtheilen, welch' schwierige (Seite 225) Ueberlegungen bei solchen neuen Sachen gewöhnlich dem Mechaniker zugemuthet werden. Und erst wenn ich mit meinen eigenen theoretischen Ueberlegungen und vorläufigen Versuchen fertig war, trat ich in Berathung mit dem Mechaniker, der meine Modelle in Stahl und Messing übersetzen sollte. Nun kamen erst die schwierigen Fragen.“

Bewerbung um die Professur in Bonn

„Oft bat er freundlich-verlegen seine Frau: Möchtest Du mir wohl Deine Augen für eine halbe Stunde leihen, Du kommst dafür auch als werthvolles Versuchsobject in meine Optik. ...“ Seine Frau war ihm in der That alles, was er von ihr erhofft und vorausgesetzt hatte; sein treusorgendes Weib und seine ebenbürtige Gefährtin. Sie arbeitete und schrieb für ihn, er las ihr seine Vorträge, die für die Oeffentlichkeit bestimmt waren, vor, ehe er sie hielt, um an ihrem Verständniss das allgemeine gebildeter Menschen zu messen.

Inzwischen hatte sich aber ihr Befinden, das schon öfters zu Besorgnissen Anlass gegeben, beständig verschlimmert, auch der letzte Strandaufenthalt, der ihr sonst stets wohl gethan, war diesmal wirkungslos geblieben; sie hustete seit der Geburt ihrer Kinder viel, und bei ihrer unbesieglichen Pflichttreue schonte sie sich nicht ausreichend. Nach der Ansicht der Aerzte war das rauhe Klima Königsbergs eine Veranlassung zu der steten Wiederholung der immer länger andauernden Anfälle, und es war nur natürlich, dass, als sich die Möglichkeit eröffnete, dass in Bonn der Physiologie eine Stätte bereitet werden sollte, Helmholtz schon im Interesse der Gesundheit seiner Frau es dringend wünschen musste, die Universität Königsberg mit der in Bonn zu vertauschen.

Aber er that keinen Schritt zur Verwirklichung seines Wunsches, um nicht seinen beiden älteren Freunden Ludwig und du Bois entgegenzutreten, von denen er annehmen musste, dass der eine wieder nach Deutschland werde zurückkehren, der andere eine ordentliche Professur (Seite 226) endlich werde erlangen wollen. Erst als er hörte, dass Ludwig in Folge seiner politischen Haltung in Marburg und der so irrthümlich verbreiteten Meinung von seinem Atheismus gar keine Aussicht hatte, nach Preussen berufen zu werden, und du Bois Bedenken hege, diese Stelle anzunehmen, da ihm das Ordinariat in Berlin in ziemlich sicherer Aussicht war, schrieb er letzterem am 5. November 1854 aus Königsberg:

„Ich höre durch Deinen Bruder, [Anm: Paul du Bois-Reymond] den ich mich sehr gefreut habe, hier eintreffen zu sehen, dass Du noch immer mit dem Ministerium wegen Bonn in Verhandlung stehest und Dich vorläufig noch nicht mit ihm einigen kannst, weil sie von Dir Vorlesungen über vergleichende Anatomie verlangen. Da ich nun einen Theil Deiner Stellung in Berlin aus eigener Erfahrung kenne und ebenso die Stellung eines Professors an einer kleineren Universität, so glaube ich mit ziemlicher Sicherheit urtheilen zu können, dass eine ordentliche Professur an der kleinsten und entlegensten deutschen Universität für Deine wissenschaftlichen Arbeiten und für Dein eigenes Selbstgefühl besser sein würde, als Deine jetzige Stellung in Berlin. Um so mehr eine Stellung in Bonn, wenn das Ministerium, wie es doch jetzt wirklich die Absicht zu haben scheint, einige tüchtige Lehrer der Naturwissenschaften dort zusammenbringt und dadurch die medicinische Facultät aus ihrer jetzigen Versumpfung hebt. Was die vergleichende Anatomie betrifft, so handle mit dem Ministerium, um sie los zu werden, aber meines Erachtens darfst Du deshalb die Stelle nicht fahren lassen, denn es giebt nachher hundert Auswege, sie los zu werden. Es müsste doch schlimm hergehen, wenn sich nicht ein Privatdocent dazu finden sollte. Auch kannst Du sie Jahre lang liegen lassen, ehe das Ministerium moniren würde, und wenn schliesslich alles Verschieben nicht hülfe, so würde sich sehr passend und hübsch ein Colleg über vergleichende Physiologie der Wirbelthiere daraus machen lassen. Hier hast Du (Seite 227) also guten Rath aufoctroyirt, den Du gar nicht verlangt hast; nun sollst Du auch zweitens sehen, dass er uneigennützig gegeben ist. Wenn Du nämlich dabei beharrst, die Stelle nicht annehmen zu wollen, so möchte ich Dich bitten, mir, sobald Du einen Entschluss gefasst hast, davon Nachricht zu geben, weil ich selbst doch auch bei einem entsprechenden Gehalte die Professur in Bonn der in Königsberg vorziehen würde und dann mit dem Ministerium in Unterhandlung treten will. Ich denke, da der alte Mayer vorläufig so lange liest, als noch kein anderer da ist, wird es mit der Bewerbung keine besondere Eile haben, und ich will daher nicht dazu beitragen, Dir Deine Bedingungen zu verderben. Meine Gründe sind, Aussicht auf einen grösseren Wirkungskreis in Bonn, einige, wenn auch zuerst keine grosse Einnahme durch Honorar und endlich die Rücksicht auf meiner Frau Gesundheit, die bei dem hiesigen Klima mir denn doch dauernd gefährdet zu sein scheint. Ich selbst verliere durch die gar nicht zu vermeidenden Erkältungen einen guten Theil meiner Arbeitskraft. Meine Gründe sind also nicht so dringend, dass ich Dir nicht zunächst, von ganzem Herzen die Stelle gönnen sollte, aber ich würde sie keinem anderen gönnen.“

Als nun du Bois den Brief Helmholtz' vier Wochen unbeantwortet gelassen, wandte sich dieser am 3. December 1854 an Johannes Schulze in dem nachfolgenden Schreiben:

„Ew. Hochwohlgeboren mögen verzeihen, wenn ich Ihre Zeit mit einer Angelegenheit in Anspruch nehme, welche vielleicht in diesem Augenblicke schon abgethan ist. Sie theilten mir im vorigen Sommer mit, dass nach Bonn ein neuer Professor der Anatomie und Physiologie berufen werden solle. Ich bewarb mich damals nicht selbst um diese Stelle, so lockende Aussichten Bonn in vieler Beziehung auch bieten mochte, namentlich bei den ziemlich mannigfachen Verbindungen, in die ich mit englischen und holländischen Gelehrten (Seite 228) gekommen bin. Einige von den Vortheilen Bonns mussten erst von der Zukunft wieder herbeigeführt werden, namentlich eine den übrigen günstigen Verhältnissen jener Facultät entsprechende Zahl von Studirenden der Medicin. .... Andererseits hatten sich meine hiesigen Verhältnisse, abgesehen von der Isolation Königsbergs, angenehm gestaltet, was ich zum grössten Theile Ihrer stets bereiten Fürsorge zu verdanken habe. Namentlich hatten sich auch der Eifer und die Zahl der Studirenden vermehrt (als ich herkam 1849 nur 46, jetzt 80), und so zog ich es vor, in Verhältnissen zu bleiben, die ich kannte, als lockenderen, aber unsicheren Aussichten zu folgen. Dazu kam, dass ich meinte, die Stelle in Bonn würde meinem Freunde du Bois-Reymond zufallen, und ich diesem von ganzem Herzen eine Stelle wünschte, die ihm die Möglichkeit ungestörter wissenschaftlicher Arbeit gewährte.

Nun erfahre ich im Privatwege, dass die Stelle noch nicht vergeben sei, dass Professor du Bois-Reymond zögere, sie anzunehmen, und dass möglicher Weise ein fremder Gelehrter dazu berufen werden solle.

Ausserdem hat sich seitdem ein Verhältniss herausgestellt, welches mich dringend wünschen lässt, an einen Ort von milderem Klima versetzt zu werden. Nachdem ich selbst, obgleich früher von kräftiger Gesundheit, drei Jahre lang unter den Einwirkungen des hiesigen Klima gelitten, es jetzt vielleicht überwunden habe, kann ich nicht mehr verkennen, und ich werde darin durch den Ausspruch ärztlicher Collegen bestärkt, dass die Gesundheit meiner Frau, welche hier von immer häufiger wiederkehrenden und hartnäckigen Leiden des Halses und der Brust befallen worden ist, auf die Dauer sehr ernsten Gefahren ausgesetzt sein wird, und Sie werden begreifen, dass dies ein Grund ist, der mich zwingt, alle anderen Rücksichten bei Seite zu setzen und jede Gelegenheit zu ergreifen, um an einen von der See entfernteren Ort von milderer Temperatur zu gelangen.

(Seite 229) Ich konnte mich nun aber nicht direct bei Sr. Exc. dem Herrn Minister um die Stelle bewerben, da ich nicht weiss, ob sie noch nicht vergeben ist, ob das Gehalt derselben in dem theuren Bonn ein Aequivalent meines hiesigen sein wird, ob ein physiologisches Institut daselbst existirt oder eventualiter gegründet werden soll und welche Vorlesungen zu halten sind. Da ich mich in der Unmöglichkeit befinde, von hier aus über diese Punkte Auskunft zu erlangen und ich mich dankbar des Wohlwollens erinnere, welches Sie mir bei allen Gelegenheiten bewiesen haben, bei denen ich Gesuche an Sie richtete, mögen Sie mir verzeihen, dass ich in dieser mir sehr am Herzen liegenden Angelegenheit Sie wieder bemühe. . . . Darf ich hoffen, dass Sie mich, wissen lassen, ob noch Aussicht für mich ist und ob Sie wünschen, dass ich ein directes Gesuch an den Herrn Minister sende....“

Endlich traf am 6. December von du Bois die Antwort ein:

„.... Ich konnte Dir auch nicht eher etwas Gewisses auf Deinen ersten Brief antworten und kann es auch jetzt noch nicht. Ich habe genau genommen nie mit dem Ministerium wegen Bonn in Unterhandlung gestanden. .... Bei dem Namen, den Du Dir auch als Lehrer erworben hast, kann es Dir nicht fehlen, in kurzer Zeit irgend einen anderen Ruf zu erhalten. Ich werde vermuthlich ausser Concurrenz treten. . . . Einstweilen kann ich nur mit Ingrimm meine verlassenen Apparate und Handschriften sehen, und es ist mir unbegreiflich, wie Du in dem ersten Jahre Deines Königsberger Aufenthaltes hast können so riesenhafte eigene Arbeiten ausführen. Aber natürlich: Du gleichst dem Geist, den Du begreifst.“

Johannes Schulze antwortete Helmholtz, dass es dem Ministerium eigentlich darauf ankomme, einen Anatomen nach Bonn zu schicken, weil die vorhandenen physiologischen Vorträge noch als befriedigend angesehen würden, das Ministerium habe an Bischoff, Gerlach, Luschka (Seite 230) gedacht; er würde aber seinen Wunsch unterstützen, wenn er es über sich nehmen wollte, wenigstens für den Anfang die Anatomie seine Hauptaufgabe sein zu lassen. Nachdem Helmholtz sowohl seine Meldung für diese Stellung beim Ministerium, sowie die Antwort von Johannes Schulze du Bois und Ludwig, die in dem ministeriellen Schreiben gar nicht genannt waren, mitgetheilt hatte, schrieb er, da das bis in den December hinein andauernde, immer bedenklicher sich gestaltende Halsleiden seiner Frau ihm eine baldige Uebersiedelung nach Bonn dringend wünschenswerth machte, am 19. December 1854 an Johannes Schulze:

„Ew. Hochwohlgeboren sage ich meinen ehrerbietigsten Dank für Ihr gütiges Schreiben vom 14. d. M. und erlaube mir betreffs der Zweifel, welche gehegt werden könnten, ob ich geneigt sein möchte, die Obliegenheiten eines Professors der Anatomie vollständig zu übernehmen und mit ganzem Eifer zu vertreten, zu erwidern, dass es schon längere Zeit mein Wunsch gewesen ist, die allgemeine Pathologie, welche ich hier vorzutragen habe, mit der Anatomie vertauschen zu können, weil mir die letztere doch näher liegt als die erstere. Ich fühle es bei den in der Pathologie neu auftretenden Fragen und Gesichtspunkten immer mehr, dass die in meiner früheren ärztlichen Praxis gesammelten Anschauungen nicht mehr ganz ausreichend sind, und muss fürchten, dass dies mit jedem Jahre schlimmer werden wird. Anatomie des Menschen und auch Theile der vergleichenden Anatomie habe ich schon früher in Berlin vor den Schülern der Kunstakademie vorgetragen, was jedenfalls viel schwieriger ist als vor Studirenden der Medicin. Auf mikroskopische Anatomie beziehen sich meine ersten wissenschaftlichen Arbeiten, namentlich erlaube ich mir anzuführen, dass ich in meiner Inauguraldissertation einen der wichtigsten Punkte aus der feineren Anatomie des Nervensystems, nämlich den Uebergang der Nervenfasern in die Nervenzellen, festgestellt habe, etwas, was damals den allgemein verbreiteten Meinungen (Seite 231) ebenso entschieden widersprach, als es jetzt allgemein angenommen ist. Später habe ich allerdings meine Arbeiten einer anderen Richtung, der experimentellen, zugewendet, weil ich wohl annehmen durfte, dass ich in diesem verhältnissmässig wenig bearbeiteten Felde meine Kräfte besser verwerthen könne, als in der mikroskopischen Anatomie, der eine Menge guter Kräfte zugewendet waren. Wenn ich daher auch später nur gelegentlich, wo andere Arbeiten mich darauf führten, eigene mikroskopisch-anatomische Untersuchungen gemacht habe, so habe ich doch auch immer in den physiologischen Vorlesungen mikroskopische Demonstrationen zu machen gehabt und auch Studirende in meinem Laboratorium im Gebrauche des Mikroskopes eingeübt. Ich bitte Sie deshalb anzunehmen, dass ich mit meinem Interesse den anatomischen Wissenschaften keineswegs so fern stehe, als es bei einer blossen Durchsicht meiner gedruckten Schriften wohl scheinen möchte, und dass ich deshalb auch bereit sein werde, für die Förderung des Studiums der anatomischen Wissenschaften zu thun, was in meinen Kräften steht.

Da Sie in Ihrem geehrten Schreiben erwähnen, dass der zu berufende Docent als Professor der Anatomie und Physiologie berufen werden solle, so entnehme ich daraus, dass ich die Physiologie, auf die ich bisher alle meine Kräfte concentrirt habe, nicht würde aufgeben sollen, wenn ich auch vielleicht anfangs, wo ich mich in die anatomischen Vorträge einzuarbeiten hätte, genöthigt sein sollte, einen Theil derselben anderen Docenten zu überlassen. . . . Ich erlaube mir auszusprechen, dass ich nur dann wünschen kann, die Stelle in Bonn zu erhalten, wenn ich hoffen darf, daselbst über ausreichende Geldmittel zur Beschaffung einer physiologischen Instrumentensammlung disponiren zu können . . . .“

Den Inhalt auch dieses Schreibens theilte er du Bois und Ludwig mit. Aber die Erledigung der Angelegenheit zog sich noch lange hinaus, so dass er die Hoffnung völlig aufgab, seinen Wunsch erfüllt zu sehen.

(Seite 232) Noch im Laufe des Sommers 1854 hatte Helmholtz, der die physiologische Optik jetzt fast als ausschliessliches Arbeitsfeld gewählt, eine Arbeit an Poggendorff geschickt, die im folgenden Jahre unter dem Titel: „Ueber die Zusammensetzung von Spectralfarben“ erschien; in derselben kommt er auf die irrthümlich in seiner früheren Arbeit über zusammengesetzte Farben von ihm aufgestellte und schon später von ihm berichtigte Behauptung zurück, dass ausser Indigo, und Gelb im Spectrum complementäre Farben nicht vorkommen, eine Behauptung, welche Grassmann mit Recht zur Aufrechterhaltung von Newton's alter Farbenmischungstheorie angegriffen und welche durch eigenthümliche physiologische Verhältnisse des menschlichen Auges hervorgerufen war, die Helmholtz gerade jetzt einer eingehenden Untersuchung unterwarf.

Wegen der Farbenzerstreuung im Auge nämlich kann sich dieses nicht gleichzeitig für beiderlei Arten von Strahlen accommodiren; entsendet ein leuchtender Punkt gleichzeitig rothes und blaues Licht, und ist das Auge für die Entfernung des Punktes bei rother Beleuchtung accommodirt, so giebt das blaue Licht einen Zerstreuungskreis, und es erscheint also ein rother Punkt mit blauem Hofe, bei umgekehrter Accommodation ein blauer Punkt im rothen Hofe. Nun ist allerdings auch eine Accommodation des Auges herzustellen, bei welcher das rothe und blaue Licht gleich grosse Zerstreuungskreise bilden, also ein kleiner Lichtfleck von der Mischfarbe erscheint; doch ist es kaum möglich, die so gefundene Stellung des Auges dauernd festzuhalten, wenn der Unterschied zwischen der Brechbarkeit der beiden verschiedenen Lichtarten beträchtlich ist, während bei den von Helmholtz früher gefundenen Complementärfarben der Unterschied der Brechbarkeit am kleinsten, also die Accommodation am leichtesten festzuhalten war. Nachdem er nun durch die früher von ihm angewandten Methoden nur ein sehr kleines mit der Mischfarbe bedecktes Feld erhalten hatte, (Seite 233) wandte er jetzt eine dem Foucault'schen Verfahren ähnliche Methode an, bei welcher man auch am Rande des Feldes bald die eine, bald die andere Farbe aufblitzen, das übrige möglichst grosse Feld sich aber complementär färben sieht; hat man nun eine Farbenmischung gefunden, welche man für Weiss hält, so muss man noch von einer anderen Stelle des Zimmers her weisses Himmelslicht eindringen und auf weisses Papier fallen lassen, um dessen Farbe mit der Mischfarbe zu vergleichen. Dabei fand Helmholtz, dass sich die Mischfarbe mit dem Orte der Netzhaut, welcher deren Bild empfing, etwas änderte; hatte er Roth und Grünblau so verbunden, dass das von ihnen gemeinschaftlich beleuchtete Feld so gut als möglich weiss erschien und eher das Roth überwog, so wurde das Bild sogleich entschieden grün, wenn er einen neben dem hellen Felde liegenden Punkt des Papiers fixirte, und dasselbe fand statt, wenn das Auge so nahe gebracht wurde, dass das Feld der Mischfarbe einen sehr grossen Theil des Gesichtsfeldes bedeckte, also ausser dem gelben Fleck auch viele andere Theile der Netzhaut das Bild aufnahmen.

Nachdem er einige präcisere Bestimmungen über den Gebrauch der verschiedenen Namen von Farben gegeben, gelingt es ihm, mit Berücksichtigung der erwähnten Umstände, Weiss zusammenzusetzen aus Indigoblau und Gelb, aus Cyanblau und Goldgelb, aus Violett und grünlich Gelb, aus grünlich Blau und Roth. Nur Grün gab keine einfache Complementärfarbe; um Weiss zu bilden, muss es mit Purpur, also mit mindestens noch zwei anderen Farben, Roth und Violett, gemischt werden. Er untersuchte nun zunächst die Empfindlichkeit des Auges für die einzelnen Theile des violetten Endes des Spectrums und fand, dass das menschliche Auge alle die brechbareren Strahlen dieser Gegend noch sehen konnte, welche fähig waren, durch die angewendeten Glasmassen hindurchzugehen, weshalb er den Namen der unsichtbaren Strahlen mit dem der ultravioletten Strahlen vertauschte. Die objective Intensität dieser ist durchaus nicht verschwindend (Seite 234) klein, wie daraus ersichtlich, dass, während wir von den übervioletten Strahlen eines auf gewöhnlichem weissen Papier entworfenen Spectrums nichts wahrnehmen, weil sie von dem diffusen gewöhnlichen Lichte überstrahlt werden, das von den betreffenden Stellen des auf einem mit Chininlösung durchtränkten Papiere entworfenen Spectrums ausgehende weniger brechbare Licht des fluorescirenden Chinins mit einer hinreichend grossen lebendigen Kraft die Netzhaut afficirt, um gesehen zu werden. Um nun die Farbentöne verschiedener Stellen des unsichtbaren Spectrums mit einander zu vergleichen, war auf nahezu gleiche Lichtintensität zu achten, da dieses unter allen Theilen des Spectrums am schnellsten den Farbenton bei der Lichtintensität wechselt, und Helmholtz konnte in demselben eine ganze Reihe unterscheidbarer purpurner Farbentöne finden. Die Untersuchung über die Empfindlichkeit der Netzhaut für ultraviolette Strahlen konnte er zunächst nicht weiter führen, da die angewandten Glasprismen nicht genügend grosse überviolette Spectra lieferten. Aber er warf noch zwei sehr interessante Fragen auf nach dem Verhältniss der Wellenlängen complementärer Farben und nach den Intensitätsverhältnissen, welche complementäre einfache Farben haben müssen, wenn sie gemischt Weiss geben sollen; es gelang ihm, diese Fragen im Allgemeinen zahlenmässig zu beantworten, und er kam zu dem Ergebniss, dass auf Grund der angestellten Messungen der Helligkeit der zu Weiss gemischten Farben den verschiedenen einfachen Farben eine verschiedene Sättigung der Färbung zugeschrieben werden müsse, Violett am meisten, Gelb am wenigsten gesättigt ist. Eine Untersuchung der Berechtigung des Newton'schen Farbenkreises, den Helmholtz einen der sinnreichsten Einfälle des grossen Denkers nennt, beschliesst die für alle folgenden Untersuchungen dieser Art fundamental gewordene Arbeit.

Nach langem Warten trafen die beiden Prismen von Bergkrystall von Oertling in Berlin ein, die er schon (Seite 235) zu den früheren Versuchen durch du Bois hatte bestellen lassen, und die ihm jetzt ein überviolettes Spectrum lieferten, welches mehr als doppelt so lang war als das durch Glasprismen entworfene. In der unmittelbar darauf Poggendorff eingesandten Arbeit „Ueber die Empfindlichkeit der menschlichen Netzhaut für die brechbarsten Strahlen des Sonnenlichtes“ legt er sich nun die wichtigen, aber überaus schwierigen Fragen vor, ob die Netzhaut die übervioletten Strahlen unmittelbar, wie die anderen Farben im Spectrum, sieht oder unter ihrem Einfluss fluorescirt, und ob die blaue Farbe der übervioletten Strahlen Licht von geringerer Brechbarkeit ist, welches sich in der Netzhaut erst unter dem Einfluss der violetten Strahlen entwickelt. Durch Abänderung der bisher angewandten Methoden beantwortet er diese Fragen dahin, dass die menschliche Netzhaut im Stande ist, alle Strahlen des Sonnenlichtes direct wahrzunehmen, deren Brechbarkeit die der äussersten rothen Strahlen übertrifft; dass ferner die Substanz der Netzhaut unter dem Einfluss der übervioletten Strahlen gemischtes Licht niederer Brechbarkeit dispergirt, deren Gesammtfarbe nicht ganz reines Weiss ist, und dass endlich die Fluorescenz der Netzhaut kein hinreichender Erklärungsgrund dafür ist, dass die übervioletten Strahlen überhaupt wahrgenommen werden; er fand, dass die ziemlich gesättigte blaue Farbe der übervioletten Strahlen für das lebende Auge völlig verschieden war von der fast ganz weissen Farbe des dispergirten Lichtes der todten Netzhaut. Zu gleicher Zeit wurde in seinem Laboratorium in Königsberg und unter seiner Leitung von Esselbach die Wellenlänge des ultravioletten Lichtes gemessen; er schrieb am 3. März an Wilhelm Weber:

„Ich hatte selbst die Absicht gehabt, die Wellenlängen der übervioletten Strahlen zu messen, und zu dem Ende schon eine Quarzplatte mit feinen parallelen Linien bei Oertling bestellt, welche ich bald zu bekommen hoffe. Ausserdem habe ich in das Ocular des Quarzfernrohres ein (Seite 236) kleines Gefäss mit parallelen Quarzwänden einfügen lassen, um darin Chininlösung aufzunehmen; die vorderste Oberfläche dieser Lösung steht im Brennpunkte des Fernrohres, und ich hoffe auf dieser Fläche die Linien des übervioletten Spectrums sehr fein und lichtstark abgebildet zu sehen und ganz nach Frauenhofer's Methode die Wellenlängen messen zu können. Doch liegt diese Arbeit meinen eigenen Studien etwas fern .....“

Diese Untersuchung wurde von Magnus der Berliner Akademie im December 1855 unter dem Titel „Ueber die Messung der Wellenlänge des ultravioletten Lichtes von E. Esselbach“ mit einem Zusatze von Helmholtz über die physiologisch-optischen Resultate dieser Messungen vorgelegt. Er stellt hierin eine ausgedehnte Vergleichung der Verhältnisse der Lichtwellenlängen mit denen der Tonintervalle an, wonach der ganze sichtbare Theil des Sonnenspectrums eine Octave und eine Quarte umfasst, und weist durch die aufgestellte Tabelle die geringe Analogie zwischen der Tonempfindung und Farbenempfindung nach, indem sämmtliche Uebergangsstufen zwischen Gelb und Grün in die Breite eines kleinen halben Tones zusammengedrängt sind, während an den Enden des Spectrums Intervalle von der Grösse einer kleinen oder grossen Terz sich befinden, in denen das Auge keine Veränderung des Farbentones wahrnimmt.

Nun erreichte aber auch seine grosse Arbeit über Accommodation ihre Vollendung; schon in der Mitte des October 1854 kündigt er Ludwig an, dass er sie recht bald abzuschliessen hoffe, und am 3. März des folgenden Jahres schreibt er seinem Vater, dass der Druck der Arbeit „Ueber die Accommodation des Auges“ in Gräfe's Archiv für Ophthalmologie vollendet sei, dass er aber Abdrücke noch nicht bekommen habe; sie erschien noch im Jahre 1855 und brachte eine staunenswerthe Menge von neuen Gesichtspunkten, Methoden und Resultaten für die physiologische Optik.

(Seite 237) Die Priorität der einen fundamentalen Entdeckung, die er schon in den Monatsberichten der Akademie kurz mitgetheilt hatte, musste er freilich Cramer überlassen: dass die Linse im Zustand der Ruhe des Auges, wo es in die Ferne deutlich sieht, nicht ihre natürliche Gestalt hat, sondern durch benachbarte Gebilde plattgedrückt gehalten wird, dass ihr aber durch den Zug des Brücke'schen Muskels gestattet wird, vermöge ihrer Elasticität ihre stärker gekrümmte natürliche Gestalt und grössere Dicke anzunehmen — Resultate, die er nicht durch Beobachtung von Gestaltveränderung oder Verschiebung der optischen Medien des Auges bei der Accommodation gewonnen, sondern durch die Untersuchung der Veränderungen der von Sanson zuerst gesehenen schwachen Lichtreflexe innerhalb der Pupille festgestellt, welche an den beiden Flächen der Krystalllinse zu Stande kommen, und zur Erklärung der Accommodation genügten. Aber es blieben noch viele und schwierigere Fragen zu beantworten, deren Bewältigung nur dem genialen Mathematiker und Physiker glücken konnte. Es handelte sich um eine genaue Bestimmung der äusseren und inneren Fläche der Hornhaut, der Veränderungen der Iris bei der Accommodation, endlich der Krümmung der vorderen und hinteren Linsenfläche, die er mit bewundernswerther Schärfe durchführte.

Von der Ueberlegung ausgehend, dass eine convexe spiegelnde Fläche von den umgebenden Gegenständen desto kleinere Bilder liefert, je kleiner ihr Krümmungsradius ist, und dass man somit auch aus der Grösse der Bilder den Krümmungsradius berechnen kann, sucht er die Grösse des Hornhautbildchens zu messen, begegnet aber sogleich der Unmöglichkeit, das lebende Auge so unbeweglich festzustellen, wie es eine genaue Messung erfordert. Um nun das bewegliche Hornhautbild zu messen, während das Auge sich bewegt, übertrug er das Princip des Heliometers, welches die Astronomen anwenden, um an dem beweglichen Himmelsgewölbe sehr (Seite 238) kleine Sternabstände trotz ihrer scheinbaren Bewegung so genau zu messen, dass sie dadurch die Tiefen des Fixsternhimmels sondiren können, in veränderter Form der Anwendung auch auf das bewegliche Auge; er construirte das Ophthalmometer, durch welches es ihm gelang, die Krümmung der Hornhaut und all die übrigen in Frage kommenden Erscheinungen am lebenden Auge mit grösserer Schärfe zu messen, als man es bisher am todten Auge thun konnte. Das Princip des Ophthalmometers, das eine so grosse Rolle in der physiologischen Optik spielen sollte, beruht darauf, dass wir Gegenstände, welche durch eine schräg zur Gesichtslinie gehaltene Glasplatte mit vollkommen ebenen und parallelen Flächen betrachtet werden, etwas seitlich verschoben erblicken, und dass diese Verschiebung desto grösser wird, je grösser der Einfallswinkel der Lichtstrahlen gegen die Platte ist. Werden nun vor das Objectivglas eines Fernrohrs schräg gegen seine Axe zwei planparallele Glasplatten gekreuzt angebracht, so werden von einem Gegenstande im Gesichtsfelde des Fernrohrs zwei Bilder gleichzeitig neben einander erscheinen; dreht man nun die beiden Glasplatten so weit, bis die beiden Bilder zusammenstossen, so zeigt Helmholtz, dass man aus der Grösse der Drehungswinkel die Grösse des beobachteten Gegenstandes berechnen kann, und zwar, da das Ophthalmometer in jeder Entfernung dieselbe lineare Verschiebung zeigt, ohne die Entfernung des Gegenstandes vom Fernrohr zu kennen. Zur Construction des Instrumentes musste Helmholtz wegen der geringen Mittel des Institutes das Fernrohr aus Gläsern zusammenstellen, die er zur Disposition hatte, und das ganze Instrument bis auf die planparallele Glasplatte in Königsberg anfertigen lassen, schlug aber schon kurz darauf Donders eine praktischere Construction vor, um das Maximum der Helligkeit der Bilder zu erreichen.

Soll nun dieses Instrument zur Messung der Hornhautkrümmung angewendet werden, so muss auf der Hornhaut (Seite 239) das Spiegelbild eines äusseren Objectes von bekannter Grösse und Entfernung erzeugt, und die Grösse des Spiegelbildes durch das Ophthalmometer gemessen werden. Helmholtz machte hier die wichtige Bemerkung, dass in allen Krankheiten des Auges, welche mit einer Veränderung des Druckes der Augenflüssigkeiten verbunden sind, sich diese Veränderungen an der Hornhaut verrathen. Die so durchgeführte Messung des Krümmungsradius an verschiedenen Stellen der Hornhaut ergab, dass die Form derselben einem Ellipsoid entspricht, welches durch Umdrehung einer Ellipse um ihre grössere Axe erzeugt ist, so dass die Basis der Hornhaut eine auf der grossen Axe der Ellipse senkrechte Ebene bildet, und der Mittelpunkt der Hornhaut mit dem Scheitel der Ellipse zusammenfällt; bei der Accommodation findet nicht die geringste Krümmungsänderung der Hornhaut statt. Um die Form der inneren Fläche der Hornhaut festzustellen, konnte diese Methode nicht angewandt werden, da der Reflex der vorderen Hornhautfläche so viel stärker als der der hinteren ist, dass man den letzteren nicht sehen kann, sobald beide sehr nahe neben einander erscheinen. Die Versuche an Hornhäuten todter Augen ergaben jedoch, dass in ihren beiden mittleren Vierteln die Dicke der Hornhaut sich fast gar nicht veränderte, sondern erst gegen den Rand hin ziemlich schnell zunahm; so kann für die Berechnung der Brechung im Auge die Annahme gemacht werden, dass die wässerige Feuchtigkeit bis zur vorderen Fläche der Hornhaut reiche. Da ferner die Linse bis dicht an die Iris reicht, so hat man zur Feststellung der Entfernung der Linse von der Hornhaut nur die des Pupillarrandes der Iris von derselben zu messen, was ihm wiederum mit Hülfe des Ophthalmometers gelang; zugleich ergab sich durch eine Reihe äusserst feiner Beobachtungen, da der Pupillarrand der Iris der Linse immer dicht anliegt, die Form der Hornhaut aber und das Volumen der wässerigen Feuchtigkeit bei Accommodationsveränderungen unveränderlich sind, dass die Verschiebung (Seite 240) des mittleren Theiles der Iris und Linse nicht geschehen kann, ohne dass an der Peripherie die Iris zurückweicht und dadurch die vordere Kammer hier so viel an Volumen gewinnt, als sie in der Mitte verliert.

Zur Messung der Krümmung der vorderen Linsenfläche liess sich die directe Messungsmethode der Bilder, weil der Reflex kein scharfes Bild formt, nicht anwenden; es musste die Grösse des Bildes mit einem dicht daneben stehenden Hornhautbild verglichen werden, und zwar vermittelst zweier gespiegelter Objecte, von denen das eine von veränderlicher Grösse war, um das Hornhautbild gleich dem Sanson'schen Bilde des anderen machen zu können. So ergab sich zahlenmässig mit Hülfe des Ophthalmometers das Resultat, dass bei der Accommodation für die Nähe sich die vordere Fläche der Linse stärker wölbt, ihr Krümmungshalbmesser also kleiner wird, und ihr Scheitel sich nach vorn bewegt. Indem nun Helmholtz dieselbe Methode für die hintere Linsenfläche anwandte, ergaben sich zunächst für die Ortsbestimmung der hinteren Linsenfläche und zwar für die Frage, ob Hornhaut und Krystalllinse für die gleiche Axe symmetrisch gebildet sind, bei den untersuchten Augen kleine, aber deutlich erkennbare Mängel der Centrirung, und als Folge dieser Abweichung der sogenannte Astigmatismus des Auges; derselbe bewirkt, dass wir nicht gleichzeitig horizontale und verticale Linien in derselben Entfernung deutlich sehen können. Charakteristisch ist seine die mangelhafte Centrirung betreffende Aeusserung: das Auge sei trotz seiner bewunderungswürdigen Leistungen als optisches Instrument so voll arger Fehler, dass er einem Künstler, der ihm ein solches Instrument brächte, die Thür weisen würde. Was aber die Krümmung der hinteren Linsenfläche selbst betrifft, so findet er, dass dieselbe bei der Accommodation ebenfalls ein wenig gewölbter wird und ihren Platz nicht merklich verändert. In Betreff der Frage schliesslich, wie die beobachteten Formänderungen der Linse zu Stande (Seite 241) kommen, neigt er sich zu der Ansicht, dass den Ciliargebilden in der einen oder anderen Weise eine Mitwirkung bei der Accommodation zuzuerkennen sei.

Noch vor dem Erscheinen dieser umfassenden Untersuchungen zeigt Helmholtz du Bois an, dass seine Arbeit über Accommodation in v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie bereits gedruckt, aber noch nicht ausgegeben ist:

„Ich habe darin Messungen der Krümmungen der Hornhaut, der vorderen und hinteren Linsenfläche und ihrer Entfernungen am lebenden Auge nach neuen Methoden ausgeführt, d. h. nicht so ausgeführt, wie ich es thun würde, um die erreichbare Genauigkeit zu erreichen, sondern nur so, um den Leuten zu zeigen, dass es geht; denn ich überzeugte mich bei der Ausführung, dass es unnütz sein würde, grosse Mühe daran zu verschwenden. Das menschliche Auge ist nicht einmal richtig centrirt, die Grösse der Hornhaut-Excentricität scheint ganz regellos und zufällig zu sein u. s. w. Aus diesem Gesichtspunkte beurtheile die Arbeit, wenn Du sie erhältst, was, wie ich denke, bald der Fall sein wird.“ Und diese Beurtheilung fasste du Bois später in die Worte zusammen: „Noch nie hatte sich wie bei Helmholtz die vollendetste Kenntniss der physikalisch-mathematischen Optik mit ebenso lebendiger und genauer Anschauung der anatomischen Bedingungen des Sehens verbunden.“

Wie seine Arbeit über das Princip der Erhaltung der Kraft bahnbrechend gewesen für die Entwickelung der physikalischen Disciplinen, so brachten die Untersuchungen über Accommodation im Verein mit dem Augenspiegel eine völlige Umwälzung der Ophthalmologie hervor, und hatte sein grosser Vortrag über die Wechselwirkung der Naturkräfte die selbst der Gelehrtenwelt so schwer zugänglichen Principien seiner grossen Jugendarbeit zu einem Gemeingut der naturwissenschaftlichen Welt gemacht, so bot sich ihm auch jetzt die erwünschte Gelegenheit, seine physiologisch-optischen Forschungen, die ihn im Laufe der letzten Jahre (Seite 242) beschäftigten, weiteren Kreisen bekannt zu machen. Zum Besten des Kant-Denkmals hielt er am 27. Februar 1855 in Königsberg einen populär-wissenschaftlichen Vortrag, worin er die Subjectivität der Sinnesempfindungen, deren Analogie mit Kant's Lehre und die psychischen Processe beim Verständniss der Sinnesempfindungen behandelte:

„Ich habe letzten Dienstag hier wieder zum Besten des Kant-Denkmals einen Vortrag über das Sehen des Menschen gehalten“, schreibt er seinem Vater, „worin ich die Uebereinstimmung zwischen den empirischen Thatsachen der Physiologie der Sinnesorgane mit der philosophischen Auffassung von Kant und auch Fichte namentlich deutlich zu machen suchte, wenn ich auch in der Ausführung der philosophischen Beziehungen durch die Rücksicht auf Popularität etwas gehindert war.“

Ueber die damals in Königsberg herrschenden philosophischen Anschauungen berichtet er Ludwig in den interessanten Worten:

„In den ersten Jahren meiner Anwesenheit wucherte Naturphilosophie noch unter den Studenten, und in den wissenschaftlichen Kreisen der Stadt wurde, wie ich oft genug hörte, gegen meine Richtung polemisirt. Ich trat nie aggressiv gegen Rosenkrantz auf, der früher der Abgott der Stadt war, aber jetzt nur noch ein sehr beschränktes und schon halb zweifelndes Publicum hat, sondern suchte nur die Macht der einfachen Thatsachen wirken zu lassen ..... Der verständigere Theil des naturwissenschaftlichen Publicums achtet speculative Untersuchungen doch fast nur dann, wenn sie von Leuten ausgehen, die durch bedeutende und erfinderische Experimental-Untersuchungen bewiesen haben, dass sie fest auf dem Boden der thatsächlichen Wahrheit stehen.“

Wiewohl aber der Philosophie nach Abstossung der Metaphysik seiner Ansicht nach immer noch das grosse und wichtige Feld, die Kenntniss der geistigen und seelischen (Seite 243) Vorgänge und deren Gesetze, verbleibt, die jedem wissenschaftlichen Forscher erst die nothwendige Einsicht in die Leistungsfähigkeit des Instrumentes, mit dem er arbeitet — des menschlichen Denkens — gewährt, zeigt uns doch sein 20 Jahre später an Fick gerichteter Brief, dass die von ihm gewünschte und durch Begründung seiner Erkenntnisstheorie angebahnte Entwickelung der Philosophie sich nur äusserst langsam vollzog:

„Ich glaube, dass der Philosophie nur wieder aufzuhelfen ist, wenn sie sich mit Ernst und Eifer der Untersuchung der Erkenntnissprocesse und der wissenschaftlichen Methoden zuwendet. Da hat sie eine wirkliche und berechtigte Aufgabe. Metaphysische Hypothesen auszubauen ist eitel Spiegelfechterei. Zu jener kritischen Untersuchung gehört aber vor Allem genaue Kenntniss der Vorgänge bei den Sinneswahrnehmungen ....... Die Philosophie ist unverkennbar deshalb in's Stocken gerathen, weil sie ausschliesslich in der Hand philologisch und theologisch gebildeter Männer geblieben ist und von der kräftigen Entwickelung der Naturwissenschaften noch kein neues Leben in sich aufgenommen hat. Sie ist deshalb fast ganz beschränkt worden auf Geschichte der Philosophie. Ich glaube, dass die deutsche Universität, welche zuerst das Wagniss unternähme, einen der Philosophie zugewendeten Naturforscher zum Philosophen zu berufen, sich ein dauerndes Verdienst um die deutsche Wissenschaft erwerben könnte.“

Der Vortrag über die Wechselwirkung der Naturkräfte hatte nicht nur das Princip von der Erhaltung der Kraft in einer allgemein verständlichen Form behandelt, sondern auch auf dieser Basis völlig neue Consequenzen für die Gestaltung des Weltganzen entwickelt, und war so selbst wieder zu einer grossen wissenschaftlichen Leistung geworden; ebenso gestaltete sich auch der Vortrag „Ueber das Sehen des Menschen“ zunächst zu einer Zusammenfassung und Erklärung der von ihm früher gefundenen Gesetze der (Seite 244) physiologischen Optik, ging aber dann, um Kant „einen Zoll der Achtung und Verehrung“ darzubringen, zu den philosophischen Consequenzen seiner Forschungen über, welche nicht lange nachher die Grundlagen der modernen Erkenntnisstheorie geworden sind.

Das Interesse Helmholtz' für erkenntniss-theoretische Fragen war schon in seiner Jugend wachgerufen worden, wenn er seinen Vater, der einen tiefen Eindruck von Fichte's Idealismus behalten hatte, mit Collegen, die Hegel oder Kant verehrten, über die schwierigsten Probleme der speculativen Philosophie streiten hörte; er war früh zu der Ueberzeugung gelangt, dass so wie der Physiker das Fernrohr und Galvanometer, mit dem er arbeiten will, untersuchen und auf die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit prüfen muss, der Naturforscher auch die Leistungsfähigkeit unseres Denkvermögens in den Kreis seiner Untersuchungen zu ziehen hat, um festzustellen, was er mit demselben erreichen und wann ihn dasselbe im Stich lassen kann. Freilich war er sich dessen wohl bewusst, dass er einerseits „alle Metaphysiker, auch die materialistischen, und alle Leute von verborgenen metaphysischen Neigungen“ zu Gegnern haben würde; dass aber andererseits auch die naturwissenschaftlichen Kreise, veranlasst durch die Auswüchse der Hegel'schen Naturphilosophie, von dem äussersten Grade des Misstrauens beseelt sein würden nicht nur gegen die speculative Construction von angeblichen Einsichten in den Zusammenhang der Natur, sondern dass sich diese völlig berechtigte Abneigung auch auf jede Untersuchung auf erkenntnisstheoretischem und psychologischem Gebiete übertragen werde, wo das Suchen nach Einsicht in die Gesetze geistiger Thätigkeit wohlberechtigt und nothwendig ist.

Nachdem er in seinem Vortrage hervorgehoben, dass die Naturwissenschaften sich auch heute noch fest zu den Grundsätzen von Kant bekennen, dessen Philosophie nicht die Zahl unserer Kenntnisse durch das reine Denken (Seite 245) vermehren, sondern alle Erkenntniss der Wirklichkeit aus der Erfahrung schöpfen wollte und nur die Quellen unseres Wissens und den Grad seiner Berechtigung zu Gegenständen unserer Forschung machte, legt er die Lehre von den sinnlichen Wahrnehmungen des Menschen als eigentliches Thema seinem Vortrage zu Grunde, weil sich hier Philosophie und Naturwissenschaften am nächsten berühren; er will untersuchen, in welchem Verhältnisse die Ergebnisse der Erfahrung für das Organ des Auges zur philosophischen Erkenntnisslehre stehen. Nach eingehender Darlegung der Construction des Auges und Erläuterung seiner Theorie der Accommodation setzt er Joh. Müller's fundamentale Lehre von den specifischen Sinnesenergien auseinander, „Licht wird erst Licht, wenn es ein sehendes Auge trifft“. Die Behandlung der Theorie der Farben, der Thatsachen, auf welchen die Construction des Stereoskopes beruht, und andere optische Erscheinungen lassen uns immer mehr erkennen, wie wenig wir überhaupt bei dem täglichen praktischen Gebrauche unserer Sinnesorgane an die Rolle denken, welche diese dabei spielen, wie ausschliesslich uns nur das von ihren Wahrnehmungen interessirt, was uns über Verhältnisse der Aussenwelt Nachricht verschafft, und wie wenig wir solche Wahrnehmungen berücksichtigen, welche dazu nicht geeignet sind. Da nun das Bewusstsein, wie im Gegensatz zu den früheren Theorien leicht zu erkennen, nicht unmittelbar am Orte der Körper selbst diese wahrnimmt, so kann es nur durch einen, und zwar nicht mit Selbstbewusstsein vollzogenen Schluss das erkennen, was wir nicht unmittelbar wahrnehmen; derselbe hat den Charakter eines mechanisch eingeübten Schlusses, der in die Reihe der unwillkürlichen Ideenverbindungen eingetreten ist, welche entstehen, wenn zwei Vorstellungen sehr häufig mit einander verbunden vorgekommen sind. So wissen wir bei optischen Täuschungen, deren Mechanismus wir einsehen, dass die Vorstellung, welche der sinnliche Eindruck in uns (Seite 246) hervorruft, unrichtig ist, trotzdem bleibt aber die Vorstellung in all ihrer Lebhaftigkeit bestehen. Wenn in gewissen Nervenfasern unserer beiden Augen, bei einer gewissen Stellung derselben, ein Gegenstand Lichtempfindung erregt, stellt unsere Erfahrung, dass wir den Arm so weit ausstrecken oder eine bestimmte Zahl von Schritten gehen müssen, um denselben zu erreichen, die unwillkürliche Verbindung zwischen dem bestimmten Gesichtseindruck und der Entfernung und Richtung her; die Beurtheilung der Entfernung durch die Augen ist durch Einübung angelernt. „Ich entsinne mich selbst noch deutlich des Augenblickes, wo mir das Gesetz der Perspective aufging, dass entfernte Dinge klein aussehen. Ich ging an einem hohen Thurme vorbei, auf dessen oberster Gallerie sich Menschen befanden, und muthete meiner Mutter zu, mir die niedlichen Püppchen herunter zu langen, da ich durchaus der Meinung war, wenn sie den Arm ausrecke, würde sie nach der Gallerie des Thurmes hingreifen können. Später habe ich noch oft nach der Gallerie jenes Thurmes emporgesehen, wenn sich Menschen darauf befanden, aber sie wollten dem geübteren Auge nicht mehr zu lieblichen Püppchen werden.“ Da wir nun sehen gelernt haben, also die Vorstellung eines gewissen Gegenstandes mit gewissen Empfindungen verknüpfen, welche wir wahrnehmen, so ist die Lage des optischen Bildes auf der Netzhaut gleichgültig, indem es sich nur um die Fasern des Sehnerven handelt, die erregt werden.

Die Frage, in wie weit die bloss erlernten oder die angeborenen und durch die Organisation des Menschen selbst wesentlich bedingten Verknüpfungen von Vorstellungen bei dem Verständniss unserer Sinneswahrnehmungen in Betracht kommen, will Helmholtz hier noch nicht entscheiden, aber für ihn sind jetzt schon die Sinnesempfindungen nur Zeichen für unser Bewusstsein, deren Bedeutung verstehen zu lernen unserem Verstande überlassen ist, Zeichen für die Veränderungen in der Aussenwelt, die nur (Seite 247) in der Darstellung der zeitlichen Folge die Bedeutung von Bildern haben und eben deshalb auch im Stande sind, die Gesetzmässigkeit in der zeitlichen Folge der Naturphänomene direct abzubilden. Er wird uns erst später im Gegensatz zur nativistischen, als Vorkämpfer der empiristischen Theorie erscheinen; aber schon hier macht er consequenter Weise noch einen grossen Schritt vorwärts.

Da wir nie die Gegenstände der Aussenwelt unmittelbar wahrnehmen, sondern nur die Wirkungen dieser Gegenstände auf unsere Nervenapparate, so tritt naturgemäss die Frage auf, wie sind wir denn zuerst aus der Welt der Empfindungen unserer Nerven hinüber gelangt in die Welt der Wirklichkeit? Wir müssen die Gegenwart äusserer Objecte als Ursache unserer Nervenerregung voraussetzen, denn es kann keine Wirkung ohne Ursache sein; aber dieser Satz kann kein Erfahrungssatz sein, weil wir ihn schon zu der Erkenntniss brauchen, dass es überhaupt Objecte im Raum um uns giebt; er kann aber auch nicht aus der inneren Erfahrung unseres Selbstbewusstseins hergenommen sein, weil wir die selbstbewussten Acte unseres Willens als frei betrachten. So bleibt nur die schon von Kant gewonnene Erkenntniss bestehen, dass all' unser Denken und Thun, im Grössten wie im Kleinsten, gegründet ist auf das Vertrauen zu der unabänderlichen Gesetzmässigkeit der Natur, und dass der Satz „keine Wirkung ohne Ursache“ ein vor aller Erfahrung gegebenes Gesetz unseres Denkens ist. Ueber diesen Satz finden wir in seinem Nachlass die interessante Aufzeichnung:

„Das Causalgesetz (die vorausgesetzte Gesetzmässigkeit der Natur) ist nur eine Hypothese und nicht anders erweisbar als eine solche. Keine bisherige Gesetzmässigkeit kann künftige Gesetzmässigkeit erweisen. Der einzige Beweis aller Hypothesen ist immer: prüfe, ob es so ist, und Du wirst es finden (am besten experimentell, wo es angeht). Den übrigen Hypothesen, welche besondere Naturgesetze aussagen, (Seite 248) gegenüber hat das Causalgesetz nur folgende Ausnahmestellung: 1. Es ist die Voraussetzung der Gültigkeit aller anderen. 2. Es giebt die einzige Möglichkeit für uns überhaupt, etwas nicht Beobachtetes zu wissen. 3. Es ist die nothwendige Grundlage für absichtliches Handeln. 4. Wir werden darauf hingetrieben durch die natürliche Mechanik unserer Vorstellungsverbindungen. Wir sind also durch die stärksten Triebfedern getrieben, es richtig zu wünschen; es ist die Grundlage alles Denkens und Handelns. Ehe wir es nicht haben, können wir es auch nicht prüfen; wir können also nur daran glauben, danach handeln, und werden es bei richtiger Prüfung bewährt finden; wir müssen den Erfolg voraus denken, dann ist der Erfolg eine Bestätigung. Wir müssen uns bewusst sein, dass wir den Erfolg voraus erwartet haben, dann werden wir des Gesetzes bewusst. Denken heisst die Gesetzmässigkeit suchen; urtheilen heisst sie gefunden haben. Ohne Causalgesetz also kein Denken. Kein Denken ohne Anerkennung des Causalgesetzes ist also eine Tautologie; es fragt sich, ob wir zum Denken berechtigt sind und ob das einen Sinn hat; dieser Sinn lässt sich nur durch die Handlung (innere oder äussere) erweisen.“

Noch heute, wo die naturwissenschaftliche Welt sich alle diese Gedanken längst zu eigen gemacht, ist der Eindruck jenes herrlichen Vortrages ein tiefer und nachhaltiger.

Berufung nach Bonn

Immer noch hatte sich die Bonner Berufungsangelegenheit nicht entschieden, wiewohl sich das Gerücht von der Berufung Helmholtz' bereits durch die deutschen Zeitungen verbreitet hatte. Noch am 16. März 1855 theilt ihm du Bois einige Zeilen aus einem Briefe von Humboldt mit:

„On me presse de m'agiter pour Helmholtz, que j'affectionne et éstime comme Vous. Je ne puis dire un mot avant que vous ne m'ayez rassuré sur vous-même. Si rien ne vous presse et que vous pouvez attendre, ne quittez pas la Capitale, où vous devez avoir un grand avenir.“, und fügt hinzu, dass er ihm geantwortet habe: „Je vous (Seite 249) prie d'agir pour Helmholtz comme s'il ne pouvait être question de moi.“ Darauf hin erklärte Helmholtz in einem Briefe an du Bois vom 22. März, dass er bisher nur an Schulze geschrieben und sonst niemanden um seine Verwendung ersucht habe; „es scheint sich also noch irgend ein unbekannter Freund meiner angenommen zu haben“, dass er sich aber nunmehr nach Empfang des Schreibens von du Bois an Humboldt gewendet habe, um ihm wenigstens die Thatsachen an die Hand zu geben, welche dabei in Betracht kommen. Schon am 24. März richtet Humboldt das nachfolgende interessante Schreiben an den Minister:

„Ew. Excellenz werden gewogentlichst verzeihen, dass ich in dem nicht alternden Interesse für anatomische Physiologie, die meine früheste Beschäftigung war, schon wieder einige bittende Worte an Sie zu richten wage. Ich bin, ehe er zu meiner Freude durch Ihr Wohlwollen ordentlicher Professor in Königsberg wurde, in den freundschaftlichsten Verhältnissen mit Prof. H. Helmholtz gestanden. Da der junge Mann sich jetzt um die Professur der Anatomie und Physiologie in Bonn bewirbt und durch den ernst gefahrdrohenden Gesundheitszustand seiner Gattin fast dazu gezwungen wird, so erfülle ich gern die Pflicht zu versuchen, diesem so talentvollen, überaus thätigen und strebsamen Gelehrten durch mein Zeugniss nützlich zu werden. Seine früheste Dissertation, die Darlegung des Zusammenhanges der Ganglienzellen mit Nervenfasern, gehört zu den feinsten Arbeiten der neueren mikroskopischen Anatomie, nicht minder wichtig sind seine anatomischen Forschungen über das Auge und die Theorie der Accommodation. Helmholtz' Erfindung des Augenspiegels zur Beleuchtung und Untersuchung der hintersten Theile des lebenden Auges ist schon seit vier Jahren der Augenheilkunde unwiderstritten nützlich gewesen. Gleich grosse Stärken in Anatomie und Physiologie in einem Individuum sind nie zu finden in dem jetzigen Zustande des Wissens, und je mehr sich ein Gelehrter in einer der (Seite 250) beiden Disciplinen ausgezeichnet hat, desto mehr giebt er selbst Verdacht von Schwäche oder gar Vernachlässigung der anderen . . . .“

An demselben Tage schrieb er an Helmholtz:

„Viele Tage früher als Sie, theuerster Professor, mich mit Ihrem Vertrauen beehrten, war ich damit beschäftigt, Ihnen nützlich zu werden. Der beklagenswerthe Zustand der Gesundheit Ihrer Gattin macht die Entfernung aus dem rauhen Klima wünschenswerth. Als der W. G. K. Herr von L. mir zuerst von Ihrer erneuten Bewerbung sprach, habe ich von unserem gemeinschaftlichen Freunde du Bois bestimmt erfahren, dass er Berlin nicht verlassen wolle. Ich war daher, bei meiner älteren Freundschaft mit du Bois, frei im Handeln. Was nun im Auslande suchen, was man in so glänzendem Maasse daheim hat ...... Wer die Geschichte der Wissenschaften kennt, weiss, dass gleich grosse Stärken in Anatomie und Physiologie, besonders bei dem jetzigen Zustande des Wissens, sich nie in einem Individuum finden, und je glänzender der Ruhm eines Mannes in einer dieser zwei Disciplinen ist, desto mehr giebt er dadurch selbst Veranlassung (Verdacht) der Schwäche und Vernachlässigung in der andern. Ich habe, was mir schwer fällt und was ich nur zum zweiten Male thue (das erste Mal für die ägyptische Reise des Dr. Brugsch), unmittelbar einen sehr warmen, langen, auf die von Ihnen mitgetheilten Materialien gegründeten Brief geschrieben, . . . zwar nicht genannt, aber seine Ansicht widerlegt, das Motiv meines Antrages von unserer Freundschaft, Ihrem häuslichen Jammer, Ihrem herrlichen Talente und erfindsamen Thätigkeit hergenommen. Ich verspreche mir viel Gutes von diesem wohlüberlegten Schritte. Ich freue mich, Gelegenheit gefunden zu haben, Ihnen diesen schwachen Beweis meiner freundschaftlichen Anhänglichkeit haben geben zu können.“

Humboldt zweifelte nicht, dass der geniale Forscher sehr bald auch auf dem Gebiete der Anatomie als Lehrer (Seite 251) und Gelehrter ersten Ranges sich bewähren würde, kannte er doch dessen ausgezeichnete anatomische Dissertation und interessirte sich für mancherlei von Helmholtz nebenbei gemachte anatomische Beobachtungen, die ihm du Bois mitgetheilt hatte. So hatte der junge Mediciner schon in Berlin zur Erholung zwischen Perioden intensivster geistiger Thätigkeit mit dem Fernrohr aus dem Fenster seines in einem Thürmchen an der Dorotheen- und Sommerstrassen-Ecke gelegenen Laboratoriums die Bewegungen der durch das Brandenburger Thor aus- und eingehenden Personen beobachtet und sie mit den Darstellungen verglichen, welche Weber in seinem Werke über die menschlichen Gehwerkzeuge durch genaue Beschreibung und Zeichnung gegeben hatte. Er entdeckte, wie du Bois erzählt, in der Art, wie die Weber'schen Figuren den Fuss aufsetzten, einen Fehler von einiger praktischer Bedeutung, sofern daraufhin tausende von Rekruten zu unnatürlicher Haltung ihrer Füsse beim Parademarsch gezwungen wurden; seine Bemerkung wurde lange nachher durch die Augenblicksphotographie bestätigt.

Schon am 27. März wurde die Berufungsordre für die Professur der Anatomie und Physiologie in Bonn von Michaelis 1855 an ausgestellt. Am 25. April macht er seinem Vater die Mittheilung von seiner Berufung mit dem Bemerken:

„Der letzte Winter und bis jetzt auch der Frühling waren recht darauf eingerichtet, uns den Aufenthalt in Königsberg noch zu verleiden. Wenn auch Sonnenblicke kamen, waren sie von einem so kalten Nordwind begleitet, dass es schlimmer war, als wäre es ganz kalt gewesen. Olga hat erst zwei Versuche machen können, das Zimmer zu verlassen ... Ich hoffe, nächstens die Hälfte eines Handbuches der physiologischen Optik zum Drucke abzusenden. Ich bin jetzt sehr pressirt damit, theils wartet der Buchhändler schon eine Weile, theils möchte ich selbst gern freie Zeit haben, um einige Instrumente, welche ich vorbereitet habe (Seite 252) zu Untersuchungen, auch noch anzuwenden. Dass ich meine Instrumente hier lassen muss, ist der unangenehmste Verlust, der mich bei meiner Uebersiedlung trifft.“

Während des Sommers arbeitete er nun fast ausschliesslich an seinem Handbuche der physiologischen Optik, dessen Druck mit Anfang des Winters beginnen sollte, und schreibt über den bereits fertig gestellten Theil an Ludwig: „Das einzig wesentlich neue Mathematische in der ersten Abtheilung der physiologischen Optik möchte der Beweis der Gauss'schen Sätze über Hauptpunkte und Knotenpunkte mittels eines Hülfssatzes (Seite 50) sein, der auch in der Theorie der Augenspiegel eine sehr fruchtbare Anwendung findet.“ Ebenso meldet er Donders: „Ich bin sehr erstaunt darüber, wie langsam ich vorwärts komme; die erste Abtheilung, welche das Verhalten des objectiven Lichtes im Auge behandelt, hoffe ich Ihnen gegen das Ende dieses Jahres zuschicken zu können.“

Noch in den letzten Tagen seiner Königsberger Thätigkeit erhält er von William Thomson, später Lord Kelvin, von Kreuznach aus die Aufforderung, der im September stattfindenden British Association beizuwohnen. Thomson würde seine Anwesenheit als eines der bemerkenswerthesten Ereignisse dieser Versammlung betrachten, und schon aus diesem Grunde wünsche er, dass Helmholtz derselben beiwohnen wolle; aber er sehe auch für sich selbst mit dem grössten Vergnügen der Gelegenheit entgegen, seine Bekanntschaft zu machen, die er schon sehnlichst wünschte, seitdem er seine Erhaltung der Kraft zuerst in Händen gehabt habe; er spricht ihm endlich sein tiefes Bedauern darüber aus, nicht dem Hull-Meeting beigewohnt zu haben, da er erst später gehört, dass Helmholtz dort gewesen.

So rüstete sich nun Helmholtz, mit seiner Familie Königsberg zu verlassen, wo ihm als Gelehrten und Lehrer stets Anhänglichkeit und Verehrung, seiner Frau und seinen Kindern Liebe und Wohlwollen entgegengetragen worden. (Seite 253) Es sind aus dem Herzen kommende Worte, die er am 18. Juli 1855, nachdem Frau und Kinder bereits nach Dahlem abgereist waren, den zur Abschiedsfeier versammelten Collegen und angesehensten Bürgern der Stadt zuruft. Nachdem Exc. Eichmann den Toast auf den König ausgebracht, Simson in einer so schwungvollen, herzlichen und ergreifenden Rede Helmholtz als edelsten Menschen und unvergleichlichen Forscher gefeiert, dass thränenschwere Blicke sich auf den Scheidenden richteten, endlich noch der dem Hause nahe befreundete Olshausen auf die Krone der Frauen und die beiden Edelsteine dieser Krone getoastet, erwiderte Helmholtz ungefähr in folgenden Worten:

„Meine Herren! Ich habe mich nicht ohne schwere Ueberlegung entschlossen, das ernste Königsberg zu verlassen, so verführerisch auch die schöne Rheinstadt zu locken schien. Ich sage es gern, dass ich in diesen Mauern schöne, an Erhebungen des Geistes und des Herzens reiche Jahre verlebt habe, dass ich hier einen Kreis von Amtsgenossen gefunden habe, der keiner anderen deutschen Universität an Reichthum des Wissens und geistiger Schöpfungskraft nachsteht, der vielleicht allen deutschen Universitäten voransteht durch ungestörte Eintracht des collegialischen Verhältnisses, durch die uneigennützige Anerkennung der Verdienste, durch die bereitwilligste Unterstützung der Arbeiten jedes Genossen.

Ich bin nicht bescheiden genug, meine Herren, das heutige Fest nur als eine Form höflicher Sitte anzusehen, ich sehe es an als eine stolze Erinnerung, die ich in die Ferne mit hinausnehmen werde, ich sehe es an als ein Zeichen des Beifalls und der Freundschaft von Männern, deren Beifall und Freundschaft auch für den Besten eine werthvolle Errungenschaft sein würde. Ich werde auch an den westlichen Grenzen des preussischen, des deutschen Vaterlandes ein liebendes Andenken für Sie, für diese Stadt, für ihre besonnenen und wackeren Bewohner bewahren. Bewahren (Seite 254) auch Sie mir Ihre Gesinnungen, ich hoffe, dass ich noch vielen, ja den meisten von Ihnen, auch am fernen Rheine werde die Hand schütteln dürfen. Und darum ist es mir ein Herzensbedürfniss, an dem heutigen Tage zu trinken auf die Blüthe unserer Stadt. Wenn auch ein Alter von 600 Jahren bei Städten wie bei Frauen der Anmuth der äusseren Erscheinung nicht ganz vortheilhaft sein mag, so wissen wir doch, dass die Adern unserer Stadt noch jugendliche Strebsamkeit durchrinnt und sich schön mit männlicher Stetigkeit und der kritischen Besonnenheit des Alters bei ihren Bewohnern verbindet. Dieser Charakter des Volksstammes verkettet Königsberg noch mehr als die geographische Lage mit der Albertina, deren ernste, strenge, ich möchte sagen, hervorragend protestative [Anm.: protestantische ?] Wissenschaftlichkeit mir die charakteristische Blüthe des norddeutschen Charakters im nördlichsten Ende Deutschlands darzustellen scheint.

Eine grosse Reihe grosser Namen hat Europa an unserer Hochschule bewundert. Möge es ihr nie an solchen fehlen. Königsberg und seine Albertina, sie leben hoch!“

In dem Dankschreiben, welches Helmholtz an die physikalische Gesellschaft für deren Kundgebung bei seinem Abschiede richtete, finden wir die folgenden Worte:

„Ich habe mich immer gern des lebhaften geistigen Verkehrs in Ihrem Kreise erinnert und kann nur dankbar sein für die Geduld, mit der man dort meine Erstlingsversuche im populären Vortrage aufnahm, die meines Erachtens zuerst vollkommen missglückt waren. Wenn sie dann später besser gelangen, so gehört ein guter Theil des Verdienstes davon dem ernsten und urtheilsfähigen Publicum, zu dem ich zu reden hatte.“

Helmholtz verliess nun am 29. Juli Königsberg, und reiste nach einem kurzen Besuche der Seinigen in Dahlem und Potsdam nach Bonn, wo er in dem Gebäude, das früher die Sommerwohnung der geistlichen Kurfürsten von Köln (Seite 255) gewesen und deshalb unter dem Namen Vinea domini bekannt ist, eine durch ihre Grösse und Lage für seine Familie passende und gesunde Wohnung gefunden. Er fuhr dann über Bingen nach Kreuznach, um noch vor seiner beabsichtigten Reise nach England W. Thomson kennen zu lernen, der, wie er am 6. August 1855 seiner Frau berichtet, einen überaus bedeutenden Eindruck auf ihn gemacht hat:

Erstes Zusammentreffen mit W. Thomson

„Ich erwartete, in ihm, der einer der ersten mathematischen Physiker Europas ist, einen Mann, etwas älter als ich selbst, zu finden, und war nicht wenig erstaunt, als mir ein sehr jugendlicher hellblondester Jüngling von ganz mädchenhaftem Aussehen entgegentrat. Er hatte für mich in seiner Nachbarschaft ein Zimmer gemiethet, und ich musste meine Sachen aus dem Gasthofe holen, um dort abzusteigen. Er ist seiner Frau wegen in Kreuznach, die auch an dem Abend noch auf kurze Zeit erschien. Sie ist eine sehr anmuthige und geistvolle junge Frau, aber in einem äusserst leidenden Zustande. Er übertrifft übrigens alle wissenschaftlichen Grössen, welche ich persönlich kennen gelernt habe, an Scharfsinn, Klarheit und Beweglichkeit des Geistes, so dass ich selbst mir stellenweise neben ihm etwas stumpfsinnig erscheine. Da wir nun gestern noch lange nicht alles abgesprochen haben, was zu sprechen war, so hoffe ich, dass Du mir die Erlaubniss geben wirst, dass ich auch heute noch in Kreuznach bleibe.“

Engste Freundschaft und grösste gegenseitige Verehrung verband nahezu 40 Jahre hindurch die grossen Forscher, bis der Tod sie trennte.

Der letzte noch in Königsberg verfasste Bericht über die „die Theorie der Wärme betreffenden Arbeiten aus dem Jahre 1852“ hatte die berühmten Arbeiten von W. Thomson zum Gegenstande, über welche die beiden grossen Gesetzgeber auf dem Gebiete der Naturwissenschaften in Kreuznach in mündlichen Gedankenaustausch traten. In diesen hatte Thomson, nachdem er den schon früher erkannten (Seite 256) Satz von der Aequivalenz der von den Thieren erzeugten Wärme und der geleisteten Arbeit mit dem Arbeitsäquivalent der im Thierkörper verbrauchten chemischen Kräfte der Nahrung und des geathmeten Sauerstoffs erwiesen, die verschiedenen Quellen, aus denen mechanischer Effect hergeleitet werden kann, nach ihrem Ursprung geordnet und war zu dem Resultate gelangt, dass die von der Sonne gestrahlte Wärme, mit Einschliessung des Sonnenlichts, die Hauptquelle der Vorgänge auf der Erde ist, und dass die Bewegung der Erde, des Mondes, der Sonne und ihre gegenseitige Anziehung eine wichtige Quelle von Arbeitskraft bilden, während der Antheil, den rein irdische Quellen haben, sehr klein ist. Auch die von Thomson aus dem Carnot'schen Satz gezogene Folgerung, dass die Wärme der kältesten Körper des Universums zwar als Arbeitsäquivalent stets bestehen bleibt, aber in keine andere Erscheinungsform der Kraft zurückverwandelt werden kann, unterwirft Helmholtz einer kurzen Besprechung und deutet die Folgerungen an, die sich aus den Betrachtungen von Thomson ergeben und die er selbst in dem Vortrage über die Wechselwirkung der Naturkräfte so geistvoll durchgeführt hat.

In der Mitte des September holte Helmholtz die Seinigen von Dahlem ab und vollzog die Uebersiedelung nach Bonn, welche ohne Störung und bei leidlicher Gesundheit seiner Frau vor sich ging.


S. 204 - 256 aus:
Koenigsberger, Leo: Hermann von Helmholtz. - Braunschweig : Vieweg
Band 1. - 1902


Letzte Änderung: 24.05.2014     Gabriele Dörflinger   Kontakt

Zur Inhaltsübersicht     Historia Mathematica     Homo Heidelbergensis     Hermann Helmholtz / Leo Koenigsberger