Leo Koenigsberger: Hermann von Helmholtz

Helmholtz als Professor der Physik in Berlin
von Ostern 1871 bis Ostern 1888


Anfang des Kapitels

Berlin 1886/87

Während seines Aufenthaltes auf dem Rigi hatte er eine Reihe von Beobachtungen gemacht, welche den Ausgangspunkt (Seite 343) seiner späteren grundlegenden meteorologischen Arbeiten bildeten. Er berichtete am 22. October 1886 der Physikalischen Gesellschaft in einem Vortrage „Ueber Wolken und Gewitterbildung“ nur ganz kurz von einem Phänomen, das er dort beobachtet hatte: Am Morgen eines Septembertages sei vom Känzli des Rigi die Aussicht nach dem Jura klar gewesen, während etwas tiefer die obere Grenze einer horizontalen trüberen und schwereren Luftschicht durch eine Schicht von dünnen Wölkchen angezeigt war, die von Nord nach Süd zogen und die ersten durch Störung und Aufrollung der Grenzfläche entstehenden Wirbel bildeten. Im Laufe des Tages seien diese Wölkchen gewachsen, bis sie gegen Abend zu grösseren Haufenwolken wurden, welche einzelne aus der unteren Schicht aufsteigende Ströme erkennen liessen, wonach die elektrischen Entladungen mit dem Ausgleiche der Wolkentheile unter einander begannen.

Noch gab er keine Erklärung dieser Phänomene, er musste seine Beobachtungen erst wissenschaftlich gestalten. „Ich hielt es für nützlich“, sagt er später, „soweit ich dazu im Stande war, speciell mit streng mechanischen Begriffen in die Meteorologie hineinzugehen und zu sehen, was sich im Augenblick lösen liess.“

„Ich kann diesen Brief nicht schliessen“, schreibt mir Bezold am 9. October 1902, „ohne noch besonders zu betonen, wie schmerzlich ich den Verlust der beiden grossen Physiker Helmholtz und Hertz empfinde, die nicht die Meteorologie als eine niedrig stehende Wissenschaft betrachteten, sondern selbst auch in diese Forschung eingriffen und ihr das lebhafteste Interesse entgegen brachten.“

Noch vor Ende dieses Jahres wurde er zum Vicekanzler der Friedensklasse des Ordens pour le mérite ernannt; er begab sich zu Menzel, dem Kanzler, um sich über seine Obliegenheiten belehren zu lassen, und Menzel erwiderte ihm: „Da kann ich Ihnen nur dasselbe sagen, was mir seiner Zeit Ranke zur Antwort gab: „Als Vicekanzler haben Sie (Seite 344) weiter nichts zu thun, als zu warten, bis ich todt bin, um dann Kanzler zu werden.“

Briefwechsel mit Heinrich Hertz

Im December 1886 erhielt Helmholtz von Hertz die Mittheilung von der Fortsetzung seiner schon in Berlin begonnenen und in Kiel fortgeführten Versuche, die schon die folgenreiche Bedeutung der von ihm gewonnenen Erkenntnisse ahnen liessen:
„Für die mir gütigst übersandten Abhandlungen“, schreibt Hertz am 5. December aus Karlsruhe, „sage ich Ihnen meinen allerbesten Dank, dieselben haben mir als ein Zeichen Ihres Gedenkens die grösste Freude gemacht. Hoffentlich gelingt es mir auch, in das volle Verständniss derselben einzudringen, welches nicht eine leichte Sache ist. Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen, Ihnen über einige mir kürzlich geglückte Versuche zu berichten, weil ich bei Anstellung derselben schon die Hoffnung hatte, dieselben könnten Ihr Interesse erregen. Es ist mir nämlich gelungen, sehr sichtbar die Inductionswirkung eines ungeschlossenen geradlinigen Stromes auf einen andern ungeschlossenen geradlinigen Strom darzustellen, und ich darf hoffen, dass der betretene Weg mit der Zeit die eine oder andere an diese Erscheinung sich knüpfende Frage zu lösen gestatten wird.“

Die nähere Ausführung und Beschreibung seiner Versuche setzte Helmholtz, der schon jetzt die ganze Tragweite derselben erkannte, in die grösste Aufregung; er griff nicht mehr in die weitere Entwickelung und Ausgestaltung dieser experimentellen Untersuchungen selbst ein, sondern überliess alles seinem grossen Schüler Hertz.

„Zunächst fühle ich eine stolze Freude darüber“, sagt er später, „dass meine Gedankenarbeit fortleben soll und fortwirken soll in künftigen Generationen über mein individuelles Leben hinaus, und Sie werden es ja wohl begreifen, dass, so wie ein leiblicher Vater zunächst für das Wohl seiner leiblichen Söhne am meisten sorgt (Seite 345) und sie zu fördern bestrebt ist, ich gleichsam auch für meine Gedankenkinder eine Vorliebe habe, und Sie begreifen also, dass ich als der lebende Mensch nur meinen eigenen Ueberzeugungen folgen kann und auf sie das Hauptgewicht lege, und mich darüber freue, wenn gerade in ihrer Richtung die Fortentwickelung der Wissenschaft gefördert werden soll. Dann wieder kommt mir freilich der Zweifel, ob nicht meine eigenen Ideale zu eng und meine eigenen Principien an einzelnen Stellen nicht vollständig genug sind, um für alle Zukunft den Bedürfnissen der Menschheit zu genügen. … Nur die eine Fahne möchte ich hochhalten, dass der Zweck der Wissenschaft ist, die Wirklichkeit zu begreifen und das Vergängliche aufzufassen als die Erscheinungsform des Unvergänglichen, des Gesetzes.“

Die Thätigkeit von Helmholtz im physikalischen Institut war in der letzten Zeit immer mehr in den Hintergrund getreten, seine grossen und umfassenden Untersuchungen über die Principien der Mechanik und die Ausdehnung der thermodynamischen Grundlehren auf die monocyklischen Systeme, die wir oben anzudeuten versucht haben, nahmen ihn fast ausschliesslich in Anspruch.

„Ich selbst habe diesen Winter über“, schreibt er am 11. Mai 1886 an Lord Kelvin, „theils an der neuen Ausgabe meiner physiologischen Optik, theils mathematisch gearbeitet und bin dabei leider gar nicht mehr zum Experiment gekommen.“

Es war für Helmholtz ein unabweisbares Bedürfniss geworden, seine Lehrthätigkeit entweder aufzugeben oder wenigstens wesentlich einzuschränken, um den Untersuchungen, welche ihn jetzt bis an sein Lebensende fast ausschliesslich beschäftigten, den grössten Theil seiner Arbeitszeit und Arbeitskraft widmen zu können, und ein glückliches Geschick liess auch bald diesen Wunsch in Erfüllung gehen.

Gründung der Physikalisch-technischen Reichsanstalt

(Seite 346) „Es kam die Zeit“, sagt du Bois, „wo unser grosser Freund, Werner von Siemens, zum Theil mit eigenen, nur ihm möglichen riesigen Geldopfern die Gründung einer physikalisch-technischen Reichsanstalt in Charlottenburg zu Wege brachte. Nun war uns nicht unbekannt, dass Siemens immer mit Bedauern sah, wie Helmholtz einen grossen Theil seiner Zeit und Kraft, anstatt der Fortführung seiner unvergleichlichen Arbeiten, seinem Lehramte widmen musste, und es blieb uns auch nicht verborgen, dass er Helmholtz die Stelle eines Präsidenten jener Anstalt zugedacht hatte, als eine solche, welche ihn von jeder andern, als einer wissenschaftlichen Thätigkeit befreien würde, eine Lage, wie nur ein reiner Akademiker sie sich als ideal träumen konnte.“

Die ersten Vorschläge zur Errichtung eines der Förderung der exacten Wissenschaften und Präcisionstechnik zu widmenden Staatsinstituts wurden schon am 30. Juli 1872 von Schellbach, unterstützt durch Helmholtz, du Bois-Reymond, Paalzow, Bertram und Förster aufgestellt und fanden damals die lebhafteste Unterstützung des Kronprinzen, späteren Kaisers Friedrich. In Folge dieser Anregung berief Generalfeldmarschall von Moltke als Vorsitzender des Central-Directoriums der Vermessungen im preussischen Staate gegen den Schluss des Jahres 1873 eine Fachcommission, von welcher im Januar 1874 „Vorschläge zur Hebung der wissenschaftlichen Mechanik und Instrumentenkunde“ gemacht worden sind; in diesen Vorschlägen wurde hervorgehoben, dass für den Staat neben der Pflicht zur Fürsorge in dem vorhandenen Nothstande die ernste Aufforderung bestehe, der Pflege der Präcisionstechnik in Zukunft nicht bloss gelegentlich, sondern vielmehr systematisch seine Aufmerksamkeit zu widmen.

Die Verhandlungen, welche hierüber 1875/76 stattgefunden haben, führten zu dem Beschluss, dass anlehnend an die frühere Gewerbeakademie ein Institut für (Seite 347) wissenschaftliche Mechanik gegründet werden sollte, welchem Projecte auch der Handels- und der Finanzminister ihre Zustimmung gaben. Dasselbe konnte jedoch in dieser Form nicht zur Ausführung kommen, da bald darauf an Stelle der Gewerbeakademie die Begründung einer technischen Hochschule zur Vereinigung der verschiedenen technischen Anstalten beschlossen und deren Bau in Angriff genommen wurde.

Der Gedanke zur Begründung eines Instituts für Mechanik wurde indessen 1879 beim Cultusminister, in dessen Ressort die technische Hochschule inzwischen übergegangen war, von dem Central-Directorium für Vermessungen in Preussen und dem Verein der Mechaniker von Neuem angeregt, und es wurden in Folge dessen im Cultusministerium Ende 1882 Conferenzen abgehalten, in denen der Anschluss eines solchen Instituts an die technische Hochschule beschlossen wurde. Die Ergebnisse dieser Berathungen, an denen von den Mitgliedern der früheren Commissionen Helmholtz, Reuleaux, Förster und Werner Siemens Theil nahmen, wurden in einer Denkschrift vom 23. Mai 1883, zusammengestellt; durch ein besonderes Votum wies Helmholtz auf die Notwendigkeit hin, in dem Institut mit der mechanisch-technischen eine wissenschaftliche Abtheilung zu verbinden. In einer Denkschrift vom 16. Juni 1883 wurde unter wesentlicher Erweiterung des früheren Planes die Begründung „eines Instituts für die experimentelle Förderung der exacten Naturforschung und der Präcisionstechnik“ vorgeschlagen und ein Organisationsentwurf beigefügt. Von den Bemerkungen, mit denen Helmholtz diese Denkschrift begleitete, mögen die folgenden hervorgehoben werden:

„… Ich möchte daneben aber noch entschiedener betonen, dass auch nach der Seite der eigentlichen Wissenschaft hin eine ganze Reihe wichtiger Aufgaben vorliegt, die nicht mit den Privatmitteln einzelner Beobachter oder durch die (Seite 348) zum Zwecke des Unterrichts gegründeten Laboratorien unserer Universitäten gelöst werden können, weil sie zu ihrer Bewältigung theils kostbare Hülfsmittel an Instrumenten und Localitäten, theils auch freiere Arbeitszeit erfahrener und urtheilsfähiger Beobachter erfordern, als der Regel nach ohne Unterstützung aus öffentlichen Mitteln zu beschaffen sein werden. Bisher ist es fast ausschliesslich die Astronomie gewesen, deren Pflege der Staat in eigenen vorzugsweise der wissenschaftlichen Forschung und nur in zweiter Linie dem Unterricht gewidmeten Instituten, den Sternwarten, übernommen hat. Trotz des weiten Abstandes, durch welchen die Objecte dieser Wissenschaft von allen Objecten irdischen Nutzens getrennt zu liegen scheinen, hat sich auch hier die alte Regel bewährt, dass jede ernste wissenschaftliche Arbeit ihre praktische Anwendung schliesslich da bringt, wo man es vorher am wenigsten vermuthet hätte. Abgesehen davon, dass die Astronomie durch die Vorstellungen, welche sie uns vom Bau des Weltsystems giebt, eine totale Revolution in unserer ganzen Weltanschauung hervorgebracht hat, hängt unsere Schiffahrt, die Sicherung der bürgerlichen wie der historischen Zeitrechnung wesentlich von ihr ab; auch die Kunst der praktischen Optik, der höheren Uhrmacherei, sowie alle Verfeinerungen der Längen- und Winkelmessungen haben sich direct an den von ihr gestellten Aufgaben entwickelt. … Endlich würde es für den höheren wissenschaftlichen Unterricht von höchster Wichtigkeit sein, wenn eine kleine und ausgewählte Zahl junger Männer, die ihre Fähigkeit zu experimentellen Untersuchungen bereits erwiesen haben, als Assistenten oder Volontärs an einem derartigen Institut arbeiten könnten, und dadurch Gelegenheit bekämen, die Anwendung möglichst vollkommener Methoden und Hülfsmittel kennen zu lernen.“

Ausführlich geht nun Helmholtz auf die Gründe ein, welche die Errichtung einer wissenschaftlichen Abtheilung der physikalisch-technischen Reichsanstalt in Verbindung (Seite 349) mit der mechanisch-technischen wünschenswerth machen. Schon früher hatte er sich über die Aufgaben der wissenschaftlichen Abtheilung des in Aussicht genommenen Physikalisch-mechanischen Institutes ausgesprochen und als solche bezeichnet:

  1. die genaue Bestimmung der Intensität der Schwere und Vergleichung dieser Intensität an verschiedenen Stellen der Erdoberfläche,
  2. die absolute Messung der Gravitation oder die Bestimmung der mittleren Dichtigkeit der Erde,
  3. die Fortsetzung der genauen Bestimmung der Geschwindigkeit des Lichtes in irdischen Entfernungen, welche Bestimmung geeignet ist, die kosmischen Entfernungen auf irdisches Längenmaass zu reduciren;
  4. in der Lehre von den magnetischen Wirkungen der elektrischen Ströme spielt eine der Lichtgeschwindigkeit, wie es scheint, genau gleiche Geschwindigkeit, von W. Weber als die kritische bezeichnet, eine fundamentale Rolle. Ihre Gleichheit mit der Lichtgeschwindigkeit scheint mir eine wesentliche innere Verwandtschaft zwischen den optischen und den elektrischen Vorgängen anzuzeigen. Die Einsicht in die räthselhaften Seiten namentlich der elektromagnetischen Erscheinungen scheint hier einen leitenden Faden gewonnen zu haben, der uns wahrscheinlich zum tiefsten Grunde derselben führen wird;
  5. Untersuchungen über die elektrischen Maasseinheiten,
  6. die Messungen über Druck und Dichtigkeit der Gase und Dämpfe bei verschiedenen Temperaturen und die Messung der dabei verbrauchten Wärmemengen.

Er hebt weiter hervor, dass durch Gründung einer wissenschaftlichen Abtheilung „auch die Möglichkeit geboten würde, dass ältere und bewährte Physiker Deutschlands die Gelegenheit finden könnten, einzelne (Seite 350) Untersuchungen auszuführen, für welche sie in ihrem Heimathsorte nicht die nöthigen Hülfsmittel finden können“.

„Einer Nation, die durch ihre Macht und Intelligenz eine der hervorragendsten Stellen unter den civilisirten Völkern einnimmt und zu bewahren hat, ist es offenbar nicht würdig, die Sorge für die Beschaffung solcher grundlegenden Kenntnisse anderen Nationen oder der zufälligen Liebhaberei einzelner günstig situirter Privatmänner zu überlassen. Deutschland ist auf diesem Wege bisher vorangeschritten durch Errichtung von Universitätslaboratorien für Chemie, Physik und Physiologie; dieselben sind rasch an Zahl und Ausdehnung gewachsen und sind in allen Nachbarstaaten nachgeahmt worden.“

Da nun der baldigen Ausführung dieses Projectes finanzielle Bedenken und namentlich auch die Schwierigkeiten zur Beschaffung eines passend gelegenen Bauterrains drohten, erbot sich Werner Siemens dem Unterrichtsminister gegenüber zur schenkungsweisen Ueberlassung eines in der Marchstrasse in Charlottenburg gelegenen Grundstücks von einem Hektar Flächeninhalt an den Preussischen Staat. Auf gewisse Bedenken des Ministers hin und im Hinblick auf die nationale Bedeutung des Planes, sowie in der Hoffnung auf eine Durchführung desselben in grösserem Umfange und mit reichlicheren Mitteln entschloss sich Siemens, das Preussen gemachte Anerbieten gegenüber dem Reiche am 20. Mai 1884 zu wiederholen durch Schenkung einer halben Million Mark in Grundwerth oder Kapital behufs Gründung eines Instituts zur Ausführung naturwissenschaftlicher Forschungen für technische Zwecke:

„die Lehrsäle und Laboratorien der dem Lehrzwecke gewidmeten Universitäten und Schulanstalten sind“, wie Siemens ausführte, „zur Anstellung entscheidender naturwissenschaftlicher Untersuchungen nicht geeignet, ebenso wenig die an ihnen angestellten Professoren. Es fehlen ihnen neben der Musse zur geistigen Vertiefung in (Seite 351) ihrer Forschungsaufgabe auch das geeignete Local und die Mittel zur Beschaffung der nöthigen Instrumente und Einrichtungen. Die zu begründende Anstalt soll dazu helfen, die wissenschaftlichen Leistungen unserer Nation in die Höhe zu bringen und zu erhalten, und derselben dadurch unter den Culturvölkern eine Ehrenstellung sichern.“

Die zur Berathung der Organisation des Instituts im Winter 1884/85 einberufene Commission hielt daran fest, dass das vorgeschlagene Institut, für das später der Name „Physikalisch-Technische Reichsanstalt“ gewählt wurde, eine wissenschaftliche und eine technische Abtheilung enthalten müsse, welche in lebendiger Wechselwirkung am besten gedeihen und die nationalen Interessen am besten fördern würden. .

Bevor noch durch die Genehmigung des Reichshaushaltsetats für 1887/88 die erforderlichen Geldmittel etatsmässig zur Verfügung standen, hatte Siemens zur Beschleunigung des Projects bereits 1886 mit höherer Zustimmung den Bau der Anstalt auf eigene Gefahr in Angriff genommen, und derselbe wurde derartig gefördert, dass das Wohnhaus des Directors und das Verwaltungsgebäude schon 1889 bezogen werden konnten, während das Maschinenhaus und Observatorium erst 1890/91 fertig gestellt wurden.

Helmholtz wurde nun im April 1887 von dem Geh. Ober-Regierungsrath Weymann im Auftrage des Staatssecretärs des Innern der Antrag gemacht, das Präsidium der neu zu errichtenden Technisch-Physikalischen Reichsanstalt zu übernehmen; er erklärte sich am 4. April dazu bereit, wenn ihm durch das dafür zu gewährende Gehalt und freie Dienstwohnung die Einkünfte seiner Lehrämter an der Berliner Universität und an dem Medicinisch-Chirurgischen Friedrich-Wilhelms-Institut, die er aufgeben müsste, ersetzt werden könnten, vorausgesetzt, dass seine Stellung an der Akademie der Wissenschaften zu Berlin nicht geändert würde.

(Seite 352) Nach Bewilligung dieser Forderungen von Seiten des Reichsschatzamtes wendet sich der Unterrichtsminister von Goßler auf eine Anfrage von Seiten des Reichsamts des Innern am 20. Mai an den Reichskanzler Fürsten von Bismarck:

„Ew. Durchlaucht beehre ich mich ganz ergebenst zu erwidern, dass ich die Hochderoseits in Aussicht genommene Berufung des Geheimen Regierungs-Rathes Professor Dr. von Helmholtz zum Präsidenten der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt auch meinerseits im Interesse der so überaus wichtigen Neuschöpfung nur mit Freude begrüssen kann. Ich erkläre mich desshalb zu jedem Entgegenkommen in dieser Angelegenheit gern bereit, indem ich hoffe, dass Hochdieselben geneigtest die Hand dazu bieten werden, den schweren Verlust möglichst zu mildern, welcher sich daraus für die hiesige Universität ergeben wird und der gerade in diesem Augenblicke um so empfindlicher ist, als das Fach der Physik in Folge der dauernden Erkrankung des Professors Dr. Kirchhoff und bei dem anhaltenden Leidenszustande des Professors Dr. Christiani mehr als sonst auf die volle Vertretung durch von Helmholtz angewiesen ist. … Mit Rücksicht darauf erlaube ich mir die Frage anzuregen, ob es nicht angängig sein wird, von Helmholtz in seiner Stellung als Professor in der Art zu belassen, dass derselbe von der Verpflichtung, an den Facultätsgeschäften und Prüfungen theilzunehmen, gleich einem quiescirten Professor vollständig entlastet wird und nur verbunden bleibt, was ihm so gut wie keine Mühe macht, regelmässig eine Vorlesung von l bis 3 Stunden wöchentlich aus dem Gebiete der theoretischen Physik zu halten. Diese geringfügige Belastung wird die Wirksamkeit des von Helmholtz bei der Reichsanstalt nicht beeinträchtigen, sondern nur erfrischend und fördernd auf dieselbe einwirken, da es für den Präsidenten der Reichsanstalt von Werth sein muss, eine lebendige Fühlung mit den aufstrebenden physikalischen (Seite 353) Kräften zu unterhalten. Für die Universität aber ist es von der grössten Bedeutung, dass ihr auf diese Weise, wenn auch in engster Begrenzung, der Mann erhalten bleibt, der schon seit Jahren als ihr wissenschaftliches Haupt anzusehen ist und der mehr als andere dazu beigetragen hat und beitragen wird, innerhalb derselben auf wissenschaftlichem Gebiete den Gegensatz zwischen Natur- und Geisteswissenschaften auszugleichen und auf politischem Gebiete den maassvollen conservativen Sinn zu pflegen, in welchem die Universität Berlin gegenwärtig den deutschen Hochschulen tonangebend vorangeht. Auch aus diesen allgemeinen Gesichtspunkten wird es sich daher empfehlen, von Helmholtz der Universität nicht ganz zu entziehen, sondern seine Verbindung mit derselben in der vorgeschlagenen Beschränkung zu erhalten. …“

Helmholtz entwarf nun einen Organisationsplan für die wissenschaftliche Abtheilung der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt und eingehende Statuten für die Befugnisse des Directors der physikalischen Abtheilung sowie für die Antheil-nahme des Curatoriums an dem alljährlich aufzustellenden Arbeitsplan. Dem Präsidenten der Anstalt wurde das Recht vorbehalten, selbständig andere Aufgaben in Angriff zu nehmen und ausführen zu lassen. Die Geschäftsordnung wurde am 26. Juli 1888 vom Staatssecretär des Innern genehmigt.

Inzwischen hatte sich die philosophische Facultät der Universität, als sie von der Absicht Helmholtz's Kenntniss erhielt, seine Universitätsprofessur aufzugeben, an den Minister mit der Bitte gewandt, „schon jetzt hochgeneigtest Vorsorge zu treffen, dass Herr von Helmholtz auch bei Uebernahme seines neuen Amtes der Universität als Docent, der Facultät als ordentliches Mitglied erhalten bleibe“, und die Begründung dieser Bitte wurde in den folgenden, von Kronecker und Zeller vorgeschlagenen, Helmholtz und die Facultät in gleicher Weise ehrenden Worten gegeben:

„Zu dieser Bitte bestimmt uns ebenso die eminente (Seite 354) Bedeutung, welche es für das Ansehen und Wirken der gesammten Universität hat, einen Mann von solchem Weltruf unter ihren Docenten zu besitzen, wie das ausserordentlich grosse Gewicht, welches seinem Wort und Rath von der Facultät in ihren Sitzungen beigelegt wird. Wie Ew. Excellenz bekannt, erstreckt sich Herrn von Helmholtz's geniale Meisterschaft auf mehrere, seine eindringende Kennerschaft auf sämmtliche mathematisch-naturwissenschaftliche und auch auf philosophische und literarische Disciplinen. Dieses einzigen Mannes Urtheil ist aber darum von ganz besonderem Werth und selbst durch die Summe der Urtheile der einzelnen Fachmänner nicht zu ersetzen, weil es sich gerade in den Fragen, welche der Facultät vorliegen, fast immer um gegenseitige Abwägung der Interessen verschiedener Disciplinen handelt; und wer diese alle im Geiste vereinigt und zusammen übersieht, vermag die ebenso schwierige als wichtige Aufgabe offenbar richtiger und vollständiger zu lösen.

Wir geben uns der Hoffnung hin, dass Ew. Excellenz unser gehorsamstes Gesuch als ein wohlberechtigtes und ein wohlbegründetes erscheinen, und dass es Ew. Excellenz eifriger und weiser Fürsorge für die Interessen der Universität gelingen wird, den unersetzlichen Verlust abzuwenden, welcher ihr und insbesondere der philosophischen Facultät durch das Ausscheiden des Herrn von Helmholtz zugefügt werden würde.“

Da nun der Minister darauf hin, und aus Rücksichten, welche die Gehaltsfrage betrafen, veranlasst, den dringenden Wunsch aussprach, dass Helmholtz mit der Universität in Verbindung bleibe, so erklärte sich derselbe in den zwischen ihm und Geheimrath Althoff gepflogenen Verhandlungen bereit, in jedem Semester eine zwei- oder dreistündige öffentliche Vorlesung zu halten, „vorausgesetzt, dass er von der Verpflichtung, an den Facultätsgeschäften und Examinibus theilzunehmen, entbunden würde“.

(Seite 355) Am 4. April 1888 wurde seine Ernennung zum Präsidenten der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt vollzogen.

So fand nun der Uebergang von Helmholtz zu dem ihm von Siemens geschaffenen Wirkungskreise zugleich unter Niederlegung seiner Professur der Physik an der medicinisch-chirurgischen Akademie für Militär zu Ostern 1888 statt, während derselbe an der Universität nur noch mathematisch-physikalische Vorlesungen über Mechanik, Elektricitätslehre, Wärmetheorie und Akustik hielt, die jetzt die ausgezeichnetsten Lehrbücher dieser Disciplinen bilden.

„Es liegt in der Natur der Dinge“, sagt du Bois, „dass der Präsident eines so umfangreichen, vielfach gegliederten, zum Theil den Charakter einer Unterrichtsanstalt, zum Theil den einer Fabrik tragenden Instituts mit einem Personal von fünfzig Beamten eine gewaltige Menge von täglich sich erneuernden Verwaltungsgeschäften zu erledigen hat, welche weit entfernt, Helmholtz im Vergleich zu seinen bisherigen Beschäftigungen eine Erleichterung zu gewähren, durch ihre Neuheit und Fremdartigkeit ihn vielmehr erst recht belasteten.“

Aber Helmholtz fühlte sich trotzdem bis zuletzt in seiner neuen Stellung glücklich und zufrieden; er fand für die vielen Verwaltungsgeschäfte, zu deren Abwickelung ihm jüngere und ausgezeichnete Männer zur Seite standen, reichlichen Ersatz in der Anregung, welche ihm die mannigfachen Probleme boten, die der wissenschaftlichen Abtheilung der Reichsanstalt zufielen, und in der Freiheit von den sich stets wiederholenden experimentellen Vorlesungen und den Vorbereitungen zu denselben, welche so viel von seiner Zeit und Kraft absorbirt hatten.

Während des letzten Jahres vor der definitiven Übernahme des Präsidiums der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt war vor allem das Interesse von Helmholtz durch die Untersuchungen von Hertz in hohem Grade in Anspruch genommen. Derselbe gab seinem Lehrer regelmässigen Bericht (Seite 356) über den Fortgang seiner Versuche und bittet ihn wiederholt, seine kurzen Berichte der Akademie vorzulegen,

„da es sich um einen Stoff handelt, zu dessen Bearbeitung Sie mich selbst einmal vor Jahren aufforderten, und den ich deshalb gerade stets im Auge behalten habe, ohne dass ich indessen früher einen Weg gefunden hätte, der einigermassen Aussicht auf einen unzweideutigen Erfolg bot. Ich glaube, dass die hier benutzten elektrischen Schwingungen noch sehr nützlich für die Elektrodynamik ungeschlossener Ströme werden können“.

Am Ende des Jahres konnte er ihm schon seine bekannten Interferenzversuche zwischen den Wirkungen, welche sich durch den Draht, und denen, welche sich durch den Luftraum fortpflanzen, mittheilen, ohne jedoch noch eine endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit der letzteren Wirkungen nachweisen zu können. Aber weit grössere Ueberraschungen bringen für Helmholtz die Briefe von Hertz aus den ersten Monaten des folgenden Jahres 1888; sie setzen ihn in die grösste und freudigste Aufregung — „Bravo! Herzliche Glückwünsche“ sind wiederholt die Schlussworte seiner kurzen Antworten, und als er du Bois die Arbeit von Hertz für die Akademie überschickt, in welcher nachgewiesen wird, dass die elektrodynamischen Wellen von festen leitenden Wänden reflectirt werden, dass die reflectirten Wellen bei senkrechter Incidenz mit den ankommenden interferiren und zu stehenden Wellen in der Luft Anlass geben, da fügt er in dem Briefe an du Bois die Worte hinzu, „die Arbeit von Hertz ist ganz genial“.

Helmholtz selbst setzte inzwischen seine elektrochemischen Arbeiten fort und fand bei seinen Versuchen, die untere Grenze der elektromotorischen Kraft zu bestimmen, welche zur Wasserzersetzung nöthig ist, eine Methode zur Cohäsionsbestimmung, die er unter dem Titel „Versuch, um die Cohäsion von Flüssigkeiten zu zeigen“, am 4. Februar 1887 der Physikalischen Gesellschaft vorlegte. Wenn man eine (Seite 357) Röhre, die sich von der eines Heberbarometers nur durch eine etwas grössere Länge des langen Schenkels unterscheidet, wie ein Barometer mit Quecksilber füllt und etwas Wasser in dem längeren Schenkel aufsteigen lässt, kann man es leicht dahin bringen, dass beim Aufrichten der Röhre die Flüssigkeit oben am Rohr und das Quecksilber am Wasser haftet, so dass sie nicht abreissen. Schiebt man nun einen Schlauch auf die Spitze des kurzen Schenkels und verbindet ihn mit der Luftpumpe, so kann man die Luft auspumpen, so weit es die Pumpe leistet, ohne die Flüssigkeit im Barometerrohre zum Abreissen zu bringen, so dass die Cohäsion der beiden Flüssigkeiten einen negativen Druck von mehr als einer Atmosphäre überwindet. Leitet man einen elektrischen Strom durch das Wasser, der Sauerstoff zum Platin, Wasserstoff zum Quecksilber treibt, so zerreisst die Wassersäule, sobald dessen elektromotorische Kraft im Stande ist, unter den gegebenen Bedingungen Wasserzersetzung einzuleiten.

Am Ende des Wintersemesters, am 6. März 1887, hielt er in Berlin bei der Gedenkfeier zur hundertjährigen Wiederkehr des Geburtstages von Joseph Frauenhofer in dem „ersten und prächtigsten Festsaal der Stadt“ eine meisterhafte Rede auf den berühmten Optiker, dessen allmähliches Emporsteigen er geistvoll und lebendig schilderte, um ihn schliesslich in der Art des Entwickelungsganges mit Faraday zu vergleichen. Aber er benutzte auch die Gelegenheit, um einen Gedächtnisstag des deutschen Bürgerthums zu feiern und die hervorragende Stellung zu betonen, welche die Kunst der praktischen Mechanik sich in Deutschland erobert hat.

„Ihre schönste Wirkung aber wird diese Feier haben, wenn sie unseren jungen Mechanikern — und nicht ihnen allein, denn derselbe Ruf ergeht an alle Richtungen des Handwerks — an dem Beispiel ihres grossen Genossen, dessen wir heute gedenken, vor Augen legt, welches Ziel auch der Aermste unter ihnen erreichen kann, und dadurch (Seite 358) ihre Hoffnung und ihr Vertrauen auf den endlichen Erfolg treuer und ausdauernder Arbeit belebt.“

Die am Anfange dieses Jahres erfolgte Herausgabe der vierten Lieferung seiner physiologischen Optik hatte ihn vielfach wieder zu erneuter Behandlung der in derselben besprochenen Probleme geführt, doch waren jetzt die Gesichtspunkte, die ihn dabei leiteten, viel allgemeinerer Natur und culminirten bei all den schwierigen physikalisch-optischen Fragen jetzt in den umfassenden Untersuchungen über die monocyklischen Systeme und das Princip der kleinsten Wirkung. Am 1. April 1887 schrieb ihm H. A. Lorentz aus Leiden:

„In Ihrer Physiologischen Optik, S. 169, erwähnen Sie eines Satzes über die Gleichheit der Verhältnisse, in welcher die Intensität eines Lichtstrahles geändert wird, wenn dieser einem gewissen Wege oder dem entgegengesetzten folgt. Diesen Satz, den später Herr Kirchhoff bei seinen Betrachtungen über die Beziehung zwischen Emissions- und Absorptionsvermögen benutzt hat, kann, wie Sie sagen, Jeder, der die Gesetze der Optik kennt, leicht selbst beweisen. Natürlich folgt in einfachen Fällen der Satz aus den bekannten Formeln für die Intensität reflectirten und gebrochenen Lichtes, aber es schien mir wünschenswerth, denselben aus allgemeinen Principien herzuleiten und nicht aus Formeln, welche sich auf specielle Ansichten über den Mechanismus der Lichtbewegung stützen. Einen derartigen Beweis erlaube ich mir Ihnen anbei für einen speciellen Fall mitzutheilen, in der Hoffnung, dass Sie demselben einige Augenblicke schenken wollen. Aehnliche Betrachtungen lassen sich auch in anderen Fällen anwenden, und überhaupt lässt der Gegenstand verschiedene weitere Entwickelungen zu. Wenn Sie die Güte haben wollen, mir mit einigen Worten mitzutheilen, ob bei Ihnen von diesem Beweise, oder von einem noch einfacheren die Rede war, so würde ich Ihnen zu lebhaftem Danke verpflichtet sein.“

(Seite 359) Die Antwort von Helmholtz vom 5. April lautete:

„Was Ihre Frage betrifft, wie ich den Beweis eines allgemeinen Reciprocitätsgesetzes für den Gang der Lichtstrahlen führen wollte, so habe ich zur Zeit, wo ich die physiologische Optik schrieb, die Sätze über die kleinen Oscillationen eines beliebig zusammengesetzten mechanischen Systems im Sinne gehabt, welches um eine Lage stabilen Gleichgewichts oscillirt. Die allgemeinste Form des Reciprocitätsgesetzes für beliebige Bewegungen findet sich in meinen neuesten Aufsätzen über das Princip der kleinsten Wirkung in § 6 und § 7. Ich schicke gleichzeitig mit diesem Briefe unter Kreuzband ein Exemplar davon an Sie ab. Will man auf dem Boden der Optik bleiben und bei deren bekannten Gesetzen, so ist ein Beweis, wie Sie ihn mir mitzutheilen die Güte hatten, für eine grosse Menge von Lesern jedenfalls sehr instructiv, und ist allgemeiner, als was ich damals veröffentlicht habe. Dass die Doppelbrechung das allgemeine Gesetz nicht störe, hatte ich mir in der That damals in ähnlicher Weise klar gemacht. Schwerer wird die Diffraction zu behandeln sein und schwerlich anders als durch die allgemeinen mechanischen Sätze. Die Absorption fügt sich leicht ein, falls nicht Fluorescenz sich einmischt.“

Der Wunsch, noch in diesem Jahre eine Reihe von früher unvollendet gebliebenen Untersuchungen abzuschliessen, führte ihn im Sommer wieder in das Gebiet der Elektrolyse; er überreichte der Akademie am 28. Juli 1887 eine Arbeit, betitelt: „Weitere Untersuchungen die Elektrolyse des Wassers betreffend“, welche an seine erste Arbeit, „Zur Thermodynamik chemischer Vorgänge“ vom Jahre 1883 anknüpfte und eine Reihe dort theoretisch hergeleiteter Resultate durch das Experiment prüfen sollte. Er hatte früher auf theoretischem Wege gefunden, dass die elektrolytische Zersetzung des Wassers durch um so kleinere elektromotorische Kräfte müsse geschehen können, je kleiner die Mengen der in der Nähe der Elektroden gelösten Mengen Sauerstoff (Seite 360) und Wasserstoff seien, und dass keine andere untere Grenze als Null für die kleinste elektromotorische Kraft bestehe, die vollkommen gasfreies Wasser zersetzen könne. Es hatten sich aber für die experimentelle Bestätigung dieses Satzes grosse Schwierigkeiten dadurch ergeben, dass die Anode aus Platin oder beide Elektroden Wasserstoff oder verbrennliche Gase occludirt enthalten, mit denen der durch den Strom herangeführte Sauerstoff sich verbindet, so dass eine viel geringere elektromotorische Kraft Wasserstoffbläschen an der Kathode frei machen kann. Ein besonders dazu construirter Apparat und die sorgfältigsten Messungen gaben jetzt eine befriedigende Uebereinstimmung zwischen der Theorie und den Versuchen.

Schliesslich ist aus diesem Jahre noch einer Mittheilung experimenteller Natur Erwähnung zu thun, welche sich in den Verhandlungen der Physikalischen Gesellschaft vom October und November 1887 findet, betitelt „Zu dem Bericht über die Untersuchung einer mit der Flüssigkeit Pictet arbeitenden Eismaschine, erstattet von Dr. Max Corsepius“. Pictet hatte bei der von ihm construirten Eismaschine ein Gemisch von Kohlensäure und schwefliger Säure verwendet, dessen Dampfspannung wesentlich geringer ist, wie die der beiden Bestandtheile für sich; er lässt die Flüssigkeit verdampfen, wobei die gewünschte Kälte erzeugt wird, drückt den Dampf unter Aufwand von Maschinenarbeit wieder zusammen, kühlt dann auf die Verdampfungstemperatur ab und wiederholt den Vorgang, und es soll sich bei den Messungen über die Wirksamkeit das Resultat ergeben haben, dass die Arbeit der Maschine kleiner ist als diejenige, welche nach dem Gesetze von Carnot-Clausius nothwendig wäre, um die in niederer Temperatur von der Flüssigkeit Pictet aufgenommene Wärme in die höhere Temperatur des Condensators wieder abzugeben. Die gegebene Erklärung, dass die zur Wirkung kommenden chemischen Kräfte in höherer Temperatur eine Auflösung der beiden Flüssigkeiten (Seite 361) in einander mit verminderter Dampfspannung bewirken, während in niederer Temperatur die Flüssigkeiten sich wieder trennen, widerspricht, wie Helmholtz zeigt, dem allgemeinen thermodynamischen Gesetze, und er sucht den Widerspruch in dem Vorhandensein von Resten atmosphärischer Luft in den Röhren und in der Ungleichartigkeit der Zusammensetzung der gesättigten Dämpfe von Pictet's Flüssigkeit bei verschiedenen Temperaturen.

Helmholtz beabsichtigte in derselben Zeit seine thermodynamisch-chemischen Untersuchungen in einer im weitesten Umfange angelegten Arbeit, betitelt „Thermodynamische Betrachtungen über chemische Vorgänge“, weiter auszuführen und zu einem gewissen Abschluss zu bringen; doch finden sich von dieser Bearbeitung nur einzelne Bruchstücke vor, von denen besonders die für einen weiteren Leserkreis entworfene Einleitung durch die Rücksichtnahme auf die Untersuchungen von Berthelot und anderen Forschern, und durch die überaus klare Disposition in der historischen Darlegung der in den letzten zehn Jahren in den Vordergrund getretenen physikalisch-chemischen Anschauungen von hohem Interesse ist:

Thermodynamische Betrachtungen über chemische Vorgänge

  Fortsetzung des Kapitels


S. 342 - 379 aus:
Koenigsberger, Leo: Hermann von Helmholtz. - Braunschweig : Vieweg
Band 2. - 1903


Letzte Änderung: 24.05.2014     Gabriele Dörflinger   Kontakt

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