(Seite 190) Kaum war die Uebersiedelung von Helmholtz nach. Berlin vollzogen, als die noch in demselben Jahre erfolgte Verlobung und die kurz darauf stattfindende Verheirathung seiner Tochter Käthe eine wesentliche Veränderung im Hause herbeiführte.
„Beide Kinder von Helmholtz“, schreibt seine Schwägerin Betty Johannes, „waren auch nach seiner Verheirathung mit der Grossmutter zusammen geblieben, die ihre specielle Pflege übernahm und in demselben Hause wohnte, und sie waren jeden Sommer bei mir auf dem Lande gewesen. Käthe war eine tiefernste Natur, fast krankhaft in ihrem Streben nach den höchsten Zielen, sich nie genugthuend, nie im Stande, die Welt und ihre Erscheinungen in vollkommenen Einklang mit ihren Vorstellungen zu bringen. Sie ist sehr geliebt und sehr bewundert worden. Als sie heranwuchs, und sich ein hervorragendes Talent zur Malerei entwickelte, wurde ihr, hauptsächlich durch das Eingreifen ihrer zweiten Mutter, jeder Weg geebnet, der zur Entwickelung ihrer Gaben und zugleich zu erweiterten Anschauungen und Eindrücken führte. Sie machte Reisen nach München, Wien, Tyrol, ins bayerische Hochland, sie malte in Berliner und Pariser Ateliers und verbrachte ein Jahr in Frankreich und England im Hause des berühmten Orientalisten J. Mohl, (Seite 191) dessen Gattin grossen Einfluss auf sie gewann. Sie übersetzte im 19. Jahre Tyndall, in Gemeinschaft mit ihrer Mutter und Frau Wiedemann, und verfolgte mit rastlosem Interesse ihres Vaters Arbeiten. Die Liebe und Verehrung für ihren Vater glich der Anbetung. In meinem Hause in Dahlem lernte Käthe ihren Mann, den Dr. Branco, kennen; sie verlobten sich 1871, heiratheten 1872 und gingen gleich nach der Hochzeit auf längere Zeit nach Italien, dem Lande von Käthe's heissester Sehnsucht. Zurückgekehrt kaufte Branco ein Gut bei Genthin, damit seine Frau ganz ihrer Gesundheit leben könnte, dort wurde ihnen im Jahre 1873 die Tochter Edith geschenkt — aber nun ging es bergab mit ihrem Leben. Ein erneuter längerer Aufenthalt in der Schweiz und Baden-Baden, die Uebersiedelung nach Heidelberg, dann wiederum Italien — es war alles vergeblich. Sie kehrte im Jahre 1877 aus Italien zurück, um in der Heimath, in Dahlem, am 25. April zu sterben. Vor dem Altar der Dorfkirche, vor dem ihre Eltern getraut worden, stand ihr Sarg aufgebahrt.“
Helmholtz legte als ordentliches Mitglied der Berliner Akademie, zu dem er am 1. April ernannt worden war, derselben am 25. Mai 1871 unter dem Titel: „Ueber die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der elektrodynamischen Wirkungen“ eine Arbeit vor, in welcher er an Untersuchungen von Blaserna anknüpft und eine damals für die Entwickelung der Elektrodynamik äusserst wichtige Frage behandelt, auf die er schon in der oben besprochenen grossen elektrodynamischen Arbeit hingewiesen hatte. Nach der von C. Neumann vertretenen Ansicht, sowie nach den Anschauungen von Faraday und Maxwell, welche die elektrodynamische Fernwirkung durch eine Veränderung des den Raum füllenden Mediums bedingt sein liessen, würden die elektrodynamischen Fernwirkungen elektrischer Ströme durch Kräfte zu Stande kommen, welche sich mit endlicher Geschwindigkeit durch den Raum hin verbreiten, (Seite 192) und diese Geschwindigkeit wurde der des Lichtes nahezu gleichgesetzt. Helmholtz hatte jedoch in seiner Kritik der elektrodynamischen Theorien gezeigt, dass je nach den Annahmen, die man über die magnetische oder diëlektrische Polarisationsfähigkeit der Luft macht, auch andere Werthe der Fortpflanzungsgeschwindigkeit mit den Thatsachen vereinbar sind. Nachdem Blaserna durch Versuche gefunden zu haben glaubte, dass die Fortpflanzung wenigstens der inducirenden Wirkungen elektrischer Ströme in der Luft mit einer sehr massigen Geschwindigkeit vor sich geht, sah sich Helmholtz, welcher schon längere Zeit mit Versuchen über den Verlauf sehr kurz dauernder elektrischer Ströme beschäftigt war, zunächst veranlasst, die Genauigkeit jener Versuche für die Fortpflanzung der Wirkung durch die Luft hin zu prüfen. Er gelangte zu dem Resultat, „dass die grössere Entfernung der beiden Spiralen von 136 cm die Lage der Nullpunkte des inducirten Stromes nicht um einen Theilstrich des Mikrometers, d. h. nicht um 1/231170 einer Secunde veränderte. Pflanzen sich also die inducirenden Wirkungen wirklich mit einer angebbaren Geschwindigkeit fort, so muss diese grösser sein als 314400m, oder etwa 42,4 geographische Meilen in der Secunde“.
In Beziehung auf die Resultate dieser Untersuchung schreibt mir Blaserna im Anschluss an die früheren Bemerkungen über elektrische Oscillationen:
„Dafür griff er ein anderes Resultat an, welches ich in demselben Mémoire glaubte gefunden zu haben. In einer Untersuchung über den Verlauf der inducirten Ströme fand ich nämlich, dass der inducirende Einfluss einer primären Spirale auf eine secundäre nur langsam erfolgt, so dass bei grösseren Entfernungen der beiden Spiralen eine messbare Verzögerung eintreten sollte. Durch sehr genau durchgeführte Messungen wies nun Helmholtz nach, dass dies nicht der Fall ist, und dass die inducirende Wirkung, so zu sagen, sich mit Aethergeschwindigkeit fortpflanzt, während (Seite 193) ich bloss eine Moleculargeschwindigkeit glaubte gefunden zu haben. Ich untersuchte nochmals die Frage auf rein experimentellem Wege und überzeugte mich, dass Helmholtz Recht hatte. Der Verlauf des inducirten Stromes ist viel complicirter, als ich früher vermuthet hatte, und in einer Reihe von Schwingungen hatte ich einen temporären Nullpunkt für einen definitiven angesehen. Ich gab in Folge dessen meine Behauptung auf. Nicht viel später lernte ich Helmholtz im Engadin persönlich kennen. Wir besprachen die Misserfolge in der früheren und in dieser Untersuchung mit einer Objectivität, als ob wir beide gar nicht daran betheiligt gewesen wären, und kamen später noch öfters auf dieselben zurück. Die grossartige Auffassung, die er stets in allem zeigte, und sein liebenswürdiges cavalieres Wesen hatten vom ersten Beginn einen tiefen Eindruck auf mich gemacht.“
Noch in demselben Sommer, am 6. Juli 1871, hielt er in der Leibnizsitzung der Akademie der Wissenschaften die schöne und pietätvolle Rede „Zum Gedächtniss an Gustav Magnus“, dessen Nachfolger er geworden, und dessen Person und Wirken er um so mehr gerecht zu werden sich verpflichtet fühlte, als es durch die ein wenig kühle Aufnahme seiner „Erhaltung der Kraft“ durch Magnus den Anschein hatte, oder wenigstens nach den Behauptungen seiner Gegner den Anschein haben sollte, als ob ein tiefer Gegensatz zwischen den wissenschaftlichen Bestrebungen und eine gegenseitige, nicht allzu grosse Werthschätzung der Arbeiten dieser beiden ausgezeichneten Forscher bestanden hätte. Schon aus seinen Jugendbriefen an du Bois war erkennbar, wie hoch Helmholtz die bei Magnus stets hervortretende, von jeder Eifersucht freie Bereitwilligkeit zur Unterstützung jugendlicher Forscher schätzte, zugleich aber auch — und dies hebt er jetzt wieder besonders hervor — die eigene treue, geduldige und bescheidene Arbeit, welche er stets so lange fortsetzte, bis er an dem Werke, das ihn beschäftigte, nichts mehr zu bessern (Seite 194) wusste, und die, wenn er sie auch bei seinen Schülern bemerkte, ihm diese zu seinen persönlichen Freunden machte.
Die Keime der Berliner Physikalischen Gesellschaft waren aus den Uebungen hervorgegangen, welche Magnus in Form von Besprechungen und Berichterstattungen über physikalische Fragen an bestimmten Abenden in seinem Hause abhielt, und dort hatte im Winter 1847 Helmholtz, als er im Laboratorium von Magnus seine Versuche über die Rolle der Weinhefe in der weinigen Gährung wiederholte, auch G. Wiedemann kennen gelernt.
„Vorlesungen über mathematische Physik gab es damals noch nicht“, sagt er zwanzig Jahre später in der Gustav Wiedemann gewidmeten und dem Jubelbande der „Annalen“ beigefügten Huldigungsgabe. „Herr G. Wiedemann und ich selbst, die wir doch das Streben hatten, angeregt durch Gauss' magnetische Untersuchungen, etwas von mathematischer Physik zu erfahren, haben uns deshalb zusammengethan, um einige Werke von Poisson, namentlich die von ihm entwickelte Theorie der Elasticität privatim gemeinsam zu studiren, was wir sehr regelmässig und mit vielem Nutzen gethan haben.“
Die Arbeiten von Magnus errangen durch die classische Vollendung ihrer Methode, durch die Genauigkeit und Zuverlässigkeit ihrer Resultate dauernden Ruhm. Helmholtz preist ihn glücklich, weil es ihm vergönnt gewesen, in reiner Begeisterung für ein ideales Princip zu arbeiten.
„Man kann von solchen Menschen sagen, der Neid des Schicksals verkümmert ihnen ihre Erfolge nicht, weil sie für reine Zwecke und mit reinen Wünschen arbeitend auch ohne äussere Erfolge ihre Befriedigung finden würden.“
Vor allem sind aber in dieser Rede die allgemeinen Bemerkungen von hohem Interesse, welche sich auf die verschiedenen Methoden physikalischer Forschung beziehen und zum Theil den Umschwung kennzeichnen, welchen diese in den letzten dreissig Jahren genommen hatten. Magnus (Seite 195) gehörte nicht zu den Forschern, welche dem modernsten übertriebenen Empirismus huldigen, welche nur darauf ausgehen, Thatsachen zu entdecken, die sich unter keine Regel fügen lassen, und es vermeiden, nach einem Gesetze oder Zusammenhange der entdeckten Thatsachen zu suchen. Es lag ihm jedoch auch fern, den Theoretiker zu spielen, der nicht für nöthig hält, die Folgerungen aus seinen ihm als Axiome erscheinenden Hypothesen an der Erfahrung zu prüfen. Vor allem war er aber ein Feind metaphysischer Hypothesen, und die Furcht vor dem etwaigen Wiederaufblühen der Hegel'schen Naturphilosophie konnte ihn bisweilen zu einem strengeren Kritiker der Arbeiten anderer machen, als er es sonst gewesen wäre.
„Unwürdig eines wissenschaftlich sein wollenden Denkers“, sagt Helmholtz bei einer anderen Gelegenheit, „ist es, wenn er den hypothetischen Ursprung seiner Sätze vergisst Der Hochmuth und die Leidenschaftlichkeit, mit der solche versteckte Hypothesen vertheidigt werden, sind die gewöhnlichen Folgen des unbefriedigenden Gefühles, welches ihr Vertheidiger in den verborgenen Tiefen seines Gewissens über die Berechtigung seiner Sache hegt.“
Helmholtz hofft, die Ueberzeugung werde immer mehr Boden gewinnen, dass in der physikalischen Wissenschaft nur derjenige fruchtbar experimentiren könne, welcher eine eindringende Kenntniss der Theorie hat und ihr gemäss die rechten Fragen zu stellen weiss, und dass andererseits„ wie es sich am glänzendsten bei der Entdeckung der Spectralanalyse gezeigt, nur derjenige fruchtbar theoretisiren könne, der eine breite praktische Erfahrung im Experiment habe. Auch die mathematische Physik ist nach ihm eine Erfahrungswissenschaft, und er sucht in seiner Rede die Scheidewand abzutragen, welche die experimentelle von der theoretischen Physik trennt. Wir finden in der Erfahrung nur ausgedehnte und zusammengesetzte Körper vor, deren Wirkungen zusammengesetzt sind aus denjenigen, (Seite 196) welche ihre einzelnen Theile ausüben; wollen wir also die einfachsten und allgemeinsten, von der Form, Grösse und Lage der wirkenden. Körper befreiten Wirkungsgesetze der in der Natur vorgefundenen Massen und Stoffe auf einander kennen lernen, so müssen wir auf die Wirkungsgesetze der continuirlichen und gleichartigen Volumenelemente, nicht der disparaten und verschiedenartigen Atome, zurückgehen, und die mathematische Physik ist daher ebenso wie die experimentelle Physik der Controle der Erfahrung unterworfen.
„Die erste Entdeckung bisher unbekannter Naturgesetze, also neuer Gleichförmigkeiten in dem Ablauf anscheinend unzusammenhängender Vorgänge, ist eine Sache des Witzes — dieses Wort in seiner weitesten Bedeutung genommen — und wird fast immer nur durch die Vergleichung reicher sinnlicher Anschauungen gelingen; die Vervollständigung und Reinigung des Gefundenen fällt nachher der deductiven Arbeit der begrifflichen und zwar vorzugsweise mathematischen Analyse anheim, da es sich schliesslich immer um Gleichheit von Quantis handelt.“
„St. Andrews“, schreibt er am 20. August seiner Frau, „hat eine prächtige Bai, feine Sandfläche, die dann mit einer scharfen Kante in grüne Grasflächen übergeht. Die Stadt selbst liegt auf steinigen Klippen. Es ist grosses Leben von Badegästen, eleganten Damen und Kindern, Gentlemen in sporting Costümen, welche golfing spielen. ..... Mr. Tait kennt hier nichts anderes als golfing. Ich musste gleich mit, die ersten Schläge gelangen mir, nachher traf ich entweder nur die Erde oder die Luft. Tait ist eine eigentümliche Art von Wildem Mann, lebt hier, wie er sagt, nur für seine Muskeln, und erst heute am Sonntag, wo er nicht spielen durfte, aber auch nicht in die Kirche ging, war er zu vernünftigen Gegenständen zu bringen. … Zum Dinner kam ein Chemiker Andrews aus Belfast, Professor Huxley, der berühmte Fortschrittszoologe aus London, lauter angenehme und interessante Leute. … Andrews zeigte uns merkwürdige Experimente, wie Gas und Flüssigkeiten unter hohem Druck in einander übergehen. … Wir hatten Dinner bei Professor Brown, bei dem noch ein grosser Mathematiker Sylvester (Seite 198) einquartirt war, der von Mr. Gladstone sehr schlecht behandelt worden ist, worüber grosse Aufregung unter den Herren herrschte. …“
Er fuhr von dort aus nach Glasgow und übernachtete mit Professor Brown im College, wo ein Neffe von W. Thomson die Honneurs machte.
„Das Haus war im Innern noch nicht fertig, nicht tapezirt, nicht angestrichen, voll alter Möbel, die noch nicht an ihrer Stelle standen, und es machte einen unsäglich traurigen Eindruck, als ob Niemand sich darum bekümmere, im Gegensatz zu dem älteren Hause, in welchem Lady Thomson noch gewaltet hat. In einer Ecke des Dining room hing ein ausgezeichnet schönes und ausdrucksvolles Porträt, gezeichnet, von ihr, und darunter ihr Canapée, auf dem sie immer lag, und Decke. Ich wurde ganz traurig und musste die Thränen zurückhalten, während die beiden jungen Leute bei unserm Thee sich lustig unterhielten. Es ist sehr traurig, wenn die Männer ihre Frauen verlieren und ihr Leben verödet.“
Von dort fuhr er zu den Wettfahrten nach Iverary, die er auf der Yacht von W. Thomson mitmachte, einem Zweimaster, der mit zu den grösseren und behaglicheren der dort versammelten ziemlich grossen, schlank und elegant gebauten 40 Yachten gehörte; er bewunderte die Geschicklichkeit, mit der Thomson und seine Leute manövrirten. Nachdem er die Schwiegereltern [Jessie und Walter Crum] von Thomson in Largs besucht, wo dessen Frau gestorben war, macht er mit seinem Freunde noch einige grössere Fahrten auf dessen Lalla Rookh „die Yacht ist wie ein bewegliches Seebad und bietet bei gutem Wetter einen angenehmen Aufenthalt“, und studirt mit Thomson die Theorie der Wellen, .„was er am liebsten auch als eine Art von race zwischen uns beiden behandeln möchte“. Sie suchten an der Westküste von Schottland eine Reihe der schönst gelegenen Orte auf, bis sie das nördliche Ende ihrer Fahrt erreichten, die (Seite 199) Insel Skye, freilich in Folge starker Stürme mit wiederholten Unterbrechungen. Auf dem Rückwege besuchten sie in der Nähe von Glasgow die Familie des Mathematikers Blackborn, und er erfreut sich an dem merkwürdigen Talente von Mrs. Blackborn in der Thiermalerei, deren Bilder ihm schon auf der Ausstellung in London aufgefallen waren:
„Es ging sehr bequem und ungenirt zu. W. Thomson hat die Freiheit des Umganges jetzt so weit getrieben, dass er stets sein mathematisches Heft mit sich führt, und sobald ihm etwas einfällt, mitten in der Gesellschaft zu rechnen anfängt, was man allgemein mit einer gewissen Ehrfurcht betrachtet. Wie wäre es, wenn ich die Berliner auch daran gewöhnte? Am naivsten aber fand ich es, dass er sich am Freitag die Gesellschaft auf seine Yacht eingeladen hatte und dann, sobald das Schiff auf seinem Curse war, und sich jeder einen gegen Schwankungen möglichst gesicherten Platz auf dem Deck gesucht hatte, in die Cajüte verschwand, um dort zu rechnen, während sich die Gesellschaft, soweit sie noch Lust dazu hatte, wechselseitig unterhalten mochte, natürlich nicht gerade sehr lebhaft. Ich erlaubte mir meine Unterhaltung darin zu suchen, dass ich auf dem Deck „in schwankender Anmuth“ auf und ab balancirte. …“
Die Rückfahrt war eine sehr angenehme und behagliche, und er konnte an ruhigen Tagen mit W. Thomson Versuche über Fortpflanzungsgeschwindigkeit der kleinsten ripples machen, die auf der Wasserfläche zu Stande kommen können, und über welche Thomson in der letzten Zeit gearbeitet hatte.
„Ich finde aber“, schreibt er seiner Frau am 14. Sept., „dass ein nicht mehr ganz junger Ehemann sich auf die Dauer doch nicht wohl fühlt, wenn er so ohne höhere Leitung, sich selbst überlassen, in der Welt herumschwärmt, und dass, wenn die Welt allein mit Männern bevölkert wäre, sie wahrscheinlich nicht sehr viel Schönheit darbieten (Seite 200) würde, sondern sehr praktisch und unerquicklich sein möchte. …“
Die folgenden Jahre brachten Helmholtz Auszeichnungen und Ehrungen in steter Folge; im Jahre 1873 erhielt er den Preussischen Kronenorden zweiter Klasse, durch Cabinetsordre vom 16. Juli 1873 den Orden pour le mérite, und noch in demselben Jahre wurde er auswärtiges Mitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften.
Seine Arbeiten wandten sich nun zunächst ganz der Elektricitätslehre zu. In seiner ersten Abhandlung über die Theorie der Elektrodynamik, welche die elektrischen Bewegungen in ruhenden ponderabeln Trägern der Elektricität behandelt und für die Grundprincipien der Mechanik überhaupt von hervorragendem Interesse ist, war es ihm gelungen, dem F. E. Neumann'schen Potentialausdruck eine Form zu geben, in welcher er auch die aus den Theorien von W. Weber und Maxwell hervorgegangenen abweichenden Potentialausdrücke für je zwei Stromelemente umfasste. Die Untersuchung des Gesetzes für die verschiedenen Werthe seiner Constanten k hatte ergeben, dass das Weber'sche Gesetz zu Unzuträglichkeiten führt; andererseits nahm die Maxwell'sche Hypothese für den Fall, dass auch die in diëlektrischen und magnetischen Medien vor sich gehenden Bewegungen der Elektricität und des Magnetismus elektrodynamische Wirkung haben, ausser der bisher nicht bestimmbaren Constanten k noch die aus den bisherigen Versuchen ebenfalls nicht bestimmbare diëlektrische Constante des Luftraumes oder die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der elektrischen Transversalwellen im Luftraume zu Hülfe. Es musste ihm somit vor allem darauf ankommen, diese letztere Constante durch Versuche zu ermitteln, welche auch in der That Boltzmann in seinem Laboratorium anstellte, um die jetzt so berühmt gewordene Maxwell'sche elektromagnetische Lichttheorie zu prüfen. Dieser hervorragende Forscher, den Helmholtz später vergeblich (Seite 201) als Nachfolger Kirchhoff's nach Berlin zu ziehen suchte, schrieb mir im April 1902: in Folge der Annahme von Helmholtz, dass Maxwell den Brechungsexponenten gleich der Diëlektricitätsconstanten setze, habe die gewünschte Uebereinstimmung sich nicht ergeben; er schied daher in der festen Ueberzeugung aus Berlin, Maxwell gänzlich widerlegt zu haben, und war schon im Begriff, seine Einwürfe gegen dessen Theorie drucken zu lassen. Aber bereits am 1. November 1872 schrieb er an Helmholtz:
„… Noch etwas kann ich nicht umhin, Ihnen zu erzählen. Ich war nämlich bisher immer der Meinung (und ich glaube, auch Sie sprachen diese Meinung aus, als ich in Berlin war), dass nach der Maxwell'schen Theorie von der Identität des Lichtes und der Elektricität die von mir bestimmten Diëlektricitätsconstanten gleich den Brechungsquotienten sein müssten. Als ich jetzt die Werthe aller Diëlektricitätsconstanten in einer Tabelle zusammenstellte, betrübte ich mich recht sehr, dass sie sogar weit von den Brechungsquotienten abwichen, bemerkte aber zugleich, dass sie immer ungefähr gleich den Quadraten der Brechungsquotienten waren. Wie ein Blitz durchfuhr mich der Gedanke, ob nicht etwa die Maxwell'sche Theorie das letztere fordert, da ja Fortpflanzungsgeschwindigkeiten immer den Quadratwurzeln aus den Kräften proportional sind. Ich sah in Maxwell's Abhandlung nach, und richtig war da deutlich zu lesen, dass die Diëlektricitätsconstante dem Quadrate des Brechungsexponenten proportional sein muss (die magnetische Inductionsconstante ist wohl für alle diese Stoffe nahe gleich eins), so dass ich also in meinen Versuchen eine Bestätigung der Maxwell'schen Theorie erblicken muss.“
Zu einer Entscheidung für eine der verschiedenen, von Helmholtz in seiner ersten Arbeit besprochenen Hypothesen war Theorie und Experiment noch nicht reif, und sowohl in der der Akademie am 18. April 1872 vorgelegten Arbeit (Seite 202) „Ueber die Theorie der Elektrodynamik“ sowie in der im Journal für reine und angewandte Mathematik im Jahre 1873 erschienenen Ausführung derselben „Ueber die Theorie der Elektrodynamik. Zweite Abtheilung: Kritisches“ beschränkt sich Helmholtz zum Theil darauf, die Einwürfe, die gegen seine erste Arbeit erhoben wurden, zu entkräften. Er hebt Bertrand gegenüber hervor, dass die Ausdrücke für das Potential je zweier Stromelemente nicht Ausdrücke der letzten elementaren wirkenden Kräfte sind, sondern dass sie für jedes Stromelement, dieses als festen Körper gedacht, auf eine Kraft und auf ein Kräftepaar führen; die Grösse, zum Theil auch die Richtung dieser Kräfte hänge nicht bloss von der Lage der Elemente, sondern auch von der Geschwindigkeit der elektrischen Ströme ab, und man dürfe somit von dem Potential zweier Stromelemente mit demselben Rechte reden wie von dem Potential zweier Magnete. Vor allem aber sucht er die Gründe zu entkräften, welche W. Weber gegen seine Ausführung geltend gemacht, da schon in dem ganz speciellen Falle der nach dem Weber'schen Gesetze vor sich gehenden Bewegung zweier Elektricitätstheilchen auf ihrer Verbindungslinie die Beschleunigung unendlich gross werden kann, und bei einer geringeren Entfernung der Coefficient der Beschleunigung, welcher der Masse entspricht, negativ wird. Er zeigt ausserdem, dass unter Annahme des Weber'schen Gesetzes für ein elektrisches Massentheilchen, welches innerhalb einer gleichmässig mit Elektricität belegten Hohlkugel beweglich ist, der Fall eintreten könnte, dass der Coefficient der Beschleunigung negativ wird, was zu einer Verwirklichung des Perpetuum mobile führen würde, und weist aufs Neue darauf hin, dass die von Kirchhoff unter Annahme des Weber'schen Gesetzes hergeleiteten Differentialgleichungen für die Bewegung der Elektricität zu einem labilen Gleichgewicht der Elektricität in Leitern führen würden.
Das F. E. Neumann'sche Potentialgesetz, welches Helmholtz in einem Briefe an Schering eine der brillantesten Leistungen nennt, welche die mathematische Physik aufzuweisen hat, war dazu bestimmt und wohl geeignet, das ganze Gebiet der elektrodynamischen Bewegungskräfte, welche durch das Ampère'sche Gesetz umfasst werden, sowie der elektrodynamischen Induction, hervorgebracht durch Bewegung von Stromleitern und durch Aenderung der Stromintensität, unter ein einziges sehr einfaches Gesetz zu vereinigen. Dasselbe hatte jedoch für geschlossene Ströme nach dem Beweise von Neumann übereinstimmende Resultate mit dem für diese Fälle thatsächlich richtigen Ampère''schen (Seite 204) Gesetze nur unter der Voraussetzung gegeben, dass die betreffenden beiden Stromleiter ohne Veränderung ihrer Form und Grösse bewegt werden. Um nun das Gesetz der elektrodynamischen Bewegungskräfte für Leiter von drei Dimensionen auszusprechen, zerlegt Helmholtz diese zunächst in leitende Fäden, welche überall der Richtung der zur Zeit bestehenden Strömungslinien folgen, so dass keine Elektricität von einem seiner Fäden zu seinen Nachbarn übergeht. Da nun das Ampère'sche Gesetz nur Kräfte kennt, welche von Stromelement auf Stromelement wirken, so konnte Helmholtz zeigen, dass, wenn man bei Benutzung des Potentialgesetzes noch Kräfte hinzunimmt, welche zwischen Stromenden und Stromelementen, und zwischen den Stromenden der beiden Leiter wirken, aus dem aufgestellten Potential der Stromelemente sich bewegende Kräfte für zwei ungeschlossene Stromtheile herleiten lassen, welche für diese Stromtheile selbst in diejenige Form gebracht werden können, die Ampère diesen Kräften gegeben hat. Treten wie bei der Bewegung der sogenannten Rotationsapparate Gleitstellen auf, so sind diese nach Helmholtz als Stromenden anzusehen, und es ergiebt sich nach seiner Ansicht die Lösung auch in diesen Fällen ohne Schwierigkeit, wenn man berücksichtigt, dass die in der Gleitstelle theoretisch als Grenzfall vorausgesetzte discontinuirliche Verschiebung eben nur Grenze einer physikalisch in der That immer noch continuirlichen Verschiebung ist.
In der oben erwähnten dritten Abhandlung über die Theorie der Elektrodynamik giebt aber Helmholtz nicht nur eine ausführlichere Darstellung eben dieser Resultate, sondern er geht auch in der Entwickelung der allgemeinen Theorie einen wesentlichen Schritt weiter. Bisher war von ihm nur die Einwirkung elektrischer Ströme auf einander und auf Leiter unter der Voraussetzung behandelt worden, dass alle Leiter sich in Ruhe befinden, so dass nur die Aenderungen der Stromstärken in Betracht kommen, und das von (Seite 205) ihm erweiterte Potential zweier Stromelemente auf einander als Arbeitswerth der in denselben vorhandenen elektrischen Ströme definirt werden konnte. Er leitet nunmehr die Bewegungsgleichungen der Elektricität in bewegten ponderabeln Leitern aus denselben Principien her und will zeigen, dass die von ihm durchgeführte Verallgemeinerung des Neumann'schen Potentialgesetzes mit keinen der damals bekannten, fast ausschliesslich auf geschlossene Stromkreise bezüglichen Erfahrungen in Widerspruch steht und zugleich mit dem Gesetz von der Constanz der Energie übereinstimmt. Dagegen hat er die Untersuchung nicht auf den Fall ausgedehnt, dass ausser den bewegten Leitern auch diëlektrisch polarisirbare Medien in Bewegung gerathen, und dass auch die in diesen eintretenden elektrischen Bewegungen elektrodynamisch wirksam sind.
Helmholtz hat also zunächst in den drei über Elektrodynamik veröffentlichten Arbeiten das F. E. Neumann'sche Potentialgesetz, welches die Stärke der inducirten Ströme nicht auf Wirkungen von Punkt zu Punkt, sondern von Längenelementen der Stromleiter auf einander zurückführte, in verallgemeinerter Form ausgesprochen und dadurch erreicht, dass dieses in einfacherer Weise als das ursprüngliche Gesetz von Ampère die sämmtlichen Erscheinungen geschlossener Ströme mit den Thatsachen übereinstimmend und quantitativ genau darstellte. Für die meist ausserordentlich schwachen elektrodynamischen Wirkungen ungeschlossener Ströme, welche zur Ansammlung von Elektricität an einzelnen Stellen der Leiter führen, konnte Helmholtz nachweisen, dass die Anwendung des Potentialgesetzes auf diese nirgends in Widerspruch steht mit den allgemeinen Axiomen der Mechanik, worin der wesentliche Vorzug des Neumann'schen Gesetzes allen anderen Hypothesen über die elektrische Fernwirkung gegenüber lag. Doch bestand ein wesentlicher Unterschied gegen die Faraday'sche Annahme darin, dass elektrodynamische Wirkungen nur den in den Leitern (Seite 206) vorgehenden elektrischen Strömungen zugeschrieben und die diëlektrischen Ladungen, welche in den zwischen den Leitern liegenden Isolatoren entstehen, nicht als elektrodynamisch wirksam betrachtet wurden. Es erübrigte somit für Helmholtz, zu finden, in welcher Richtung Versuche angestellt werden müssen, um sich für eine der beiden Hypothesen zu entscheiden.
In der im Juni 1875 der Berliner Akademie vorgelegten Arbeit „Versuche über die im ungeschlossenen Kreise durch Bewegung inducirten elektromotorischen Kräfte“ beschreibt er zu diesem Zwecke ausgeführte Versuche über die Elek-trioität, welche sich an der Oberfläche eines im magnetischen Felde rotirenden Leiters sammelt. Nach den gewöhnlichen Inductionsgesetzen muss in einem Leiter, der um die Axe eines Magnetes in Rotation versetzt wird, eine elektromotorische Kraft inducirt werden, während dies nach dem Potentialgesetz allein nicht der Fall wäre, und Helmholtz unterwarf nun die Abweichung, welche sich hier zwischen den beiden Theorien ergiebt, einer experimentellen Entscheidung. Das Resultat der Versuche stand nicht in Uebereinstimmung mit dem Neumann'schen Inductionsgesetz, wenn man annahm, dass das verallgemeinerte Neumann'sche Potentialgesetz bei ausschliesslicher Beachtung der in eigentlichen Leitern vorgehenden Bewegungen der Elektricität relativ zum Leiter eine vollständige Formulirung des Gesetzes der elektrodynamischen Wirkungen sei. Nur dann löste sich der Widerspruch gegen jenes Inductionsgesetz, wenn man die Existenz des Potentialgesetzes mit der Faraday'schen Annahme vereinigte, dass die in den Isolatoren zwischen zwei sich ladenden Leitern zu Stande kommende diëlektrische Polarisation eine elektrische Bewegung ist, welche dem jene Leiterstücke ladenden Strom äquivalente Intensität und äquivalente elektrodynamische Wirkung hat. Alle anderen Theorien, welche Fernkräfte annehmen, deren Intensitäten von der Entfernung, den (Seite 207) Geschwindigkeiten und den Beschleunigungen abhängen, ergeben zwar die Phänomene geschlossener Ströme vollkommen richtig, aber sie kommen alle in Widerspruch mit den allgemeinen Axiomen der Dynamik, wenn man sie auf ungeschlossene Ströme anwendet. Die Weber'sche Hypothese lässt das Gleichgewicht der Elektricität als labil erscheinen in jedem Leiter von massiger Ausdehnung nach drei Dimensionen, und deshalb lassen sich auch aus demselben keine brauchbaren Gesetze für die Bewegung der Elektricität in körperlich ausgedehnten Leitern folgern. Dasselbe gilt von dem Riemann'schen Gesetze, das ausserdem noch in Widerspruch steht zu dem Axiom von der Gleichheit der Action und Reaction, und die Clausius'sche Hypothese, welche von diesen Fehlern frei ist, muss ein raumfüllendes Medium zu Hülfe nehmen, zwischen welchem und den Elektricitäten die von ihm angenommenen Kräfte wirksam werden müssten.
So erkennt Helmholtz die Faraday'sche Annahme als die einzige an, die mit den beobachteten Thatsachen zusammenstimmt und durch keine ihrer Folgerungen mit den allgemeinen Grundsätzen der Dynamik in Widerspruch tritt. Wenn auch Clerk Maxwell bisher diese Theorie wesentlich nur für die Wirkungen geschlossener leitender Kreise durchgeführt hatte, so fand doch Helmholtz, dass sie auch im Einklang ist mit den wenigen damals für nicht geschlossene Leiter gesammelten Thatsachen, wie seine eigenen Versuche über die elektrische Ladung der Oberfläche rotirender Leiter im magnetischen Felde ergeben hatten. Nach der Faraday'schen Annahme entsteht in allen zwischen den Leitern liegenden Isolatoren, wenn die begrenzenden Leiter sich elektrisch laden, diëlektrische Polarisation, und zwar in solcher Stärke, dass die mit der Herstellung dieses Zustandes verbundene Bewegung der Elektricitäten als eine äquivalente Fortsetzung des die Leiter ladenden elektrischen Stromes angesehen werden kann — (Seite 208) es giebt danach nur geschlossene Ströme, für welche all' die verschiedenen Theorien zu denselben Resultaten führten. Es folgt zugleich, dass die Wirkung der etwa noch angenommenen unmittelbaren Fernkräfte verschwinden muss gegen die der Aenderungen der diëlektrischen und magnetischen Spannungen im Raum erfüllenden Aether.
„Jede tiefgreifende Veränderung der grundlegenden Principien und Voraussetzungen einer Wissenschaft“, sagt Helmholtz später, „führt nothwendig die Bildung neuer abstracter Begriffe und ungewohnter Vorstellungsverbindungen mit sich, in welche sich die zeitgenössischen Leser nur langsam einleben, wenn sie überhaupt geneigt sind, sich diese Mühe zu geben. Der Sinn einer neuen Abstraction kann erst dann als klar verstanden gelten, wenn die Art ihrer Anwendung auf die wesentlichsten Gruppen der Einzelfälle, die darunter zu ordnen sind, durchgedacht und richtig befunden ist. Neue Abstractionen in allgemeinen Sätzen zu definiren, so dass nicht Missverständnisse aller Art vorkommen könnten, ist sehr schwer. Dem Urheber eines solchen neuen Gedankens wird es dann meist viel schwerer, herauszufinden, warum die Anderen ihn nicht verstehen, als ihm die Entdeckung der neuen Wahrheit gewesen. Ich möchte Faraday's Zeitgenossen nicht herabsetzen, weil seine Worte ihnen unbestimmt und dunkel erschienen; ich weiss zu wohl, wie oft ich selbst gesessen habe, hoffnungslos auf eine seiner Beschreibungen von Kraftlinien und von deren Zahl und Spannung starrend, oder den Sinn von Sätzen suchend, wo der galvanische Strom als eine Axe der Kraft bezeichnet wird, und ähnliches mehr. Es war ein Clerk Maxwell nöthig, ein zweiter Mann von derselben Tiefe und Selbständigkeit der Einsicht, um in den normalen Formen des systematischen Denkens das grosse Gebäude auszuführen, dessen Plan Faraday in seinem Geiste entworfen hatte, welches er klar vor sich sah und welches er sich bemühte, seinen Zeitgenossen sichtbar zu machen.“
(Seite 209) Wie sehr nun auch Helmholtz auf Grund der Versuche, welche er zum Zwecke einer Entscheidung für oder gegen die Annahme einer Fernwirkung angestellt hatte, geneigt war, den Anschauungen von Faraday beizupflichten, so suchte er doch erst noch als besonnener Kritiker eine Reihe anderer, scheinbar fernliegender Erscheinungen in den Kreis seiner Betrachtungen zu ziehen.
Die Mittheilungen, welche er im August 1872 der Naturforscherversammlung in Leipzig „Ueber die galvanische Polarisation des Platins“ und der Berliner Akademie im folgenden Jahre „Ueber galvanische Polarisation in gasfreien Flüssigkeiten“ machte, und welche zunächst rein experimenteller Natur sind, waren hervorgerufen durch theoretische Bedenken, welche dem Princip der Erhaltung der Energie entsprangen. Es war bekannt, dass, wenn ein Daniell'sches Zinkkupferelement durch eine Wasserzersetzungszelle mit Platinelektroden geschlossen wird, ein polarisirender Strom von schnell abnehmender Stärke entsteht, der aber selbst nach sehr langer Zeit nicht ganz aufhört. Man wusste ferner, dass, wenn nach Trennung der Zersetzungszelle von dem Element die Platinplatten mit dem Galvanometer verbunden werden, der depolarisirende Strom in gewöhnlichen lufthaltigen Flüssigkeiten anfangs stark ist und bald zum Unwahrnehmbaren abnimmt. Helmholtz wirft nun die Frage auf, worauf die scheinbar unbegrenzt lange Fortdauer des polarisirenden Stromes beruht, und findet, dass der dauernde Strom in engem Zusammenhange steht mit den in der Flüssigkeit oder an den Elektroden vor Beginn des Stromes vorhandenen Gasen. Durch Anwesenheit von Wasserstoff wird ein Theil des elektrolytischen Sauerstoffes neutralisirt, und dadurch ein Theil des Wasserstoffes auf der anderen Elektrode frei, der sich dann in der Flüssigkeit löst oder in das Platin eindringt, so dass wieder die Zersetzung einer entsprechenden Menge von Wasser erfolgen kann. Den Vorgang der Fortführung der Elektricität durch Bewegung ihrer (Seite 210) ponderabeln Träger bezeichnet, Helmholtz als elektrische Convection. Die Bewegung eines in den Elektroden eingeschlossenen Gases erfolgt sehr langsam, wenn die Flüssigkeit selbst gasfrei ist, so dass der Depolarisationsstrom in gasfreien Flüssigkeiten sehr lange dauern kann. Durch die Annahme, dass bei der galvanischen Polarisation nicht nur oberflächlich haftende, sondern auch tiefer in das Platin eingedrungene Theile der Gase eine Rolle spielen, und dass für die Fortbewegung der in den Metallen occludirten Gase dieselben Gesetze wie für die Wärmeleitung gelten, konnte aber Helmholtz den Widerspruch mit dem Gesetze von der Erhaltung der Energie fortschaffen. Die Producte der Elektrolyse brauchen hiernach nämlich nicht zum Vorschein zu kommen und die chemische Verwandtschaft von der elektromotorischen Kraft nicht überwunden zu werden; durch Diffusion des Wasserstoffes kann der Vorgang dauernd erhalten werden, so dass die anfängliche Anwesenheit einer beschränkten Gasmenge für einen lange anhaltenden Strom genügt. Um nun das Eindringen der Gase in das Platin bei der galvanischen Polarisation wirklich nachzuweisen, liess Helmholtz in seinem Laboratorium Versuche darüber anstellen, ob der durch Elektrolyse gegen die eine Seite einer dünnen Platinplatte geführte Wasserstoff nach einiger Zeit sich auch an der entgegengesetzten Seite dadurch bemerkbar machen werde, dass er auch dort galvanische Polarisation hervorbringe. Nach dem der Akademie am 16. März 1876 vorgelegten „Bericht über Versuche des Herrn Dr. E. Root aus Boston, die Durchdringung des Platins mit elektrolytischen Gasen betreffend“, zeigte sich in der That, dass der Wasserstoff auf der entgegengesetzten Seite das Platin positiver erscheinen lasse.
Die Frage nun, ob elektrische Convection elektrodynamisch gleichwerthig sei der Strömung der Elektricität in einem Leiter, wird in einem von Helmholtz der Akademie ebenfalls am 16. März 1876 vorgelegten „Bericht, betreffend Versuche (Seite 211) über die elektrodynamische Wirkung elektrischer Convection, ausgeführt von Herrn Henry A. Rowland“ beantwortet. Die so gewonnenen Convectionsströme lieferten in der That gleichsam ein Surrogat für die Elektricitätsbewegung in ungeschlossenen Leitern und eröffneten dadurch die Möglichkeit zur Entscheidung wichtiger theoretischer Fragen. Die Resultate der Versuche liessen sich sowohl mit der Theorie von W. Weber als auch mit der die diëlektrische Polarisation der Isolatoren berücksichtigenden Potentialtheorie von Maxwell in Einklang setzen. Indem man eine auf beiden Seiten vergoldete, zwischen zwei ruhenden vergoldeten Glasscheiben bewegliche Ebonitscheibe um eine vertikale Axe in schnelle Rotation versetzte, während sie mit Hülfe einer Spitze von den Belegungen einer Leidener Flasche aus mit positiver oder negativer Elektricität geladen wurde, ergab sich, dass die Wirkung dieser convectiv fortgeführten Elektricität nicht nur qualitativ dieselbe ist, wie die der galvanisch strömenden, sondern sie lieferte auch quantitativ die durch die Weber'sche Theorie geforderte Uebereinstimmung.
Der hierdurch geführte Nachweis, dass auch convectiv mit ihren Trägern fortgeführte Elektricität elektromagnetische Wirkungen habe, verbunden mit seinen früheren Versuchen, war aber nach der Ansicht von Helmholtz entscheidend für die Annahme, dass mit dem erweiterten Neumann'schen Potentialgesetz die Faraday'sche Hypothese zu vereinigen sei, dass die Entstehung elektrischer oder magnetischer Kraftlinien im Raume immer mit einer Entstehung diëlektrischer bezw. magnetischer Polarisation im Aether und im ponderabeln Medium verbunden ist. Da unter dieser Annahme alle elektrischen Ströme als geschlossene zu betrachten sind, so werden, insofern jene Versuche sich mit den Thatsachen als vereinbar erweisen, die Unterschiede aller derjenigen elektrodynamischen Theorien, welche für geschlossene Ströme gleiche Resultate ergeben, verschwinden. (Seite 212)
„Die Anschauungsweise von Faraday ist auch der thatsächliche Kern der Maxwell'schen Theorie der Elektricität. Diese höchst umfassende Theorie, welche auch die Optik auf die Grundprincipien der Elektrodynamik reducirt und dabei eine Reihe von Schwierigkeiten der bisherigen Undulationstheorie des Lichtes und ihres fest elastischen Aethers beseitigt, ist offenbar wegen ihrer höchst abstracten Sprache, die jede hypothetisch bildliche Fassung verschmäht, noch wenig bekannt geworden. Ausserdem fehlt aber allerdings noch ihre explicite Durchführung gerade für das entscheidende Gebiet, nämlich für die Wirkungen oder Ströme in nicht geschlossenen Leitern, wobei nothwendig auch die von den bewegten elektrischen Medien auf die bewegten Leiter ausgeübten Rückwirkungen zu untersuchen sind.Der Fortgang der Untersuchungen über mögliche elektrodynamische Hypothesen, namentlich die sehr sorgfältigen und umfassenden Untersuchungen von Herrn Clausius scheinen mir immer vollständiger zu erweisen, dass die Faraday'sche Annahme die einzige ist, welche eine Theorie der Elektrodynamik herzustellen erlaubt, die nicht mit den allgemeinsten Principien der Mechanik, von deren Geltung wir noch keine thatsächliche Ausnahme kennen, in Widerspruch tritt. Als solche allgemeine Principien, von denen dies behauptet werden kann, betrachte ich die folgenden drei:
l. Newton's Definition der Kraft in Verbindung mit dem sogenannten Gesetz vom Parallelogramm der Kräfte hat den wesentlichen thatsächlichen Inhalt, dass jede Beschleunigung eines Massenpunktes, die durch irgend welche (Seite 213) Bedingungen gesetzt wird, zu Stande kommt unabhängig von den gleichzeitig stattfindenden anderen Beschleunigungen desselben Massenpunktes, die durch andere Bedingungen gesetzt sind. Gleichzeitig stattfindende Beschleunigungen verbinden sich nach dem Gesetz des Parallelogramms (der geometrischen Addition). In der von Newton gegebenen Formulirung ist nun noch die Beziehung auf Massenpunkte ein über den Kreis möglicher Beobachtung hinausgreifendes Moment. Vermieden ist dies in der von Lagrange gegebenen Umformung der Newton'schen Bewegungsgleichungen, für beliebige Arten der Coordinaten und für beliebige feste Verbindungen gültig. Diese Umformung erfordert ausser den genannten Bewegungsgleichungen und den allgemeinen Sätzen der Differentialrechnung durchaus weiter keine Prämissen und macht gar keine weiteren Voraussetzungen über die Art der wirkenden Kräfte als die von Newton hingestellten.
2. Das zweite der ausnahmslos geltenden Principien ist das Newton'sche Princip von der Gleichheit der Action und Reaction, was wir, wenn wir es auf beliebig zusammengesetzte, aber der Wirkung äusserer Kräfte entzogene Massensysteme anwenden wollen, in zwei Theile zerlegen können, nämlich das Princip von der Erhaltung der Bewegung des Schwerpunktes und das von der Erhaltung der Momente der Rotationsbewegung.
3. Das dritte ist das Gesetz von der Constanz der Energie. Es ist erfüllt in der Mechanik der ponderabeln Körper für den Fall der Existenz einer Kräftefunction. Wenn wir mit einem Körpersystem zu thun haben, in dessen Innerem verschiedene an äusseren Merkzeichen vorhandene Zustände unbekannter Art eintreten können, so werden wir doch der Regel nach ermitteln können, wie viel Energie wir von aussen zuführen oder wegnehmen müssen, um einen dieser Zustände in den anderen überzuführen; selbst wenn wir nicht immer sicher bestimmen können, wie viel davon (Seite 214) zur Veränderung der Lage unsichtbarer Theile, wie viel für unsichtbare Bewegungen verbraucht wird. Der Energievorrath der uns bekannten Körpersysteme von endlichen Massen ist stets endlich, und weil die lebendige Kraft eine nothwendig positive Grösse ist, ist der Energievorrath in der Ruhe eines Systemes stets kleiner, als er in derselben Lage des Systems ist, wenn dessen Theilen Geschwindigkeiten mitgetheilt werden. Könnte die Energie eines Systemes in allen Phasen einer in sich zurücklaufenden Bewegung kleiner werden als im Zustande der Ruhe, so würde dasselbe, gezwungen, in dieser Ruhe zu bleiben, niemals von selbst wieder zur Ruhe kommen können, im Gegentheil bei fortdauernder Entziehung von Energie in immer schnellere Bewegung gerathen und somit eine unerschöpfbare Quelle von Energie abgeben. Das Perpetuum mobile würde dann gefunden sein. Die Mechanik der ponderabeln Körper bietet uns keinen solchen Fall, und wir können es deshalb ebenso als ein ausnahmsloses allgemeines Gesetz bezeichnen, dass der gesammte Energievorrath endlicher Körper stets endlich ist und der bewegter Systeme stets grösser als der derselben Systeme in derselben Lage in der Ruhe ist. Ich werde diesen Theil des Satzes von der Energie, wo er getrennt bezeichnet werden muss, als das Princip von der Endlichkeit der Energie bezeichnen.
Nun dürfen wir ferner als vollkommen festgestellt betrachten, dass die Wirkungen geschlossener elektrischer Ströme auf einander oder auf Magnete diesen genannten allgemeinsten mechanischen Principien entsprechen. Das Gesetz von der Action und Reaction ist durch die Rückführung auf Ampère's Anziehungskräfte der Stromelemente erfüllt. Die elektrischen Quanta und ihre Bewegungen kommen bei der Berechnung des Schwerpunktes und der Rotationsmomente nicht in Betracht, sie gelten als Quanta ohne Trägheit oder als gleich schnell in entgegengesetzter Richtung strömende Massen. Die Gültigkeit des Gesetzes (Seite 215) von der Constanz der Energie ist bekannt, und die für die Grösse der elektrodynamischen Energie geschlossener Stromsysteme von endlichen Dimensionen gewonnenen Ausdrücke haben stets endliche Werthe. Was die Anwendung des ersten Princips (Newton-Lagrange) betrifft, so liegt dies ebenfalls in dem Potentialgesetze fertig formulirt vor. Herr F. E. Neumann, der die zu dieser Erkenntniss nöthigen Ausdrücke klar und deutlich entwickelte, hat allerdings, so viel ich finde, die Beziehung dieser Ausdrücke auf das von Lagrange formulirte Gesetz nirgends explicite ausgesprochen. Ausdrücklich zur Grundlage der weiteren Entwickelungen ist das Princip von Lagrange mit Benutzung des Neumann'schen Werthes der Energie zuerst von Cl. Maxwell gemacht worden.
Die neuesten Arbeiten über die Theorie der Elektrodynamik zeigen nun den sehr erfreulichen Fortschritt, dass statt der bisherigen Polemik gegen die Zulässigkeit eines Potentialgesetzes, wie man die Anwendung des Princips von Lagrange bezeichnete, jetzt die Ueberzeugung von der Notwendigkeit und Nützlichkeit eines solchen sich Bahn gebrochen hat. Herr Clausius hat die Gesetze von W. Weber und Riemann auf diese Form zurückgeführt und das von ihm selbst aufgestellte neue Grundgesetz aus derselben Form abgeleitet; unabhängig von ihm hat Herr C. Neumann (Sohn) dasselbe für das Weber'sche Gesetz gethan. Der Streit dreht sich nur noch um den Werth der Grösse, die ich mit Maxwell die elektrokinetische Energie nenne, Herr Clausius das elektrodynamische Potential.
In der Theorie von Herrn W. Weber ist die elektrokinetische Energie je zweier elektrischen Quanta proportional gesetzt dem Quadrate der Geschwindigkeit, mit der sie sich von einander entfernen; in Riemann's Theorie tritt dafür das Quadrat ihrer relativen Geschwindigkeit ein. Beide Ausdrücke machen das elektrodynamische Potential relativ zu einander sich bewegender gleichnamiger elektrischer (Seite 216) Quanta negativ, woraus folgt, dass sie gegen das Princip der Endlichkeit der Energie verstossen. Riemann's Ausdruck verstösst auch gegen das Gesetz von der Erhaltung der Rotationsmomente, wie sich aus der Berechnung der Kraftcomponenten ergiebt. Die Hypothese von Herrn Clausius dagegen macht die elektrokinetische Energie abhängig von der absoluten Geschwindigkeit und widerspricht, wie Herr Clausius selbst zugegeben hat, dem Gesetz von der Gleichheit der Action und Reaction, und zwar sowohl dem Gesetz von der Erhaltung der Bewegung des Schwerpunktes wie dem von der Erhaltung der Rotationsmomente. Einen wesentlichen Vorzug hat das von Herrn Clausius aufgestellte elektrodynamische Potential dadurch, dass es eine nothwendig immer positive Grösse ist, die Clausius'sche Hypothese wird also auch nicht labiles Gleichgewicht der Elektricität in ruhenden Leitern oder die verkehrte Wirkung äusserer beschleunigender Kräfte ergeben können, wie sie aus der Weber'schen Hypothese als möglich folgen.
Dass das negativ genommene Neumann'sche Potential, als Werth der elektrokinetischen Energie gebraucht, gegen keinen der genannten allgemeinsten mechanischen Grundsätze verstösst, ist in meinen bisherigen Arbeiten über Elektrodynamik erwiesen worden; über das Gesetz von der Erhaltung der Kraft ist darin ausführlich gehandelt worden, die ponderomotorischen Kräfte, die es ergiebt, sind nur anziehende oder abstossende, welche auf beide Endpunkte gleich stark wirken. In meinen Augen ist das immer als ein methodischer Vortheil des Neumann'schen Potentials vom allerhöchsten Gewicht erschienen, und dies war der Grund, warum ich nur diese Form des Potentials in meinen bisherigen Arbeiten berücksichtigt habe. Ich habe zu verschiedenen Zeiten versucht, Formen nach Analogie des Weber'schen Potentials zu finden, die in besserer Uebereinstimmung mit dem Gesetze von der Erhaltung der Kraft (Seite 217) wären, und keine gefunden. Aber allerdings habe ich die Gleichheit der Action und Reaction als conditio sine qua non festgehalten.
Ich betrachte die genannten allgemeinen mechanischen Principien freilich nur als durch Induction gefunden und einen auf sie gestützten Beweis also auch nur als einen Inductionsschluss; aber allerdings als einen solchen, der unter diesen Umständen den höchsten Grad von Wahrscheinlichkeit ergiebt, der überhaupt nur durch Inductionsschlüsse unter den günstigsten Umständen gewonnen werden kann. Die Erwartung, dass in den nächsten 24 Stunden in Berlin es einmal Nacht und einmal Tag werden wird, stützt sich auf ein viel engeres Gebiet von Beobachtungen als es die allgemeinen Principien der Mechanik thun. Und obgleich jene Principien zunächst von der Mechanik der ponderabeln Körper abstrahirt sind, so haben sie sich bisher doch auch in dem ganzen, schon sehr eingehend durchgearbeiteten Gebiete der Elektrostatik und bei den verhältnissmässig kräftigen Wirkungen der geschlossenen elektrischen Ströme ebenfalls als vollständig zutreffend bewährt. Dass sie nun in dem unmittelbar mit dem letzteren zusammenhängenden Gebiete der Ströme in nicht geschlossenen Leiterkreisen nicht zutreffen sollten, würde ich erst dann vorauszusetzen wagen, wenn gar kein anderer Ausweg mehr zu finden wäre.
Das Neumann'sche Potentialgesetz in seiner bisher auf die elektrischen Bewegungen in Leitern beschränkten Anwendung, welches einen solchen Ausweg nach einwurfsfreier Methode zu bieten schien, ist aber durch Versuche als unzureichend erwiesen. Die unter diesen Umständen zunächst gebotene Frage scheint mir die zu sein, ob durch Erweiterung seiner Voraussetzungen die Uebereinstimmung mit den Versuchen hergestellt werden kann. Eine solche Erweiterung ist durch Faraday's Voraussetzung der diëlektrischen Polarisirbarkeit des raumfüllenden Mediums, welches (Seite 218) wir kurzweg den Aether nennen wollen, gegeben. Da nun die elektrische Polarisirbarkeit von ponderabeln isolirenden Medien, die magnetische von paramagnetischen ponderabeln Medien allgemein anerkannt ist, und nach dem Gelingen des Rowland'schen Versuches kaum noch ein Zweifel bei den Physikern darüber bestehen wird, dass die bei der Entstehung diëlektrischer Polarisation vor sich gehende elektrische Bewegung elektrodynamische Wirkungen haben wird, so reducirt sich die thatsächliche Frage, wenn wir von der verschiedenen theoretischen Ausdrucksweise absehen, in der That auf die Frage nach dem Werthe zweier Constanten. Ich habe in meiner ersten Arbeit über Elektrodynamik schon hervorgehoben, dass die Phänomene der elektrostatischen und magnetischen Vertheilung ungeändert bleiben, wenn nur das Verhältniss der den einzelnen Körpern beigelegten diëlektrischen und magnetischen Constanten ungeändert bleibt. Für den von ponderabeln Körpern freien Raum hat man die betreffenden Constanten, von der theoretischen Annahme einer reinen Fernwirkung der elektrischen und magnetischen Kräfte ausgehend, gleich 1 gesetzt. Die Versuche über die elektromagnetische Induction im rotirenden Condensator und die über die elektromagnetische Wirkung convectiv fortgeführter Elektricität sind aber mit dem Neumann'schen Potentialgesetz nur unter der Annahme in Uebereinstimmung zu bringen, dass jene Constante auch im Aether schon viel grösser als 1 sei, d. h. dass auch im Aether schon die etwa vorhandene directe Fernwirkung der elektrostatischen und magnetischen Kräfte gegen die durch die Spannung des Mediums übertragene verhältnissmässig unbedeutend sei. Nach Faraday's und Maxwell's Annahme verschwinden sie ganz und gar; beide erkennen gar keine directe Fernwirkung mehr an. Es schien mir unter diesen Umständen geboten, Maxwell's Untersuchungen in der Richtung zu vervollständigen, dass ich die Consequenzen der Faraday'schen Hypothese für (Seite 219) ungeschlossene Leiterkreise discutirte. Es erschien mir praktisch unnöthig, die Untersuchung dadurch verwickelter zu machen, dass ich die vielleicht nur sehr hohen, aber im Verhältniss zur Einheit noch endlichen Werthe der diëlektrischen und magnetischen Constante des Aethers wie früher festhielt. Ich bleibe bei der weiteren Durchführung der Untersuchung bei dem Neumann'schen Potential stehen, weil die nach diesem ausgeführten Rechnungen verhältnissmässig viel einfacher sind, als die aus den anderen Ausdrücken hergeleiteten, und weil wir ferner bei der Rechnung mit diesem Potential von vorn herein sicher sind, gegen keines der allgemeinen mechanischen Principien zu verstossen.“
Am Anfange des Jahres 1873 trat an Helmholtz die Versuchung heran, einer Einladung Knapp's folgend, in Amerika eine Reihe öffentlicher Vorlesungen zu halten; aber nach ruhiger und reiflicher Ueberlegung schreibt er demselben am 5. Januar 1873:
„Das Berliner Treiben macht mich schon sehr müde, so dass ich nach beendetem Semester vor allen Dingen den Wunsch zu haben pflege, keine Menschen mehr sehen zu müssen und meine Gedanken sammeln zu können an einem stillen Orte. Von allem diesem wäre Amerika ungefähr das gerade Gegentheil. Und was meine Vorlesungen betrifft, so habe ich mich doch überzeugt, dass ich wohl sachverständigen Leuten wissenschaftliche Dinge in trockener sachlicher Weise auseinandersetzen kann, aber ich habe nicht Herrschaft genug über die Sprache, um dasselbe so zu thun, dass ich ein grösseres Auditorium von nicht fachmässig Gebildeten fesseln könnte. Dabei kostet mir die Ausarbeitung in der fremden Sprache doppelte Zeit, und selbst wenn ich die Hülfe eines Engländers dabei habe, wird es doch Flickwerk. Ich habe noch mancherlei, was ich für die Wissenschaft thun möchte, und darf nicht mehr allzu viel Zeit verlieren. Ich fange desshalb an zu glauben, dass ich in diesem Leben nicht mehr nach Amerika kommen werde.“
(Seite 220) Er hatte in der That schon neben seinen grossen und umfassenden elektrischen Arbeiten um diese Zeit seine aerodynamischen Untersuchungen begonnen, deren erste Resultate er unter dem Titel „Ueber ein Theorem, geometrisch ähnliche Bewegungen flüssiger Körper betreffend, nebst Anwendungen auf das Problem, Luftballons zu lenken“ am 26. Juni 1873 der Akademie vorlegte.
Die Grösse des Widerstandes, welchen Luft oder Wasser einem sich durch sie hinbewegenden Körper von complicirter Gestalt entgegensetzt, kommt wesentlich in Betracht, wenn es sich darum handelt, ein Schiff oder einen Ballon zu construiren, welche durch Vermittelung irgend welcher Bewegungsapparate fortbewegt werden sollen. Da der Widerstand des Wassers oder der Luft gegen die Ruder, Schaufeln, Schrauben die forttreibende Kraft, derselbe Widerstand gegen den Körper des Schiffes oder des Ballons aber die widerstehende Kraft angiebt, so wird von dem Verhältniss dieser beiden Kräfte die Geschwindigkeit der erreichbaren Fortbewegung abhängen. Doch war die mathematische Analyse noch selten im Stande gewesen, aus den für die Bewegung tropfbarer und gasartiger Flüssigkeiten mit Berücksichtigung des Druckes und der Reibung aufgestellten Differentialgleichungen die den Bedingungen des gegebenen besonderen Falles angepassten Integrale zu finden, aus denen jene Widerstände berechnet werden können. Andererseits liegen aber für die Schiffe bei den mannigfachsten Constructionsformen reiche Erfahrungen vor, da wir die Grösse der Kraft kennen, welche nöthig ist, um einem Boot oder Schiff eine gewünschte Geschwindigkeit zu ertheilen, und wir auch schon die vortheilhaftesten Formen für die Schiffskörper sowie für die Grösse und Gestalt der Bewegungsorgane gefunden haben; für die Luft dagegen konnten, abgesehen von den noch wenig vorgeschrittenen Versuchen mit Ballons, nur die Vögel als Beispiele für derartige Fortbewegungsmaschinen gelten. Diese Ueberlegung führte Helmholtz dazu, durch (Seite 221) Anwendung der allgemeinen, für Flüssigkeiten und Gase geltenden hydrodynamischen Gleichungen die an Schiffen gemachten Erfahrungen auf die entsprechende Aufgabe für die Luft zu übertragen. Er zeigt auf streng mathematischem Wege, dass es möglich ist, Beobachtungsresultate, welche an einer Flüssigkeit und an Apparaten von gewisser Grösse und Geschwindigkeit gewonnen worden sind, zu übertragen auf eine geometrisch ähnliche Masse einer anderen Flüssigkeit und auf Apparate von anderer Grösse und anderer Bewegungsgeschwindigkeit, und er stellt das Verhältniss fest, nach welchem die Geschwindigkeiten, der Druck und die aufzuwendende Energie vergrössert werden müssen, wenn das Verhältniss der physikalischen Constanten der Flüssigkeiten gegeben ist.
Die Anwendung dieses Princips bietet freilich die Schwierigkeit, dass unter der Einwirkung von Druck die Dichte der Luft merklich verändert wird. Da die Luft jedoch nach allen Seiten hin frei entweichen kann, und sich zeigt, dass gerade mit den geringeren Geschwindigkeiten der Flügel oder Schrauben die vortheilhaftesten Resultate zu erzielen sind, so kommen nur diejenigen Druckunterschiede in Betracht, welche durch die Beschleunigungen der bewegten Lufttheile bedingt sind, und diese sowie die von ihnen abhängige Volumenänderung der Luft brauchen, wie Helmholtz zeigt, nicht berücksichtigt zu werden, so lange die erzeugten Geschwindigkeiten im Vergleich mit der Schallgeschwindigkeit zu vernachlässigen sind. Er folgert unter anderem, dass die Grösse der Vögel eine Grenze haben muss, wenn nicht die Muskeln in der Richtung weiter ausgebildet werden können, dass sie bei derselben Masse noch mehr Arbeit leisten als jetzt. Die Natur hat deshalb wahrscheinlich im Modell des grossen Geier schon die Grenze erreicht, welche für die Grösse eines Geschöpfes erlangt werden kann, das sich durch Flügel selbst heben und längere Zeit in der Höhe verbleiben soll. Der Mensch hat daher (Seite 222) nach seiner Ansicht wohl keine Aussicht, durch den geschicktesten flügelähnlichen Mechanismus, den er durch seine Muskelkraft zu bewegen hätte, sein Gewicht in die Höhe zu heben und dort zu erhalten. Wendet man das Helmholtz'sche Princip für die Vergleichung der Luftballons und der Schiffe an, so ergiebt sich das interessante Resultat, dass, wenn der Ballon etwa anderthalbmal so viel wiegt als die arbeitenden Menschen, welche er trägt, das Verhältniss zwischen Arbeitskraft und Gewicht dasselbe wäre, wie wir es in einem Kriegsdampfer dargestellt sehen.
„Dass man Luftballons“, sagt Helmholtz in einem Bericht vom 1. März 1878, „durch mechanische Mittel, die den zur Fortbewegung der Schiffe gebrauchten ähnlich sind, bei windstillem Wetter vorwärts treiben und lenken kann, ist theoretisch evident und durch Versuche, namentlich von Dupuy de Lôme, erwiesen. Dass man mit hinreichend grossen Ballons auch ganz ausreichende Geschwindigkeiten würde erreichen können, ergiebt die Rechnung. Ich erlaube mir in dieser Beziehung die von mir im Jahre 1873 darüber verfasste kleine Abhandlung beizulegen. Ich bin dem zu Folge der Meinung, dass eine blosse Variation und Zusammenhäufung der zur Fortbewegung von Schiffen an gewendeten Mittel am Ballon keine neue Erfindung im Sinne des Gesetzes ausmache.“
Noch bis zuletzt hält er seine im Jahre 1873 in der oben erwähnten Arbeit ausgesprochene Ansicht aufrecht; so äussert er sich am 9. März 1894 in amtlicher Eigenschaft folgendermaassen:
„Die Ergebnisse meiner eigenen Studien und Ueberlegungen über dieses Thema habe ich schon im Jahre 1873 unter dem 26. Juni zusammengestellt und der Königl. Akademie der Wissenschaften mitgetheilt, von welcher Abhandlung Abdrücke sich jedenfalls auch in den Acten des Königl. Cultusministeriums befinden werden unter den Berichten, die ich als Vorsitzender der damals zur Untersuchung der (Seite 223) Gesetze des Luftwiderstandes eingesetzten Commission verfasst habe. Unter Beziehung auf diese Abhandlung, deren Resultate seither durch alle späteren Erfahrungen, von denen ich gehört, bestätigt worden sind, hoffe ich, dass die weiteren Verhandlungen mit der Commission über diejenigen Fragen, über die ich ein Urtheil abzugeben im Stande bin, sich leicht werden schriftlich führen lassen, wozu ich gern bereit bin.“
Am Ende des Sommersemesters 1873 reiste seine Frau mit den Kindern in die badische Heimath, während Helmholtz den Monat Juli, mit Arbeiten überhäuft, ziemlich einsam in Berlin zubrachte:
„Gestern Abend war ich allein zu Haus und wurde durch Heyse's Novelle darauf geführt, Schopenhauer's Aufsatz über die Frauen zu suchen, fand aber nur das Kapitel über die Liebe, welches ich auf dem Balkon mit der Lampe gelesen habe. Es ist ein gescheuter Kerl, aber er hat eine wahre Lust am Gemeinen und geht absichtlich jeder höheren Auffassung aus dem Wege, wenn sie auch noch so nahe liegt.“
Am 3. August schreibt er seiner Frau:
„Ich blieb im Hause, habe mich noch für die letzten Stunden meines mathematischen Collegs vorbereitet und schliesslich Zeller's Kirche und Staat ausgelesen. Ich muss sagen, dass das Buch mir interessant gewesen ist, trotzdem es übermässig viel besprochene Gegenstände behandelt. Ich habe noch nichts so Vernünftiges und Wohlbegründetes darüber gelesen. Am Vormittag erschien Mr. Theodor Steinway und erklärte mir, er wünsche an unserem Flügel seine neueste Verbesserung der hohen Saiten anzubringen, wenigstens soweit es noch bei einem älteren Instrumente möglich sei. Diese besteht darin, dass er an dem Stücke der Saiten, was auf der Seite der Tastatur nicht mehr klingt, zwischen dem Wirbel und dem Befestigungspunkt noch einen zweiten Steg angebracht hat, (Seite 224) der Saitenstiicke abgrenzt, die gewisse Obertöne der ganzen Saite geben. … Die bisher etwas trockenen hohen Noten scheinen in der That voller und klingender geworden zu sein. Die höchsten Töne des Flügels haben wirklich gewonnen, und man kann den Unterschied noch jetzt hörbar machen, wenn man die freigemachten Saitentheile wieder dämpft. …“
Mit Beginn der Ferien reiste er wie gewöhnlich nach Pontresina, und nachdem das Engadin ihn wieder von allerlei Herzbeschwerden befreit hat, ging er mit seiner Frau zum Besuche der Ausstellung nach Wien, und dann allein zum ersten Mal nach Florenz, von wo er seiner Frau begeisterte Schilderungen sendet von alle dem, was Natur und Kunst ihm bieten.
„ … Ich bin ganz verzaubert und hingerissen von dieser Fülle und Schönheit — was wir in Deutschland sehen, sind doch nur ärmliche Bruchstücke, hier sind die Hauptstücke der Meister in unerschöpflicher Fülle. ..... Fra Angelico ist hinreissend liebenswürdig in dem, was er wirklich durchgeführt hat — dann sind Sachen von Perugino in der Akademie, die an Farbengluth und Ausdruck den besten Raphaels ganz nahe kommen, höchst wunderbare Sachen von einem Mariotto Albertinelli, aus der Zeit des Raphael, von dem ich nie gehört oder etwas gesehen hatte, tief und ausdrucksvoll und von grösster Farbenpoesie. …“
Der kurze Aufenthalt in Florenz gestattet ihm nur noch, die Gallerie der Ufficien zu besuchen, die er nach fünfstündigem Studium „fast ohnmächtig von Müdigkeit und Hunger“ verlässt, um gegen Sonnenuntergang noch über die Anhöhen der Südseite einen herrlichen Spaziergang um die Stadt zu machen. Nachdem er noch auf dem Rückwege, wie er es verabredet, mit Beltrami in Bologna zusammengetroffen war, um mancherlei geometrische Speculationen und mathematisch-physikalische Probleme mit (Seite 225) demselben zu besprechen, holte er seine Frau aus Wien ab, welche dort zum Besuche ihrer Schwester, der Frau des Sectionschefs von Schmidt-Zabiérow, nachherigen Landespräsidenten von Kärnthen, sich aufhielt, und reiste über München nach Berlin zurück.
Schon am Ende des Sommersemesters und im Laufe der Herbstferien beschäftigten ihn neben seinen elektrodynamischen Untersuchungen äusserst wichtige Probleme der physikalischen Optik, über die er zunächst am 20. October 1873 der Akademie eine kurze Mittheilung „Ueber die Grenzen der Leistungsfähigkeit der Mikroskope“ vorlegte, deren ausführliche Bearbeitung unter dem Titel „Die theoretische Grenze für die Leistungsfähigkeit der Mikroskope“ in dem Jubelband der Poggendorff'schen Annalen 1874 erschien. Seine Forschungen und Resultate begegneten sich mit denen des grössten Meisters in diesem Zweige der Optik, Herrn Abbe in Jena.
Helmholtz griff die für alle Zweige der Naturwissenschaften überaus wichtige Frage an, wie weit die Leistungsfähigkeit der Mikroskope noch gesteigert werden könne, und hebt hervor, dass die Fortschritte in derselben bereits bei einem Zustande angekommen wären, wo jede kleinste neue Verbesserung nur noch durch einen unverhältnissmässigen Aufwand von geistiger und mechanischer Arbeit zu erreichen sei. Während der Grund dafür immer nur in der etwas allgemein gehaltenen Vorstellung gesucht wurde, dass die sphärische Abweichung kleiner und stark gekrümmter Linsen schwer zu beseitigen ist, berücksichtigt Helmholtz die Diffraction und Helligkeit als wesentliche Momente der Untersuchung. Er hatte bereits in seiner physiologischen Optik einem von Lagrange für beliebige Zusammenstellungen unendlich dünner Linsen aufgestellten Satze die einfache Form gegeben, dass das Product aus dem Divergenzwinkel eines beliebigen Strahles mit der Axe, dem Brechungsverhältniss des Mediums, durch welches er sich zur Zeit bewegt, und (Seite 226) der Grösse des Bildes, welchem die durch das betreffende Medium sich bewegenden Strahlen angehören, bei jeder Brechung in einem centrirten Systeme kugeliger brechender und spiegelnder Flächen unverändert bleibt, wenn überhaupt die Bedingungen für die Entwerfung genauer Bilder eingehalten sind. Daraus, dass das bezeichnete Product nach dem Austritt der Strahlen aus dem System noch denselben Werth hat, wie vor dem Eintritt in dasselbe, konnte er nun zunächst nach bekannten Gesetzen der Photometrie schliessen, dass, wenn Object und Bild in demselben Medium liegen, die Helligkeit eines Bildes, welches durch Strahlen entworfen wird, die mit der Axe und den Einfallslothen sehr kleine Winkel machen, der Helligkeit des Objectes immer nur gleich sein kann. Aber Helmholtz konnte sich nun auch von der Beschränkung der sehr kleinen Winkel frei machen. Er fand, dass die Helligkeit des Instrumentes gleich der des freien Auges ist, wenn die Vergrösserung gleich oder kleiner ist als die Normalvergrösserung, d. h. diejenige, bei welcher der Lichtkegel die Pupille gerade ausfüllt; dagegen wächst bei gleichbleibender Divergenz der einfallenden Strahlen die Helligkeit umgekehrt mit der Vergrösserung der Flächen, wenn diese grösser als die Normalvergrösserung ist. Es ist somit die Beziehung zwischen Helligkeit und Vergrösserung gänzlich unabhängig von der besonderen Construction des Instrumentes, und eine Steigerung der Vergrösserung daher nur möglich unter Anwendung sehr viel stärkeren Lichtes; die Dunkelheit des mikroskopischen Bildes wird also steigen mit zunehmender Vergrösserung.
Helmholtz findet ferner, dass bei zusammengesetzten Mikroskopen die Diffraction viel stärkere Abweichungen der Strahlen von ihrem Brennpunkte hervorbringt als die chromatische und sphärische Aberration, und er unterwirft daher auch diese einer genauen Untersuchung. Wenn die Grösse der kleinsten wahrnehmbaren Objecte beurtheilt wird nach dem Abstände je zweier hellen Linien, die noch (Seite 227) als getrennt von einander erkannt werden können, so wird diese Grösse derjenigen gleichgesetzt werden dürfen, welche im vergrösserten Bilde des Objectes gleich der Breite der äusseren Difeactionsfransen eines jeden hellen Punktes ist. Eine im Object vorhandene Länge wird also, wenn sie im vergrösserten Bilde gleich der Fransensbreite erscheint, nicht mehr als besondere Länge wahrnehmbar sein. Da nun die Grösse nur von dem Divergenzwinkel der einfallenden Strahlen, und nicht von der Construction des Instrumentes abhängt, und mit enger werdendem Strahlenkegel die durch die Diffraction bedingte Undeutlichkeit des Bildes wächst, so ergiebt sich die Grenze für die uns noch sicher wahrnehmbaren Grössenunterschiede im Allgemeinen gleich der halben Wellenlänge der benutzten Lichtart. Eine weitere Steigerung des optischen Vermögens über das der besten neueren Instrumente hinaus erscheint somit nicht möglich.
Eine andere wichtige physikalisch-optische Arbeit legte Helmholtz der Akademie unter dem Titel „Zur Theorie der anomalen Dispersion“ am 29. October 1874 vor, die ihn, nachdem er von einer längeren Schweizer Reise zurückgekehrt war, während des letzten Monats beschäftigt hatte. Er schliesst sich in derselben im Princip der zur Erklärung der anomalen Dispersion aufgestellten Hypothese von Sellmeier an, welcher ponderable, in den Aether eingelagerte Molekel annimmt, die des Mitschwingens fähig sind; dieser war jedoch nicht im Stande, den Fall zu behandeln, in dem die eigene Schwingungsperiode der mitschwingenden Moleküle der Periode der Lichtoscillationen gleich wird. Weil nun die Dispersion wesentlich durch die Absorption bedingt wird, nimmt Helmholtz zunächst als Ursache der Absorption einerseits das Mitschwingen der ponderabeln Masse an, welche aus einer zwischen Aether und ponderabeln Atomen bestehenden elastischen Kraft hervorgeht, andererseits aber auch einen Reibungswiderstand, welchen die schwingenden ponderabeln Theilchen an der nicht mitschwingenden ponderabeln Masse erleiden; diese (Seite 228) Reibungskraft wird wie bei langsamen Schwingungen eines Pendels und tönender Körper der Geschwindigkeit proportional gesetzt. Ist nur eine Art ponderabler Atome vorhanden, und sieht man den Aether und die ponderabeln Moleküle als zwei continuirliche, sich gegenseitig durchdringende Medien an — was erlaubt ist, wenn die Entfernungen der ponderabeln Theile von einander verschwindend klein sind gegen die Wellenlänge —, so ergeben sich aus der Differentialgleichung der Aetherbewegung und der Bewegungsgleichung der mitschwingenden Atome dieselben Gleichungen für die Fortpflanzungsgeschwindigkeit und die Absorptionsconstanten, welche Ketteler bereits aus Beobachtungen gefolgert hatte. Diese liefern für den Fall der schwachen Lichtabsorption, wie sie die Lösungen der Farbstoffe mit anomaler Dispersion auf weisen, eine genügende Uebereinstimmung mit den Beobachtungen. Für einen stärkeren Grad der Absorption stellt die Theorie in der Nähe des Absorptionsmaximums die Erscheinungen gut dar; den Beobachtungen entsprechend erreicht die Curve der Brechung vor dem Maximum der Absorption ein Maximum, hinter dem Absorptionsmaximum ein Minimum und fällt continuirlich von ersterem zum letzteren. Bei Farben, welche sehr weit vom Absorptionsmaximum entfernt sind, müssen jedoch neue Annahmen für die Structur des Aethers im Körper zu Hülfe genommen werden. Helmholtz zeigt endlich, dass die Ausdehnung der Theorie auf Medien mit einer grösseren Anzahl von Absorptionsstreifen keinen erheblichen Schwierigkeiten unterliegt, wenn man nur verschiedene Arten mitschwingender ponderabler Massen voraussetzt.
C. Dieterici hatte zum Zwecke der experimentellen Prüfung der Sellmeier-Helmholtz'schen Theorie eine Reihe von Folgerungen aus diesen Annahmen gezogen und dieselben Helmholtz brieflich mitgetheilt. Nach diesen sollte dann die Absorption des Lichtes bei sehr kurzer Belichtung grösser sein als bei dauernder Durchstrahlung, weil kurze (Seite 229) Lichtstösse ganz dazu benutzt werden müssten, die ponderabeln Theile in Mitschwingen zu versetzen; erst nach gewisser Zeit müsse ein Zustand dynamischen Gleichgewichts eintreten und dann erst der Absorptionscoefficient constant sein. Helmholtz wollte diese Folgerungen in ihrer Allgemeinheit jedoch nicht anerkennen:
„Wenn schwere Molekeln da sind“, schreibt er an Dieterici am 21. Februar 1892, „die den Lichtschwingungen Energie entnehmen müssen, um in Mitschwingen zu gerathen, so werden sie auch nothwendig bei Unterbrechung der Strahlung dieselbe Menge Energie wieder an den Aether abgeben müssen, abgesehen von dem Reibungsverlust dieser Energie während des Ausschwingens. Was aber beim Ausschwingen durch Reibung verloren geht, wird beim Anfang der Schwingungen, wo diese noch nicht ihre volle Stärke haben, erspart, wahrscheinlich in gleichem Betrage. Die Berechnung ist etwas complicirt, da Anfangs auch noch abnehmende Eigenschwingungen des mitschwingenden Molekels eintreten. Da Sie nun bei Ihren vorgeschlagenen Beobachtungen nur die gesammte Menge der durchgegangenen Schwingungsenergie messen können, so bekommen Sie jedenfalls die Energie des Ausschwingens mit und dürfen nicht darauf rechnen, dass die Arbeit, die das Mitschwingen erregt, merkbar wird, denn diese wird wiedergewonnen, und die anfänglichen Ersparnisse an Reibung werden wahrscheinlich nachher wieder vollständig verloren gehen für den Durchschnitt der Molekeln.“
Dieterici hob freilich dagegen hervor, dass das Ausklingen der in Bewegung versetzten ponderabeln Theile nach allen Richtungen des Raumes hin erfolge, nicht allein in Richtung des Lichtstrahles, dass also die in einer Richtung auffallende und absorbirte Energie nach allen Richtungen des Raumes hin zerstreut werde, doch unterblieb die experimentelle Verfolgung wegen der grossen technischen Schwierigkeiten.
(Seite 230) Um diese Zeit begann aber auch Helmholtz schon die Vorstudien zu seinen meteorologischen Arbeiten und trat zunächst mit einem gemeinfasslichen Vortrage über „Wirbelstürme und Gewitter“, den er im Jahre 1875 in Hamburg hielt, in die Oeffentlichkeit. Nachdem er die mechanischen Verhältnisse dargelegt, aus denen hervorgeht, dass der beständige Wechsel unserer Witterungsverhältnisse, wie Dove schon weit früher bis ins Einzelne nachgewiesen, auf dem gegenseitigen Verdrängen kühler, trockener Polarwinde und warmer, feuchter Aequatorialwinde beruht, geht er näher auf die Untersuchung derjenigen Luftbewegungen ein, welche die Regelmässigkeit der tropischen Witterung unterbrechen, der Orkane oder Wirbelstürme;
Nach einer brieflichen Mittheilung von Helmholtz lenkte eine zufällig vom Gipfel des Rigi aus sich darbietende Wolken- und Gewitterbildung seine Aufmerksamkeit auf diese Naturerscheinungen und führte ihn zu dem merkwürdigen Versuche, in welchem durch eine kreisende Wassermasse eine senkrechte mit Luft gefüllte Röhre sich bildet, genau von der Form, in der man die Wasserhosen darzustellen pflegt. Auch die Stürme treten in Wirbelform auf, und im Centrum eines solchen Wirbels findet sich in der Regel ein Raum mit geringer Luftbewegung. Während der Sturm die Richtung der Rotation der Erde hat, zeigt die dem Aequator zugekehrte Seite der Stürme immer Westwind; kommen nun trockene und feuchte Luft zusammen, so können sich, wie Reye nachgewiesen, grosse Luftmassen ansammeln, die anfangs im stabilen Gleichgewicht, bei eintretenden Temperaturänderungen allmählich ins labile Gleichgewicht übergehen. Nebelige und trockene Luft nämlich, die über oder neben einander gelagert sind, können solche Temperaturen haben, dass sie in der mittleren Höhe der Atmosphäre gerade gleich schwer sind; in diesem Falle wird in der unteren Hälfte des Luftkreises, wo der Druck grösser ist, die nebelige Luft die dichtere werden und zu Boden sinken, während in (Seite 231) der oberen Hälfte der Atmosphäre dieselbe nebelige Luft bei geringerem Drucke sich mehr ausdehnt, als die trockene, leichter wird und aufsteigt. Das zuerst stabile Gleichgewicht wird somit, da durch fortgesetzte Wirkung der Sonne die untere Schicht heisser und feuchter wird, die obere durch Strahlung gegen den Weltraum an Wärme verliert, allmählich in das labile Gleichgewicht übergehen. Wird nun das Gleichgewicht an einer Stelle durchbrochen, wodurch diese Stelle durch die aufsteigende leichtere nebelige Luft geringeren Druck bekommt, so wird die untere Luft heranströmen und selbst in die aufsteigende Strömung gerissen, während ringsum, wo das Gleichgewicht noch stabil war, dieses durch die Entleerung der feuchten Luft und Senkung der oberen Grenzfläche derselben noch sicherer wird; das Aufsteigen wird andauern, bis die ganze untere feuchte Schicht sich gehoben hat. Bei der Besprechung der Gewitter bezeichnet Helmholtz als Quelle der elektrischen Entladungen den Vorrath negativer Elektricität, mit dem die Erde dauernd geladen ist. Schliesslich hebt er noch die Schwierigkeit bei der Voraussagung des Wetters und der Luftströmungen in der Atmosphäre hervor:
„Ueberhaupt ist zu bemerken, dass wir nur solche Vorgänge in der Natur voraus berechnen und in allen beobachtbaren Einzelheiten verstehen können, bei denen kleine Fehler im Ansätze der Rechnung auch nur kleine Fehler im Endergebniss hervorbringen. Sobald labiles Gleichgewicht sich einmischt, ist diese Bedingung nicht mehr erfüllt. So besteht für unsern Gesichtskreis noch der Zufall; aber es ist in Wirklichkeit nur der Ausdruck für die Mannigfaltigkeit unseres Wissens und die Schwerfälligkeit unseres Combinationsvermögens. Ein Geist, der die genaue Kenntniss der Thatsachen hätte, und dessen Denkoperationen schnell und präcis genug vollzogen würden, um den Ereignissen voraus zu eilen, würde in der wildesten Launenhaftigkeit des Wetters nicht weniger als im Gange der Gestirne das harmonische Walten (Seite 232) ewiger Gesetze anschauen, das wir nur voraussetzen und ahnen.“
„Beethoven's Op. 130, ungeheuer gross und ernst, aber tief traurig, wurde mir erst heute ganz durchsichtig. Das Adagio haben sie über alle Maassen schön gespielt; es ist wie ein weinendes Träumen von den verlorenen Idealen und vielleicht das Urbild von Tristan's Liebestod, formloses Wogen der unendlichen Melodie.“
Das Jahr 1876 brachte die ersten Bayreuther Festspiele, denen auch Helmholtz mit seiner Frau beiwohnte. Beide waren von der allgemeinen Begeisterung ergriffen, welche das Neue und Gewaltige der Schöpfungen Richard Wagner's der gesammten musikalischen Welt abgerungen, „sie reihten sich in die Zahl begeisterter Freunde des Meisters und bahnten Geistes- und Herzensbeziehungen an, welche, fördernd und beglückend, gegenseitig ein theurer Lebensbesitz werden mussten“. Nachdem Helmholtz Bayreuth verlassen, um in den Schweizer Bergen Erholung zu suchen, schreibt ihm seine Frau am 30. August darüber:
„Ausser den Leuten, die nicht dort waren, kann doch (Seite 233) Niemand das Grosse und Gewaltige des Werkes leugnen. Das Schöpferische und wahrhaft Grosse wird der Mittelmässigkeit stets unsympathisch sein; armseliger als die deutsche Kritik mit ihrem Cothurn und ihrem frostigen Nichtan erkennen ist mir nie etwas erschienen. Zum Glück werden diese Herren mit ihrer Unfruchtbarkeit nicht das siegreich Entstandene hemmen können.“
S. 190 - 233 aus:
Koenigsberger, Leo: Hermann von Helmholtz. - Braunschweig : Vieweg
Band 2. - 1903
Letzte Änderung: 24.05.2014 Gabriele Dörflinger Kontakt
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