Der Escadronchirurgus der Gardehusaren war nun der wissenschaftlichen Atmosphäre entrückt, in der er durch den Geist Johannes Müller's belebt,durch die gleichstrebenden Freunde du Bois und Brücke in stetem geistigen Austausch mit congenialen Naturen gehalten wurde. Die ruhige, in sich gekehrte Gelehrten-Natur muthete es zuerst eigenthümlich an, als der Trompeter vor seiner Thür um 5 Uhr Morgens die Kaserne wachblies und er jählings aus dem Schlafe auffuhr — aber bald gewöhnte er sich daran, ging mit Lust und Liebe seiner amtlichen Beschäftigung nach und richtete sich in der Kaserne ein kleines physikalisch-physiologisches Arbeitszimmer ein, in dem ihn häufig du Bois und Brücke von Berlin aus besuchten, um mit ihm die Zukunftspläne für die Ausgestaltung der Physiologie zu berathschlagen. Auf die geringsten Hülfsmittel angewiesen — so construirte er sich dort selbst eine Elektrisirmaschine, die er später seinem Bruder schenkte —, aber stets durch Rath und That von du Bois unterstützt, der „für mich wie eine Mutter gesorgt hat, um mir vorwärts zu helfen und mir möglich zu machen, zu einer wissenschaftlichen Stellung zu kommen“, nahm er sogleich die schon (Seite 56) früher geplanten Untersuchungen über den Stoffverbrauch bei der Muskelaction in Angriff und begann die schwierigen Versuche über die Wärmeleitung in Muskeln und die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Nervenreizes.
Im elterlichen Hause ging es ruhig her; er selbst lebte still und zurückgezogen, ganz in seine Arbeiten vertieft. Freunde seines Bruders können sich noch heute des Eindruckes nicht erwehren, den der 23jährige junge Mann damals auf sie machte; Kopfbildung und Wesen der Mutter, auf dem Gesichte der Ausdruck vollkommener Ruhe und Geistigkeit; was er sagte, machte den Eindruck des Wahren und Plastischen. Seine besonders feine Beobachtungsgabe bewunderten die jüngeren Freunde schon damals; auf jedem Spaziergange sah er Neues, was sie nicht bemerkt; so fand er, während sie häufig an einer Fontaine in Sanssouci dem Geplätscher und Geriesel feiner Wasserstrahlen zuhörten, in dem Geräusche melodische Klänge und Accorde heraus, auf die er sie aufmerksam machte, die sie aber zu empfinden unfähig waren. Der Escadronsdienst liess ihm viele freie Zeit, aber er verwandte auch jeden Augenblick zur Arbeit; die Zeit der Mittagsruhe benutzte er, wie sein Bruder erzählt, um auf dem Sopha liegend Jacobi's „fundamenta nova functionum ellipticarum“ zu studiren, und das sehr zerlesene Exemplar zeigt uns noch heute die Spuren emsiger Arbeit und das Bestreben, diese schwierige Materie, welche selbst den Mathematikern damals noch wenig bekannt war, sich klar zu machen und für die Anwendungen selbständig zu formen.
Aber auf die Innigkeit des Verhältnisses zwischen Vater und Sohn wirkte das Zusammenleben in Potsdam, wenn auch nur vorübergehend, nicht günstig ein. Je mehr sich des jungen Naturforschers Gedankengang, die Richtung seiner Arbeiten, seine ganze wissenschaftliche Anschauung, welche in nicht allzulanger Zeit die gesammte naturwissenschaftliche Welt sich zu eigen machen sollte, von jeder (Seite 57) metaphysischen Speculation entfernte, um so stärker und zunächst ganz unüberbrückbar trat der Gegensatz zu dem der speculativen Philosophie völlig ergebenen Vater hervor, der für wissenschaftlich nur die deductive, für jeder Wissenschaft feindlich die inductive Methode ansah, während Helmholtz gerade diese auf seinen Schild erhoben und zum Segen der Naturwissenschaften, der Wissenschaften überhaupt, bis an sein Ende hoch gehalten hat. Der Vater in dem stolzen Bewusstsein, dass er als Philosoph besser die Richtung zu bestimmen wisse, in welcher der Mensch zur Erkenntniss vordringen könne, und in der wohlmeinendsten Absicht, seinen Sohn, „der sein grösster Schatz war“, auf den richtigen Weg wissenschaftlicher Forschung zu leiten, damit er nicht fortwährend auf Irrgänge geriethe, liess bei den jetzt täglichen Unterhaltungen keine Gelegenheit vorübergehen, um, auf allgemeine philosophische Ueberzeugungen und metaphysische Anschauungen gestützt, seinen Sohn, bei welchem sich bereits alles um die Ermittelung thatsächlicher Beweise für das die Welt beherrschende Gesetz von der Constanz der Kraft drehte, in seinem Denken und der Methode seiner Forschung wankend zu machen.
Helmholtz sah ein, dass eine Einigung in den Anschauungen von wissenschaftlicher und methodischer Forschung auf so verschiedenem Boden nicht zu erzielen sei, und hielt es für das Richtigere, dem Vater zunächst von seinen Arbeiten überhaupt keine Mittheilung mehr zu machen; freilich empfand der alte Mann dies bald schwer, aber so blieb das Familienverhältniss wenigstens ein gutes und schönes, und die Zukunft sollte sehr bald das väterliche Herz hoch aufjubeln lassen in der Freude über den grossen Sohn, welcher den Familiennamen über die Erde trug.
Da Helmholtz nunmehr während der folgenden Jahre in Potsdam bei seinen Arbeiten ganz auf sich selbst angewiesen war, zog ihn das Bedürfniss zu wissenschaftlichem Gedankenaustausch häufig nach Berlin zu seinem grossen (Seite 58) Lehrer Johannes Müller und seinen treuen Freunden du Bois, Brücke und dem fünf Jahre älteren Ludwig, die ebenfalls in genialer Weise neue Bahnen in ihrer Wissenschaft einschlugen, die aber willig und neidlos dem jüngeren Helmholtz die Superiorität zugestanden, wie es ja du Bois später bei verschiedenen Gelegenheiten in so schönen Worten oft ausgesprochen, und wie es Brücke in seiner zurückhaltenden und zarten Weise häufig im Freundeskreise, an die schönen Erinnerungen seiner Jugendzeit anknüpfend, hervorgehoben hat.
Aber bald trat Helmholtz in Berlin auch in einen grösseren Kreis wissenschaftlich hervorragender Männer ein. In dem Colloquium bei ihrem Lehrer Gustav Magnus hatten sich die hervorragenden Schüler Müller's mit anderen jungen Naturforschern, Physikern und Chemikern, zusammengefunden, und es hatten du Bois, Brücke, Karsten, Beetz, Heintz und Knoblauch im Jahre 1845 die physikalische Gesellschaft gegründet, in welche du Bois den jungen Helmholtz einführte, der sehr bald willig von ihnen allen als ihre grösste Zierde anerkannt wurde; über ein Jahrzehnt lang hat er sich an der Berichterstattung in den „Fortschritten der Physik“ für einzelne Gebiete der Physiologie und Physik betheiligt.
Das Räthsel von der Existenz und dem Wesen der Lebenskraft, die Entscheidung, ob das Leben der organischen Körper die Wirkung einer eigenen, sich stets aus sich selbst erzeugenden, zweckmässig wirkenden Kraft sei oder das Resultat der auch in der leblosen Natur thätigen Kräfte, nur eigenthümlich modificirt durch die Art ihres Zusammenwirkens, war ja die von Müller immer wieder von Neuem angeregte Frage, welche Liebig in die weit concretere umgeformt hatte, ob die mechanische Kraft und die in den Organismen erzeugte Wärme aus dem Stoffwechsel vollständig herzuleiten sei oder nicht. Helmholtz erkannte sehr bald, dass alle diese Fragen im engsten Zusammenhange (Seite 59) stehen mit der Gültigkeit des schon seit Jahren für ihn unumstösslich feststehenden Princips von der Constanz der Kraft, aber die Richtigkeit seiner mathematisch-physikalischen Ueberlegungen sollte erst noch durch eine grosse Reihe von Untersuchungen auf den verschiedensten Gebieten der Physiologie und Physik erwiesen werden, bevor er hoffen durfte, dem Princip in die Wissenschaft Eingang zu verschaffen; so suchte er zunächst in der im Jahre 1845 in Müller's Archiv erschienenen Arbeit „Ueber den Stoffverbrauch bei der Muskelaction“ die Wahrheit seiner physikalischen Grundanschauungen an einem äusserst schwierigen physiologischen Probleme zu prüfen.
Wenn auch schon Lavoisier gezeigt hatte, dass der arbeitende Mensch mehr Sauerstoff verbraucht als der ruhende, und wenn auch bekannt war, dass zur Hervorrufung der mechanischen Effecte gewisse wägbare oder unwägbare Materien verbraucht werden, welche sich fortwährend durch die vegetativen Lebensprocesse neu erzeugen, und dass durch Muskelanstrengung die Quantität gewisser ausgeschiedener stickstoffreicher Verbindungen vermehrt werde, so fehlte doch jede Kenntniss aller Anfangs- und Mittelglieder des Processes und des Ortes ihrer Erzeugung; deshalb suchte Helmholtz zunächst die durch die eigene Thätigkeit der Muskeln hervorgebrachte Veränderung in der chemischen Zusammensetzung derselben zu erforschen. Indem er sich an die „alten Märtyrer der Wissenschaft, die Frösche“ wandte, gelang es ihm, mit Hülfe der kleinen, selbst construirten Elektrisirmaschine und einer Leydener Flasche auf Grund der Vorstellungen von den chemischen Processen, wie er sie sich in seinen Untersuchungen über Fäulniss und Gährung gebildet hatte, nachzuweisen, dass während der Action der Muskeln eine chemische Umsetzung der in ihnen enthaltenen Verbindungen vor sich geht, und diese Erkenntniss führte ihn nach vielen und mühsamen Versuchen zu einer Reihe wichtiger und (Seite 60) zahlenmässiger Resultate, die noch für lange Zeit die einzigen exacten geblieben sind, welche in Betreff dieser Frage ermittelt wurden. Helmholtz selbst aber sah sehr bald, da er stets den weiteren Zusammenhang aller dieser Fragen und deren Beziehung zu jenem grossen Naturgesetz, welches alle seine Gedanken beherrschte, im Auge behielt, dass zunächst noch, um genaue Resultate für den Stoffverbrauch zu gewinnen, die Beziehungen zwischen der Muskelaction und der dabei entwickelten Wärme festzustellen seien; diese erforderten aber wesentlich neue Untersuchungen, die er erst später wieder aufnehmen konnte.
Zur Staatsprüfung für Michaelis nach Berlin einberufen, konnte er nur noch vorher für das Encyclopädische Handwörterbuch der medicinischen Wissenschaften, das von Mitgliedern der Berliner medicinischen Facultät herausgegeben wurde, einen „Wärme, physiologisch“ betitelten Artikel, die neuesten Forschungen über thierische Wärme betreffend, zusammenstellen, der in geistvoller Form Klarheit und Ordnung in die damals noch verworrenen Vorstellungen von dem Wesen der Wärme zu bringen suchte und sich schon durch den später so allgemein bewunderten Ueberblick über die historische Entwickelung der verschiedensten Disciplinen der Naturwissenschaft auszeichnete.
Nachdem er die Thatsache der Erscheinung einer gleichmässigen, erhöhten Temperatur an den vollkommener organisirten Thieren, welche das ganze Leben hindurch besteht und erst mit dessen Erlöschen verschwindet, historisch und kritisch entwickelt und die Temperaturunterschiede der verschiedenen Thierarten besprochen, geht er auf den Ursprung der thierischen Wärme ein, legt in diesem äusserst interessanten Kapitel in klarer Weise die Anschauungen dar, welche man sich von der Wärme gebildet hat, und erklärt als bedeutendste Folgerung, welche aus der bisher festgehaltenen theoretischen Anschauung fliesst, das als Fundament der organischen Wärme sich ergebende Gesetz, dass (Seite 61) die Summe der Wärme, welche bei der Vereinigung zweier oder mehrerer Elemente zu denselben Verbindungen frei wird, dieselbe sein muss, in welchen verschiedenen Zwischenstufen auch die Verbindung vor sich gegangen sein mag. Weil aber in der Natur die Menge eines Stoffes nicht vermehrt oder verringert werden kann, so folgert er aus der herrschenden theoretischen Ansicht über das Wesen der Wärme zunächst, dass die Quantität derselben in der Natur eine absolut constante sei, und schliesst daraus für die Theorie der organischen Wärme, dass die in den Organismen vorhandene Temperatur nur aus der frei oder latent in sie eingetretenen Wärme zu erklären sei, dass somit, da die Quellen freier Wärme nur in Ausnahmefällen existiren, die organische Wärme nothwendig von der latenten Wärme der Ingesta herrühre. Er zeigt, dass die vorhandenen Erfahrungen über Wärmeerzeugung, Wärmeverlust und Stoffverbrauch der Thiere zu dem Schlusse berechtigen, dass die durch Respiration und Digestion dem Körper gelieferten Stoffe durch ihre im Organismus in verschiedenen Zwischenstufen erfolgende Verbindung die gesammte Lebenswärme liefern; denn sonst bliebe seiner Ansicht nach nur die Annahme übrig, dass unmittelbar durch eine eigenthümliche Kraft der organischen Körper — die sogenannte Lebenskraft — Naturkräfte ins Unendliche erzeugt werden können, eine Annahme, die zwar allen logischen Gesetzen der mechanischen Naturwissenschaften widerspricht, der man aber solchen Physiologen gegenüber, welche das Wesen des Lebens eben in diese seine Unbegreiflichkeit setzen, theoretisch nichts entgegenstellen könne.
Diese fünf Monate seines Berliner Aufenthaltes verbrachte er in angestrengtester Arbeit und in stetem und engstem wissenschaftlichen Verkehr mit seinen Freunden du Bois und Brücke, die sich später nach ihrer Trennung alle ihre wissenschaftlichen Pläne und die bei ihren Untersuchungen gewonnenen Resultate brieflich mittheilten. Das Weihnachtsfest kann Helmholtz zum ersten Male nicht im Kreise der Seinigen verleben; am 19. December schreibt er den Eltern:
„Mir selbst ist es gut gegangen, seit ich das letzte Mal bei Euch war; meine beiden Clausurarbeiten habe ich gemacht für die äussere Station, die erste am Sonnabend für Kothe, und die zweite am Mittwoch für Jüngken; beide Examinatoren haben sich mit den darin aufgestellten Diagnosen und Behandlungsweisen übereinstimmend erklärt. Bis zum Sonnabend über acht Tage muss ich nun täglich dreimal nach der Charité, des Morgens und Abends, um mit dem Stabsarzt, des Mittags, um mit einem der Examinatoren Visite zu machen und mich examiniren zu lassen. … Zum Schluss werden jedem von uns vier Kranke überwiesen, deren Krankheit wir in Gegenwart der Examinatoren bestimmen müssen; dazu werden natürlich nur klarere Fälle gewählt, während der von mir für Jüngken bearbeitete ziemlich knifflicher Natur war, so dass, wie ich nachher von Hartwich hörte, die Stabsärzte und Grimm schon sehr verschiedene Meinungen aufgestellt hatten.“
Zugleich arbeitet er beständig im Laboratorium von Magnus an der Fortsetzung seiner Untersuchungen über Fäulniss und Gährung und besucht fleissig die Sitzungen der Physikalischen Gesellschaft, bis er endlich am 25. Januar 1846 seinen Eltern den glücklichen Verlauf des wesentlichsten Theiles der Staatsprüfung anzeigen kann:
(Seite 63) „Ich kann Euch nun auch von der inneren Station melden, dass ich sie gestern glücklich vollendet habe; nach einer Privatnachricht von dem Charitéchirurgen, der die Cursusgeschäfte versieht, habe ich in beiden Charitéstationen das Prädicat „sehr gut“ bekommen. Uebrigens machte die letzte kein geringes Stück Arbeit; denn ausserdem, dass man neben den beiden Visiten mit dem Stabsarzt des Mittags drei Stunden mit den Examinatoren zu verbringen hatte, war eine grosse Menge Gedächtnisskram in den Kopf zu bringen, namentlich die Dosen von einer Fluth brauchbarer und unbrauchbarer Arzneimittel, wobei mir unsere Mnemotechnik gute Dienste geleistet hat; wie es einzelne, nicht viele andere ohne dieselbe zu Stande bringen, begreife ich wirklich nicht Dabei kann man kaum beurtheilen, wie man mit den Examinatoren steht; niemand kann es ihnen recht machen, wer nicht hin und wieder im Rathen glücklich ist, so dass ich gestehen muss, vor der Abstimmung mit gleicher Wahrscheinlichkeit das Prädicat „sehr gut“ oder eine Nachprüfung erwartet zu haben. Eine solche ist unter anderen zwei Leuten zu Theil geworden, welche mit uns zusammen in der Anatomie angefangen haben, und die allgemein zu den allertüchtigsten der diesjährigen Cursisten gerechnet wurden. Ich werde ungefähr bis zum 1. k. M. noch hier bleiben, um meine Versuche bei Magnus abzuschliessen, und für meine ferneren Untersuchungen noch einiges zu studiren, wozu mir in Potsdam die Bücher nicht zur Hand sind; denke aber dann hinüberzugehen, und zur Schlussprüfung nur auf einen Tag zurückzukehren. … “
Auch die Schlussprüfung absolvirte er schon nach vierzehn Tagen und „bestand die Staatsprüfung als Arzt und Wundarzt sehr gut“; den Titel „Operateur“ hat er nicht erhalten.
Unmittelbar nach der Rückkehr in seinen militärärztlichen Wirkungskreis in Potsdam finden wir ihn wieder mit seinen Wärmeuntersuchungen bei der Muskelaction (Seite 64) beschäftigt und von jetzt an in regelmässigem Gedankenaustausch mit du Bois theils durch Briefe, die fast alle 14 Tage gewechselt wurden, theils durch persönliche Besuche der beiden Freunde in Berlin oder Potsdam. Bis zum 1. Juli hatte er die Lazarethwache, aber „jetzt bin ich wieder glücklich, weil ich freie Zeit zum Experimentiren habe“, und nachdem er sich „nach vielen Mühen von der Constanz des Froschstromes zwischen Kupferelektroden in Kupfervitriollösung“ überzeugt, geht er an die Untersuchung der Frage, wie sich die von ihm gefundenen chemischen Processe in den Muskeln bei demselben verhalten.
In den ersten Tagen des October 1846 schickt er du Bois (auf dessen Ansuchen verfasst) für die von der Physikalischen Gesellschaft herausgegebenen „Fortschritte der Physik“, einen „Bericht über die Theorie der physiologischen Wärmeerscheinungen für 1845“, der nur einen kurzen Auszug aus dem vorher erwähnten Artikel in dem Encyclopädischen Wörterbuche liefert, aber noch weit bestimmter als Vorläufer der nahe bevorstehenden Veröffentlichung seiner grossen Arbeit auftritt. Er spricht es klar und präcise aus, dass die materielle Theorie der Wärme nicht mehr aufrecht zu erhalten, sondern eine Bewegungstheorie zu substituiren sei, weil die Wärme aus mechanischen Kräften ihren Ursprung nehme, unmittelbar durch Reibung oder mittelbar durch elektrische Ströme bei der Bewegung von Magneten, und dass diese Auffassung der Wärme als Bewegung nothwendig auf die Annahme führe, dass mechanische, elektrische und chemische Kräfte nur immer ein bestimmtes Aequivalent derselben erzeugen können, wie auch die Art des Ueberganges der einen Kraft in die andere sein mag. Die experimentelle Prüfung dieser Principien sieht er als die nächste wesentliche Aufgabe der physikalischen und physiologischen Forschung an.
Während der letzten Monate des Jahres 1846 ist er vollauf mit seinen Versuchen über die bei der Muskelaction entstehende Wärmeentwickelung beschäftigt. Nachdem er (Seite 65) mit du Bois vielfach mündlich und schriftlich über die Umwandlung eines Thermomultiplicators von überaus grosser Empfindlichkeit durch empirische Graduation in ein Thermometer für tausendstel Grade verhandelt, erbittet er sich dessen von Halske mit eigener Hand gebaute tragbare Waage, um “über die Aschenbestandtheile der Muskeln und die Zusammensetzung der Nerven in Hinsicht auf etwaige Aenderung durch die Muskelcontraction Versuche anzustellen“; er musste jedoch, nachdem ihm du Bois seine Waage selbst nach Potsdam gebracht, durch seine amtliche Thätigkeit gezwungen, mit Ende des Jahres diese Versuche für längere Zeit unterbrechen. Das neue Jahr lenkte seine wissenschaftlichen Forschungen auf ein grösseres und umfassenderes Gebiet, aber es sollte für ihn nicht nur als Gelehrten, sondern auch nach anderer Seite hin das bedeutungsvollste seines Lebens werden.
Die Wittwe des Oberstabsarztes von Velten war mit ihren beiden Töchtern nach dem Tode ihres Mannes von Riesenburg nach Potsdam gezogen, um durch ihren Bruder, der eben daselbst Oberstabsarzt bei den Gardehusaren war, in einen Kreis gebildeter und angesehener Familien eingeführt zu werden, und die Möglichkeit für eine gute Erziehung ihrer Kinder zu gewinnen. Ihr Mann war der Sohn jenes Cornett Velten von den Ziethen-Husaren gewesen, der in der Schlacht bei Kunersdorf auf dem Rückzuge den König, welcher„ allein auf einer Erhöhung des Schlachtfeldes stehend, den Degen vor sich in die Erde gestossen, dem Tode oder der Gefangennahme entgegensah, dadurch rettete, dass er sich mit dem Rittmeister von Prittwitz zu ihm durchschlug und ihn auf seinem eigenen Pferde der Gefahr entrinnen liess, wofür er geadelt wurde und den Orden pour le mérite erhielt. Frau von Velten war die Tochter des verstorbenen Hofraths Puhlmann, des Directors der durch Friedrich den Grossen gegründeten Gemäldegallerie, Hofmalers und Conservators. Diese (Seite 66) Familienbeziehungen, sowie die durch eine ausgezeichnete Erziehung bei den Töchtern sorgsam gepflegte Liebe für künstlerische und ideale Lebensbedürfnisse öffneten den begabten und anziehenden Frauen schon nach wenigen Jahren die besten Kreise Potsdams. In diese angesehene Familie fand nun auch Helmholtz sehr bald Zugang, „zu Anfang ein etwas fremdartiger Gast“.
„Sehr ernst und innerlich“, so schildert ihn seine Schwägerin, „etwas ungewandt und beengt unter zum Theil lebhaft angeregten und weltkundigen jungen Männern, war es ganz charakteristisch, was man mir bei seiner Vorstellung sagte: ein sehr gescheidter Mensch, aber Sie müssen ihn erst ausgraben; das wurde dann in der That eine Schatzgräberei.“ Sehr bald war er organisch eingefügt in das Wesen dieses Hauses, das, nach seinem eigenen Ausspruche, nicht den Eindruck des gewöhnlichen Lebens, sondern den einer schönen Novelle auf ihn gemacht hatte, sein Urtheil wurde in demselben schon nach kurzer Zeit in allen Dingen bestimmend. Er musicirte viel mit der jüngeren Schwester Olga, die sehr schön sang, las häufig und ungewöhnlich gut vor, dichtete sehr hübsche kleine Huldigungen für die jungen Mädchen und spielte fast künstlerisch Comödie, wobei ihm besonders die humoristischen Partien und speciell diejenigen mit einem Stich ins Groteske zusagten. So spielte er, wie ein noch vorhandener Theaterzettel auf weist, am 27. December 1846 im Hause des damaligen Gymnasialdirectors Rigler zu Potsdam bei einer Aufführung des Theaterstückes „Wohnungen zu vermiethen“ die umfangreichste und wichtigste Rolle des Herrn Petermann; nach der Schilderung einer noch lebenden Augenzeugin hätte sich Helmholtz in liebenswürdigster Weise mit grossem Fleisse der Aufführung gewidmet, dennoch sei seinem Spiele anzumerken gewesen, dass seinen Geist andere und höhere Gedanken beschäftigten — gerade in diesen Tagen schrieb er die Einleitung zu seiner „Erhaltung der Kraft“.
(Seite 67) „So wuchs er“, schreibt seine Schwägerin „untrennbar fest ein in unser Dasein, und es zeitigte sich in ihm und meiner Schwester die Erkenntniss, dass sie fürs Leben zusammen gehörten. Olga war nicht schön, aber fein und anmuthig, nicht lebhaft hervortretend, aber mit Verstand aufmerkend und scharf beobachtend; ihr Geist schlagfertig; amüsant, witzig, bis zum Sarcasmus scharf; vor allem aber lag über ihr ein Hauch von Weiblichkeit und einfacher schlichter Reinheit — etwas ganz Unwiderstehliches.“
Am 11. März 1847 fand die Verlobung statt, und es mag aus jener Zeit als ein Zeugniss der edelsten und reinsten Liebe das Fragment eines Briefes hier Platz finden, den er an seine Braut richtete, die er in einem Symphonie-Concert der Sing-Akademie zu Berlin vergeblich erwartet hatte: „Ihr kamt nicht — da war es denn auch mit meinem Hören schlecht bestellt. Es war mir, als hätte bisher nur immer Deine Seele, mit ihrer tief musikalischen Innerlichkeit, die Harmonieen in mein Verständniss hinein geleitet. Meine Ohren hörten nur musikalische Figuren, und meine Seele hörte gar nichts. Natürlich war es die Mozart'sche Symphonie, bei der es mir so ging, eine der schönsten von ihm, über die Alle um mich her in Entzücken schwammen. Ich, wie ich da war, vereinsamt, verlassen von der schöneren Hälfte meiner Seele, hätte ebensogut können Scalen auf dem Clavier spielen hören. Erst bei der Coriolan-Ouverture kam ich wieder zu mir — das ist ein Juvel, so kurz, bündig, so entschieden und stolz zwischen einer Menge von Unruhe und wirren Kämpfen, und stirbt zuletzt so traurig in ein paar melancholischen Tönen — ein Meisterwerk, wie es nicht grösser sein kann.“
Bis zur Hochzeit, die erst nach einer festen Anstellung von Helmholtz erfolgen konnte, hielt sich zunächst Frau von Velten mit ihren Töchtern in Potsdam, vom Herbst 1848 an mit ihrer Tochter Olga auf einem benachbarten (Seite 68) Gute bei der inzwischen verheiratheten älteren Tochter auf, während nunmehr der jugendliche Bräutigam muthig den Anlauf nimmt zu seinem grössten wissenschaftlichen Wurfe.
Am 21. December 1846 schreibt er seinem Freunde du Bois, „im nächsten Quartal habe ich Lazarethwache, da werde ich hauptsächlich Constanz der Kräfte treiben“, und schon in der Mitte des Februar 1847 schickt er demselben den Versuch einer Einleitung zur Constanz der Kraft.
„Nicht weil ich damit fertig zu sein glaube, denn ich habe eben beim Durchlesen gesehen, dass vielleicht nichts darin bleiben kann, sondern weil ich noch nicht absehe, wie oft ich ihn noch umarbeiten muss, ehe er fertig ist, und weil ich zu erfahren wünsche, ob Du die Art der Darlegung für eine solche hältst, die bei Physikern Eingang finden kann. Ich habe mich bei der letzten Ausarbeitung zusammengenommen und Alles über Bord geworfen, was nach Philosophie roch, so weit es nicht dringend nöthig war, darum mögen einige Gedankenlücken geblieben seih. Du wirst aber ungefähr die Art der Beweisführung daraus sehen können. Eile hat es nicht mit dem Durchlesen, thue es nach Musse, und schreibe mir dann; wo Du Dunkelheiten oder Lücken im Einzelnen findest, bemerke es am Rande; vielleicht komme ich in einiger Zeit selbst einmal nach Berlin, um mich mündlich mit Dir zu besprechen.“
Mit Begeisterung nahm du Bois diese Einleitung auf; sie sollte bleiben, wie sie war, „ein historisches Document grosser wissenschaftlicher Conception für alle Zeiten“.
Das Quartal der Lazarethwache vom 1. Januar bis 1. April 1847 war für den 25 jährigen Forscher die Zeit, in welcher er die seit Beginn seiner Studien gehegten, zunächst auf den verschiedensten Gebieten der Physik und Physiologie durch Versuche erprobten Gedanken zu formuliren sich bemühte, um dann mit ihnen in die Oeffentlichkeit zu treten; weder zu ihm noch zu seinen Freunden war die Kunde (Seite 69) gedrungen, dass auch andere Naturforscher mit ähnlichen Anschauungen sich trugen. Als er, von der Lazarethwache frei, wieder ungestört seine experimentellen Arbeiten aufnehmen kann, baut er sich noch im April die Apparate zusammen zu seinen thermischen Muskelversuchen, giebt du Bois aus seiner reichen Erfahrung heraus viele werthvolle Rathschläge für dessen Versuche, „harrt ungeduldig auf Frühling und Frösche“, muss aber wieder seine Versuche unterbrechen, weil Halske ihn mit der Construction des Neef'schen Apparates zu lange warten lässt — und nun endlich sieht er die Zeit gekommen, um mit der „Erhaltung der Kraft“ in die Welt zu treten.
Unmittelbar nach der Sitzung sandte er das Manuscript an Magnus, mit dem er in den freundschaftlichsten Beziehungen stand, mit der Bitte, die Aufnahme dieser Arbeit in den Poggendorff'schen Annalen zu vermitteln. Aber Magnus, wenn er Helmholtz auch stets die bereitwilligste und freundlichste Anerkennung zollte, hatte gerade gegen die Art, in welcher Helmholtz' Arbeiten meistens entstanden, Verwahrung eingelegt; er betrachtete die experimentelle und mathematische Physik als völlig getrennte Gebiete und warnte wiederholt vor zu eingehender Beschäftigung mit der Mathematik und vor dem Bestreben, auseinanderliegende Gebiete der Physik durch diese mit einander verknüpfen zu wollen. (Seite 70) Daher übersandte er die Arbeit von Helmholtz nur mit einigen allgemein empfehlenden Worten an Poggendorff, und wahrscheinlich auch dies nur gedrängt durch den in voller Begeisterung für Helmholtz eintretenden du Bois, der im Verein mit Brücke all' die jüngeren Physiker und Physiologen der physikalischen Gesellschaft sogleich auf seine Seite gezogen. Die Antwort Poggendorff's lautete:
„Lieber Magnus! Deinem Wunsche gemäss habe ich die Abhandlung des Dr. Helmholtz sogleich durchgesehen, um Dir in Betreff der vorgelegten Frage noch heute meine Antwort zu senden. Gewiss ist der Gegenstand wichtig und seine Behandlung anregend, aber bei dem besten Wunsche, dem Verfasser willfährig sein zu können, muss ich doch immer zu dem Schluss gelangen, dass es die Umstände leider nicht gestatten. Es ist nicht bloss der Umfang der Arbeit, welcher jedenfalls eine Veröffentlichung derselben im laufenden Jahrgang der Annalen nicht mehr erlauben würde, als vielmehr die Natur der Abhandlung, die mich zwingt, dieselbe abzulehnen, wie ich es in ähnlichen Fällen schon mehrmals habe thun müssen. Die Annalen sind nothwendig vor Allem auf experimentelle Untersuchungen angewiesen, und Du weisst selber zur Genüge, wie gross die Masse dieser heut zu Tage ist. Kaum dass Ich sie zu bewältigen vermag. Ich müsste schier einen beträchtlichen Theil derselben opfern, wollte ich den theoretisirenden die Pforten öffnen, denen ich übrigens meine Achtung und die Anerkennung ihres Nutzens nicht versage.Meine unmassgebliche Meinung wäre, der Verfasser liesse die Abhandlung für sich erscheinen. Sie ist ja stark genug dazu, und dass sie gelesen werde, dafür bürgt der interessante und wichtige Inhalt der Gegenstände, die darin besprochen werden. Sollte der Verfasser später Musse haben, diesen oder jenen Theil seiner anregenden Speculationen durch Versuche zu bewähren oder auch nur zu prüfen (ein anderer als er selbst wird es schwerlich im rechten Maasse thun), so stehen (Seite 71) ihm mit grossem Vergnügen die Annalen zur Veröffentlichung der Resultate zu Gebote. Mit der Bitte, diese Antwort dem Verfasser mitzutheilen und ihn dabei der aufrichtigsten Anerkennung seiner rühmlichen und von so vielen Kenntnissen zeigenden Bestrebungen zu versichern, ganz der Deine
Poggendorff. Sonntag, d. 1. August 47.“
Schon am folgenden Tage schrieb Magnus an du Bois:
Gestern erhielt ich das Manuscript von Poggendorff mit einem Briefe zurück, den ich zur Abkürzung meiner Antwort im Original mit der Bitte um gefällige Rückgabe hier beifüge. Es thut mir ausserordentlich leid, dass Poggendorff die Aufnahme ablehnt, da nach meiner Ansicht der Aufsatz sehr nützlich wirken kann, und ausserdem ein seltenes Beispiel von vielseitigen Kenntnissen und einen neuen Beweis von Dr. Helmholtz' Scharfsinn und Talent liefert. Mir scheint das zweckmässigste, die Abhandlung als eine besondere kleine Schrift zu veröffentlichen. Auf ähnliche Weise hat auch Holtzmann seinen Aufsatz publicirt. Gern würde ich Poggendorff noch zur Aufnahme umzustimmen suchen, wenn ich nicht berücksichtigte, dass die Ansichten von Dr. Helmholtz gewiss eine Menge Repliken hervorrufen werden, denen Poggendorff die Aufnahme dann nicht weigern kann.Dr. Helmholtz hatte mit dem Manuscript einen Brief an mich gerichtet. Ich müsste ihm daher meine Antwort zugehen lassen. Nur Ihr Wunsch, die Beantwortung zu vermitteln, veranlasst mich, Sie zu bitten, dem Dr. Helmholtz die weitere Mittheilung mit dem Bemerken zu machen, dass ich gern bereit bin, mich ihm stets, so weit es in meinen Kräften steht, dienlich zu erweisen. Ganz der Ihrige
G. Magnus. Berlin, 2. Aug. 47.“
du Bois übersendet Helmholtz sogleich diese beiden Briefe, indem er seinem Unwillen über Poggendorff und Magnus kräftigen Ausdruck giebt, und ertheilt ihm den Rath, die Abhandlung, wenn irgend möglich, bei Reimer in (Seite 72) Berlin als selbständige Arbeit erscheinen zu lassen, aber zu diesem Zwecke die philosophische Einleitung zu restituiren, „worin sich doch viele herrliche Dinge sagen lassen“. Helmholtz findet in seinem Antwortschreiben an du Bois die von Poggendorff angegebenen Gründe nicht stichhaltig, weil die Arbeit einerseits kaum drei Druckbogen einnimmt und weil er andererseits „nicht an dem angegebenen Princip festgehalten hat, wie die Aufnahme der Arbeiten von Clapeyron und Holtzmann zeigt, von denen sich meine Arbeit dem Wesen der Methode nach garnicht unterscheidet“. Aber er lässt sich durch diese Zurückweisung in der Freudigkeit der Arbeit nicht stören und verändert zunächst einzelne Theile der Einleitung, um seine Stellung zu den herrschenden naturwissenschaftlichen Anschauungen deutlicher zu kennzeichnen; diese Einleitung wurde in ihrem Inhalt das Programm der modernen Naturforschung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, liess aber auch schon in der Einfachheit und Schönheit der Form den Meister der Sprache erkennen; es möge ihr deshalb hier von Neuem eine Stelle geweiht sein:
„Vorliegende Abhandlung musste ihrem Hauptinhalte nach hauptsächlich für Physiker bestimmt werden, ich habe es daher vorgezogen, die Grundlagen derselben unabhängig von einer philosophischen Begründung rein in der Form einer physikalischen Voraussetzung hinzustellen, deren Folgerungen zu entwickeln und dieselben in den verschiedenen Zweigen der Physik mit den erfahrungsmässigen Gesetzen der Naturerscheinungen zu vergleichen. Die Herleitung der aufgestellten Sätze kann von zwei Ausgangspunkten angegriffen werden, entweder von dem Satze, dass es nicht möglich sein könne, durch die Wirkungen irgend einer Combination von Naturkörpern auf einander in das Unbegrenzte Arbeitskraft zu gewinnen, oder von der Annahme, dass alle Wirkungen in der Natur zurückzuführen seien auf anziehende und abstossende Kräfte, deren Intensität nur von der Entfernung der auf einander wirkenden Punkte (Seite 73) abhängt. Dass beide Sätze identisch sind, ist im Anfange der Abhandlung selbst gezeigt worden. Indessen haben dieselben noch eine wesentlichere Bedeutung für den letzten und eigentlichen Zweck der physikalischen Naturwissenschaften überhaupt, welchen ich in dieser abgesonderten Einleitung darzulegen versuchen werde.Aufgabe der genannten Wissenschaften ist es, einmal die Gesetze zu suchen, durch welche die einzelnen Vorgänge in der Natur auf allgemeine Regeln zurückgeleitet und aus den letzteren wieder bestimmt werden können. Diese Regeln, z. B. das Gesetz der Brechung oder Zurückwerfung des Lichtes, das von Mariotte und Gay Lussac für das Volum der Gasarten, sind offenbar nichts als allgemeine Gattungsbegriffe, durch welche sämmtliche dahin gehörige Erscheinungen umfasst werden. Die Aufsuchung derselben ist das Geschäft des experimentellen Theiles unserer Wissenschaften, der theoretische Theil derselben sucht dagegen die unbekannten Ursachen der Vorgänge aus ihren sichtbaren Wirkungen zu finden; er sucht dieselben zu begreifen nach dem Gesetze der Causalität. Wir werden genöthigt und berechtigt zu diesem Geschäfte durch den Grundsatz, dass jede Veränderung in der Natur eine zureichende Ursache haben müsse. Die nächsten Ursachen, welche wir den Naturerscheinungen unterlegen, können selbst unveränderlich sein oder veränderlich; im letzteren Falle nöthigt uns derselbe Grundsatz, nach anderen Ursachen wiederum dieser Veränderung zu suchen, und so fort, bis wir zuletzt zu letzten Ursachen gekommen sind, welche nach einem unveränderlichen Gesetz wirken, welche folglich zu jeder Zeit unter denselben äusseren Verhältnissen dieselbe Wirkung hervorbringen. Das endliche Ziel der theoretischen Naturwissenschaften ist also, die letzten unveränderlichen Ursachen der Vorgänge in der Natur aufzufinden. Ob nun wirklich alle Vorgänge auf solche zurückzuführen seien, ob also die Natur vollständig begreiflich sein müsse, oder ob es (Seite 74) Veränderungen in ihr gebe, die sich dem Gesetze einer notwendigen Causalität entziehen, die also in das Gebiet einer Spontaneität, Freiheit, fallen, ist hier nicht der Ort zu entscheiden; jedenfalls ist es klar, dass die Wissenschaft, deren Zweck es ist, die Natur zu begreifen, von der Voraussetzung ihrer Begreiflichkeit ausgehen müsse, und dieser Voraussetzung gemäss schliessen und untersuchen, bis sie vielleicht durch unwiderlegliche Facta zur Anerkenntniss ihrer Schranken genöthigt sein sollte.
Die Wissenschaft betrachtet die Gegenstände der Aussenwelt nach zweierlei Abstractionen: einmal ihrem blossen Dasein nach, abgesehen von ihren Wirkungen auf andere Gegenstände oder unsere Sinnesorgane; als solche bezeichnet sie dieselben als Materie. Das Dasein der Materie an sich ist uns also ein ruhiges, wirkungsloses; wir unterscheiden an ihr die räumliche Vertheilung und die Quantität (Masse), welche als ewig unveränderlich gesetzt wird. Qualitative Unterschiede dürfen wir der Materie an sich nicht zuschreiben, denn wenn wir von verschiedenartigen Materien sprechen, so setzen wir ihre Verschiedenheit immer nur in die Verschiedenheit ihrer Wirkungen, d. h. in ihre Kräfte. Die Materie an sich kann deshalb auch keine andere Veränderung eingehen, als eine räumliche, d. h. Bewegung. Die Gegenstände der Natur sind aber nicht wirkungslos, ja wir kommen überhaupt zu ihrer Kenntniss nur durch die Wirkungen, welche von ihnen aus auf unsere Sinnesorgane erfolgen, indem wir aus diesen Wirkungen auf. ein Wirkendes schliessen. Wenn wir also den Begriff der Materie in der Wirklichkeit anwenden wollen, so dürfen wir dies nur, indem wir durch eine zweite Abstraction demselben wiederum hinzufügen, wovon wir vorher abstrahiren wollten, nämlich das Vermögen, Wirkungen auszuüben, d. h. indem wir derselben Kräfte zuertheilen. Es ist einleuchtend, dass die Begriffe von Materie und Kraft in der Anwendung auf die Natur nie getrennt werden dürfen. Eine reine Materie wäre (Seite 75) für die übrige Natur gleichgültig, weil sie nie eine Veränderung in dieser oder in unseren Sinnesorganen bedingen könnte; eine reine Kraft wäre etwas, was dasein sollte und doch wieder nicht dasein, weil wir das Daseiende Materie nennen. Ebenso fehlerhaft ist es, die Materie für etwas Wirkliches, die Kraft für einen blossen Begriff erklären zu wollen, dem nichts Wirkliches entspräche; beides sind vielmehr Abstractionen von dem Wirklichen, in ganz gleicher Art gebildet; wir können ja die Materie eben nur durch ihre Kräfte, nie an sich selbst, wahrnehmen.
Wir haben oben gesehen, dass die Naturerscheinungen auf unveränderliche letzte Ursachen zurückgeführt werden sollen; diese Forderung gestaltet sich nun so, dass als letzte Ursachen der Zeit nach unveränderliche Kräfte gefunden werden sollen. Materien mit unveränderlichen Kräften (unvertilgbaren Qualitäten) haben wir in der Wissenschaft (chemische) Elemente genannt. Denken wir uns aber das Weltall zerlegt in Elemente mit unveränderlichen Qualitäten, so sind die einzigen noch möglichen Aenderungen in einem solchen System räumliche, d. h. Bewegungen, und die äusseren Verhältnisse, durch welche die Wirkung der Kräfte modificirt wird, können nur noch räumliche sein, also die Kräfte nur Bewegungskräfte, abhängig in ihrer Wirkung nur von den räumlichen Verhältnissen.
Also näher bestimmt: Die Naturerscheinungen sollen zurückgeführt werden auf Bewegungen von Materien mit unveränderlichen Bewegungskräften, welche nur von den räumlichen Verhältnissen abhängig sind.
Bewegung ist Aenderung der räumlichen Verhältnisse. Räumliche Verhältnisse sind nur möglich gegen abgegrenzte Raumgrössen, nicht gegen den unterschiedslosen leeren Raum. Bewegung kann deshalb in der Erfahrung nur vorkommen als Aenderung der räumlichen Verhältnisse wenigstens zweier materieller Körper gegen einander; Bewegungskraft, als ihre Ursache, also auch immer nur erschlossen (Seite 76) werden für das Verhältniss mindestens zweier Körper gegen einander, sie ist also zu definiren als das Bestreben zweier Massen, ihre gegenseitige Lage zu wechseln. Die Kraft aber, welche zwei ganze Massen gegen einander ausüben, muss aufgelöst werden in die Kräfte aller ihrer Theile gegen einander; die Mechanik geht deshalb zurück auf die Kräfte der materiellen Punkte, d. h. der Punkte des mit Materie gefüllten Raumes. Punkte haben aber keine räumliche Beziehung gegen einander als ihre Entfernung, denn die Richtung ihrer Verbindungslinie kann nur im Verhältniss gegen mindestens noch zwei andere Punkte bestimmt werden. Eine Bewegungskraft, welche sie gegen einander ausüben, kann deshalb auch nur Ursache zur Aenderung ihrer Entfernung sein, d. h. eine anziehende oder abstossende. Dies folgt auch sogleich aus dem Satze vom zureichenden Grunde. Die Kräfte, welche zwei Massen auf einander ausüben, müssen nothwendig ihrer Grösse und Richtung nach bestimmt sein, sobald die Lage der Massen vollständig gegeben ist. Durch zwei Punkte ist aber nur eine einzige Richtung vollständig gegeben, nämlich die ihrer Verbindungslinie; folglich müssen die Kräfte, welche sie gegen einander ausüben, nach dieser Linie gerichtet sein, und ihre Intensität kann nur von der Entfernung abhängen.
Es bestimmt sich also endlich die Aufgabe der physikalischen Naturwissenschaften dahin, die Naturerscheinungen zurückzuführen auf unveränderliche, anziehende und abstossende Kräfte, deren Intensität von der Entfernung abhängt. Die Lösbarkeit dieser Aufgabe ist zugleich die Bedingung der vollständigen Begreiflichkeit der Natur. Die rechnende Mechanik hat bis jetzt diese Beschränkung für den Begriff der Bewegungskraft nicht angenommen, einmal weil sie sich über den Ursprung ihrer Grundsätze nicht klar war, und dann, weil es ihr darauf ankommt, auch den Erfolg zusammengesetzter Bewegungskräfte berechnen zu können in solchen Fällen, wo die Auflösung derselben in (Seite 77) einfache noch, nicht gelungen ist. Doch gilt ein grosser Theil ihrer allgemeinen Principien der Bewegung zusammengesetzter Systeme von Massen nur für den Fall, dass dieselben durch unveränderliche anziehende oder abstossende Kräfte auf einander wirken; nämlich das Princip der virtuellen Geschwindigkeiten, das von der Erhaltung der Bewegung des Schwerpunktes, von der Erhaltung der Hauptrotationsebene und des Momentes der Rotation freier Systeme, das von der Erhaltung der lebendigen Kraft. Für irdische Verhältnisse finden von diesen Principien hauptsächlich nur das erste und letzte Anwendung, weil sich die anderen nur auf vollkommen freie Systeme beziehen, das erste ist wieder, wie wir zeigen werden, ein specieller Fall des letzteren, welches deshalb als die allgemeinste und wichtigste Folgerung der gemachten Herleitung erscheint.
Die theoretische Naturwissenschaft wird daher, wenn sie nicht auf halbem Wege des Begreifens stehen bleiben will, ihre Ansichten mit der aufgestellten Forderung über die Natur der einfachen Kräfte und deren Folgerungen in Einklang setzen müssen. Ihr Geschäft wird vollendet sein, wenn einmal die Zurückleitung der Erscheinungen auf einfache Kräfte vollendet ist, und zugleich nachgewiesen werden kann, dass die gegebene die einzig mögliche Zurückleitung sei, welche die Erscheinungen zulassen. Dann wäre dieselbe als die nothwendige Begriffsform der Naturauffassung erwiesen; es würde derselben alsdann also auch objective Wahrheit zuzuschreiben sein.“
Nun wendet sich Helmholtz auf den Rath du Bois' in dem nachfolgenden Schreiben an G. A. Reimer:
und Reimer übernimmt, nachdem sich du Bois bei ihm für den Werth der Schrift verbürgt hatte, mit dankenswerther Bereitwilligkeit den Verlag derselben, lässt sie noch im Jahre 1847 erscheinen, und bewilligt Helmholtz zu dessen grosser Ueberraschung ein buchhändlerisch angemessenes Honorar.Potsdam d. 14. 8. 47.
Euer Wohlgeboren übersende ich beiliegend das Manuscript einer physikalischen Abhandlung „über die Erhaltung der Kraft“ mit der Anfrage, ob Sie vielleicht geneigt wären, dieselbe in Verlag zu nehmen. Sie würde etwa 3 bis 4 Druckbogen stark (Seite 78) werden, ohne Kupfertafeln, mit verhältnissmässig wenig mathematischem Druck. Gegenstand derselben ist der Versuch, ein bisher nur mit Beschränkungen angewendetes, nothwendiges Grundgesetz der Mechanik ganz allgemein durchzuführen, eine Idee, die in neueren Zeiten von vielen Seiten in Anregung gekommen, aber hier zum ersten Male vollständig ausgeführt ist. Meine Abhandlung, das kurz zusammengedrängte Resultat einer weitläufigen und genauen Durcharbeitung aller Zweige der Physik, hat bisher, so weit ich sie privatim mitgetheilt habe, viel Anerkenntniss gefunden, und es wurde mir gesagt, dass für dieselbe wohl auch ein allgemeines Interesse zu erwarten sei. In dieser Beziehung habe ich von Herrn Professor Magnus in Berlin die Erlaubniss bekommen, mich bei Ihnen auf sein Urtheil beziehen zu dürfen; Sie würden auch von den Herren E. du Bois Reymond und Brücke nähere Auskunft über dieselbe erhalten können. In Bezug auf meine früheren wissenschaftlichen Arbeiten 1) die Inauguraldissertation de fabrica systematis nervosi Evertebratorum, eine mikroscopische Untersuchung, 2) den Aufsatz „über das Wesen der Fäulniss und Gährung“ in Müller's Archiv für Physiologie 1843, S. 451, abgedruckt im Journal für pract. Chemie 1844, Bd. XXXI., S. 429, 3) den Aufsatz „über den Stoffverbrauch während der Muskelaction“ Müller's Archiv 1845, S. 72, 4) den Artikel „thierische Wärme“ in dem encyclopädischen Lexicon der medicinischen Wissenschaften, von der Berliner Facultät herausgegeben, insofern danach meine Befähigung zu wissenschaftlichen Arbeiten vielleicht beurtheilt werden könnte, kann ich mich wohl am besten auf Herrn Professor J. Müller berufen. Ich sehe ein, dass bei den obwaltenden Umständen das Honorar kein Aequivalent für die Arbeit sein könne, welche in den wenigen Bogen steckt, und muss es Ihrer rühmlichst bekannten Liberalität anheimstellen, mir dafür eine so grosse Entschädigung zu Gute kommen zu lassen, als es die Umstände (Seite 79) erlauben. Jedenfalls müsste ich mir daneben noch 15 Freiexemplare bedingen, und bitte, mir diejenigen, welche ich etwa noch weiter brauchen sollte, mit dem üblichen Buchhändlerrabatt zu überlassen.Dr. H. Helmholtz Potsdam,
Naunerstr. 58,
Wie jeder grosse Gedanke, mag er auch durch Forschungen auf verschiedenen Gebieten vorbereitet und in unbestimmten Umrissen von tief angelegten speculativen Köpfen geahnt und ausgesprochen sein, wenn er plötzlich in fester und concreter Form in die Welt tritt, auf der einen Seite Zweifel an der Richtigkeit desselben hervorruft, auf der anderen Seite, falls die Grösse und Wichtigkeit der Entdeckung erkannt wird, in seiner Neuheit bezweifelt und in seiner Priorität bestritten wird, so erging es auch dem Helmholtz'schen Princip von der Erhaltung der Kraft. Während die jüngeren Physiker und Physiologen Berlins unter Führung du Bois' das Erscheinen der Arbeit mit Begeisterung begrüssten, und Helmholtz zu seiner grossen Freude von hoher militärischer Seite die wärmsten Lobsprüche „für die wichtige praktische Richtung, die er seinen Studien zu geben gewusst habe“, gespendet wurden, verhielten sich die älteren Naturforscher fast sämmtlich abwehrend gegen die in der Arbeit ausgesprochenen Gedanken, und zwar sonderbarer Weise in der Befürchtung, dass die in derselben niedergelegten Speculationen wieder die Phantasien der Hegel'schen Naturphilosophie aufleben lassen könnten, gegen die sie so lange und endlich siegreich den Kampf geführt. Nur einer, und neben Joh. Müller wohl (Seite 80) der genialste Denker unter den damaligen Naturforschern, der Mathematiker Joh. Jac. Jacobi, der vermöge der tiefen Studien, die er damals über die Principien der Mechanik angestellt, den engen Zusammenhang der Helmholtz'schen Forschungen mit den Arbeiten der grossen französischen Mathematiker des vorigen Jahrhunderts klar erkannte, trat trotz der Bedenken seiner ausgezeichneten Collegen Lejeune-Dirichlet und Eisenstein ohne Scheu für die Bedeutung der Helmholtz'schen Arbeit ein, und gerade dies gab ihrem Verfasser Zuversicht und Selbstvertrauen. Während er ursprünglich in seiner Abhandlung nur eine kritische Untersuchung und Ordnung der Thatsachen im Interesse der Physiologen geben wollte und von den Physikern höchstens den Vorwurf erwartete, dass der junge Mediciner ihnen Wohlbekanntes als etwas Neues darbieten wolle, gelangte er jetzt bei dem überall hervortretenden Widerspruch zur Ueberzeugung, dass er ein umfassendes Princip der Naturforschung zum ersten Male klar ausgesprochen, und von jeder Verbindung mit unbestimmten philosophischen und speculativen Reflexionen gereinigt und losgelöst habe.
Helmholtz hatte in den nur auf Grund der einfachsten naturwissenschaftlichen Anschauungen geführten Discussionen über das Perpetuum mobile, denen er häufig in seinem elterlichen Hause beizuwohnen Gelegenheit hatte, einen überzeugenden Beweis von der Unmöglichkeit desselben nicht finden können und nahm deshalb noch als Eleve des Friedrich-Wilhelms-Instituts zu den in der Bibliothek desselben vorhandenen Werken von Daniel Bernouilli, d'Alembert und anderen Mathematikern des 18. Jahrhunderts seine Zuflucht, welche streng und allgemein gezeigt hatten, dass wenigstens durch Benutzung rein mechanischer Kräfte ein Perpetuum mobile nicht erzeugt werden könne. Wie das Räderwerk einer Uhr keine Arbeitskraft hervorbringen kann, die ihm nicht mitgetheilt wird, sondern nur die mitgetheilte auf eine längere Zeit gleichmässig vertheilt, (Seite 81) so erzeugen auch, wie jene grossen Forscher durch streng mathematische Schlüsse für alle reinen Bewegungskräfte nachgewiesen haben, unsere Maschinen und Apparate aus sich keine Triebkraft, sondern geben nur die Arbeitskraft, welche ihnen allgemeine Naturkräfte mitgetheilt haben, in anderer Form wieder aus.
Aber die Frage, welche den Fortschritt der neueren Physik bildet, blieb eine offene, ob nicht ein Perpetuum mobile möglich sei für das grosse Gebiet anderer Naturkräfte, welche nicht zu den reinen Bewegungskräften gerechnet werden, Wärme, Elektricität, Magnetismus, Licht, chemische Verwandtschaftskräfte, die doch alle in den mannigfaltigsten Beziehungen zu den mechanischen Vorgängen stehen, indem fast bei jedem Naturprocesse mechanische Wirkungen vorkommen und mechanische Arbeit gewonnen wird.
Die medicinischen Studien Helmholtz' und seine Kenntniss der biologischen Seite der Naturerscheinungen hatten ihn zunächst zur Behandlung der Frage nach der Existenz eines Perpetuum mobile für diejenigen Erscheinungen geführt, mit deren Untersuchung er sich schon vom Jahre 1841 an beschäftigte. So wurde ihm bereits bei seinen ersten selbständigen Arbeiten im letzten Studienjahre immer klarer, dass G. E. Stahl, wenn er auch die physikalische und chemische Natur der Kräfte der Organe und Stoffe, die, im lebenden Körper wirken, erkannte, doch eine Lebenskraft annahm, welche die Wirksamkeit dieser Kräfte zu binden und zu lösen im Stande sei, und dass dessen Theorie in Wirklichkeit jedem lebenden Körper die Natur eines Perpetuum mobile beilegte. Er charakterisirte später die Stahl'sche Lebensseele als „im Ganzen nach dem Vorbilde dargestellt, wie sich die pietistischen Gemeinden jener Zeit die sündige menschliche Seele dachten; sie ist Irrthümern und Leidenschaften, der Trägheit, Ungeduld, Trauer, Unbedachtsamkeit, Verzweiflung unterworfen“.
(Seite 82) Nachdem ihn nun seine physiologischen Untersuchungen immer wieder darauf geführt, dass für die hier in Betracht kommenden Naturkräfte ein Perpetuum mobile nicht existire, und er die Gewissheit gewonnen zu haben glaubte, dass ein solches überhaupt unmöglich sei, kehrte er das bis dahin von den Naturforschern gestellte Problem, die Beziehungen zwischen den Naturkräften zu benutzen, um ein Perpetuum mobile zu construiren, um und fragte sich, welche Beziehungen müssen zwischen den Naturkräften bestehen, wenn ein Perpetuum mobile unmöglich sein soll — eine Umkehrung der Problemstellung, die freilich schon vor ihm, wenn auch weniger allgemein und weniger klar bewusst, für die Wärme Robert Mayer und Colding, deren Untersuchungen er gar nicht kannte, und Joule, dessen Versuche ihm erst am Ende seiner Arbeit bekannt wurden, vollzogen hatten. Helmholtz fand, dass alle bekannten Beziehungen der Kräfte sich den Folgerungen der Annahme von der Unmöglichkeit des Perpetuum mobile fügen, ermittelte eine Reihe noch unbekannter, deren thatsächliche Richtigkeit zu prüfen war, und suchte sämmtliche Beziehungen zwischen den verschiedenen Naturprocessen zu ermitteln, welche aus der angegebenen Betrachtungsweise zu folgern waren. Es ergab sich das Resultat, dass es durch die ganze Reihe der Naturprocesse keinen Cirkelweg giebt, um ohne entsprechenden Verbrauch mechanische Kraft zu gewinnen, es kann die Menge der Arbeitskraft, wie die Untersuchung zeigte, wohl für die Zwecke unserer Maschinen, aber nicht für das Naturganze verloren gehen, „das Naturganze besitzt einen Vorrath wirkungsfähiger Kraft, welcher in keiner Weise weder vermehrt noch vermindert werden kann, die Quantität der wirkungsfähigen Kraft ist in der unorganischen Natur ebenso ewig und unveränderlich wie die Quantität der Materie“, deren Constanz schon ein halbes Jahrhundert vorher als Fundamentalprincip der Chemie von Lavoisier erkannt war. (Seite 83) Dieses allgemeine Gesetz nannte Helmholtz das Princip von der Erhaltung der Kraft und sprach damit aus, dass jede Umwandlung der Kraft in genau abmessbaren quantitativen Verhältnissen vor sich geht, gleichgültig, ob die Form der Kraft sich als lebendige Kraft der Bewegung, elektrische und magnetische Energie oder Wärme kundgiebt, woraus sich wiederum umgekehrt die Unmöglichkeit eines Perpetuum mobile ergab.
Und um das Eintreten etwa noch unbekannter Naturkräfte mit in den Kreis seiner Betrachtungen zu ziehen, erklärte er mit der dem grossen Naturforscher eigenen Vorsicht, dass die Richtigkeit des von den hervorragenden französischen Mathematikern für mechanische Kräfte gefundenen Gesetzes von der Constanz der Summe der lebendigen Kräfte und der von ihm sogenannten Spannkräfte oder der actuellen und potentiellen Energie den höchsten Grad der Wahrscheinlichkeit für sich hat, insofern es keiner der bisher bekannten Thatsachen der Naturwissenschaften widerspricht, von einer grossen Anzahl derselben aber in einer auffallenden Weise bestätigt wird. Er prüft die Kraftäquivalente der Wärme, der elektrischen Vorgänge, des Magnetismus und Elektromagnetismus, und nachdem er dafür das Gesetz überall bewahrheitet gefunden hat, wendet sich der Physiologe noch den Naturprocessen der organischen Wesen zu und zeigt, dass sich hier die Frage nach der Erhaltung der Kraft darauf reducire, ob die Verbrennung und Umsetzung der zur Nahrung dienenden Stoffe eine gleiche Wärmequantität erzeuge, als die Thiere abgeben, eine Frage, deren Entscheidung den Gegenstand seiner in Potsdam schon seit einigen Monaten wieder aufgenommenen Untersuchungen bildete.
„Ich habe mich bemüht“, sagt er am Schlusse jener wunderbaren Arbeit, „die Folgerungen möglichst vollständig aufzustellen, welche aus der Combination des besprochenen Gesetzes mit den bisher bekannten Gesetzen der (Seite 84) Naturerscheimmgen sich ergeben, und welche ihre Bestätigung durch das Experiment noch erwarten müssen. Der Zweck dieser Untersuchung, der mich zugleich wegen der hypothetischen Theile derselben entschuldigen mag, war, den Physikern in möglichster Vollständigkeit die theoretische, praktische und heuristische Wichtigkeit dieses Gesetzes dar zulegen, dessen vollständige Bestätigung wohl als eine der Hauptaufgaben der nächsten Zukunft der Physik betrachtet werden muss.“
Zur Zeit, als Helmholtz in die Entwickelung der Naturwissenschaften einzugreifen begann, galt für alle Naturforscher bereits das bei jedem Wechsel der belebten und unbelebten Natur gültige Gesetz von der Unveränderlichkeit der Stoffe mit ausnahmsloser Notwendigkeit, nach welchem die Elemente die Art ihrer Vertheilung im Raume ändern können, aber in ihren Eigenschaften unveränderlich bleiben. Das grosse Gesetz von der Erhaltung der Kraft, welches Helmholtz jenem Naturgesetze zur Seite stellte und welches ausspricht, dass alle Kräfte nach dem Maasse der mechanischen Kräfte zu messen, und alle Elementarkräfte Bewegungskräfte seien, stellt es als Endziel der Naturwissenschaften hin, sich in Mechanik aufzulösen.
Lediglich mit den literarischen Hülfsmitteln ausgerüstet, welche ihm während seines Aufenthaltes in Potsdam die Gymnasialbibliothek bieten konnte, und ohne Kenntniss der im Jahre 1842 in Wöhler's und Liebig's „Annalen der Chemie“ erschienenen, ebenfalls von Poggendorff zurückgewiesenen, neun Druckseiten langen Notiz von Robert Mayer „Ueber die Kräfte der unbelebten Natur“ und dessen 1845 erschienener Abhandlung über „Die organische Bewegung in ihrem Zusammenhange mit dem Stoffwechsel“ hatte Helmholtz im Wesentlichen schon in den Jahren 1843 und 1844 seine Arbeit vollendet, in deren Inhalt Kirchhoff 20 Jahre später die wichtigste Erkenntniss preist, die in unserem Jahrhundert auf dem Gebiete der Naturwissenschaften (Seite 85) gewonnen worden, und von der Hertz, der grosse Schüler Helmholtz', sagt, „dass die Physik am Ende unseres Jahrhunderts einer völlig neuen Denkweise ihre Vorliebe zugewandt hat, und beeinflusst von dem überwältigenden Eindrucke, welchen die Helmholtz'sche Entdeckung von der Constanz der Energie der Physik gemacht, es nunmehr liebt, die Rückführung der Erscheinungen auf die Gesetze der Energieverwandlung als ihr letztes Ziel zu behandeln“.
Während nun die jüngere Generation der Naturforscher die grosse Bedeutung der Arbeit von Helmholtz sogleich erkannte, die älteren Physiker aber sich dagegen ablehnend verhielten, weil, wie es Helmholtz sich in einem zehn Jahre später an A. Fick gerichteten Briefe zu erklären suchte, „die Naturforscher theoretische Ansichten und Analysen nur von Jemand willig aufnehmen, der entweder schon als grosser Mathematiker oder aber als Experimentator bekannt ist“, waren die Angriffe derer gegen Helmholtz auch noch lange nachher besonders erbittert, die als letzte Stützen der Hegel'schen Naturphilosophie gerade im Gegensatz zu den Gründen, welche die älteren Physiker dagegen vorbrachten, das Gesetz von der Erhaltung der Kraft als eine Erkenntniss a priori feiern wollten. Mit steigendem Unbehagen sahen sie, dass Helmholtz in dieser Arbeit, sowie überall, so oft er später mit erkenntnisstheoretischen Fragen in Berührung kam, „alles, was sich noch von Nebeln eines falschen scholastischen Rationalismus vorfand, zu zerstreuen“ sich bemühte und die inductive Methode aller Erfahrungswissenschaften stets als die unverrückbare Basis der naturwissenschaftlichen Forschung bezeichnete.
Von noch anderer Seite aber wurde die Wichtigkeit dieses grossen Gesetzes zwar zugegeben, jedoch Helmholtz das Verdienst abgesprochen, dasselbe gefunden zu haben; er sollte es dem Heilbronner Arzt Julius Robert Mayer entlehnt haben, der bereits eine Darstellung in ähnlichem Sinne (Seite 86) gegeben und auch schon das mechanische Wärmeäquivalent bestimmt hatte.
„Diese Anklage“, sagt du Bois, „hat sich, wie der Ruhm der Helmholtz'schen Abhandlung, bis auf den heutigen Tag erhalten und wird von denen, die es lieben, das Strahlende zu schwärzen, gern geglaubt.“
Was nun die Priorität der Helmholtz'schen Entdeckung angeht, so hat er später, nachdem er die Schriften Robert Mayer's kennen gelernt, jede Gelegenheit, über die Entdeckung des Gesetzes der Erhaltung der Kraft sich zu äussern, dazu benutzt, um ausdrücklich hervorzuheben, dass Mayer es war, der zuerst die Ueberzeugung von der Unzerstörbarkeit und Unvermehrbarkeit der im Weltall vorhandenen Vorräthe von wirkungsfähiger Triebkraft ausgesprochen und diese Anschauung in dem Gesetze formulirt hat, welches er als das der Aequivalenz der Wärme und Arbeit bezeichnete. Ganz unabhängig aber von Mayer hatte schon der englische Ingenieur Joule ausgedehnte Versuchsreihen angestellt, um die Aequivalenz zwischen Wärme und Arbeit thatsächlich festzustellen, und es war schon deshalb von denen, „welche auf dem Gebiete der Naturforschung mehr Gewicht auf die Thatsachen als auf das Aussprechen allgemeiner Gedanken legen“, eine heftige Polemik gegen die Priorität Mayer's entstanden.
Helmholtz selbst hat in seiner Schrift und später immer wieder, so oft er auf dieselbe zu sprechen kam, erklärt, dass in seinen Augen die Arbeit, die er damals unternahm, eine rein kritische und ordnende war, deren Hauptzweck nur sein konnte, eine alte, auf inductivem Wege erwachsene Ueberzeugung an dem neu gewonnenen Material zu prüfen und zu vervollständigen. Wenn ein Gesetz für die ganze ungeheure Mannigfaltigkeit sämmtlicher Naturprocesse im ganzen Weltall gelten soll, so genügt es seiner Ansicht nach nicht, wie Mayer es gethan, dasselbe einfach zu verkündigen, sondern es muss die Ueberzeugung von einem (Seite 87) hinreichenden Grade der Wahrscheinlichkeit dieses Gesetzes hervorgerufen werden, damit von den Naturforschern die weitere Entscheidung im Auge behalten werde.
„Es fiel damals noch viel mehr, als es vielleicht heute der Fall sein würde, das Hauptgewicht darauf, von Anfang bis Ende klar zu halten, dass es sich um ein Gesetz der Thatsachen handle, abstrahirt aus Thatsachen, und weiter zu prüfen an Thatsachen.“
Es ist stets von Helmholtz anerkannt worden, dass man später zur Ueberzeugung gelangen musste, nachdem das Gesetz von der Erhaltung der Kraft sich Bahn gebrochen und seine Richtigkeit allgemein zugestanden worden, dass Mayer im Jahre 1842 die Erkenntniss von dem Sinne und der allgemeinen Geltung dieses Gesetzes gewonnen hatte, gleich wie schon Faraday eine instinctive Vorahnung des Gesetzes von der Erhaltung der Kraft geleitet haben müsse, längst ehe Joule diesem Gesetze scharfe wissenschaftliche Fassung gegeben und die wesentlichste Lücke in dem empirischen Beweise desselben ausgefüllt hatte.
Aber diese Erkenntniss erlangte Mayer in ihrer Allgemeinheit nicht durch wissenschaftliche Methoden; nachdem sich die Wahrnehmungen, die schon viele vor ihm gemacht hatten, in seinem Geiste geordnet, war „der schöpferische Gedanke plötzlich da, nicht als eine bewiesene Wahrheit, sondern als ein Problem, über dessen Richtigkeit noch die Thatsachen befragt werden sollten“. Er war weit davon entfernt, wie Helmholtz es gethan, die Richtigkeit des von ihm gewissermaassen durch Inspiration und eine gewisse künstlerische Thätigkeit seines Geistes angeschauten Gesetzes oder vielmehr der Folgerungen aus diesem Gesetze an allen damals bekannten Naturprocessen zu prüfen; es waren auch in der That ganz andere und tiefere mathematische Kenntnisse nöthig, um das eigentliche Wesen des Gesetzes zu erkennen, als es diejenigen waren, über welche Mayer verfügte.
(Seite 88) Helmholtz gab durch seine Entdeckung den Anstoss zu der ganzen späteren Entwickelung der mathematischen Physik, indem er durch streng mathematische Betrachtungen nachwies, dass, so oft Naturkörper auf einander wirken, vermöge anziehender oder abstossender Kräfte, welche von der Zeit und Geschwindigkeit unabhängig sind, die Summe der lebendigen und Spannkräfte eine constante ist; dass aber, wenn die Kräfte von der Zeit und Geschwindigkeit abhängen oder nach anderen Richtungen wirken als nach der Verbindungslinie je zweier wirksamer materieller Punkte — vorausgesetzt, dass Gleichheit der Action und Reaction statthat — im Allgemeinen Zusammenstellungen solcher Körper möglich sind, in denen entweder in das Unendliche Kraft verloren geht oder gewonnen wird. In diesem Sinne sagt unter der Bezeichnung jener Kräfte als conservativer das Gesetz von der Erhaltung der Kraft nichts anderes aus, als dass alle elementaren Naturkräfte conservativ sind.
Dem jugendlichen Forscher waren die Untersuchungen der grossen französischen Mathematiker auf dem Gebiete der Mechanik wohl bekannt, und es handelte sich für ihn nicht um eine neue Induction, sondern nur um die letzte Präcisirung und vollständige Verallgemeinerung jener längst entstandenen inductiven Ueberzeugung, dass alle elementaren Kräfte conservative seien. Gleiches hatten nach Helmholtz' Ansicht jene grossen Forscher gewiss auch vermuthet, aber, weil nicht bewiesen, auch nicht ausgesprochen, weil sie sich „die besondere Aufgabe gestellt, die Menschheit von dem falschen Rationalismus der Scholastik zur strengen Schätzung der Thatsachen zu erziehen“. Helmholtz hat seinen Satz das Gesetz „von der Erhaltung der Kraft“ genannt, um ihn als Erweiterung des längst bekannten Princips von „der Erhaltung der lebendigen Kraft“ zu charakterisiren, und seine Beziehung zu der alten Frage von der Möglichkeit eines Perpetuum mobile klar zu stellen.
Gerade dadurch, dass Mayer den Begriff der Kraft aus (Seite 89) der Mechanik herausschaffen wollte, und dafür dasjenige Kraft nannte, was man bisher als das Product aus Kraft und Weglänge oder als Arbeit bezeichnete, verdunkelte er schon die Bedeutung des längst bekannten Satzes von der Erhaltung der lebendigen Kraft und verhinderte die strenge mathematische Formulirung des von ihm geahnten Gesetzes. Helmholtz dagegen wählte, um sich der Bezeichnung des von Leibniz herrührenden Namens der Quantität der lebendigen Kräfte anzuschliessen, welche das Arbeitsäquivalent der Geschwindigkeit der bewegten Massen ausdrückt, den Namen „Quantität der Spannkräfte“ für jenes Product, und indem er dadurch den Arbeitswerth derjenigen Kräfte darstellte, die zunächst noch in dem Streben bestehen, Bewegung hervorzubringen, verband er die actuelle mit der potentiellen Energie, deren Summe auch für alle Umwerthungen constant sein sollte.
In dieser Auffassung und Präcisirung gehört der völlig neue Begriff von dem Arbeitsvorrath des Weltalls Helmholtz allein an; er wurde hingestellt „als eine Grösse unzerstörbar und unvermehrbar wie eine Substanz, im Raume wirkend und doch nicht mit dem Raume theilbar, wie eine materielle Substanz es sein würde, weil jede Theilung des Raumes den Theil der Spannkräfte nicht mit betreffen würde, die zwischen diesseits und jenseits der Trennungsfläche gelegenen Massen bestehen“ — Anschauungen, die der heutigen Naturwissenschaft so geläufig sind, und die lediglich in jener grossen Arbeit von Helmholtz und in den herrlichen und bahnbrechenden Untersuchungen von W. Thomson wurzeln.
Noch 20 Jahre später nimmt Helmholtz wiederum die Gelegenheit wahr, auch Joule gegenüber die Priorität für die Conception jenes genialen Gedankens von der Erhaltung der Kraft Robert Mayer zuzuschreiben. In einem Briefe an Tait bei Gelegenheit eines Prioritätsstreites betreffs der Beziehung zwischen Absorption und Ausstrahlung, tritt er auf die Seite Kirchhoff's, der das Gesetz zuerst streng (Seite 90) formulirt und dadurch die grossartigen Entdeckungen, welche sich daran geknüpft, möglich gemacht hat, und hebt hervor, dass die Entdeckungen von Kirchhoff in diesem Felde als einer der lehrreichsten Fälle in der Geschichte der Wissenschaft erscheinen, weil viele Forscher schon vorher dicht am Rande derselben Entdeckungen gewesen waren, aber die Entwickelung der gesammten Spectralanalyse erst dadurch möglich geworden, dass Kirchhoff in seinem theoretischen Beweise diejenigen allgemeinen Eigenthümlichkeiten der Wärme bestimmt hat, welche als Grundlage des Beweises benutzt wurden, — und nun präcisirt er klar und deutlich die Stellung Mayer's zu Joule und damit auch mittelbar zu sich:
„R. Mayer war nicht in der Lage, Versuche anstellen zu können, er wurde von den ihm bekannten Physikern zurückgewiesen, er konnte kaum Raum für die Veröffentlichung seiner ersten zusammengedrängten Darstellung finden; ..... obgleich Niemand leugnen wird, dass Joule viel mehr gethan hat als Mayer, und dass in des letzteren ersten Abhandlung viele Einzelheiten unklar sind, so glaube ich doch, muss man Mayer als einen Mann betrachten, welcher unabhängig und selbständig diesen Gedanken gefunden hat, der den grössten neueren Fortschritt der Naturwissenschaften bedingte, und sein Verdienst wird jedenfalls dadurch nicht geringer, dass gleichzeitig ein Anderer in einem andern Lande und Wirkungskreise dieselbe Entdeckung gemacht und sie nachher freilich besser durchgeführt hat als er.“
Robert Mayer selbst war weit entfernt, der grossen Arbeit von Helmholtz gegenüber etwa Prioritätsansprüche erheben zu wollen, und die Innsbrucker Naturforscherversammlung im Jahre 1868, auf welcher Helmholtz klar und unzweideutig die Priorität von Mayer anerkannte da, wo sie anzuerkennen war, vereinte die beiden ausgezeichneten Männer in bestem Einvernehmen.
(Seite 91) „Die Abende“, schreibt Pfaundler, bei dem Helmholtz damals wohnte, „wurden zu einem Sammelpunkte hervorragender Physiker, die sehr zahlreich vertreten waren, z. B. Dove, Beetz, Wüllner u. A. Aber auch J. R. Mayer war hier und nahm an den Abenden Theil. Bei der ersten allgemeinen Sitzung, die im Theater stattfand, sprach Helmholtz die bekannte Rede über die Ziele der Naturwissenschaften, und Mayer hielt den in seinen gesammelten Schriften enthaltenen Vortrag. Helmholtz hat mir am Abend vorher gesagt, er wolle sich früher zurückziehen, da er ja noch nichts für seinen morgigen Vortrag gearbeitet habe. Er hatte also nur ein paar Stunden für denselben zur Verfügung, sprach fast ganz aus dem Stegreif. Da später von gewisser Seite der Vorwurf erhoben wurde, dass J. R. Mayer von Helmholtz nicht genügend anerkannt worden sei, und dass derselbe die Innsbrucker Versammlung grollend und gekränkt verlassen habe, so habe ich schon früher einmal durch den damaligen Geschäftsführer diese Anklage als gänzlich aus der Luft gegriffen erklären können. Im Gegentheil, Helmholtz sprach mit der grössten Anerkennung über Mayer, und als ich auf die religiös- phantastischen Schlussworte seines Vortrages anspielte, entschuldigte Helmholtz dieselben in wohlwollendster Weise durch den Hinweis auf die Geistesanlagen Mayer's. Es war von ganz anderer Seite, dass Mayer angegriffen wurde. Es war der Physiologe Vogt anwesend, welcher seinerzeit den Passus verbrochen hatte: „Wie die Leber die Galle abscheidet, so das Gehirn die Gedanken.“ Gegen diese grob materialistische Auffassung waren einige Sätze Mayer's gerichtet, worauf von Seite der Anhänger Vogt's aus der Versammlung einiges Murren gehört wurde, welches aber sofort wieder erlosch, so dass Mayer ruhig weiter sprechen konnte. Dass Mayer nicht grollend abreiste, geht schon daraus hervor, dass er den am Schluss veranstalteten Ausflug nach Bozen mitmachte und daselbst — wir sassen an demselben Tische — mit (Seite 92) grösster Fröhlichkeit an der reichlichen Bewirthung und der dadurch erzeugten Stimmung Theil nahm. Mit keinem Worte erwähnte er irgend einer Verstimmung. .... Helmholtz' Aeusserungen über die Frage Joule-Mayer waren schon damals dieselben, wie sie jetzt allgemein in Deutschland gelten, jedem Manne das Seine.“
Helmholtz, der durch seine Arbeit über die Erhaltung der Kraft in die erste Reihe der Physiker nicht nur, sondern auch der Physiologen getreten war, welche in diesem Princip ein unschätzbares Mittel zur Bekämpfung der Lebenskraft erblickten, ging nun wieder, um das von ihm aufgestellte Gesetz auch an den Naturprocessen der organischen Wesen zu bewahrheiten, an seine schon früher begonnene Arbeit über die Wärmeentwickelung bei der Muskelaction, deren Resultate er noch im November 1847 der Physikalischen Gesellschaft vorlegte und im folgenden Jahre in Müller's Archiv veröffentlichte.
In dieser Arbeit, welche als ein Muster angesehen wird für die Anwendung der feinsten physikalischen Methoden auf physiologische Untersuchungen, suchte er zu entscheiden, ob die schon früher gefundene Temperaturerhöhung der Muskel während ihrer Thätigkeit in der Substanz der Muskel selbst stattfinde in Folge von Processen in ihnen, welche den veränderten Gleichgewichtszustand während ihrer Verkürzung bedingen, oder ob dieselbe nur eine Folge des vermehrten Zuflusses von arteriellem Blute sei. Während früher die Temperaturbestimmungen an thierischen Theilen auf thermoelektrischem Wege mit nur einem Becquerel'schen Elemente angestellt wurden, benutzt er eine dreigliedrige Eisen-Neusilbersäule mit dreifacher elektromotorischer Kraft des Stromes, und findet durch die feinsten Messungen und die Anwendung der sinnreichsten Einrichtungen zur Ausschliessung jeder sonstigen Temperaturerhöhung an abgeschnittenen, also dem Blutumlauf entzogenen Schenkeln von Fröschen eine nur von Molecularprocessen (Seite 93) herrührende Temperaturerhöhung, wenn er durch einen zu seinem Zwecke abgeänderten Neef'schen Elektromotor vom Rückenmark des Frosches aus eine Contraction des einen Oberschenkels hervorbrachte. Die Contractionswärme zeigte sich also in der That in der Muskelsubstanz entwickelt, während der Versuch, eine Erwärmung der Nerven nachzuweisen, während sie die Reizung vom Rückenmark zu den Muskeln leiten, nur ein negatives Resultat gab. Die gewonnenen Ergebnisse waren als eine Verificirung seines grossen Gesetzes zu betrachten, ohne dass jedoch die Untersuchungen als abschliessend gelten konnten.
Das Ende des Jahres 1847 benutzte er zwar vielfach zu schwierigen theoretischen Studien, von denen mannigfache Ausarbeitungen rein mathematischer Untersuchungen berühmter Autoren in seinem Nachlass Zeugniss ablegen, war jedoch durch seine ärztliche Thätigkeit mehr, als er wünschte, in der freien Verfügung über seine Zeit gehindert, bis mit Beginn des Jahres 1848 eine glückliche Wendung seinen Lebensweg völlig anders gestaltete.
Sein Freund Brücke, welcher Lehrer der Anatomie bei der Akademie der Künste und Assistent an der anatomisch-zootomischen Sammlung war, erhielt einen Ruf als Burdach's Nachfolger für die Professur der Physiologie und allgemeinen Pathologie in Königsberg, und die nächste Anwartschaft auf die nunmehr frei gewordene Stelle in Berlin als Nachfolger Brücke's gebührte dessen intimem Freund und Altersgenossen du Bois, der zwei Jahre älter war als Helmholtz. Da aber die Vermögensverhältnisse du Bois' es ihm möglich machten, ohne praktischen Zielen zuzueilen, seinen thierisch-elektrischen Untersuchungen sich längere Zeit noch ganz widmen zu können, so trat er zu Gunsten seines jüngeren Freundes als Bewerber um die Stelle an der Kunstakademie zurück, und es wurde mit Brücke verabredet, Helmholtz für dieselbe vorzuschlagen.
Nachdem dieser am 18. Januar 1848 an den Minister (Seite 94) die Bitte gerichtet, ihm die Stellung als Lehrer der Anatomie an der Kunstschule der Akademie zu Berlin und diejenige als Assistent am anatomischen Museum ebendaselbst zu übertragen, „welche beide dem Vernehmen nach durch die Berufung des Herrn Dr. Brücke zur Universität Königsberg erledigt seien“, giebt Johannes Müller am 6. Mai 1848 auf Aufforderung des Ministers das folgende Gutachten ab:
„Dr. Helmholtz hat sich bereits durch seine Inauguralschrift von 1842 als begabt und talentvoll zu erkennen gegeben. Seit dieser Zeit hat er in verschiedenen Schriften und Abhandlungen, die in seiner Eingabe namentlich aufgeführt sind, seine Anlage weiter documentirt. Er giebt sich darin als einen anatomisch-physiologischen Beobachter von grosser Geschicklichkeit und sehr vielseitiger Bildung zu erkennen, von dem die Wissenschaft noch grosse Leistungen zu erwarten hat. Unter den talentvollen Männern, welche für das Feld der Anatomie und Physiologie hier ihre Bildung erhalten haben, und welche zum Theil bereits Lehrstühle an Universitäten des Auslandes und Inlandes einnehmen, ist Helmholtz eines der selteneren grossen Talente, die ich vorzugsweise auszeichne. Seine Bildung und seine Kräfte sind nach mehreren Richtungen zugleich ausgezeichnet. Denn was in Beziehung auf seine anatomisch-physiologischen Arbeiten anerkennend gesagt worden, würde in gleicher Weise auch von seinen physikalischen Studien und seinen tiefgehenden mathematischen Kenntnissen zu wiederholen sein.Unter diesen Umständen würde ich jede Gelegenheit ergreifen, welche dem Dr. Helmholtz gestattete, sich ganz der wissenschaftlichen Laufbahn zu widmen, da ich es mir immer zur Aufgabe gemacht habe, junge Männer von solchen Anlagen auf jede Art zu fördern. Zum Lehrer der Anatomie für Künstler ist Helmholtz sowohl durch seine gründlichen anatomischen Kenntnisse als seine vielseitige (Seite 95) Bildung vorzüglich geeignet, und ist er derjenige, den ich am meisten dazu empfehlen kann.
Was die Stelle des Assistenten beim anatomischen Museum betrifft, welche in Verbindung mit der Lehrerstelle bei der Akademie der Künste zusammen den Helmholtz bestimmen wird, seine bisher in der militärärztlichen Laufbahn erworbenen Vortheile aufzugeben, so habe ich allerdings auch die Absicht, den Helmholtz zu der genannten Assistentenstelle beim hohen Ministerium vorzuschlagen; diese Stelle ist jedoch noch nicht erledigt, sondern es steht ihre Erledigung erst bei der Zurückkunft des bisherigen Gehülfen Dr. Peters von seiner Reise bevor. . . . .“
Auf Grund dieser Empfehlung wurde Helmholtz aufgefordert, am 19. August 1848 vor dem Senat und den Lehrern der Akademie eine Probevorlesung zu halten, von welcher sich die Ausarbeitung des wahrscheinlich weitaus grössten Theiles in seinem Nachlass vorfand und den folgenden Wortlaut besitzt:
Das am 24. August von dem Senat an das Ministerium geleitete Urtheil über den Probevortrag lautete:
„Der Candidat bewies sich in demselben als gründlicher Kenner seiner Wissenschaft und gab zugleich den Beweis, dass er sich ernstlich habe angelegen sein lassen, sich das künstlerische Bedürfniss der Kenntniss des innern Baues des lebendigen und bewegten menschlichen Körpers klar zu machen, was durch seinen Vortrag zu zeigen ihm recht wohl gelang. Man sah, dass es ihm nicht werde schwer fallen können, bei fortgesetzter Uebung jene eigenthümliche Anschaulichkeit und Verlebendigung, welche der anatomische Unterricht für Künstler erfordert, sich immer mehr zu eigen zu machen, zumal da der Dr. Helmholtz noch sehr jung ist. Da nun auch die in dem Rescript eines hohen Ministeriums erwähnten (Seite 106) gewichtigen Empfehlungen zu Gunsten des Dr. Helmholtz sprechen, so trägt der Senat gehorsamst an, dass es einem hohen Ministerium gefallen möge, den Dr. Helmholtz bis auf Weiteres mit dem Unterricht in der Anatomie bei der Akademie vorläufig zu beauftragen, wie dies auch bei seinem trefflichen Vorgänger, dem Professor Brücke, geschehen ist“, und nachdem es nur wenig Mühe gekostet, mit Hülfe „des damals über die Berliner wissenschaftlichen Geschicke waltenden guten Genius Alexander von Humboldt“ Helmholtz von seinen noch übrigen drei pflichtmässigen Dienstjahren zu befreien, erhielt er am 30. September 1848 den nachgesuchten Abschied, um in ein civilärztliches Amt einzutreten. Durch Ministerialrescript vom 6. September wurde ihm die Lehrerstelle an der Kunstakademie mit einem Gehalt von 400 Thlr. jährlich vom 1. October ab, und, als auch die Stelle des Gehülfen beim anatomischen Museum, welche mit einem Gehalte von 200 Thlr. verbunden war, definitiv frei geworden, auch diese auf Grund eines erneuten Berichtes von Johannes Müller übertragen, der ihn als einen ebenso geschickten Anatom als physiologischen Experimentator bezeichnete und „in Hinsicht seiner grossen Anlagen“ sich auf den bereits abgestatteten Bericht bezog.
So schied Helmholtz im Jahre 1848 aus dem militärischen Verbande, dem er vom October 1838 an angehörte, und entsagte zugleich der ärztlichen Praxis von dem Augenblicke an, in welchem er von der amtlichen Verpflichtung entbunden war; aber der medicinischen Wissenschaft blieb er auch in Zukunft stets zugethan und hob noch später oft und gern hervor, dass er sich in derselben in gewisser Weise heimischer fühlte als in anderen, sowie er auch stets der genossenen militärischen Erziehung mit Vorliebe gedachte, welcher er, wie Ludwig mit Recht sagt, „die stets auf sein Aeusseres verwendete Sorgfalt und die gemessene Form des Umganges“ verdankte.
S. 55 - 106 aus:
Koenigsberger, Leo: Hermann von Helmholtz. - Braunschweig : Vieweg
Band 1. - 1902
Letzte Änderung: 24.05.2014 Gabriele Dörflinger Kontakt
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