Leo Koenigsberger: Hermann von Helmholtz

Helmholtz als Präsident der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt
von Ostern 1888 bis zum 8. September 1894.



Portrait von Franz von Lenbach 1894

Die ersten Monate an der Reichsanstalt

Thätigkeit an der Physikalischen Reichsanstalt

(Seite 1) Während der letzten Wintermonate des Jahres 1887 und des ganzen darauf folgenden Sommers nahmen die Einrichtung und Organisation der Reichsanstalt, vor allem die Disposition über die wissenschaftlichen und technischen Aufgaben, welche derselben oblagen, alle Gedanken, Kraft und Zeit von Helmholtz in Anspruch, und überraschend schnell wurde mit Hülfe ausgezeichneter Kräfte, die ihm zur Seite standen, alles in geordnete Wege geleitet.

Schon nach kurzer Zeit konnte eine Deputation des Curatoriums der Anstalt ihm den Dank dafür aussprechen,

„dass er auf der Höhe seines Wirkens seine Geistesarbeit in den unmittelbaren Dienst des Gesammtvaterlandes gestellt habe und an die Spitze der hochbedeutsamen Anstalt getreten sei, welche, eine Erweiterung der Reichsverfassung verkörpernd, dazu berufen sei, durch wissenschaftliche Ergründung geheimer Naturkräfte nicht nur die Herrlichkeit, sondern auch die Macht und Wohlfahrt des neuen Deutschen Reiches zu pflegen und zu erhöhen. Er sei ihnen nicht nur verehrungswürdig, sondern theuer und ein Vorbild geworden in der Schlichtheit, Lauterkeit und Treue des Sinnes und der That, durch welche er es vermocht habe, binnen überraschend kurzer (Seite 2) Frist das von Reichswegen ihm vertraute Werk zu demjenigen hohen Ansehen zu erheben, welches es jetzt bereits geniesse“,
und der berufenste Vertreter, der ausgezeichnete Director der Anstalt, Loewenherz, durfte hinzufügen:
„Von der doppelten Aufgabe der Anstalt liegt die eine, die Förderung der Wissenschaft durch Anstellung umfassender fundamentaler Untersuchungen, ganz in dem Rahmen Ihrer früheren bahnbrechenden Forschungen. Neu und eigenartig aber stellt sich die andere Aufgabe dar, das Wirken für zweckentsprechende Anwendung der wissenschaftlichen Ergebnisse in den mannigfaltigen Zweigen der menschlichen Thätigkeit. Welch' hohes Maass von Dankbarkeit die Feintechnik und die Technik überhaupt Ihnen dafür schuldet, dass Sie sich entschlossen haben, Ihre Kräfte auch dieser neuen Forderung des Zeitalters Zu widmen, das kann Niemand besser ermessen als wir, die wir als Gehülfen Ihnen zur Seite gestellt sind; denn wir kennen das lebhafte und fortgesetzte Interesse, welches Sie auch dieser Aufgabe widmen, wir wissen, wie sehr Ihnen die Lösung der zahlreichen, uns hier entgegentretenden Fragen am Herzen liegt.“

Nach einer unausgesetzten monatelangen Arbeit musste er aber im Interesse seiner Gesundheit darauf bedacht sein, eine Pause in seiner Thätigkeit eintreten zu lassen. Er ging zunächst in den ersten Tagen des August 1888 mit seiner Frau nach Bayreuth, wo er sich wieder dem Genuss der „ganz unvergleichlich schönen Meistersinger“ hingab, und seine Frau ist nur der Dolmetsch seiner Gefühle, wenn sie ihrer Tochter schreibt:

„Bayreuth, liebe Leute, ist zwar eiskalt gewesen und nur für den geistigen Menschen eine Wonne — aber die ist gross, und es ist eigentlich schön, dass das Irdische so ganz in den Hintergrund dort tritt.… Was die „hohe Frau“, um mit Robert zu reden, geleistet hat, mit diesen (Seite 3) idealen Vorstellungen, übersteigt die Begriffe. Ihr grosser künstlerischer Wille steht hinter jedem Mitwirkenden und ihr Geschmack über Allem. Alle Künstler sind einig und Alles liebt sich …“

Die Verehrung von Helmholtz für Richard Wagner mögen die schönen Worte von Frau Cosima Wagner bezeugen, welche sie nach des grossen Forschers Tode seiner Frau sandte:

„Mit Wehmuth gedenke ich, welch' ein Freund und Gönner von mir schied. Wie er, der Angesehenste seines Standes, seine Sympathie mir bekundete, zu einer Zeit und inmitten einer Welt, wovon die erste verständnisslos war, die zweite verständnisslos blieb.“

Von Bayreuth aus wendet sich Helmholtz wieder nach Pontresina, um die nie vergeblich erhoffte Erholung auch diesmal dort zu finden. Sehr glücklich ist er — wie aus dem warmen Ton seiner Briefe ersichtlich —, dass sein Sohn Robert sich durch mehrere experimentelle Arbeiten einen geachteten Namen unter den Physikern erworben, und dass dessen Neigung sich immer mehr den mathematisch-physikalischen Studien zuwendet. Am 18. August schreibt er demselben von Pontresina aus:

„… Was Deine Probleme betrifft, so weiss ich, dass die Astronomen die Frage discutirt haben, ob die Gravitation Zeit brauche. Welche Genauigkeit aber dabei zu erreichen ist, weiss ich nicht. Sie behaupten, die Beobachtung spräche gegen diese Hypothese. Jedenfalls lohnt es nicht, eine solche Frage anzugreifen, ehe man nicht weiss, welche Beobachtungen möglich wären, und wie auszuführen, um sie zu entscheiden.

Die thermoelektrischen Ströme im Erdkörper werden ein sehr complicirtes Problem abgeben. Eine Anordnung verschiedener concentrischer Kugelschichten in der Erdrinde würde nur Ströme geben, die geschlossenen Ringmagneten entsprechen und nicht nach aussen wirken. Um die Gravitation (Seite 4) des Mondes zu messen, sind unsere bisherigen Methoden, die Schwerkraft zu messen, noch nicht genau genug. Uebrigens suchen die Geodäten eben nach besseren Methoden, und eine akademische Preisfrage ist gestellt worden über den Einfluss der Aufhängung der Pendel auf ihre Schwingungsdauer (Elasticität der Unterlage, Form der Schneide, beziehlich Länge und Elasticität der Feder, an der sie hängen).

Ich für mein Theil habe allerdings, was ich von Mathematik weiss, nur an den Problemen, die ich zu lösen versuchte, gelernt und konnte durch rein abstracte Studien, ohne Anwendung auf Probleme, nie etwas begreifen. Aber Du wirst Dir zunächst einfachere Aufgaben wählen müssen, sei es aus der Mechanik oder aus der Lehre von den Potentialfunctionen, elektrische Vertheilung oder Vertheilung elektrischer Ströme. Die Theorie des Pendels z. B., welches an einer elastischen Uhrfeder aufgehängt ist, wäre ein gutes Beispiel. Diese Art der Aufhängung ist nämlich viel weniger der Reibung unterworfen als die auf Schneiden…“

Seinen Geburtstag verlebt er wie schon häufig in Pontresina, aber vereint mit seiner Frau und erhält wie immer eine reiche Zahl verehrungsvoller Glückwünsche; dieser erste Geburtstag in seiner neuen Stellung bringt ihm einen Brief des Mathematikers L. Kronecker vom 28. August, der in Form und Inhalt gleich interessant ist:

„In wenigen Tagen, am letzten dieses Monats, vollenden Sie das 67. Jahr ihres thatenreichen, über so viele Gebiete Licht spendenden und glanzvollen Lebens! Ich bringe Ihnen dazu meine wärmsten Glückwünsche dar … Die Zahl 67 ist die letzte jener drei kritischen Zahlen im ersten Hundert, für welche der Beweis jenes berühmten Fermat'schen Satzes, der die grössten Mathematiker so lange beschäftigt hat, noch nicht erbracht ist. Die grössten arithmetischen Fährlichkeiten des ersten Hundert Ihrer Lebensjahre haben Sie also bei Empfang dieser Zeilen glücklich überstanden, und ich wünsche Ihnen von Herzen, dass Sie alle physischen (Seite 5) Fährlichkeiten ebenso sicher und leicht überstehen mögen! Dieser 31. August ist der erste Ihrer Geburtstage, den Sie in dem neuen Lebensstadium, in welches Sie das neue von Ihnen übernommene Amt geführt hat, begehen. Mögen Sie darin volle Befriedigung finden und eine lange Reihe von Jahren zum Segen der Wissenschaft Ihre grossartige Wirksamkeit ausüben, dabei aber auch der Universität — wie Sie es zugesagt haben und wie es jener Erlass betreffend „die Erhaltung der Kraft Helmholtz“ gestattet — Ihre segensreiche Lehrthätigkeit aufs Intensivste widmen. Nach diesem Stadium, in welchem Sie ausschliesslich mathematische Physik vortragen, wird — ich bin ebenso von dem Wunsche als der Ueberzeugung beseelt — ein Stadium nachkommen, in welchem Sie sich der reinen Mathematik zuwenden und auch dahinein die Leuchte Ihres Geistes tragen. Sie haben ja an vielen Stellen schon angesetzt, und es ist — wie mir schon lange scheint — nur die Consequenz des in der Geschichte der Wissenschaften wohl einzig dastehenden Entwickelungsganges Ihres wissenschaftlichen Lebens, dass es von der rechten Seite praktischst-wissenschaftlicher Medicin beginnend, durch die Physiologie zur experimentellen und theoretischen Physik weiterschreitend, schliesslich auf der äussersten Linken in der ganz abstracten „reinen“ Mathematik anlangt. Der Reichthum praktischer Erfahrung, gesunder und interessanter Probleme, den Sie der Mathematik zubringen, wird derselben — wie im vorigen Jahrhundert die Arbeit der Astronomen — sicher dann eine neue Richtung und damit einen neuen Aufschwung geben; denn die einseitig nur in sich selbst gekehrten mathematischen Speculationen führen in sterile Gebiete. Also, kommen Sie auch zu uns hinüber, hochverehrter Freund, und drücken Sie auch in die Bahnen der reinen Mathematik die unvergänglichen Spuren Ihrer originellen und kühnen Forschungsschritte, damit auch dort die Pfade der Zukunft damit bezeichnet werden.“

(Seite 6) Gerade in dieser Zeit stand Helmholtz auch wirklich schon mitten in seinen grossen mathematischen Untersuchungen über die monocyklischen Systeme und das Princip der kleinsten Wirkung!

Die neue Auflage der physiologischen Optik nöthigte ihn zugleich, beständig eine fortlaufende Reihe schwieriger optischer Fragen nachzuprüfen und ihre Beantwortung neu zu gestalten. Am 2. November 1888 machte er der Physikalischen Gesellschaft eine kurze Mittheilung „Ueber das Eigenlicht der Netzhaut“, die in der Zeitschrift für Physiologie und Psychologie der Sinnesorgane unter dem Titel „Die Störung der Wahrnehmung kleinster Helligkeitsunterschiede durch das Eigenlicht der Netzhaut“ im Jahre 1890 näher ausgeführt ist.

Das Fechner'sche Gesetz, wonach die kleinsten unterscheidbaren Helligkeitsunterschiede der ganzen Helligkeit proportional sein sollen, hat insofern nicht allgemeine Gültigkeit, als die Empfindlichkeit des Auges sowohl für höchste Lichtintensitäten wie für niedrigste sich geringer erweist, als sie nach dem Gesetz sein sollte. Während für starkes Licht der Grund darin zu suchen ist, dass durch dasselbe die Empfindungsstärke der getroffenen Netzhautstelle herabgesetzt wird, wurde für die niedrigsten Helligkeiten von Fechner das Eigenlicht der Netzhaut als Grund dafür angesehen. Da nun die Stärke des Eigenlichts, die Volkmann auf Grund dieser Hypothese berechnete, einen viel zu geringen Werth ergab, so suchte Helmholtz den Grund in einer anderen Erscheinung. Er fand, dass das Eigenlicht nicht gleichmässig über den Grund der Netzhaut verbreitet ist, sondern dass wir es stets unregelmässig fleckig sehen, und dass, was man von dieser innern Erregung der Netzhaut unter gewöhnlichen Umständen bei schwacher äusserer Beleuchtung überhaupt wahrnimmt, nur die localen Unterschiede der Helligkeit in den Flecken sind, während man nur ausnahmsweise Gelegenheit hat, die mittlere Helligkeit (Seite 7) des Grundes durch Vergleichung mit noch dunkleren Feldern abzuschätzen. Helmholtz führt nun eine Reihe höchst interessanter Versuche aus, welche zeigten, dass die Fleckigkeit des Eigenlichts in der That das Haupthinderniss für die Wahrnehmung sehr schwach beleuchteter, namentlich kleinerer Objecte bildet, indem dieselben zwischen den Flecken des Eigenlichts verschwinden und mit solchen verwechselt werden. Es ergab sich bei seinen Versuchen auch die interessante Thatsache, dass eine grosse, schwaches Licht aussendende ruhende Fläche vollkommen unter dem Eigenlicht der Netzhaut verschwinden kann, während sie genug Licht aussendet, um von ihr beleuchtete bewegte Objecte erkennbar zu machen. Helmholtz entwirft endlich noch eine mathematische Theorie des Einflusses der fleckigen Vertheilung des Eigenlichts der Netzhaut auf die Grösse der Unterschiedsschwellen, die eine hinreichend gute Uebereinstimmung mit den Beobachtungen liefert, und ist auch im Stande, die Abweichungen vom Fechner'schen Gesetz für hohe Lichtstärken mit seinen mathematischen Ausdrücken vereinbar zu machen.

Briefwechsel mit Heinrich Hertz

Die Weiterentwickelung der Elektricitätslehre auf Grund der Faraday-Maxwell'schen Hypothese hatte Helmholtz, wie wir sahen, ganz seinem Freunde und Schüler Hertz überlassen.

Derselbe schreibt ihm am 30. November:

„Als Sie mich in Berlin fragten, ob ich weitere Versuche über die elektrischen Wellen angestellt habe, wusste ich nichts von Bedeutung zu berichten, gegenwärtig habe ich indessen einen weiteren Fortschritt gemacht, welcher die Verbindung zwischen Licht und Elektricität, wie mir scheint, dauernd festlegt, und über welchen es mich daher drängt, Ihnen zu berichten.

Zunächst zeigte mir ein glücklicher Zufall, dass sich nicht nur Wellen von mehreren Metern Länge erzeugen lassen, sondern dass sich auch mit viel kürzeren Wellen (Seite 8) arbeiten lässt, wodurch an Bequemlichkeit unendlich gewonnen wird. Mit Wellen von 33cm Länge in Luft habe ich meine früheren Resultate zum Theil mit Vortheil bestätigen können. Mit diesen kurzen Wellen habe ich nun auch die Versuche wiederholt, die Kraft durch Hohlspiegel in die Ferne zu senden und einen Strahl herzustellen und zwar mit bestem Erfolge. Ich stelle meine primären und secundären Leiter in die Brennlinie eines parabolisch gekrümmten Bleches von 2m Höhe und 2m Breite und finde nun aus dem Spiegel einen Strahl austreten, der in wohlbegrenzter Breite von etwa 1½m einem zweiten Hohlspiegel bis auf 16m Entfernung, und wahrscheinlich weiter, wahrnehmbar ist. Man kann den Strahl durch Drehen des Spiegels richten, man kann an ihm die geradlinige Ausbreitung, die Schattengebung vollkommen nachweisen. Ein Mensch z. B., der die Bahn des Strahles kreuzt, lässt den Funkenstrom in dem inducirten Spiegel vollständig erlöschen. Gestern ist es mir nun auch geglückt, die regelmässige Reflexion des Strahles deutlicher nachzuweisen, als ich gehofft hatte. Stellte ich die Hohlspiegel neben einander, so war ein Einfluss von A auf B nicht vorhanden; wurde nun aber vor die Hohlspiegel eine ebene metallische Wand gestellt, so traten in B sofort Funken auf, die noch wahrgenommen wurden, wenn die Wand 10m von den Spiegeln entfernt war. Ebenso konnte ich die Reflexion unter 45° herstellen, indem ich zwei benachbarte Zimmer benutzte. Das Schliessen der dieselben trennenden Holzthüren behindert das Zustandekommen des secundären Funkens durchaus nicht. Dagegen hören die Funken auf, wenn die ebene spiegelnde Wand nur um etwa 5° nach der einen oder anderen Seite aus der richtigen Lage gedreht wird; daraus ersieht man, dass die Reflexion die regelmässige, keine diffuse ist.

Verzeihen Sie, hochverehrter Herr Geheimrath, meinen Eifer, wenn ich suche, diese Beobachtungen so bald an Ihr (Seite 9) Ohr zu tragen. Ich beabsichtige, sie zu wiederholen und zu erweitern und sie dann zu einem Akademiebericht zusammenzustellen, und hoffe, Sie werden denselben gütig entgegennehmen, wenn Sie auch jetzt gewiss sehr überhäuft mit solchen Geschäften sind.“

Helmholtz antwortet ihm in freudigster Aufregung:

„Ueber Ihre letzten Thaten habe ich mich sehr gefreut. Es sind Dinge, an deren Möglichkeit ich Jahre lang herumgenagt habe, um ein Loch zu finden, wo man ihnen beikommen könnte, und mir ist desshalb auch der ganze Gedankengang vertraut und ihre grosse Wichtigkeit gleich einleuchtend.“

Nachdem Hertz bereits zu Ostern 1885 als ordentlicher Professor der Physik an die technische Hochschule zu Karlsruhe berufen war, wurde ihm durch Helmholtz nach dem Tode von Kirchhoff und Clausius die Wahl gestellt, einem Rufe nach Berlin oder Bonn zu folgen; als er sich sogleich für Bonn entschieden hatte, indem er „die Bonner Professur als Experimentalprofessur der grossen Ehre vorzog, welche die Facultät in Berlin ihm zugedacht hat“, schreibt ihm Helmholtz am 15. December 1888:

„Es thut mir persönlich leid, dass Sie nicht nach Berlin kommen wollen, aber, wie ich Ihnen schon früher sagte, ich glaube allerdings, dass Sie in Ihrem eigenen Interesse ganz richtig handeln, wenn Sie Bonn zunächst vorziehen. Wer noch viel wissenschaftliche Aufgaben vor sich sieht, die er angreifen möchte, bleibt den grossen Städten besser fern. Am Ende des Lebens, wenn es mehr darauf ankommt, den errungenen Standpunkt für die Heranziehung der neuen Generation und für die Staatsverwaltung zu verwerthen, ist es anders.“

Aus der Fülle der Auszeichnungen, welche Helmholtz in dieser Zeit zu Theil wurden, mag nur hervorgehoben werden, dass ihm die Doctorwürde der Universität Bologna verliehen, dass er zum Ehrenmitglied der Kaiserlich russischen (Seite 10) Akademie der Medicin und zum Professor de chimie biologique an der Universität von Madrid ernannt wurde.

Die Fortführung seiner meteorologischen Studien während des folgenden Winters und die dadurch nothwendig gewordene grössere Enthaltung von öffentlichen Vorträgen und Reden in wissenschaftlichen Versammlungen unterbrach er nur einmal in der ausgesprochenen Absicht, seinem nur zu früh verstorbenen Jugendfreunde und späterem vielfachen Gegner in der Werthschätzung seiner grossen wissenschaftlichen Verdienste gerecht zu werden.

Erinnerung an R. Clausius

Zur Erinnerung an R. Clausius hielt Helmholtz am 11. Januar 1889 einen Vortrag in der Physikalischen Gesellschaft zu Berlin, in dem er trotz der vielen Streitpunkte in früherer Zeit die grossen Verdienste Clausius' hervorzuheben sich bemühte. Alle seine eigenen Untersuchungen der letzten Jahre, welche die Entwickelung der modernen Mechanik der Chemie betrafen, beruhten, so weit sie fest und sicher waren, auf dem schon von Sadi Carnot, aber nur in einer für engste Temperaturintervalle richtigen Form gegebenen, sogenannten zweiten Satze der mechanischen Wännetheorie, dessen Bedeutung und Allgemeingültigkeit erst durch die von Clausius gegebene strenge Fassung gewonnen wurde. „Er ist nicht nur eine der wichtigsten, sondern auch eine der überraschendsten und originellsten Leistungen alter und neuer Physik“, weil derselbe einer der wenigen ist, welche absolute Allgemeingültigkeit unabhängig von aller Verschiedenheit der Naturkörper beanspruchen können. Helmholtz nennt das Gesetz originell deshalb, weil es trotz seiner uneingeschränkten Allgemeingültigkeit einen allgemeinen und strengen mechanischen Beweis noch nicht erhalten hat. Clausius und W. Thomson haben gleichzeitig die Untersuchung der Frage unternommen, wie Carnot's Gesetz mit dem Gesetz des mechanischen Wärmeäquivalents zu verbinden sei, doch spricht Helmholtz Clausius die Priorität zu, welcher seine Resultate schon (Seite 11) im Mai 1850 veröffentlicht hat; nur in ihren numerischen Werthen für die absolute Temperatur waren die beiden Forscher von verschiedenen Hypothesen ausgegangen und waren deshalb zu verschiedenen Schlüssen gekommen. Helmholtz hebt am Schlüsse seiner die grösste Werthschätzung und Bewunderung der Clausius'schen Untersuchungen bekundenden Rede hervor, dass nun erst die Möglichkeit gegeben war, einen von den besonderen Eigenschaften irgend eines einzelnen Naturkörpers freien Begriff der absoluten Temperatur auszubilden; aber, was das Wichtigste war, es wurde dadurch ein ganz besonderer Charakter der Wärmebewegung festgestellt, welcher dieselbe von allen anderen Kraftäquivalenten unterscheidet; während die anderen beliebig in einander übergeführt werden können, ist dies für die Wärme nur in begrenztem Maasse der Fall, wenigstens so lange wir nicht auf den Nullpunkt der absoluten Temperatur zurückgehen können.

Wie Helmholtz gerade über diese letzte schwierige Frage gedacht hat, haben wir oben bei der Besprechung seiner monocyklischen Studien gesehen, wo er die geordnete Bewegung, welche durch eine continuirliche Function der Coordinaten und der Zeit definirt ist, von der ungeordneten Bewegung, bei welcher die Bewegung benachbarter Theilchen keine Art von Aehnlichkeit mit einander hat, unterscheidet. Er betrachtet die Wärmebewegung auch als eine ungeordnete, sieht aber das Hinderniss, dieselbe in eine geordnete zurückzuführen, nur in der Beschränktheit der Hülfsmittel der menschlichen Natur; könnten wir diese Mängel überwinden, so müssten alle Processe wieder rückwärts verlaufen. Allerdings bestehen, wie er in seinen Vorlesungen wiederholt andeutete, bei einigen Pflanzen Vegetationsprocesse, wo keine Kraftquelle sichtbar ist, wo also die Frage aufstösst, ob sie etwa die Wärmebewegung ordnen.

Tod von Donders

In den Osterferien erhielt Helmholtz die Nachricht von (Seite 12) dem Tode seines alten, treuen Freundes Donders: „Die mir von Ihnen übersendete Nachricht von Professor Donders' Tode“, schreibt er am 27. März an Engelmann, „hat mich ganz unvorbereitet getroffen und mich auf das tiefste erschüttert. … Ich habe nie einen Gelehrten und ausgezeichneten Forscher kennen gelernt, bei dem das Bewusstsein, für einen idealen Zweck zu arbeiten, so warm und begeistert hervorgetreten wäre. Die Berührung mit ihm hatte dadurch etwas ungemein Wohlthuendes und Herzgewinnendes … .“

Meteorologische Arbeiten

Nachdem er im Juni 1889 von seiner bisherigen Dienstwohnung in Berlin nach dem in der Marchstrasse in Charlottenburg belegenen Wohnhause des Präsidenten der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt übergesiedelt war, legte er zunächst alle anderen wissenschaftlichen Arbeiten bei Seite und vertiefte sich ganz, soweit seine Zeit nicht durch die anstrengende Beschäftigung an der Reichsanstalt in Anspruch genommen war, in seine meteorologischen Arbeiten. Am 31. Mai 1888 und am 25. Juli 1889 legte er der Berliner Akademie zwei Mittheilungen „Ueber atmosphärische Bewegungen“ vor, deren Inhalt zum Theil, wenn auch in etwas anderer Form, den Gegenstand seines im September 1889 auf der Heidelberger Naturforscherversammlung gehaltenen Vertrages „Ueber die Bewegung der Atmosphäre“ bildete.

Helmholtz wendet zunächst auf Euler's hydrodynamische Gleichungen für eine der Reibung unterworfene Flüssigkeit die schon mehrfach von ihm benutzte Ueberlegung an, dass die particulären Integrale derselben auch für den Fall gelten, dass die Coordinaten, die Zeit und die Reibungsconstante auf ein beliebiges n-faches vergrössert werden, während die Kräfte, der Druck und die Geschwindigkeitscomponenten denselben Werth behalten. Es ergiebt sich daraus, dass die Bewegung in analoger Weise, nur langsamer von Statten geht, wenn bei der Bewegung der vergrösserten Masse auch gleichzeitig die (Seite 13) Reibungsconstante entsprechend vergrössert werden kann. Bleibt der Werth der letzteren jedoch unverändert, so wird der Einfluss der Reibung auf die vergrösserte Masse sehr viel kleiner werden, und also die grosse Masse die Wirkungen des Beharrungsvermögens viel weniger durch die Reibung beeinflusst zeigen. Da nun die Dichtigkeit und das Potential unverändert bleiben sollten, also die Kräfte, während der ganze Process zu seinem Ablauf die n-fache Zeit erfordert, auf den n-ten Theil der früheren Kräfte reducirt werden, so schliesst Helmholtz, dass sich in verkleinerten Modellen die in verschiedenen Höhen verschiedene Dichtigkeit der Luft nicht nachahmen lässt, da wir die Schwerkraft nicht entsprechend ändern können. Er zeigt nun an speciellen Fällen, wie ausserordentlich unbedeutend die Wirkungen der Reibung an der Erdoberfläche, die im Verlaufe eines Jahres zu Stande kommen können, für die höheren Luftschichten sein würden. Nur an festen Grenzen des von der Atmosphäre erfüllten Raumes oder an inneren Trennungsflächen, wo Ströme verschiedener Geschwindigkeit an einander grenzen, werden die Flächenkräfte bei Vergrösserung des Maassstabes dieselben bleiben, auch wenn man die Reibungscoefficienten nicht mit vergrössert. Es wird daher nur an der Bodenfläche und an den bei Wirbelbewegungen vorkommenden Trennungsflächen die Vernichtung lebendiger Kraft durch Reibung stattfinden können. Ebenso wird auch für den Wärmeaustausch fast nur Strahlung und Convection der Wärme durch Luftbewegung in Betracht kommen ausser an den Grenzen gegen den Erdboden und an inneren Discontinuitätsflächen, wo auch Temperaturänderungen durch die eigentliche Leitung der Wärme, Diffusion der bewegten Gasmolekeln zwischen wärmeren und kälteren Schichten vor sich gehen können. Mit Zugrundelegung der Maxwell'schen Reibungsconstanten für Luft wird gezeigt, dass eine durch Reibung verzögerte Bewegung bei 0° in 42747 Jahren auf die Hälfte ihrer (Seite 14) Geschwindigkeit herabgehen würde, falls der Abstand beider Schichten gleich 8026 m, der mittleren Höhe einer Atmosphäre von constanter Dichtigkeit ist, und die niedere Temperatur der oberen Schichten würde den Einfluss der Reibung noch weiter verringern. Ebenso würde durch Wärmeleitung der Temperaturunterschied der oberen und unteren Fläche einer Atmosphäre von 8026m Höhe auf seine Hälfte in 36164 Jahren reducirt werden.

„Für die Meteorologie“, sagt v. Bezold, „werden seine Untersuchungen über Integrale der hydrodynamischen Gleichungen in der Folgezeit noch hohe Bedeutung erlangen.“

Da nun ferner aus einer leichten Rechnung hervorgeht, dass eine ungehemmte Circulation der Luft in der Passatzone selbst nicht bis zu 30° Breite bestehen kann, die Beobachtungen aber in der That eine Circulation der Luft in der Passatzone nachweisen, so wirft Helmholtz die Frage auf, wodurch die westöstliche Geschwindigkeit dieser Luftmassen gehemmt und verändert wird.

Nachdem er die Bedingung für das Gleichgewicht rotirender und verschieden erwärmter Luftringe aufgestellt, deren Axe mit der Erdaxe zusammenfällt, und die durch den Druck der benachbarten ähnlichen Ringe bald mehr nördlich, bald südlich geschoben werden, stützt er sich auf das bekannte mechanische Princip, wonach das für die Einheit der Masse berechnete Rotationsmoment, welches dem Producte der Winkelgeschwindigkeit des Ringes und dem Quadrate von dessen Radius gleich ist, constant bleibt. Er findet, dass der Druck sowohl vom Pol wie vom Aequator her gegen die Stelle hin wächst, wo der Ring Windstille macht, d. h. die Winkelgeschwindigkeit des Ringes der Rotationsgeschwindigkeit der Erde gleich ist. Hierauf sich stützend, stellt er die Gleichgewichtsbedingung für an einander stossende Schichten von verschiedenen Werthen der Temperatur der betreffenden Luftmassen und verschiedener Rotationsgeschwindigkeit auf und findet aus denselben, dass das (Seite 15) Gleichgewicht stabil sein wird, wenn die wärmehaltigeren Schichten in der Richtung nach dem Himmelspol zu höher liegen; er bestimmt sodann die Lage der Schichten bei continuirlicher Aenderung der Rotationsgeschwindigkeit mit dem Wärmegehalt.

Nun geht er dazu über, die allmählichen Veränderungen des Gleichgewichts durch Reibung und Erwärmung zu untersuchen. Indem er von den bekannten Erscheinungen der Ausbreitung von Temperaturänderungen in der Luft ausgeht, je nachdem unten oder oben Wärme zugeführt oder entzogen wird, findet er, dass, während unten meist continuirliche Uebergänge in der Temperatur und dem Rotationsmoment der Schichten stattfinden, oben die Ränder der sich ausbreitenden Calmenzone in unmittelbare Berührung mit den unterliegenden Schichten von geringerer Rotationsgeschwindigkeit und geringerer Temperatur treten. Er knüpft nun an seine älteren Untersuchungen über discontinuirliche Bewegungen der Flüssigkeiten an, bei denen an gewissen Trennungsflächen, Wirbelflächen, plötzliche Sprünge in den Werthen der tangentialen Geschwindigkeiten auf der einen und anderen Seite der Fläche vorkommen, und charakterisirt die eigenthümliche Art des labilen Gleichgewichts, welches solche Flächen zeigen. Er weist auf die bekannten physikalischen Beispiele solcher Flächen hin, wie sie sich in den sensiblen Flammen, cylindrischen Strahlen rauchiger Luft und dem Blatt bewegter Luft an der Anblaseöffnung der Orgelpfeifen darbieten. So werden sich nun zwischen etwas schwereren und darüber liegenden etwas leichteren Luftschichten scharfe Grenzen ausbilden, es wird das Gleichgewicht an der Grenze labil sein, und die Bewegungen sich früher oder später in Wirbel auflösen, die zu ausgedehnten Vermischungen beider Schichten führen. Da die untere Schicht schwerer ist, so werden die Störungen ähnlich den Wasserwogen verlaufen, die durch Wind erregt werden, wenn auch der Unterschied des specifischen Gewichts in jenem (Seite 16) Falle viel geringer ist. Es werden in Fällen, wo zwei Luftmassen von verschiedener Temperatur über einander hinwegfliessen, an der Grenzfläche Wellen entstehen müssen. Diese Wellen können sich dem Auge durch plötzlich auftretende Reihen regelmässig geordneter paralleler Wolkenstreifen verrathen, die durch einen neuen Anstoss abermals nach anderer Richtung gefurcht werden können und dann die sogenannten Lämmer- oder Schäfchenwolken, die gestreiften Cirruswolken, bilden; sie werden aber erst sichtbar, wenn die untere Schicht so weit mit Wasserdampf gesättigt ist, dass die Wellenberge, in denen der Druck geringer ist, Nebel zu bilden anfangen. Dass diese Erklärung auch die richtige ist, haben, wie Bezold hervorhebt, die während der letzten Jahre von Berlin aus unternommenen wissenschaftlichen Luftballonfahrten unwiderleglich bewiesen, indem das Durchschneiden einer Wolkenschicht von der oben angegebenen Art jedesmal von einem plötzlichen Sprunge der Temperatur begleitet war.

Nun war der Weg vorgezeichnet, um aus dem Auftreten von Wellen Schlüsse zu ziehen auf den Luftaustausch in den hohen Regionen der Atmosphäre. Die gemischten Schichten werden mittlere Temperaturen und Rotationsmomente erhalten, und ihre Gleichgewichtslage wird also näher gegen den Aequator hin liegen als die der kälteren in sie eingetretenen Schichten. Wo durch die absteigenden Massen die unten lagernden aus einander gedrängt werden, entstehen Anticyklone, wo sich Lücken durch aufsteigende Luftmassen bilden, Cyklone. Indem er nun noch eine andere dauernde Quelle von Winden, nämlich die Kühlung des Bodens an den Polen, einer Erörterung unterzieht, gelangt er zu dem Resultat, dass die hauptsächlichste Hemmung der Circulation unserer Atmosphäre, welche verhindert, dass dieselbe nicht ausserordentlich viel heftigere Winde erregt, als es thatsächlich der Fall ist, nicht sowohl in der Reibung an der Erdoberfläche als in der Vermischung verschieden (Seite 17) bewegter Luftschichten durch Wirbel gegeben ist, welche durch Aufrollung von Discontinuitätsflächen entstehen. Im Innern solcher Wirbel werden die ursprünglich getrennten Luftschichten in immer zahlreicheren und deshalb immer dünner werdenden Lagen spiralig um einander gewickelt, und es ist daher hier durch die ungeheuer ausgedehnte Berührungsfläche ein schneller Austausch der Temperatur und Ausgleich ihrer Bewegung durch Reibung möglich. Man erkennt auf diese Weise, wie es in der Luftmasse durch continuirlich wirkende Kräfte zur Bildung von Discontinuitätsflächen kommen kann.

Nachdem Helmholtz nachgewiesen, dass im Luftkreise regelmässig Zustände eintreten müssen, wo Schichten von verschiedener Dichtigkeit unmittelbar an einander grenzend über einander liegen, wobei die grössere Schwere der tiefer liegenden Schicht durch den geringeren Wärmegehalt und die geringere Umlaufsgeschwindigkeit bedingt ist, so werden wie immer, wenn eine leichtere Flüssigkeit über einer schwereren liegt, an der Grenze die Bedingungen für das Entstehen und die regelmässige Fortpflanzung von Wogen gegeben sein. Helmholtz wirft nun die Frage auf, welche anderen Unterschiede im Verhalten der Luft- und Wasserwellen sich ergeben, abgesehen davon, dass in dem einen Falle die Differenz der specifischen Gewichte viel grösser ist als in dem anderen. Die von ihm angestellten Rechnungen, in denen wieder nach dem Princip der mechanischen Aehnlichkeit aus dem Verhalten der Wasserwellen auf das der Luftwellen geschlossen wird, ergaben, dass bei den beobachteten Windstärken sich nicht nur kleine Wellen, sondern auch solche von mehreren Kilometern Wellenlänge bilden können, welche die unteren Luftschichten stark in Bewegung setzen und sogenanntes böiges Wetter, das sich in wiederholten Windstössen und Regengüssen zeigt, hervorbringen. Helmholtz giebt ein Zahlenbeispiel, in dem ein Luftstrom mit 10m Geschwindigkeit pro Secunde über einen (Seite 18) 10° kälteren Luftstrom hinwegstreicht, und findet, dass dann Wellen möglich sind, deren Wellenlänge 550m beträgt. Es ist interessant, dass Emden bei einer Ballonfahrt mit einer Fahrgeschwindigkeit von 12,5m pro Secunde, bei ruhender unterer Luftschicht, und bei einer beobachteten Temperaturdifferenz von 6,5°, also bei Temperatur- und Geschwindigkeitsdifferenzen ähnlich wie in dem Helmholtz'schen Beispiel, einen Abstand der Nebelrollen von 540 m gemessen, also eine fast vollständige Uebereinstimmung mit der Helmholtz'schen Rechnung gefunden hat. Diese Wellenbildungen in der Atmosphäre sind die häufigste Veranlassung zur Vermischung der atmosphärischen Schichten, und Helmholtz stellt sich deshalb die Aufgabe, die Theorie der Wellen an der gemeinsamen Grenzfläche zweier Flüssigkeiten zu bearbeiten.

Er betrachtet zunächst den speciellen Fall der Bewegung geradliniger Wellenzüge, welche an der ebenen Grenzfläche unendlich ausgedehnter Schichten zweier verschieden dichter Flüssigkeiten, die auch verschieden strömende Bewegung haben, sich in unveränderter Form und mit constanter Geschwindigkeit fortpflanzen. Da diese Wogen, auf ein Coordinatensystem bezogen, welches selbst mit den Wellen fortrückt, eine stationäre Bewegung der beiden Flüssigkeiten darstellen, so nennt sie Helmholtz stationäre Wogen. Unter der gemachten Annahme erscheint alsdann die Grenzfläche beider Medien als eine im Raume feste Fläche, in welcher das obere Medium in einer, das untere in entgegengesetzter Richtung strömt, während in grösserer Entfernung von der Grenzfläche beide Bewegungen in eine geradlinige Strömung von constanter Geschwindigkeit übergehen, in der Nähe der gewellten Grenzfläche dagegen der Richtung dieser folgen müssen. Er leitet nun mit Hülfe einfacher analytischer Betrachtungen her, dass, wenn das Verhältniss der Dichtigkeiten nicht geändert wird, in geometrisch ähnlichen Wellen die Lineardimensionen wie die (Seite 19) Quadrate der Geschwindigkeiten beider Medien wachsen, die letzteren somit in gleichem Verhältniss; während, wenn das Verhältniss der Dichtigkeiten geändert wird, das Verhältniss der lebendigen Kräfte entsprechender Volumeinheiten ungeändert bleiben muss. Daraus folgert nun Helmholtz, dass, da wir bei den am Erdboden vorkommenden mässigen Winden oft genug Wasserwellen von einem Meter Länge haben, dieselben Winde in die Luftschichten von 10° Temperaturdifferenz übersetzt, 2 bis 5 Kilometer Länge erhalten; dass ferner grösseren Meereswellen von 5 bis 10m Luftwellen von 15 bis 30km entsprechen können, die schon das ganze Firmament des Beschauers bedecken und den Wellen in seichtem Wasser zu vergleichen sind, die das Wasser am Grunde erheblich in Bewegung setzen. Alle diese Schlüsse zieht er aus einer Discussion der Integrale der oben bezeichneten hydrodynamischen Gleichungen.

Schliesslich stellt er sich noch die Aufgabe, die Energie der unter dem Einfluss von Wind erregten Wasserwellen zu untersuchen; er vergleicht sie mit derjenigen, welche den beiden bei ebener Grenzfläche mit derselben Geschwindigkeit gleichmässig fortströmenden Substanzen, Wasser und Luft, zukommen würde, und findet, dass eine grosse Zahl der möglichen stationären Wellenbewegungen einen geringeren Energievorrath erfordern als die entsprechende Strömung bei ebener Grenzfläche, so dass die Strömung bei einer solchen Grenzfläche sich den genannten Wellenbewegungen gegenüber wie ein Zustand des labilen Gleichgewichts verhält. Er zeigt, dass Wogen unter Wind möglich sind, die einen geringeren Energievorrath haben, als derselbe Wind über ebener Grenzfläche. Während also der Zustand der geradlinigen Strömung mit ebener Grenzfläche, wenn man nur die niederen Potenzen der kleinen Grössen berücksichtigt, als ein Zustand indifferenten Gleichgewichts erscheint, ist derselbe bei Berücksichtigung der Glieder höheren Grades, gewissen Störungen gegenüber, die stationären Wellen zwischen (Seite 20) bestimmten Grenzen der Wellenlänge entsprechen, ein Zustand labilen Gleichgewichts, kürzeren Wellen gegenüber entspricht er dagegen stabilem Gleichgewicht. Helmholtz folgert hieraus die in der Natur bestätigte Erscheinung, dass auch der gleichmässigste Wind über eine ebene Wasserfläche nicht wird fahren können, ohne bei der kleinsten Störung Wellen gewisser Länge aufzutreiben, die bei gewisser Höhe regelmässige Form und Fortpflanzung werden gewinnen können. Steigt der Wind, so werden die Höhen aller dieser Wellen steigen, die kürzeren unter ihnen schäumen und zerspritzen, neue längere von geringerer Höhe werden sich bilden können, brandend verspritzende Wogen in den Luftmassen werden Mischung der Schichten hervorbringen. Der Umstand, dass derselbe Wind Wellen von verschiedener Länge und Fortpflanzungsgeschwindigkeit erregen kann, wird bewirken, dass Interferenzen zwischen denselben zu Stande kommen und sich abwechselnd höhere und niedere Wellenberge folgen.

Wenn also verschieden dichte, mit ungleicher Geschwindigkeit strömende Luftschichten in scharf ausgeprägten Discontinuitätsflächen an einander grenzen, dann sind ähnliche Bedingungen gegeben, wie wenn der Wind über eine Wasseroberfläche streicht, und jene Trennungsfläche wird zur Bildung gewaltiger, paralleler, in Richtung der rascher bewegten Schicht vorwärts eilender Wellenzüge veranlasst. Diese Wellenbildung hat aber für die allgemeine Circulation der Atmosphäre eine grosse Bedeutung. Die Wärmemenge, welche die Atmosphäre in den äquatorialen Gegenden empfängt und in mächtiger Strömung in den oberen Schichten den Polen zuführt, muss auch der Erdoberfläche in mittleren Breiten zugeführt werden. Ein einfaches Niedersteigen jener oberen Schichten ist unmöglich, da durch Beibehaltung ihres Rotationsmomentes schon in niederen Breiten regelmässig Stürme von nicht beobachteter Heftigkeit auftreten würden. Auch ist der Coefficient der (Seite 21) Wärmeleitung und der Reibungscoefficient viel zu klein, als dass sich der Wärmegehalt, den Helmholtz später nach Bezold die potentielle Temperatur genannt hat, durch Leitung, die Rotationsmomente durch innere Reibung ausgleichen könnten. Es werden sich somit die am Aequator mit Energie versehenen, nach dem Pol strömenden Luftmassen in immer neu sich bildenden Discontinuitätsflächen von den unteren an Energie ärmeren, zurück zu dem Aequator strömenden Luftmassen absondern. Die immer mächtiger sich ausbildenden und steiler werdenden Wellen werden wie Wasserwellen überhängen und branden, und an Stelle jedes Wirbelzuges wird sich ein gewaltiger, horizontal gelagerter Wirbel bilden, indem sich schliesslich die beiden Luftschichten mischen. Das Aufrollen der Discontinuitätsflächen bewirkt stetige Uebergänge in Bezug auf das Rotationsmoment und den Wärmegehalt.

  Fortsetzung des Kapitels


S. 1 - 21 aus:
Koenigsberger, Leo: Hermann von Helmholtz. - Braunschweig : Vieweg
Band 3. - 1903


Letzte Änderung: 24.05.2014     Gabriele Dörflinger   Kontakt

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