Leo Koenigsberger: Hermann von Helmholtz

Helmholtz als Präsident der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt
von Ostern 1888 bis zum 8. September 1894


Anfang des Kapitels

1889: Tod des Sohnes Robert und
Besuch der Naturforscherversammlung in Heidelberg

Tod Robert von Helmholtz'

Als Helmholtz den zweiten Theil seiner meteorologischen Untersuchungen Ende Juli in der Akademie vortrug, fanden ihn seine Collegen schon in tief gedrückter Stimmung, Kummer und Sorge lasteten schwer auf seiner Familie. Während es immer mehr zur Gewissheit wurde, dass die körperlichen Leiden auch die geistige Entwickelung seines Sohnes Fritz dauernd hemmen würden, hatten wenigstens zeitweise die Beschwerden des älteren Sohnes Robert einen Stillstand erfahren, und die Eltern gaben sich der Hoffnung hin, dass ihm noch eine längere Lebenszeit beschieden sein könnte. Seine wissenschaftlichen Arbeiten hatten die grösste Anerkennung gefunden, durch seine geistvolle Heiterkeit war er stets ein belebendes Element im Hause gewesen, ein grosser Kreis ausgezeichneter junger Freunde umgab ihn und brachte mittelbar dem Helmholtz'schen Hause „den Sonnenschein jugendlicher Unmittelbarkeit“.

„Wenn Robert Helmholtz“, schreibt der Assyriologe Professor Lehmann in Berlin, „seinen Freunden allezeit (Seite 22) als ein schwer erreichbares Vorbild vor Augen gestanden, so hatte die innere Wahrhaftigkeit seiner ganzen Persönlichkeit daran einen wesentlichen, wenn nicht den ersten Antheil. Ein hervorragender Zug im Wesen beider Eltern, war sie auf den Sohn übergegangen. An die Mutter, deren Züge er trug, erinnerte die erfrischende, nie verletzende Unmittelbarkeit der freundschaftlichen Missbilligung wie der erfreuten Anerkennung. Bei dem Vater hatte sich die Grösse der wissenschaftlichen Wahrhaftigkeit auch auf die ganze Beurtheilung menschlicher Verhältnisse übertragen, so dass seine Frau mit Recht sagen konnte „Wer naturwissenschaftlich nicht streng und unerbittlich ehrlich bis zu Ende denkt und folgert, dem traut mein Mann nicht, der ist ihm unverständlich“ — und diese ins Leben übertragene Wahrhaftigkeit wird man auch Robert zusprechen müssen. … Der ausserordentlich knappe und prägnante Stil, wie er sich in seinen Schriften und Briefen ausspricht, ist nach seines Vaters Urtheil ebenfalls durch Rücksicht auf seine Kräfte gefordert worden. „Es schien“, sagte Helmholtz einmal, „als sei es ihm darauf angekommen, die einzelnen Worte zu sparen.“ Robert's Energie steigerte sich da, wo es galt, dem Körper zum Trotz seine ungewöhnlichen Anlagen in unermüdlicher Forscherarbeit zu bethätigen. … Sein Vater sah gewiss recht, wenn er nach Robert's Tode äusserte, er habe wohl geahnt, dass ihm nur noch kurze Zeit gegönnt sei, und möglichst viel abzuschliessen gesucht. … Zu des Vaters Grösse blickte er bewundernd empor, klar erkennend und rückhaltlos äussernd, dass sie etwas Unerreichbares sei. „Wir Durchschnittsmenschen können uns mit dem Genie nicht vergleichen — wir haben einen ganz anderen Maassstab. …“ Vielleicht ist nichts für Robert als Freund bezeichnender, als dass er eigene Gebrechlichkeit oder Krankheit nur dann erwähnte, wenn es galt, einem weniger leidensgewohnten und ungeduldigen Freunde Muth zuzusprechen. …“

(Seite 23) Noch bis in das Frühjahr 1889 hinein war er mit den schwierigsten experimentellen Untersuchungen beschäftigt, seine Preisarbeit „Ueber die Licht- und Wärmestrahlung verbrennender Gase“ wurde von dem Verein für Gewerbfleiss in Berlin mit dem ausgesetzten Preise von 5000 Mark und einer Medaille gekrönt, und noch in den ersten Sommermonaten betrieb er in Bonn und Berlin gemeinsam mit Richarz grössere experimentelle Studien, als plötzlich der von seiner Geburt an schwächliche Körper zusammenbrach. Eben war er noch ohne Wissen des Vaters zu dessen freudigster Ueberraschung zum Assistenten an der Reichsanstalt ernannt worden, da versagten die Körperkräfte; noch auf dem letzten Krankenbette bereitete er die Publication seiner Preisarbeit vor — er starb am 5. August. Die einleitenden Worte zu der von Helmholtz nach dem Tode seines Sohnes herausgegebenen Preisarbeit lauteten:

„Als die ersten Correcturbogen des nachfolgenden Aufsatzes ankamen, lag der Verfasser schon auf seinem Sterbebett. Mir, als seinem Vater, ist also die traurige Pflicht zugefallen, die Drucklegung zu überwachen. Er hatte gehofft, die letzte Hälfte des Aufsatzes noch durchzuarbeiten und zu vervollständigen, und hatte schon Versuche mit einigen anderen Brennstoffen ausgeführt. Auch ist manches nicht ganz fertig, weil die Frist, die der Preisbewerbung gesetzt war, zwang, sich bei einigen Punkten mit vorläufigen Bestimmungen zu beruhigen, die bei reichlicherer Zeit sorgfältiger und sicherer hätten ausgeführt werden können; hieran lässt sich nun nichts mehr ändern. Auch kenne ich seine Absichten in dieser Beziehung nicht genau genug, denn er pflegte ganz selbständig zu arbeiten und holte sich selten bei mir Rath. Erst wenn er die Sachen zu Papier gebracht hatte, pflegte er sie mir zu zeigen und mit mir darüber zu sprechen. Meine Sorge musste sich also auf Aenderungen sichtlicher Fehler des Abschreibers beschränken, beziehlich einzelner Undeutlichkeiten der Darstellung, von (Seite 24) denen ich annehmen kann, dass der Verfasser sie selbst beim Durchsehen der Druckbogen in ähnlicher Weise geändert haben würde.“

Der Verlust des Sohnes wirkte wahrhaft betäubend auf die schwer geprüften Eltern.

„An seinem Bette standen wir Alle“ schreibt die Mutter, „mit dem Bewusstsein, dass unser bestes Theil mit ihm dahingeht; das hohe Wollen, das Nie-Rasten oder Schlaffwerden, die männliche Energie und der reine liebe Kindersinn — sie alle sind fort — das Höchste von sich verlangen, trotz aller Hindernisse nur Gutes und Schönes anstreben — wer von uns thut es ihm nach?“

Völlig gebrochen eilt Heimholte in der Mitte des August in die Schweiz, um Körper und Geist durch neue Eindrücke zu erfrischen.

„ … Schreibe nicht zu viel“, schreibt er von München aus seiner Frau, „und suche zu schlafen, soviel Du kannst bei Tage und bei Nacht; da wir beide noch Arbeit auf der Welt haben und uns noch nicht hinlegen dürfen, um sie aufzugeben, so müssen wir schon auch noch sorgen, dass wir brauchbar bleiben. Fritz dürfen wir noch nicht verlassen, aber zunächst ist mir die Zukunft fürchterlich indifferent geworden. Meine Arbeit werde ich noch thun, aber ob sie lange dauert oder kurz, fängt an, mir gleichgültig zu werden.“

Naturforscherversammlung in Heidelberg

In Pontresina wirkt, wie seine Briefe zeigen, die Natur wieder belebend auf ihn ein, er macht grosse Spaziergänge, besteigt den Piz Languard, den er seit vier Jahren gescheut, und beginnt auch wieder seinen Geist mit verschiedenen und äusserst schwierigen Problemen zu beschäftigen. Am Ende des September reiste er nach Heidelberg zur Naturforscherversammlung, auf welcher Hertz die durch ihre Einfachheit und Klarheit, wie durch die Tiefe ihres Inhalts so berühmt gewordene Rede hielt.
„Ich traf mit der ganzen Familie Siemens und mit (Seite 25) Edison und Frau gleich am ersten Abend im Schlossgarten zusammen. Mr. Edison — ein bartloses, Napoleon I. etwas ähnliches, nur viel gutmüthiger und fast kindlich aussehendes Gesicht mit sehr klugen Augen, aber recht harthörig. Er berichtete uns auf unsere Fragen viel über seine Art zu arbeiten, was sehr interessant war. Heute Vortrag von Professor Hertz, der wirklich aussergewöhnlich gut, auch in der Form sehr vollendet, tactvoll und geschmackvoll war und einen Sturm von Beifall hervorrief. …“

Wie Helmholtz ein Vierteljahrhundert früher in der Aula der Heidelberger Universität Kirchhoff als Prorector in seiner ausgezeichneten Rede hatte hervorheben hören, dass die Entdeckung und consequente Durchführung des Princips der Erhaltung der Kraft die grösste Errungenschaft des Jahrhunderts auf dem Gebiete der Naturwissenschaften sei, so war er auch jetzt auf der ersten Reihe der Zuhörer bei der Rede seines grossen Schülers Hertz zu sehen, welcher auf dem Boden der früher von Helmholtz gegebenen Kritik der verschiedenen elektrodynamischen Theorien stehend, sich dessen Anschauungen von der Bedeutung der Faraday-Maxwell'schen Hypothese zugewandt und so zu seinen fundamentalen Entdeckungen gelangt war.

„… Als im gegenwärtigen Jahrhundert die Wechselwirkungen zwischen elektrischen Strömen und Magneten hinzukamen, welche unendlich viel mannigfaltiger sind als bei der Gravitation, in welchen die Bewegung, die Zeit eine so grosse Rolle spielt, wurde man gezwungen, die Zahl der Fernwirkungen zu vermehren, an ihrer Form herumzubessern. Dabei ging die Einfachheit, die physikalische Wahrscheinlichkeit mehr und mehr verloren. Durch das Aufsuchen umfassender einfacher Formen, sogenannter Elementargesetze, suchte man diese wieder zu erlangen. Das berühmte Weber'sche Gesetz ist der wichtigste Versuch dieser Art. Man mag über die Richtigkeit desselben denken, (Seite 26) wie man will, die Gesammtheit dieser Bestrebungen bildete ein in sich geschlossenes System voll wissenschaftlichen Reizes; wer einmal in den Zauberkreis desselben hineingerathen war, blieb in demselben gefangen. War der eingeschlagene Weg gleichwohl eine falsche Fährte, so konnte Warnung nur kommen von einem Geiste von grosser Frische, der wie von Neuem den Erscheinungen unbefangen entgegen trat, der wieder ausging von dem, was er sah, nicht von dem, was er gehört, gelernt, gelesen hatte. Ein solcher Geist war Faraday. Die elektrischen und magnetischen Kräfte selber wurden ihm das Vorhandene, das Wirkliche, das Greifbare, die Elektricität, der Magnetismus wurden ihm Dinge, über deren Vorhandensein man streiten kann …“

Hertz hat es mit Absicht vermieden, in seiner Rede den Namen Helmholtz zu erwähnen — er fühlte tactvoll, dass der anwesende Meister seines Lobes nicht bedürfe. Als aber noch an demselben Tage in meinem Hause all' die ausgezeichneten Physiker wie Helmholtz, Hertz, G. Wiedemann, Kundt, Paalzow, der Botaniker Pringsheim und einige mathematische Freunde einige Stunden gesellig vereint waren, und ich in einigen Worten seine herrliche Rede rühmte und ihn den nächst Helmholtz grössten Physiker der Gegenwart nannte, da erhob er sich in seiner bescheidenen Weise und pries — sonst bei solchen Gelegenheiten wenig redegewandt — in überaus beredten Worten Helmholtz als den grössten Physiker aller Zeiten und bemühte sich, seine eigenen grossen Entdeckungen nur als den Ausfluss Helmholtz'scher Ideen darzustellen. Auf die Frage, weshalb er denn in seiner Rede nicht offen bekannt habe, dass er auch die Attractionskraft als Fernwirkung zu beseitigen wünsche, antwortete er verlegen: „Ich bin noch zu feige dazu.“

  Fortsetzung des Kapitels


S. 21 - 26 aus:
Koenigsberger, Leo: Hermann von Helmholtz. - Braunschweig : Vieweg
Band 3. - 1903


Letzte Änderung: 24.05.2014     Gabriele Dörflinger   Kontakt

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