Leo Koenigsberger: Hermann von Helmholtz

Helmholtz als Professor der Physiologie in Heidelberg
von Michaelis 1858 bis Ostern 1871.


Anfang des Kapitels (Band 2)

Berufung nach Berlin

Der Beginn des Jahres 1870 brachte Helmholtz die grosse Auszeichnung, dass er zusammen mit Kirchhoff zum auswärtigen Mitgliede der Berliner Akademie ernannt wurde; zu gleicher Zeit trat aber auch ein Ereigniss an der Berliner Universität ein, welches die bedeutsamste Wendung in seinem Leben zur Folge hatte.

Am 4. April 1870 meldet ihm du Bois den Tod von Magnus und fügt hinzu:

„Ich möchte mich zerfleischen, dass ich damals, als es sich um Bonn handelte, nicht zum Minister ging und ihn bat, mir zu gestatten, die Verhandlung für Preussen mit Dir zu führen. Wärest Du jetzt bereits als Physiker in Bonn, so wäre die Sache der Berufung nach Berlin auf Magnus' Stelle weit leichter …“

Am 7. April antwortet ihm Helmholtz:

„… Ich mache mir auf eine Berufung nach Berlin nicht viel Rechnung, namentlich weil ich meine, dass eine Berufung Kirchhoff's Euch viel näher liegt und viel leichter auszuführen ist. Mit seiner Gesundheit geht es jetzt gut vorwärts, er ist jetzt frisch und heiter und braucht kaum noch die Krücken auf unebenem Boden. Ihr braucht in Berlin vor Allem einen mathematischen Physiker, und da muss ich mir sagen, ist Kirchhoff eine bewährte und geschulte Kraft in diesem Felde, was ich nicht bin, eine so gute Meinung ich auch übrigens von meinen eigenen Verdiensten mir zurecht gemacht haben mag. Ich werde zufrieden sein, hier sein Nachfolger zu werden.“

In der That stand Helmholtz zuerst der Eventualität, nach Berlin berufen zu werden, ziemlich kühl gegenüber. Während seine Frau mit klarem Blicke und ihrer geistigen Kraft sich wohl bewusst sehr bald erkannte, dass das rege wissenschaftliche und künstlerische Leben in Berlin dem Wirken ihres Mannes und der Entfaltung ihrer eigenen (Seite 179) Talente einen ganz anderen Boden bieten würde, als es in Heidelberg naturgemäss der Fall sein konnte, handelte es sich für Helmholtz doch immer nur darum, sich in seiner Thätigkeit, im Lehren und Forschen, ganz der Physik widmen zu können. Auf den Glückwunsch von Borchardt zu seiner und Kirchhoff's Ernennung zu auswärtigen Mitgliedern der Akademie antwortet er diesem am 7. Mai 1870:

„… Wenn das Schicksal es so fügen sollte, dass einer von uns nicht sehr lange auswärtiges Mitglied bleiben sollte, werde ich mich sehr freuen, weil mir dies die Gelegenheit gäbe, ganz zur Physik überzugehen. Zwischen der Physik in Berlin und der Physik in Heidelberg ist aber die Wage der Wünsche so nahe äquilibrirt, dass ich zwischen ihren Schwankungen den Gleichgewichtszustand noch nicht erkennen und in Ruhe die Entscheidung der Götter und Herrn von Mühler's erwarten kann; und ich glaube, dass Kirchhoff sich ziemlich in demselben Zustande befindet.“

Inzwischen ging die Möglichkeit einer Berufung von Helmholtz nach Berlin bereits durch die Zeitungen, und schon daraufhin wendet sich Minister Jolly am 1. Mai an ihn und bittet ihn, überzeugt zu sein, dass er nichts, was in seinen Kräften steht, versäumen werde, um ihm den Aufenthalt in Heidelberg zu einem dauernd anziehenden und seinen Wünschen möglichst entsprechenden zu machen.

Die philosophische Facultät der Berliner Universität schlug in einem Schreiben an den Minister Kirchhoff und Helmholtz vor und motivirte sachlich und treffend die Vorschläge:

„Wenn Helmholtz der genialere und umfassendere Forscher ist, so ist Kirchhoff der geschultere Physiker und der bewährtere Lehrer; während Helmholtz immer productiv, mit immer neuen Problemen innerlich beschäftigt ist, hat Kirchhoff mehr Lust und Liebe zum Lehren, seine Vortrage sind durch musterhafte Klarheit und Abrundung ausgezeichnet; er ist auch, um Arbeiten von (Seite 180) Anfängern zu leiten, nach allem, was wir hören, geeigneter als Helmholtz … Wenn nun noch die Erwägung hinzukommt, dass Kirchhoff leichter als Helmholtz zu gewinnen sein dürfte, so glaubt die Facultät berechtigt zu sein, wenn sie zunächst den Professor Kirchhoff als denjenigen namhaft machte, welchen Ew. Excellenz als G. Magnus' Nachfolger zu berufen ehrerbietigst gebeten werden.“

Der damalige Rector der Berliner Universität, du Bois, wurde nunmehr vom preussischen Minister ermächtigt, zunächst mit Kirchhoff in mündliche Verhandlung zu treten, und reiste zu dem Zwecke in den ersten Tagen des Juni mit einer Anweisung von Olshausen, sich für den Fall einer Ablehnung Kirchhoff's nach den Bedingungen von Helmholtz zu erkundigen, und mit Briefen der Mathematiker Weierstrass und Kronecker an letzteren nach Heidelberg. Kirchhoff blieb seinen Heidelberger Freunden treu. Noch während eines kleinen Diners, das du Bois am 12. Juni im Hotel zum Europäischen Hof Kirchhoff und Helmholtz zu Ehren gab, und an dem nur noch Bunsen und ich, der als Nachfolger Hesse's Ostern 1869 nach Heidelberg berufen war, Theil nahmen, traf auf die telegraphische Anfrage du Bois' die Erlaubniss des Ministers ein, mit Helmholtz den Beginn der Verhandlungen wenigstens einzuleiten. Unvergesslich bleiben mir, dem noch einzig Ueberlebenden, die herrlichen Worte du Bois', welcher in einer schwungvollen Rede hervorhob, „dass Heidelberg lange genug der Mittelpunkt naturwissenschaftlicher Forschung gewesen, und dass, wenn er es auch verstände, dass Kirchhoff von seinen Freunden sich nicht trennen wolle, Helmholtz doch durch die Natur seiner Arbeiten allmählich ganz in die physikalische Forschung gedrängt worden sei, und dass es ihm gezieme, in die Hauptstadt des immer mehr sich einigenden Deutschlands überzusiedeln, von der aus er seinen Weg genommen.“ Dass wenige Wochen später (Seite 181) wirklich der grosse Kampf um die factische Einheit Deutschlands entbrennen sollte, ahnte Niemand von uns.

Du Bois reiste schon am folgenden Tage zur Berichterstattung nach Berlin zurück und erhielt bereits ein vom 12. Juni datirtes Schreiben von Helmholtz, welches die mündlich besprochenen Bedingungen formulirte:

„Lieber Freund! Auf die mir von Dir im Auftrage des Herrn Cultusminister von Mühler gestellte Anfrage, unter welchen Bedingungen ich entschlossen sei, nach Berlin überzusiedeln, um die durch Magnus' Tod dort erledigte Professur der Physik zu übernehmen, antworte ich Dir, dass ich bereit bin, es zu thun unter folgenden Bedingungen: 1. Persönliches Gehalt von 4000 Thalern jährlich, 2. Zusage, so weit nach den geschäftlichen Verhältnissen gegenwärtig eine solche gegeben werden kann, der Erbauung eines physikalischen Institutes mit den nöthigen Hülfsmitteln für den Unterricht, für die eigenen Arbeiten des Directors und für praktische Arbeiten der Studirenden, 3. Zusage, dass ich allein die Direction über dieses Institut und die Instrumentensammlung behalte, und es meinem Urtheil überlassen bleibt, wie weit und unter welchen Bedingungen ich anderen Docenten die Mitbenutzung einräumen kann (gegen Herrn Professor Dove würde natürlich von meiner Seite die allergrösste Rücksichtnahme stattfinden). Das Auditorium im physikalischen Institut müsste ebenfalls mir allein zum Gebrauche vorbehalten bleiben, damit die Aufstellung complicirterer Anordnungen von Instrumenten darin möglich sei, 4. Dienstwohnung für mich im Institut und bis zu ihrer Herstellung eine entsprechende Miethsentschädigung, 5. Provisorische Beschaffung von gemietheten Räumen in der Nähe der Universität für physikalische Arbeiten von mir selbst, und einigen Studirenden mit der nöthigen Assistenz, 6. Eine angemessene Umzugsentschädigung. Sobald Du mir anzeigst dass der Herr Minister geneigt sei, solche Bedingungen zu bewilligen, würde ich selbst nach Berlin kommen, um mir (Seite 182) die Verhältnisse anzusehen und die Nebenpunkte so weit festzusetzen, als sie von vornherein festzusetzen sind. Sollte gewünscht werden, dass ich schon im Herbst die Stelle antrete, so würde die Sache vor dem 1. Juli so weit geführt sein müssen, dass ich hier mein Abschiedsgesuch einreichen könnte.“

Der Cultusminister zögert keinen Augenblick, um die Beschaffung der Geldmittel beim Finanzminister zu beantragen, und schreibt schon am 14. Juni an letzteren:

„Bei dem Rufe, welchen Helmholtz in der wissenschaftlichen Welt allgemein und unbestritten geniesst, wäre eine Gewinnung auch politisch ein Act von grosser Bedeutung.“

Zugleich aber wendet sich auch die philosophische Facultät unter dem Decanat von Ernst Curtius noch einmal am 17. Juni an den Minister:

„Ew. Excellenz haben, wie die Facultät durch den Rector vernommen, ihre im Schreiben vom 24. Mai cr. für die Wiederbesetzung des Lehrstuhles der Physik ehrerbietigst ausgesprochenen Wünsche sofort zu erfüllen gesucht, so dass wir, nachdem der zunächst begehrte G. Kirchhoff in seiner Stellung zu bleiben beschlossen hat, nun begründete Hoffnung haben, Herrn Professor Helmholtz zu gewinnen. Indem wir durch diese Aussicht freudig bewegt und von aufrichtigem Danke erfüllt sind für die thatkräftige Fürsorge, welche Ew. Excellenz unseren Interessen bezeugt haben, sehen wir der weiteren Entwickelung dieser hochwichtigen Angelegenheit mit vollem Vertrauen entgegen und gestatten uns nur noch in Betreff der Berufungszeit eine ehrerbietige Vorstellung. Wenn die Berufung von Helmholtz noch bis Ende des Jahres in der Schwebe bleiben sollte, so würde bis dahin ohne Zweifel noch Alles versucht werden, um seine Rückkehr nach Preussen zu hindern, wie dieselbe ja schon einmal an dem langen Warten auf definitive Entscheidung gescheitert ist. Auf jeden Fall würde der Winter in Heidelberg für Helmholtz eine peinliche (Seite 183) Zeit sein, und es liegt in seinem wie in unserem Interesse, dass er uns so bald wie möglich ganz angehöre. Darum ersuchen wir Ew. Excellenz ehrerbietigst, die glücklich begonnenen Unterhandlungen so zum Abschluss zu führen, dass alle weiteren Gegenbemühungen abgeschnitten werden, und dass Herr Professor Helmholtz in den Stand gesetzt werde, zum 1. Juli cr. in Heidelberg zu kündigen und zum 1. October nach Berlin überzusiedeln.“

Schon am 28. Juni geht der Cultusminister in einem Schreiben an Helmholtz auf alle von ihm ausgesprochenen Wünsche ein, wobei, da in dem Fonds der Universität nur 2000 Thaler vorhanden, die anderen 2000 Thaler in dem Etat der Akademie der Wissenschaften als ein gleich den Universitätsbesoldungen ad dies vitae zu zahlendes akademisches Gehalt durch Ueberweisung der erforderlichen Mittel aus allgemeinen Staatsfonds vom nächsten Jahre ab bereit gestellt werden sollen.

„Zur Flüssigmachung des akademischen Gehaltes und der Mittel zum Bau und zur demnächstigen Ausstattung des physikalischen Institutes ist verfassungsmässig die Zustimmung des Landtags erforderlich. Dass dieselbe seiner Zeit erfolgen wird, ist nicht zu bezweifeln. Gleichwohl bin ich nach den constitutionellen Grundsätzen nicht befugt, in Bezug auf diese Punkte vor erlangter Zustimmung des Landtags eine rechtsverbindliche Erklärung abzugeben und die bezüglichen Summen zur Zahlung anzuweisen. Aus dieser Rücksicht kann ich daher zu meinem grössten Bedauern als den Zeitpunkt Ihrer Berufung an die hiesige Universität nicht, wie ich es so sehr gewünscht hätte, Michaelis d. J., sondern erst Ostern k. J. bezeichnen. Ich habe aber keinen Augenblick zögern wollen, Sie von der diesseitigen Bereitwilligkeit zur Erfüllung Ihrer Bedingungen zu unterrichten, und füge das ergebenste Ersuchen hinzu, mir Ihren Entschluss, ob Sie nunmehr wieder der Unsrige werden wollen, gefälligst recht bald mitzutheilen.“

(Seite 184) Am 1. Juli geht Helmholtz in einem Schreiben an den Minister auf dessen Wünsche ein.

„Was mich betrifft“, schreibt ihm du Bois, „so sind wenige Ereignisse meines Lebens für mich so beglückend gewesen, wie dieses. Das Loos, welches mich am 1. August vorigen Jahres zum Rector machte, war eine gescheidte That des Weltgeistes. Möge ich auch zu Deinem Glücke beigetragen haben, wie ich stets für Deinen Ruhm bestrebt gewesen bin.“

Nun kamen für Helmholtz Tage grosser Aufregung; zu der Spannung, mit der er die Erledigung seiner Berufungsfrage erwartete, kamen die immer bedrohlicher lautenden politischen Nachrichten.

„Eben wollte ich an Käthe Ordre für den Kriegsfall absenden“, schreibt er am 3. Juli seiner mit den Kindern bei ihren Eltern weilenden Frau, „als das Telegramm kam, wonach Prinz Leopold gutmüthig genug gewesen ist, abzudanken. Ich wollte, König Wilhelm hätte diese Vermittelung gelassen; es wird doch nur einen kurzen Aufschub bewirken und sieht aus wie eine Nachgiebigkeit aus Schwäche.“

An den folgenden Tagen war er sehr erregt. Bunsen, Kirchhoff und ich machten fast täglich grössere Spaziergänge mit ihm und trafen Abends noch meist im Darmstädter Hof mit ihm zusammen. Am 11. Juli schreibt er seiner Frau:

„Jetzt fange ich wirklich an zu furchten, dass wir Krieg haben werden, denn das Gebahren der französischen Regierung lässt nur die eine Erklärung zu, dass sie auf eine Gelegenheit gewartet haben, und jetzt eine passende gefunden zu haben glauben; sonst wäre es der reine Wahnsinn. Ich glaube auch nicht, dass die Preussen dem Kriege allzuweit ausweichen werden; denn wenn es einmal feststeht, dass er früher oder später kommt, so werden sie ihn gleich annehmen. Das kann alle unsere Pläne und Aussichten gewaltig verändern.“

(Seite 185) Schon am 17. Juli theilt ihm du Bois unter dem furchtbaren Eindruck der Kriegserklärung mit, dass sich nun gar nicht absehen lässt, wann die Kammer das Budget berathen wird.

Gedanken, Zeit und Kraft von Helmholtz wurden nun durch die gewaltigen Ereignisse ganz in Anspruch genommen:

„… Ich selbst habe“, schreibt er in den ersten Tagen des October an du Bois, „zwei Monate lang hier in Lazarethangelegenheiten gearbeitet und hatte speciell die Direction der Aufnahme und Vertheilung der Verwundeten und des Bureaus auf dem Bahnhofe, bin auch einmal mit einer Expedition von jüngeren Aerzten nach Wörth gewesen und habe die Schauer eines Schlachtfeldes nach der Schlacht kennen gelernt. Eine Weile war eine solche angestrengte Thätigkeit eine Wohlthat, um über die Aufregung der Zeit hinweg zu kommen; schliesslich aber, als die Geschäfte einen ruhigeren Gang nahmen, und für mich weniger zu thun war, zeigten mir häufig wiederkehrende heftige Migräneanfälle an, dass ich ausruhen müsse. Ich ging erst zu meinen Schwiegereltern nach Starnberg, wo auch unsere kleine Familie die Kriegszeit durchgemacht hatte. Da war es aber schon zu winterlich, und so ging ich dann noch auf drei Wochen nach Meran und bin gestern über das Engadin und Chur nach Hause gekommen.“

Durch den glücklichen und über alles Erwarten raschen Verlauf des Krieges war du Bois schon am 13. October in der Lage, Helmholtz in Aussicht zu stellen, dass der Landtag im November zusammentreten und seine Berufung dann definitiv geordnet werde, dass er sich aber in Rücksicht auf die Zeitverhältnisse in einen Aufschub des Neubaues werde fügen müssen, womit sich auch Helmholtz am 17. October einverstanden erklärt, vorausgesetzt, dass ihm das Versprechen gegeben werden kann, die Sache solle bei wiederhergestellten normalen Geldverhältnissen des Staates sofort in Angriff genommen werden, und (Seite 186) vorausgesetzt ferner, dass die provisorischen Einrichtungen eines Arbeitslocales für ihn und einige Studirende so hergestellt werden, dass ihm die Möglichkeit bleibt, experimentelle Arbeiten theils selbst auszuführen, theils zu leiten.

Am 16. December 1870 geht der preussische Minister in einem Schreiben an Helmholtz auf alle diese Wünsche ein.

„Ich habe seiner Zeit nicht gesäumt, die nöthigen Schritte zu thun, um die Erfüllung meiner Zusagen auf dem verfassungsmässigen Wege sicherzustellen. Die bald darauf eingetretenen kriegerischen Verhältnisse haben indessen nothwendig auf den Fortgang der Sache hemmend einwirken müssen … Zum Bau eines physikalischen Laboratoriums hat dagegen in den Etat keine Summe eingestellt werden können, da es unter den gegenwärtigen Verhältnissen unthunlich erschien, der Staatskasse, welche schon für die Fortführung der bei Ausbruch des Krieges bereits in Angriff genommenen Bauten sorgen muss, neue derartige Verpflichtungen aufzuerlegen. Ich bedaure lebhaft, dass dieserhalb der Beginn des Baues, wenn auch vielleicht nur auf ein Jahr, hat verschoben werden müssen … Es würde mir sehr erwünscht sein, wenn Sie sich zu einer Reise nach Berlin entschliessen möchten, um hier an Ort und Stelle Ihre Wünsche näher zu bezeichnen und die Möglichkeit der Erfüllung zu erörtern.“

Helmholtz antwortete, dass er sich am 28. December, Vormittags, im Ministerium melden werde, dass er die Stellung annehme und rechtzeitig seine Entlassung zu Ostern 1871 in Karlsruhe nachsuchen werde.

Noch vor Ende des Jahres reiste er mit seiner Frau nach Berlin, fand dort eine sehr schöne und frei gelegene Wohnung in der Königin-Augusta-Strasse und führte die Besprechungen über die provisorischen Einrichtungen des physikalischen Instituts persönlich in kurzer Zeit mit dem gewünschten Erfolge zu Ende. Das Ministerium knüpfte sogleich Unterhandlungen zum Kaufe eines Grundstückes (Seite 187) für den Neubau an, gab ihm ein provisorisches Local in der Universität, wo die Instrumente aufgestellt, und das Laboratorium im damaligen Herbarium, welches verlegt wurde, eingerichtet werden sollte, und erfüllte alle sonstigen kleineren Wünsche mit entgegenkommendster Bereitwilligkeit. Glücklich und befriedigt von dem Empfange, den ihnen die du Bois'sche Familie sowie die anderen hervorragenden Gelehrten Berlins bereitet, kehrten sie nach Heidelberg zurück.

Helmholtz erbat am 2. Januar seine Entlassung aus dem badischen Staatsdienst und erhielt schon einige Wochen darauf die vom Kaiser Wilhelm am 13. Februar 1871 in Versailles unterzeichnete Bestallung. Nur wenige Tage nach seiner Rückkehr aus Berlin erhielt er von Sir William Thomson die Anfrage, ob er geneigt wäre, eine Professur der experimentellen Physik in Cambridge anzunehmen, musste aber nunmehr trotz der glänzendsten Bedingungen dankend ablehnen.

„So geschah“, sagt du Bois, „das Unerhörte, dass ein Mediciner und Professor der Physiologie den vornehmsten physikalischen Lehrstuhl in Deutschland erhielt, und so gelangte Helmholtz, der sich selber einen geborenen Physiker nannte, endlich in eine, seinem specifischen Talente und seinen Neigungen zusagende Stellung, da er damals, wie er mir schrieb, gegen die Physiologie gleichgültig geworden war und eigentliches Interesse nur noch für die mathematische Physik hatte.“

Sein Sohn Richard, welcher wohl erkannte, dass sein Vater es gern sehen würde, wenn er den kriegerischen Ereignissen nicht fern bliebe — „warme Vaterlandsliebe war stets eine ausgesprochene Eigenschaft meines Vaters“ — war, wiewohl erst siebzehnjährig, schon im August 1870 beim reitenden Zuge der leichten Ersatzbatterie des badischen Feldartillerieregiments als Kriegsfreiwilliger eingetreten und wurde im Anfang des November ins Feld nachgeschickt, wo er ausser einzelnen kleinen Scharmützeln die dreitägige Schlacht an der Lisaine (Seite 188) mitmachte und in Folge eines Unfalles an seinem Geschütz, wenn auch nicht schwer, verwundet wurde.

Abschied von Heidelberg

Noch in den letzten Wochen seines Heidelberger Aufenthaltes verabschiedete sich Helmholtz bei der gebildeten Bevölkerung Heidelbergs, welche so oft in Begeisterung und Verehrung seinen herrlichen populären Vorlesungen gelauscht, durch einen Vortrag „Ueber die Entstehung des Planetensystems“; die Bühne des dichtgedrängt vollen Saales war ganz mit Lorbeern geschmückt, ein Kranz lag darauf, und das gesammte Publicum erhob sich, als er erschien. Mit wunderbarer Klarheit und in vollendeter Form erläuterte er die Kant-Laplace'sche Hypothese mechanisch und physikalisch und legte die geistvollen Betrachtungen dar, durch welche W. Thomson nachgewiesen, dass die Dichtigkeit des Lichtäthers möglicherweise ausserordentlich viel kleiner als die Luft im Vacuum einer guten Luftpumpe sein mag, dass aber die Masse des Aethers nicht absolut gleich Null ist, sondern dass ein Volumen gleich dem der Erde nicht unter 2775 Pfund Lichtäther enthalten kann.
„Die Grundlagen würden dieser Rechnung allerdings entzogen werden, wenn sich die Maxwell'sche Hypothese bestätigen sollte, wonach das Licht auf elektrischen oder magnetischen Oscillationen beruht.“

Fünfundzwanzig Mitglieder des naturhistorisch-medicinischen Vereins überreichten ihrem scheidenden Präsidenten einen prachtvollen silbernen Tafelaufsatz und eine silberne Schale, getragen von einem schlanken Genius von mattem Silber.

Am 5. März 1871 vereinigten sich die Collegen und eine grosse Zahl von Männern aus den gebildeten Ständen Heidelbergs zu einem Festmahl Helmholtz zu Ehren in der Harmonie. Allen Theilnehmern werden die Worte, welche er und andere dort gesprochen, unvergesslich bleiben — aber alle beherrschte auch das Gefühl, dass der grösste Denker und Forscher Deutschlands dorthin gehöre, wo dem (Seite 189) Gründer des Deutschen Reiches der gewaltigste Staatsmann und der genialste Feldherr zur Seite standen.

„Meiner Schwester“, schreibt Frau von Schmidt-Zabièrow, „fiel der Abschied aus der süddeutschen Heimath, das Loslösen von den geliebten Jugendverhältnissen, das Scheiden aus dem Kreise der ihr warm ergebenen Freunde sehr schwer, doch erfasste sie in vollem Umfang die Bedeutung dieser Wendung in dem Leben ihres Mannes und brachte alle persönlichen Bedenken zum Schweigen.“


S. 178 - 189 aus:
Koenigsberger, Leo: Hermann von Helmholtz. - Braunschweig : Vieweg
Band 2. - 1903


Letzte Änderung: 24.05.2014     Gabriele Dörflinger   Kontakt

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