Leo Koenigsberger: Hermann von Helmholtz

Helmholtz als Professor der Physik in Berlin
von Ostern 1871 bis Ostern 1888


Anfang des Kapitels

Das Universitätsjubiläum und die Erteilung der Graefe-Medaille 1886 in Heidelberg

(Seite 337) In den letzten Tagen des Jahres 1885 erhielt Helmholtz von Donders die Mittheilung, dass die ophthalmologische Gesellschaft ihm die erste zum Andenken Albrecht von Graefe's gestiftete Medaille zugesprochen habe, und dass ihm dieselbe im Herbste des nächsten Jahres in Heidelberg überreicht werden sollte. Er antwortete Donders am 31. Januar 1886: „Ueber die Ertheilung der Graefe-Medaille habe ich mich sehr gefreut, um so mehr, da lange Jahre vergangen waren, in denen ich die Ophthalmologen nicht mehr an mich erinnert habe … Das zweite Heft der physiologischen Optik wird in wenigen Tagen erscheinen und Ihnen zugehen. Die Farbenlehre, fürchte ich, wird einige Stockungen im Druck verursachen, da hat sich eine enorme Litteratur aufgehäuft. … Uns geht es im Ganzen gut; wenn ich auch einzelne kleine Unbequemlichkeiten des wachsenden Alters merke, so kann ich über Mangel an Arbeitsfähigkeit nicht klagen; ich wollte nur, dass ich mehr freie Zeit hätte. Eine Ursache, die mir lange Jahre hindurch fast wöchentlich einen Tag wegnahm, nämlich die Migräne, ist fast ganz verschwunden. Man sagte mir immer, dass sie mit steigendem Alter endlich weiche. Die Hauptsache freilich ist, dass man lernt, wie viel man unternehmen darf und das sorgfältig beachtet. …“

Nach Schluss des Sommersemesters 1886 reiste Helmholtz — seine Frau war wegen Erkrankung ihres Sohnes verhindert ihn zu begleiten — nach Heidelberg zur Theilnahme an der Feier des 500 jährigen Jubiläums der Universität und hielt dort bei dem Festmahle am 4. August im Auftrage aller Versammelten, in Gegenwart des Kronprinzen des Deutschen Reiches und des Grossherzogs von Baden, des Rectors der Universität, die nachfolgende Rede zu Ehren Heidelbergs: (Seite 338)

„Mir ist der ehrenvolle Auftrag zuertheilt worden auf die Stadt Heidelberg einen Trinkspruch auszubringen, und gerne erfülle ich diesen Auftrag, da Heidelberg meinem Herzen nahe steht. Ich habe diese Stadt zuerst als Tourist kennen gelernt und den Zauber ihrer Schönheit gleich tief gefühlt.

Es giebt eine echte und eine falsche Schönheit. Der Eindruck der letzteren schwächt sich ab, wenn man ihr zum zweiten Male gegenübersteht, sie langweilt, wenn man sie mehrfach sieht. Ich habe nun ausgedehnte Gelegenheit gehabt, Heidelbergs Schönheit als echt zu erproben; denn mir hat ein günstiges Geschick gestattet, zwölf Jahre hier zu verleben, und während dieser Zeit ist der Zauber der Stadt nicht geschwunden.

Die Individualität des Menschen ist ein Product seiner Geschichte, und so ist die Liebe zu Heidelberg ein Stück meiner Seele geworden.

Ich will mich nun aber nicht in eine poetische Beschreibung von Heidelbergs Schönheit ergehen. Denn das haben Tausende vor mir schon gethan, darunter die ersten Dichter deutscher Zunge, von Goethe bis auf den uns erst jüngst Entrissenen, dessen Lieblingsthema diese Stadt gewesen ist. Ihnen kann ich nicht nacheifern. Mir scheint, jeder spricht am besten von dem, was er selbst am besten kennt, und Heidelbergs Ehrenkranz wird am schönsten, wenn mannigfaltige Blumen hineingeflochten werden, mag darunter auch einmal eine etwas absonderliche sein. Darum will ich die Schönheit dieser Stadt von dem Standpunkte als Naturforscher betrachten.

Ist es ein Zufall, dass von diesen grünen Hügeln aus der geistige Blick des Menschen zum ersten Male mit der Einsicht, wie die chemische Natur der Weltkörper zu ergründen ist, in die unermesslichen Himmelsräume drang? Ein Unterfangen, welches unmittelbar vorher noch als die abenteuerlichste Unmöglichkeit erscheinen musste! Ich glaube (Seite 339) das Gegentheil. Etwas vom Schauen des Dichters muss der Forscher in sich tragen. Freilich ist letzterem mühsamere und geduldigere Arbeit nöthig, um das Material zu sichten und bereit zu machen. Aber Arbeit allein kann die lichtgebenden Ideen nicht herbeizwingen. Diese springen, wie die Minerva aus dem Kopfe des Jupiter, unvermuthet, ungeahnt; wir wissen nicht, von wannen sie kommen. Nur das ist sicher: Dem, der das Leben nur zwischen Büchern und Papier kennen gelernt hat, und Dem, der durch einförmige Arbeit ermüdet und verdrossen ist, Dem kommen sie nicht. Die Empfindung von Lebensfülle und Kraft muss da sein, wie sie vor Allem das Wandern in der reinen Luft der Höhen giebt. Und wenn der stille Frieden des Waldes den Wanderer von der Unruhe der Welt scheidet, wenn er zu seinen Füssen die reiche üppige Ebene mit ihren Feldern und Dörfern in einem Blick umfasst, und die sinkende Sonne goldene Fäden über die fernen Berge spinnt, dann regen sich auch wohl sympathisch im dunkeln Hintergrunde seiner Seele die Keime neuer Ideen, die geeignet sind, Licht und Ordnung in der innern Welt der Vorstellungen aufleuchten zu machen, wo vorher Chaos und Dunkel war.

Heidelberg, die Zuflucht müder und beladener Seelen, die Erquickungsstätte der Leidenden, die Stadt strenger Arbeit und jugendlicher Begeisterung, die wir alle lieben und zu der wir gekommen sind, weil wir sie lieben,

Alt' Heidelberg, die feine,
Die Stadt an Ehren reich,
sie wachse, sie blühe, sie lebe !“

Unmittelbar nach dem Jubiläum der Universität fand in Heidelberg am 9. August in feierlicher Sitzung der ophthalmologischen Gesellschaft die Ueberreichung der Gräfe-Medaille statt. Auf die schöne Anrede des Vorsitzenden Donders antwortete Helmholtz mit tiefempfundenen (Seite 340) Ausdrücken des Dankes und schloss seine längere Rede mit den Worten:

„Nun aber erlauben Sie, dass ich meinen Schluss auch in eine allegorische Form bringe, um keine persönlichen Bescheidenheiten zu verletzen. Nehmen wir an, da wir uns in einer Allegorie nicht an die historische Wahrheit zu binden brauchen, bis zu den Zeiten des Phidias hätte man keine hinreichend harten Meissel gehabt, um Marmor mit vollkommener Beherrschung der Form bearbeiten zu können. Höchstens konnte man Thon kneten oder Holz schnitzen. Nun aber findet ein geschickter Schmied, wie man Meissel stählen könne. Phidias freut sich der bessern Werkzeuge, bildet damit seine Götterbilder und beherrscht den Marmor wie niemand vor ihm. Er wird geehrt und belohnt. Aber die grossen Genies sind, wie ich immer gesehen, höchst bescheiden gerade in Beziehung auf das, worin sie andern höchst überlegen sind. Gerade das wird ihnen so leicht, dass sie schwer begreifen, warum die andern es nicht auch machen können. Mit der hohen Begabung ist aber auch immer die entsprechende grosse Feinfühligkeit für die Fehler ihrer eigenen Werke verbunden. Demgemäss sagt Phidias in einem Anfall von grossmüthiger Bescheidenheit dem Musterschmied[=Meisterschmied]: „Ohne Deine Hülfe hätte ich das alles nicht machen können. Die Ehre und der Ruhm gebühren Dir.“ Dann kann ihm der Schmied doch nur antworten: „Ich hätte es aber auch mit meinen Meisseln nicht machen können, Du würdest doch ohne meine Meissel wenigstens in Thon wunderbare Bildwerke haben kneten können. So muss ich die Ehre und Ruhm ablehnen, wenn ich ein ehrlicher Mann bleiben will.“ Nun wird Phidias der Welt entrissen; es bleiben Freunde und Schüler, Praxiteles, Paionios und andere. Sie brauchen alle den Meissel des Schmiedes, die Welt füllt sich mit ihren Werken und ihrem Ruhm. Sie beschliessen, das Andenken des Geschiedenen zu ehren durch einen Kranz, den der erhalten (Seite 341) soll, welcher am meisten für die Kunst und in der Kunst der Bildnerei gethan. Der geliebte Meister hat den Schmied oft als den Urheber ihrer grossen Erfolge gerühmt, und sie beschliessen endlich, ihm den Kranz zu geben. Gut, antwortet nun der Schmied, ich füge mich. Ihr seid viele und unter euch sind kluge Leute, ich bin nur einer; ihr versichert, dass ich euch vielen viel geholfen habe, und dass nun in vielen Orten Bildner sitzen und die Tempel mit Nachahmungen eurer Götterbilder schmücken, die ohne die Werkzeuge, die ich euch gegeben, wohl wenig geleistet haben würden. Ich muss euch glauben, denn ich habe nie Marmor gemeisselt, und dankbar annehmen, was ihr mir zuerkennt. Ich selbst aber würde meine Stimme dem Praxiteles oder Paionios gegeben haben.“

„Gestern Abend und heute früh“, schreibt ihm seine Frau, „haben die Zeitungen nun auch Deine schöne, aber schier zu bescheidene Antwortsrede gebracht. Nur der „Schmied“ bist Du denn doch nicht, und namentlich ist mir's schwer, die Herren Augenärzte als ebensoviele Praxitelesse gegenüber von Dir zu denken. Diesen jüngeren Herren war es recht gut, einmal zu hören, wem sie überhaupt die Möglichkeit ihrer wissenschaftlichen Specialität verdanken. Sie betrachten nämlich, wie mir schon öfter scheinen wollte, den Augenspiegel als etwas so Selbstverständliches und Angeborenes, wie wir Gabel und Messer ansehen. Das werde ich doch nie verschmerzen, nicht dabei gewesen zu sein.“

Aber diese „bescheidene Antwortsrede“ war nur der Ausdruck seiner wahren Gesinnung; unmittelbar nachdem ihm die Kunde von der Ertheilung der Graefe-Medaille zugegangen, schrieb er an Laqueur, dass er eine gewisse Unbilligkeit gegen die gegenwärtig in diesem Gebiete Arbeitenden darin finde, dass man Erinnerungen an alte Arbeiten, welche anfangen, allmählich in das Gebiet des Historischen überzugehen, so betone.

Während seine Frau an einem der schweren (Seite 342) langwierigen Krankenlager seines Sohnes Robert festgebannt war, gedachte er seine Tochter Ellen in Interlaken auf einige Tage zu besuchen, erkrankte aber dort sehr bald ernstlich in Folge der übergrossen Anstrengungen, denen er sich in Heidelberg hatte unterziehen müssen. Am 22. August schreibt seine Frau, die zu ihm geeilt war, aus Interlaken ihrem Sohne Robert:

„Ich fand den Papa schlaff und krank und sehr melancholisch; er ist überzeugt, dass er hart an der Pforte des Todes vorbeiging, und ist auch noch in einem sonderbaren Zustande … In Papas stark theoretisirende und bedingte Folgsamkeit hat der Arzt sich nachträglich gefunden, und giebt ihm scheinbar nach …“

In den ersten Tagen des September vermochte er von Interlaken nach Rigi-Kaltbad überzusiedeln, und von dort mit seiner Frau Minghetti's und Blaserna in Selisberg zu besuchen.

Doch bald traten wieder schmerzhafte Rückfälle und seelische Depressionen bei Helmholtz ein.

„Papa muss nach Hause“, schreibt seine Frau, „muss richtig behandelt und beobachtet werden, muss geeignete Kost kriegen und aus der Hotelexistenz heraus. Wir können ihm zu Hause, wenn auch keine Bergluft, aber Ruhe und Pflege schaffen und das ist doch auch etwas.“

Sie fuhren zunächst zu Kussmaul nach Strassburg:

„Er hörte so concentrirt zu, stellte so klare und präcise Fragen, und dann sagte er mir: Ich kann wirklich nichts finden, aber ich würde den Zustand nicht leicht nehmen, man kann eben nicht Alles fühlen. Positiv krank ist er nicht, aber gesund auch nicht; grosse Vorsicht in der Ernährung sei nöthig.“

Eine Ruhezeit von einigen Wochen in Baden stellte Helmholtz fast völlig her.

  Fortsetzung des Kapitels


S. 337 - 342 aus:
Koenigsberger, Leo: Hermann von Helmholtz. - Braunschweig : Vieweg
Band 2. - 1903


Letzte Änderung: 24.05.2014     Gabriele Dörflinger   Kontakt

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