Dem jungen, noch nicht dreissigjährigen Gymnasiallehrer Ferdinand Helmholtz wurde, nachdem er ein Jahr verheirathet gewesen, von seiner Frau ein Sohn geschenkt, der einst der Familie und dem Vaterlande zum Stolz und Ruhm gereichen, der gesammten gesitteten Welt eine Leuchte der Wissenschaft sein sollte.
Hermann Ludwig Ferdinand Helmholtz wurde am 31. August 1821 in Potsdam in dem Hause Nr. 8 der Hoditzstrasse geboren und am 7. October in der lutherischen Heiligen-Geistkirche daselbst getauft. Er war ein wenig schönes und sehr schwächliches Kind.
„Grade mein erstes Kind“, schreibt dreissig Jahre später die glückliche Mutter ihrem Sohne, „Du nämlich, mein Wunderkind, wie ich Dich von Deiner Geburt an nannte, wurde von allen unschön gefunden; mich beunruhigte aber das alles nicht, ich bewunderte mein Kind, es lächelte mich, wie es die Augen öffnete, an, ich sah nichts als Geist und Verstand.“(Zitat 1)
In seinen ersten sieben Jahren war er ein körperlich
kränklicher Knabe, lange an das Zimmer, häufig an das Bett
gefesselt, aber stets mit lebhaftem Trieb nach
Unterhaltung und nach Thätigkeit; Bilderbücher und Spiel,
hauptsächlich mit Bauhölzern, füllten seine
Zeit aus,
In seinem siebenten Lebensjahre besuchte er, noch immer
häufig durch Kränklichkeit am regelmässigen
Schulbesuch gehindert, die Volksschule des Potsdamer
Schullehrerseminars und überraschte schon dort, als er zur
wissenschaftlichen Lehre der Geometrie kam, seine Lehrer
dadurch, dass ihm aus den Kinderspielen mit Bauhölzern
alle Thatsachen, die er erst lernen sollte, wohlbekannt und
geläufig waren.[Zitat 4]
Allmählich befestigte sich nun seine
Gesundheit durch häufige Turnübungen und tägliches Baden,
und zugleich entwickelte sich auf den vielen mit seinem
Vater regelmässig unternommenen Spaziergängen in den
schönen Umgebungen seiner Vaterstadt seine grosse Liebe zur
Natur. So kam es, dass, als er im Frühling 1830 in die Sexta
des Gymnasiums zu Potsdam eintrat, er dem Unterricht
recht gut folgen konnte und schon nach einem halben Jahre
in die Quinta versetzt wurde, wo er sich, wie seine
Zeugnisse beweisen, die Zufriedenheit seiner Lehrer
(Seite 11)
erwarb und bereits nach, einem Jahre die Reife für die
Quarta erlangte;
seine Handschrift wurde getadelt, seine
häuslichen Rechenaufgaben nicht ganz genügend gefunden,
aber Selbstthätigkeit und überall von Spannung, Eifer und
eigenem Nachdenken zeugende Theilnahme am Unterricht
lobend hervorgehoben.[Anm. 5]
Zunächst trat ihm aber in den unteren
Klassen der Mangel eines starken Gedächtnisses für
unzusammenhängende Dinge hinderlich entgegen; „als erstes
Zeichen davon“, sagte er 50 Jahre später,
„betrachte ich die
Schwierigkeit, deren ich mich noch deutlich entsinne, rechts
und links zu unterscheiden; später, als ich in der Schule an
die Sprachen kam, wurde es mir schwerer als Anderen, mir
die Vocabeln, die unregelmässigen Formen der Grammatik, die
eigenthümlichen Redewendungen einzuprägen. Der Geschichte
vollends, wie sie uns damals gelehrt wurde, wusste ich kaum
Herr zu werden. Stücke in Prosa auswendig zu lernen, war
mir eine Marter. Dieser Mangel ist natürlich nur gewachsen
und eine Plage meines Alters geworden. Gedichte von grossen
Meistern behielt ich sehr leicht, etwas gekünstelte Verse von
Meistern zweiten Ranges lange nicht so
gut.“(Zitat 6)
Vor allem wirkte nun aber sein Vater mächtig auf seine
geistige Entwickelung ein; während derselbe in seinem Hause
bestrebt war, bei seinen Kindern, zu denen er stets ein
herzliches, wenn auch nicht eigentlich zärtliches
Verhältniss unterhalten, den Sinn zu wecken für das Ideale
in Kunst, Poesie und Musik, und ihnen zugleich reges
patriotisches Gefühl einzupflanzen sich bemühte, las er als
anregender Lehrer des Griechischen mit seinen Schülern den
Homer
und befähigte als Leiter des deutschen Unterrichts
durch prosaische Aufsätze und, metrische Uebungen dieselben,
ihre Gedanken in den mannigfaltigsten Ausdrucksweisen zu
gestalten.
Indem so durch Erziehung und Unterricht während der je
ein und einhalb Jahre, die Helmholtz in Quarta und
(Seite 12)
Tertia zubrachte, mehr die sprachliche Richtung cultivirt und
die ästhetische Seite seines Denkens und Fühlens ausgebildet
wurde, traten in der Secunda die mathematischen und
physikalischen Lehrgegenstände in den Kreis seiner
Gymnasialstudien ein. Sehr gerühmt wird von den heute noch
lebenden Schülern der Anstalt der Unterricht des Professor
C. Meyer,
des ersten mathematischen Lehrers von
Helmholtz, und wiederholt wird derselbe in den Berichten der
Directoren als ganz vorzüglich bezeichnet. Ueberdies zeigt die
im Osterprogramm der Anstalt vom Jahre 1838 von ihm
veröffentlichte Abhandlung »Ueber die Brennlinien, welche
durch die Zurückwerfung des Lichtes von Curven der zweiten
Ordnung entstehen«, dass Meyer mit seinen
pädagogischen auch wissenschaftliche Interessen verband, und
wir verdanken es vielleicht seiner Anregung, wenn Helmholtz
öfter, während die Klasse Cicero oder Virgil las, welche beide ihn
langweilten, unter dem Tisch den Gang der Strahlenbündel
durch
Teleskope berechnete und dabei schon einige optische Sätze
fand, die ihm nachher bei der Construction des Augenspiegels
nützlich werden sollten.[Anm. 7]
Es fesselten ihn die ersten Bruchstücke der Physik, die er auf
dem Gymnasium kennen lernte, mehr, als die rein
geometrischen und algebraischen Studien. Aber wenn er auch
mit Interesse den physikalischen und chemischen
Experimenten folgte, welche Professor Meyer im
Laboratorium seinen Schülern vorführte, und auch öfter
naturwissenschaftlichen Unterhaltungen seines Vaters mit dem
befreundeten mathematischen Collegen beiwohnen durfte, in
denen man unter anderem häufig die Frage erörterte, ob ein
Perpetuum mobile möglich sei, und die vielen vergeblichen
Versuche besprochen wurden, ein solches herzustellen, so trat
doch immer stärker der Drang in ihm hervor, durch eigenes
Nachdenken sich in diese Fragen zu vertiefen und durch
selbstständig erdachte und durchgeführte Versuche seinen
Ideenkreis zu erweitern, indem sich schon damals, wie er es
(Seite 13)
später öfter selbst gestand, dem jungen Schüler mit
wunderbarer Klarheit die Einsicht immer fester gestaltete, dass
die Kenntniss der Naturgesetze nicht bloss die geistige
Bewältigung der Natur liefert, sondern uns auch materielle
Macht über dieselbe verleiht, — und dieses Hinauswachsen
über den engen Kreis seiner Umgebung und seiner
Verhältnisse erstrebte schon damals mit Bewusstsein der
jugendfrische Denker.
So betrieb er bei grösster Beschränkung der äusseren Mittel in
Gemeinschaft mit einem Freunde den Bau von optischen
Instrumenten mit Brillengläsern und einer kleinen botanischen
Loupe seines Vaters, indem er die Pläne für die anzustellenden
Versuche immer wieder von Neuem
umgestaltete, bis er eine für seine Verhältnisse ausführbare
Form gefunden, und verschaffte sich die dazu nöthigen
Kenntnisse aus den wenigen im Besitze seines Vaters
befindlichen
altmodischen physikalischen und chemischen
Lehrbüchern, „in
welche die Entdeckungen von
Lavoisier und
H. Davy
noch nicht eingedrungen waren, das
Phlogiston noch eine Rolle spielte, und der Galvanismus mit
der Voltaischen Säule abschloss“.(Zitat 8)
Dass aber der fünfzehnjährige Gymnasiast, den uns seine
damaligen Mitschüler als zurückhaltend, gesetzt und gegen die
schwächeren von ihnen als stets wohlwollend
schildern,(Anm. 9)
sich
nicht einseitig den exacten Wissenschaften zuwandte, zeigt
uns das erste in der Prima erhaltene
Zeugniss, aus welchem ein ziemlich gleichmässiges Interesse
für alle Lehrgegenstände ersichtlich ist, und in welchem die
Fortschritte im Latein, Griechisch, Hebräisch,
Religionslehre, Mathematik, Physik als gut, in Geschichte und
Geographie als recht gut bezeichnet werden, und nicht
weniger der im August 1837 gefasste Beschluss der
Lehrerconferenz, dass in der Michaelis stattzufindenden
Redeübung dem Abiturienten, der mit einer deutschen
Abschiedsrede auftrat, der Primaner Helmholtz mit einer
lateinischen
(Seite 14)
Ode entgegnen sollte, während schon das folgende Zeugniss
aus dem zweiten Semester des Schuljahres 1837/38 neben
recht günstigen Urtheilen in den übrigen Lehrgegenständen in
der Mathematik und Physik die ausgezeichneten
Fortschritte des 16½ jährigen Primaners
hervorhebt.(Anm. 10)
Schon als Secundaner hatte er seinem Vater den Wunsch
ausgesprochen, sich den Naturwissenschaften widmen zu dürfen,
und als dieser treffliche Mann, der damals schon für die
Erziehung von fünf Kindern zu sorgen hatte, ihm erklärte, dass
er ihm nicht anders zum Studium der Physik zu helfen wisse,
als wenn er das der Medicin mit in den Kauf nähme, so ging
Helmholtz ohne Schwierigkeit darauf ein.
Noch im Jahre 1835 wandte sich der Vater mit der Bitte um
Aufnahme seines Sohnes an das königl. med. chirurg.
Friedrich-Wilhelms-Institut in Berlin, welches die
Durchführung des Studiums jungen Medicinern sehr
wesentlich erleichterte, indem gegen die Verpflichtung
mehrjährigen Dienstes vollständige Studienfreiheit und
Lebensunterhalt während der Studienzeit gewährt wurde.
„Er
hat“, schrieb er,
„bis jetzt die schönsten Hoffnungen geweckt,
dass er sich in jeder Beziehung gediegen und gründlich
entwickeln werde, so dass ich hoffen darf, es sei nicht bloss
väterliche Verblendung, wenn ich erwarte, er werde einst
etwas Erfreuliches leisten können … Meine Umstände
würden mir nicht gestatten, aus eigenen Mittern ihn für diese
so kostbaren Studien gehörig
auszustatten.“(Zitat 11)
Aber der Andrang zur Aufnahme in die Anstalt war zu gross,
um schon zwei Jahre vor dem Abiturientenexamen dem Vater
ein festes Versprechen geben zu können, und derselbe wurde
aufgefordert, nach der Versetzung seines Sohnes in die Prima
das Gesuch zu erneuern; dies geschah auch, nachdem
Helmholtz zu Ostern desselben Jahres von dem Bischof
Dr. Eylert
confirmirt worden, im October 1836 unter
Beilegung des Zeugnisses aus dem II. Semester des Schuljahres
1836/37 und unter wiederholter Berufung von Seiten des
Vaters auf
(Seite 15)
seinen Onkel, den verstorbenen Generalchirurgus
Mursinna, „der ihn als Kind erzogen und dem er
unendlich viel
verdanke“;(Zitat 12) daraufhin wurde Helmholtz
aufgefordert, in den nächsten Osterferien 1837 sich in Berlin
zur Prüfung einzufinden.
Der am folgenden Tage verfasste amtliche Bericht des Dr.
Figulus lautete: „er ist 5'.4" gross, für sein
Alter von kräftiger Körperconstitution, … die
Prüfungsarbeiten, die
(Seite 16)
in sehr kurzer Zeit nach den bestehenden Vorschriften
angefertigt wurden, sind gelungene Beweise von den Kenntnissen
eines Primaners, und das gesetzte und anständige Benehmen
des jungen Helmholtz sprechen für eine gute
Erziehung.“(Zitat 14)
Von
den noch heute in den Acten befindlichen Arbeiten ist der über
das Thema »welchen Einfluss hat das Studium der Geschichte
auf die wissenschaftliche Bildung des Geistes« in der
Clausurprüfung angefertigte Aufsatz durch die Reife des
Urtheils und die sittliche Anschauung des 16jährigen Jünglings
von hervorragendem Interesse.
Die Nachricht von dem glücklich bestandenen Examen brachte
er selbst den erfreuten Eltern nach Potsdam, und nun ging es
wieder an die angestrengte und gleichinässige Arbeit für die
verschiedenartigsten Lehrgegenstände, denen er sämmtlich mit
Interesse und Liebe sich hingab, wenn er auch ein Jahr später
nicht umhin kann, in seiner
Abiturientenvita zu sagen:
Nach einem arbeitsvollen Jahre, in dem der Primaner sich
nicht nur auf das Abiturientenexamen vorbereitete, sondern
auch schon in Hinsicht auf seinen spateren Beruf als
Mediciner naturwissenschaftliche Studien trieb, die ihm früher
ferner lagen, wie Zoologie und Botanik, und die Grundlehren
der Anatomie aus Oken's
Naturgeschichte für alle
Stände, die der Physiologie aus
Magendie's
Lehrbuch sich aneignete, schickte ihn sein auf das körperliche
und
(Seite 17)
geistige Wohl seines Sohnes stets bedachte Vater noch vor
seinem Examen in den Harz, wo er in Gemeinschaft mit
einigen jungen Primanern grössere, für seinen noch immer
nicht ganz festen Körper äusserst zuträgliche Fusstouren
unternahm und Natur und Kunst an den Orten, die er
berührte, auf sich wirken liess.
Körperlich gekräftigt und geistig erfrischt von der Reise
zurückgekehrt, ging nun Helmholtz nach sorgfältiger
Vorbereitung in Gemeinschaft mit nur einem Mitschüler in
die schriftliche Abiturientenprüfung, die vom 20. bis 25.
August dauerte. Während die Uebersetzung von 60 Versen der
Euripideischen Hecuba als den Anforderungen
vollkommen genügend, die Uebertragung eines zwei
Bogenspalten langen Stückes »die Katacomben« ins
Französische als sehr gut bezeichnet wird, spendet ihm der
Lehrer des Hebräischen für seine lateinische Erklärung der
Stelle Deuteron. IX, 1 bis 3 übergrosses Lob, zumal da der
Abiturient als künftiger Mediciner nicht gehalten war, hierin
eine Prüfung abzulegen.(Anm. 16)
Wie zu erwarten, musste das
Urtheil des Vaters über des Sohnes deutschen Aufsatz »die
Idee und Kunst in
Lessing's Nathan der Weise«
ein wenig streng ausfallen, aber wenn er auch
„die Stellen,
wo es auf ein scharfes Auffassen von Begriffen und auf ein
Schliessen aus ihnen ankam, schwächer findet, als dies sonst
in den deutschen Arbeiten des Examinanden der Fall zu sein
pflegte“,(Zitat 17)
so kann er doch nicht umhin, die Sprache natürlich
und beweglich zu finden, und der gestrenge väterliche
Richter muss die poetische Wirkung des Gedichtes und der
Charaktere für das Gefühl im Einzelnen gut ausgesprochen
finden in den begeisterten Darlegungen unseres
Abiturienten, die in den Worten ausklingen:
Die vier zur mathematischen Prüfungsarbeit gestellten
Aufgaben, von denen zwei geometrischer, zwei arithmetischer
Natur waren, löste Helmholtz richtig, und die Behandlung
derselben zeigte „grosse Klarheit und Festigkeit des
Verfassers“(Zitat 19) in
den Elementen der Mathematik. Aber er forderte noch eine
fünfte, freiwillige Aufgabe, und dieselbe lautete: »Die Gesetze
des freien Falls der Körper sollen erörtert werden«. Es zeigt
sich in der Behandlung der Aufgabe, wie sie uns jetzt vorliegt,
eine ungewöhnliche Klarheit der Begriffe und Präcision des
Ausdrucks, und man erkennt leicht, dass der 17jährige
Abiturient wiederholt und eindringend über
physikalische Fragen nachgedacht hat. Die correcte
Umgrenzung des Problems, die in den einleitenden Worten
liegt: „Die Schwerkraft wirkt ununterbrochen auf jeden Körper
und zwar in umgekehrtem Maasse des Quadrats der
Entfernung. Doch wenn wir für unsere Erde die Gesetze des
Falls suchen, können wir sie als gleichmässig in jeder Höhe
wirkend
ansehen, da die Höhen, welche wir erreichen können, einen zu
unmerkbaren Unterschied bewirken“,(Zitat 20)
deutet schon in ihren
Anfängen auf die spätere schöpferische Kraft bei der
Vertheilung der Schwierigkeiten in den Untersuchungen der
Mechanik und Physik; der der Infinitesimalrechnung noch
unkundige Gymnasiast denkt sich, um die Lösung der Aufgabe
anzugreifen,
„der leichteren Betrachtung wegen die
Schwerkraft nicht als continuirlich wirkend, sondern theilt die
Zeit t, während welcher ein Körper fällt, in n
gleiche Theile, deren jeden wir mit τ bezeichnen
wollen, und sehen es dann so an, als wirke die Schwerkraft nur
am Anfange jedes Zeittheilchens, so dass sie dem fallenden
Körper die Geschwindigkeit
(Seite 19)
γ
einflösst“(Zitat 21)
— und nun entwickelt er in
strengen
arithmetischen Schlüssen das Gesetz des freien Falls und
des senkrechten Wurfs lediglich mit den elementarsten
mathematischen Hülfsmitteln.
Das mündliche Examen fand am 12. September 1838 statt,
und mit einem glänzenden Zeugniss verliess der junge
Helmholtz das Gymnasium:
Sprachen: In der deutschen Sprache hat der Abiturient die
Fähigkeit entwickelt, sich selbst tiefere fremde Gedanken so
anzueignen, dass sie ihm productiv werden für eigene Ideen:
er fasst das Ueberkommene scharf und in seinen
wesentlichen Theilen auf und hat sich über die Sprache
schon eine solche Herrschaft erworben, dass er den
Ausdruck der Gedanken frei und unbeengt aus sich
gestalten kann, und obgleich in der Regel zu gedrängt und
schmucklos schreibend, doch, wenn er will, eines blühenden
Styles Herr ist. …
Mathematik: Festigkeit in den Elementen, scharfe
Auffassung und Gründlichkeit in eigenen Arbeiten haben es
bei ihm möglich gemacht, dass er die Grenze des
Gymnasialcursus überschreiten konnte. Seine gediegenen
Kenntnisse in der Mathematik und namentlich die erworbene
Kraft durch
(Seite 20)
Selbststudium, sicher vorwärts zu schreiten, verdienen mit
Auszeichnung genannt zu werden.
Physik: In dieser Doctrin besitzt der Abiturient
umfassende und gründliche Kenntnisse, welche durch
eindringende Schärfe der Auffassung, durch innern
Zusammenhang und durch Anwendung der ihm zu Gebote
stehenden mathematischen Hülfe auch für die Folge gesichert
bleiben werden.
Die unterzeichnete Prüfungscommission entlässt ihn unter
Bezeugung ihres vorzüglichen Beifalls mit den
besten Glück- und Segenswünschen zur Fortsetzung seiner so
glücklich begonnenen Studien.“(Zitat 22)
Das Lehrercollegium des Potsdamer Gymnasiums konnte später
mit Recht stolz sein auf die Ausbildung, die es dem jungen
Manne hatte zu Theil werden lassen.
„Man bestrebte sich, uns
viel lesen zu lassen, und schliesslich konnten wir die
Schriftsteller, für die wir etwas eingeübt waren, mit
Leichtigkeit lesen, und haben auch privatim, ausserhalb der
Schulstunden, theils dies gethan, theils daneben noch fremde
Sprachen getrieben. Ich habe Englisch und Italienisch auf der
Schule privatim getrieben, auch Hebräisch mitgemacht, und
sogar noch eine besonders gute Note im Hebräischen
bekommen. Sogar Arabisch habe ich in Prima angefangen bei
einem Lehrer, der Arabisch konnte, und das Alles ging ganz
gut nebenbei.“(Zitat 23)
Er las noch später in seinen
Mussestunden die Fabeln des
Lokmân in der Ursprache.
Sogleich nach Empfang des Abiturientenzeugnisses wandte sich
am 16. September sein Vater an den General-Stabsarzt
v. Wiebel:
„ich empfehle den guten Zögling,
meinen grössten Schatz, auf dessen Erziehung ich meine
besten Kräfte
verwandt habe, der väterlichen Fürsorge eines wegen seiner
Güte so gepriesenen Mannes. … Möge mein Sohn Ihnen
diesen Dank dereinst im reichsten Maasse zahlen, dass Sie
(Seite 21)
mit freudigem Stolz auf
ihn herabschauen.“(Zitat 24)
Der Vater musste
sich bereit erklären, dem Sohne für die Zeit seiner Studien
eine monatliche Zulage von sechs Thalern zukommen zu lassen
und dieselbe in vierteljährlichen Raten
pränumerando an die Kasse des Institutes auszuzahlen,
während der Eleve verpflichtet wurde, nach der auf königl.
Kosten
bewirkten, fünf Jahre währenden Ausbildung als
Compagnie- oder Escadron-Chirurgus zu dienen und zwar
acht hinter einander folgende Jahre.
So trat nun Hermann Helmholtz, von Wissensdurst
getrieben und von tiefer innerer Liebe zu den
Naturwissenschaften beseelt, denen seine Zukunft geweiht
sein sollte, in ein neues Leben ein, zu seinem eigenen
Glücke und zum Segen der wissenschaftlichen Welt nicht
einseitig ausgebildet, sondern vermöge seiner individuellen
Naturanlage und Dank den rastlosen Bemühungen seiner
Eltern, deren geistiges Niveau sich stets auf idealer Höhe
gehalten, getragen von Begeisterung und Liebe für Musik
und Poesie, für Kunst und Wissenschaft.
S. 9 - 21 aus:
Letzte Änderung: 08.09.2025 Gabriele Dörflinger
Zur Inhaltsübersicht
„Lieber Vater“, schreibt der 16jährige Primaner am 30. März
1837 aus Berlin, „vorgestern bin ich hier im tollsten
Schneegestöber angekommen, übrigens sage nur Muttern, dass
ich bis auf die Hände, die mir ganz erstarrt waren, gar nicht
gefroren habe. Gestern Vormittag ging ich um halb 10 Uhr
nach der Pepinière, um halb 11 Uhr wurde ich
vorgelassen. Der Generalarzt
Schulz war sehr
freundlich, erkundigte sich nach Deinem Befinden, prüfte
mich, ob ich auch nicht kurzsichtig sei, liess mich von drei
anwesenden Pensionärärzten der Höhe nach schätzen, welche
meinten, ich wäre etwa vier Zoll hoch, befragte mich wegen
meiner Gesundheit, ermahnte mich, meinem quasi Ahnherrn
Mursinna nachzueifern und mich seiner würdig zu
zeigen, auch mich nicht vor dem Examen zu fürchten; wenn
ich auch die
vorgelegten Aufgaben und Fragen nicht erschöpfend
beantworten könnte, so schade das nichts, es solle nur eine
Sondirung meiner Talente sein. Er gab mir dann einen Zettel,
an den Pensionärarzt Dr.
Figulus abzugeben, der
mich examiniren sollte. Diesen traf ich nicht zu Hause an,
nach einer Stunde war er auch noch nicht da, erst nach dem
Essen traf ich ihn. Er bestellte mich auf heute Morgen hin.,
Gestern Nachmittag bin ich weit herumgelaufen und ziemlich
müde geworden. Heute Morgen um 8 Uhr hat mein
Doktorexamen begonnen, ich habe mein Curriculum vitae
deutsch und lateinisch machen müssen. Das lateinische habe
ich aber noch nicht ins Keine geschrieben. Das Examen ist
blos schriftlich. Wie lange es dauern wird, weiss ich noch
nicht.“(Zitat 13)
„quorum (veterum scriptorum)
cognitio quantum valeat ad conformandum aniinum, nemo est,
qui ignoret; deinde maxima atque plurima debeo Schmidtio
professori, quum aliis in disciplinis, tum in historiis, quibus
nihil est praestantius ad cognoscendam naturam hominum et
populorum. Pater meus artis poeticae et oratoriae
praecepta mihi dedit, quarum illa et jucundissima est et
utilissima ad elocutionem elegantem et copiosam. Omnium
disciplinarum autem maxime jam a pueritia me delectavit
physice et mathematice, quibus eruditus sum a Meierio, viro
harum rerum peritissimo.“(Zitat 15)
„Es war sein Schwanenlied, sein laut durch alle Völker, alle
Zeiten hintönendes Schwanenlied, in dem er seines
forschungsreichen Lebens höchsten Gedanken aushauchte. Es
ist kein Aeschyleisches Sturmgemälde, was uns Beben und
(Seite 18)
Erstaunen einjagt, es ist keine Darstellung eines Macbeth, den
der gewaltige Geist, die ungedämmte Leidenschaft über die
Schranken des Menschen hinwegreisst, nein! es ist ein ruhiger,
stiller See, auf dessen sanfter Oberfläche wir
hinwiegen, und über uns im unendlichen Himmel, unter uns in
der feuchten Tiefe des ewigen Schöpfers Geheimnisse
ahnen.“(Zitat 18)
„Der Abiturient zeichnete sich stets durch ein höchst
anständiges und bescheidenes Betragen aus. Sein äusserlich
ruhiges und still gehaltenes Wesen ist mit grosser
Beweglichkeit des Geistes verbunden. Hierin giebt sich eine
treffliche Mischung von klarer und besonnener
Verständigkeit und tiefer Gemüthlichkeit zu erkennen. Seine
Sitten zeugen von einer treu bewahrten seltenen Reinheit und
wahrhaft kindlicher Unverdorbenheit. Diese Eigenschaften
machen bei der übrigen Reife und Kräftigkeit seiner geistigen
Entwickelung einen ebenso wohlthuenden und
herzgewinnenden Eindruck, als sie die begründete Hoffnung
geben, dass ein solcher Grund und Boden des geistigen
Lebens nur die besten und erfreulichsten Früchte tragen
werde.
Koenigsberger, Leo: Hermann von Helmholtz. - Braunschweig : Vieweg
Band 1. - 1902
Anmerkungen zu den Zitaten
Vgl. Kusch, S. 28
Vgl. Kusch S. 29.
Vgl. Kusch, S. 31
Vgl. Kusch, S. 31
Aus einer Rede in einer Schulkonferenz, die evtl.
1890 stattfand. Vgl. Kusch, S. 34
Kontakt
Historia Mathematica
Homo Heidelbergensis
Hermann Helmholtz / Leo Koenigsberger