Leo Koenigsberger: Hermann von Helmholtz

Helmholtz als Präsident der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt
von Ostern 1888 bis zum 8. September 1894


Anfang des Kapitels

Feier des 70. Geburtstages

Die zweite Hälfte des Jahres 1891 brachte Helmholtz nach den schweren Schicksalsschlägen, die ihn und sein Haus getroffen, eine Reihe von Ovationen der naturwissenschaftlichen, überhaupt der ganzen gebildeten Welt, wie sie wohl kaum je einem Gelehrten zu Theil geworden.

Nachdem er noch am 15. Juli das Präsidium der Prüfungscommission bei der internationalen technischen Ausstellung in Frankfurt a. M. übernommen und den Sommer über wieder mit optischen Fragen beschäftigt gewesen, ging er, um den Aufregungen und Anstrengungen zu entgehen, welche die bevorstehende Feier seines 70. Geburtstages nothwendig mit sich bringen musste, in der Mitte des August mit seiner Familie nach Campiglio, um erst nach seinem Geburtstage wieder nach Berlin zurückzukehren. Am 15. September richtete er von Feldafing bei München ein Schreiben an den vorgesetzten Minister:

„Ew. Excellenz erlaube ich mir die gehorsame Bitte um Verlängerung meines Urlaubs, der am 20. d. Mts. zu Ende geht, bis eventuell zum 27. d. Mts. zu ersuchen. Meine Freunde, welche eine Feier meines 70. Geburtstages in Berlin vorbereiten, haben eine Portraitbüste von mir bei dem Bildhauer Adolf Hildebrand bestellt und mich ersucht, ihm dazu zu sitzen. Der Künstler ist zur Zeit durch Vorarbeiten für einen grossen Brunnen, den die Stadt München bei ihm bestellt hat, an München gefesselt. Das Thonmodell meiner Büste ist schon im Frühling dieses Jahres in Florenz angefertigt worden; es handelt sich jetzt nur noch um die feinere Ausführung der Marmorarbeit. Ich bin seit dem 7. d. Mts. hier und habe fast täglich Sitzungen gehabt. Aber es ist schon jetzt klar, dass die (Seite 43) Büste bis Sonntag den 20. d. Mts. nicht fertig werden kann, wesshalb ich nach Rücksprache mit dem Künstler die vorangestellte Bitte an Ew. Excellenz richte.“

Schon nach Campiglio und jetzt nach Feldafing werden ihm unzählige Glückwünsche aus der ganzen Welt zugeschickt. Am 21. September schreibt er an Ludwig:

„Habe Dank für die liebenswürdige — meines Erachtens viel zu liebenswürdige — Schätzung meiner Leistungen. Wenn zwei Freunde in etwas verschiedenen Richtungen arbeiten, kann natürlich Jeder dem Anderen gelegentlich helfen, und es freut mich, wenn ich Dir dies zuweilen gekonnt habe. Dafür habe ich aber auch viele Gegengabe von Dir empfangen, namentlich, so lange ich Physiologie vortrug, wo Du meine Hauptautorität warst. … Campiglio, wo ich mit den Meinigen war, erwies sich für diesen nasskalten Sommer als sehr geeignet; nur unser Fest dort in Stille und Verborgenheit zu feiern, misslang gänzlich. … Ich sitze jetzt hier seit 14 Tagen täglich drei Stunden Modell für Meister Hildebrand, der mich in Marmor nachbildet. Mit der Gesundheit geht es mir bisher ganz gut, und ich bin vorbereitet auf die Berliner Feier. Eigentlich ist der Gedanke an den 70. Geburtstag eine etwas gemischte Freude, kaum ein Fest zu nennen; schliesslich muss ich sagen, hatte die Menge von Beweisen der Theilnahme, der Dankbarkeit und Achtung, mit denen ich von allen Seiten überschüttet wurde, und deren grösster Theil doch schliesslich nur aufrichtig gemeint sein konnte, da er ganz ungerufen kam, doch etwas Festliches und Erhebendes. Abgesehen von allen Fragen der Eitelkeit ist es schliesslich für unser einen, der sein Leben lang schwer gearbeitet hat, doch eine berechtigte Frage: Ist das, was Du geleistet, nützlich und schätzenswerth? und diese können nur die Anderen beantworten, die davon Nutzen und Vortheil haben ….“


Büste von Adolf Hildebrand 1891

Noch vor der für den 2. November von der Gelehrtenwelt (Seite 44) in Berlin projectirten Feier erhielt er eine Fülle der höchsten Auszeichnungen. Nachdem er schon im Februar das Grossofficierkreuz des Ordens der Ehrenlegion erhalten, wurde ihm das Grosskreuz des Nordstern-Ordens, das Grosskreuz des Ordens vom Zähringer Löwen, vom Kaiser Franz Joseph das Ehrenzeichen für Kunst und Wissenschaft, aus Italien das Grosskreuz des St. Mauritius- und Lazarus-Ordens verliehen.

Zum Geburtstage des Kaiser Friedrich wurde ihm durch das am 12. October 1891 vom Kaiser Wilhelm II. in Potsdam vollzogene Patent der Charakter als Wirklicher Geheimer Rath mit dem Prädicate „Excellenz“ zuerkannt. Noch sind die Worte, welche dieser Ernennung beigefügt waren, in aller Erinnerung:

„Sie haben, Ihr ganzes Leben zum Wohle der Menschheit einsetzend, eine reiche Anzahl von herrlichen Entdeckungen vollbracht. Ihr stets den reinsten und höchsten Idealen nachstrebender Geist liess in seinem hohen Fluge alles Getriebe von Politik und der damit verbundenen Parteiungen weit hinter sich zurück. Ich und mein Volk sind stolz darauf, einen solch bedeutenden Mann unser nennen zu können.“

Am 2. November fand nun in Berlin jene Ovation für Helmholtz statt, die ein Ehrendenkmal nicht nur für ihn, sondern auch für die Forscher aller Länder durch die neidlose Anerkennung seiner ungeheuren Verdienste um die Wissenschaft und der reinen und edlen Persönlichkeit geworden ist. Es mag genügen, aus der reichen Zahl von Ansprachen der Minister, Akademien, wissenschaftlicher Corporationen und einzelner Gelehrten den Worten du Bois' hier eine Stelle zu geben:

„… Wir erliessen einen Aufruf, international wie die Wissenschaft ist, über alle Grenzen des Chauvinismus und der Politik hinaus, an alle Gelehrten aller Kategorien, an Physiker, Mathematiker, Aerzte, Physiologen, welche (Seite 45) nothwendiger Weise sich zu Deinen Verehrern, Deinen Schülern bekennen mussten, und der Erfolg dieses Aufrufes zeigt sich in einer Liste, die ich Dir überreiche, von ungefähr 700 — ich habe sie nicht genau gezählt — Namen, wobei aber auch Gesellschaften sind, welche eine grosse Anzahl von Namen in sich schliessen. So erfolgreich ist dieser Aufruf gewesen, dass er uns in die Lage versetzt hat, mit bedeutenden Mitteln mehrere für Dich bestimmte Huldigungen zu verwirklichen. Die dort sichtbare Büste, von der weisst Du schon, denn Du hast dafür gesessen. Wir danken dem Meister Adolf Hildebrand, der so vortrefflich die Züge Deiner Erscheinung auch späteren Geschlechtern erhalten hat. Da aber eine solche Büste selbst im Abguss für Viele ein beschwerlicher Besitz ist, so haben wir ausserdem Jacobi's Radirnadel beauftragt, Deine Züge auch in Gestalt dieses Bildes allgemeiner zugänglich zu machen. Auch dieses schien uns noch nicht genug, und wir waren glücklicher Weise durch die, wie gesagt, reichlich uns zufliessenden Geldmittel in der Lage, noch viel weiter zu gehen. Wir beschlossen, bei der Akademie der Wissenschaften eine Stiftung zu gründen, die Deinen Namen tragen und in gemessenen Zeiträumen eine mit Deinem Bilde und Deinem Namen bezeichnete Medaille einem ausgezeichneten Gelehrten und Forscher in einem Deiner zahlreichen Arbeitsgebiete verleihen soll. Diese Stiftung hat die Akademie mit landesherrlicher Genehmigung errichtet, und die Urkunde wird Dir hiermit überreicht. Die Statuten der Stiftung haben natürlicher Weise noch nicht aufgestellt werden können, denn wir rechnen dazu auf Deine Mitwirkung, wie es auch in der Natur der Dinge liegt, dass die Verleihung der Medaille Dir vorbehalten bleibt, so lange die Akademie das Glück haben wird, Dich in ihrer Mitte zu besitzen. Das erste Exemplar der Medaille, in edlem Stoff ausgeführt, habe ich die Freude, Dir hier zu überreichen, und hier ist ein Exemplar in Bronze, welches die (Seite 46) Schönheit der Arbeit von Tautenhayn in Wien vielleicht noch deutlicher erkennen lässt.“

Jeder einzelnen Deputation, jedem einzelnen Freunde antwortete Helmholtz in schlichter Weise und schönen Worten dankbaren Herzens. Der philosophischen Facultät in Berlin, welche ihm eine tabula gratulatoria gesandt, erwiderte er:

„Ich fühle noch das Bedürfniss, auch noch neue Keime auszusäen, welche weiter spriessen können in den Köpfen unserer Schüler, und das ist für mich eine wichtige Arbeit, die mir am Herzen liegt, und ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie eingewilligt haben, mich dort in Ihrem Kreise zu behalten und mir zu erlauben, noch als berechtigtes Mitglied der Facultät weiter zu wirken.“

Hocherfreut war er durch den ihm bei Gelegenheit seines 70, Geburtstages überreichten Ehrenbürgerbrief der Stadt Potsdam:

„Der Ehrenbrief, den Sie mir gesandt haben, und der die alte Verbindung mit meiner Vaterstadt erneuert, ist mir wirklich eine sehr grosse Freude gewesen, da ich Potsdam sehr viel verdanke; denn meine Liebe zu dem Reichthum und der Mannigfaltigkeit der Natur und mein grosses Interesse an der Natur und der Wirklichkeit hat mich von Jugend auf beeinflusst und ist offenbar dadurch, dass ich mich sehr viel in der Umgebung von Potsdam herumgetummelt habe, gestärkt und entwickelt worden.“

Das grosse Festessen, welches am 2. November 260 Freunde und Verehrer von Helmholtz im Kaiserhof versammelte, hat durch die von dem Jubilar gehaltene Tischrede, welche im Laufe der Jahre überall bekannt geworden und jetzt gewöhnlich als eine Autobiographie bezeichnet wird, ein allgemeines und tiefgehendes Interesse erregt und eine historische Bedeutung erlangt. Sie war die Antwort auf die im Namen aller Versammelten von Eduard Zeller an ihn gerichtete Anrede, welche in schönen und charakteristischen (Seite 47) Worten die Persönlichkeit von Helmholtz kennzeichnete:

„ … Den gleichen Eigenschaften hat er es aber auch zu verdanken, dass in allen geschäftlichen Beziehungen, im Senat, in der Facultät, in der Akademie, in allen Collegien und Behörden, denen er angehört hat und noch angehört, seinen Gutachten ein so hoher Werth beigelegt wird. Um was es sich auch handeln mag, immer ist man sicher, von ihm nicht bloss ein sachverständiges, sondern auch ein durchaus sachliches, von keinen Nebenrücksichten getrübtes Urtheil zu erhalten. Und mit dieser sachlichen Betrachtung der Dinge hängt auch ein weiterer Zug im Bilde unseres Freundes zusammen, der gewiss schon Viele von Ihnen wohlthuend berührt hat: die Anspruchslosigkeit seines persönlichen Auftretens. Schon mehr als einmal haben solche, die in der Sommerfrische oder auf Reisen ihn zuerst sahen, mir nachher gesagt: „So einfach und anspruchslos habe ich ihn mir doch nicht gedacht.“ Wer sich mit seinen Gedanken und Interessen ganz in den grossen sachlichen Fragen bewegt, dem erscheint eben alles bloss Persönliche zu klein, um ihm einen übermässigen Werth beizulegen.“

Was Helmholtz über seinen Entwickelungsgang in seiner Antwort mitgetheilt, ist aus der Darstellung seiner Arbeiten und der Correspondenz mit seinen Freunden in dem Früheren klar genug hervorgetreten, und es möge deshalb aus seiner grossen Tischrede nur eine Stelle hier noch Erwähnung finden:

„Sie wollen meinen Namen gleichsam zur Fahne einer grossartigen Stiftung machen, welche, von Freunden der Wissenschaft aller Nationen gegründet, wissenschaftliche Forschung in allen Ländern des Erdballs ermuthigen und fördern soll. Die Wissenschaft und die Kunst sind zur Zeit ja das einzige übrig gebliebene Friedensband der civilisirten Nationen. Ihr immer höher wachsender Ausbau ist (Seite 48) ein gemeinsames Ziel aller, was durch gemeinsame Arbeit aller, zum gemeinsamen Vortheil aller durchgeführt wird. Ein grosses und heiliges Werk! Ja, die Stifter wollen ihre Gabe vorzugsweise zur Förderung derjenigen Zweige des Forschens bestimmen, die ich in meinem eigenen Leben verfolgt habe, und mich dabei in meiner zeitlichen Beschränkung künftigen Geschlechtern fast wie ein Vorbild der Forschung hinstellen. Es ist dies die stolzeste Ehre, die Sie mir erweisen können, insofern Sie mir dadurch Ihr unbedingt günstiges Urtheil zu erkennen geben; aber es würde an Vermessenheit streifen, wenn ich sie annähme, ohne die stille Erwartung, dass die Preisrichter künftiger Jahrhunderte sich frei von den Rücksichten auf meine zeitliche Persönlichkeit machen würden.“

Nachdem die Festlichkeiten kaum verrauscht, vertiefte er sich sogleich wieder in Probleme der verschiedenartigsten Natur, und wendet sich zunächst seinen schwierigen mathematischen Untersuchungen zu, welche das Princip der kleinsten Wirkung als oberstes Naturgesetz hinstellen sollten.

  Fortsetzung des Kapitels


S. 42 - 48 aus:
Koenigsberger, Leo: Hermann von Helmholtz. - Braunschweig : Vieweg
Band 3. - 1903


Letzte Änderung: 24.05.2014     Gabriele Dörflinger   Kontakt

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