Ein arbeitsvolles und mit den reichsten wissenschaftlichen Funden gesegnetes Jahr lag hinter ihm; trotzdem war der Rückblick auf diese Zeit ein trauriger. Die Weihnachtstage des Jahres 1859 waren die Tage des Todeskampfes der von ihm so geliebten Frau gewesen, die ihn von dem einfachen Assistenzarzt in Potsdam zu dem berühmtesten Physiologen und Physiker seiner Zeit hatte emporsteigen sehen, und die mit der aufopferndsten Liebe und der sinnigsten Anmuth sein Haus zu verschönern und sein Gemüthsleben immer inniger zu gestalten wusste. Und nun fanden ihn die Weihnachtstage des Jahres 1860 körperlich (Seite 371) matt, geistig überarbeitet, sein inneres Seelenleben verödet. Trotz aller Liebe und Aufopferung seiner Schwiegermutter musste er sich sagen, dass den beiden noch jungen Kindern die Erziehung nicht zu Theil werden könne, wie er und seine Frau sie einst geplant, dass vor allem sein von den weitesten Interessen für Wissenschaft und Kunst erfüllter Geist, welcher selbst bei seinen Schöpfungen abstractester Natur der Anmuth und Aesthetik nicht entrathen konnte, in Gefahr komme zu vertrocknen und damit auch jene so bewunderte Fruchtbarkeit und Productivität zu verlieren, die ihn über alle Naturforscher jener Zeit erhob.
Am 13.Februar 1861 schreibt Helmholtz an W. Thomson:
„… Ich musste deshalb ernstlich daran denken, eine andere Ordnung der Dinge herbeizuführen, und sollte dies einmal geschehen, so war es für alle Betheiligten am besten, es bald zu thun. Schliesslich ist es schneller gekommen, als ich selbst vermuthet hatte, denn wenn die Liebe erst einmal Erlaubniss erhalten hat, aufzukeimen, fragt sie nachher die Vernunft nicht mehr, wie schnell sie wachsen darf. Meine Braut ist ein reich begabtes, gegen mich verhältnissmässig junges Mädchen, und wird, denke ich, zu den Heidelberger Schönheiten gerechnet. Sie hat sehr schnellen Verstand und Witz, ist sehr gewandt in der Gesellschaft, da sie einen grossen Theil ihrer Erziehung in Paris und London unter Leitung einer englischen Dame, der Gemahlin ihres Onkels Mohl, der Professor der Persischen Sprache am Collège de France in Paris ist, erhalten hat. Sie spricht deshalb geläufig französisch, und ist in der englischen Sprache mir entschieden überlegen. Uebrigens hat ihre fashionable Erziehung ihrem ruhigen, guten und reinen Wesen keinen Eintrag gethan.“
Herzlich sind die Glückwünsche der alten Freunde:
„Möge das Glück an Dir nachholen, was es Dir schuldig geworden ist, und mögest Du das herzkränkende Leid (Seite 372) vergessen lernen, mit dem Du vor uns Allen heimgesucht worden bist“, schreibt ihm du Bois am 26. Februar 1861.
Sein treuer Freund Brücke am 9. März:
„Möge es Dir gelingen, empirisch nachzuweisen, dass nicht nur die körperlichen, sondern auch die geistigen Eigenschaften der Menschen sich von Geschlecht zu Geschlecht fortpflanzen, dann wird aus der Vermischung des Blutes Helmholtz mit dem Blute Mohl eine Nachkommenschaft erwachsen, welche die Welt mit Staunen und Bewunderung erfüllt.“
Aber du Bois begehrt Näheres zu wissen, das Schicksal Helmholtz' liegt ihm sehr am Herzen.
„Meine Braut“, antwortet ihm Helmholtz am 2. März 1861, „ist die Tochter Robert v. Mohl's; sie war mir von Anfang an in Heidelberg als ein sehr aufgewecktes Mädchen aufgefallen, ich war aber wenig mit ihr zusammengekommen. Sie war auch lange abwesend in Paris, im Hause ihres Onkels Julius v. Mohl, des Professors der persischen Sprache am Collège de France. Dessen Frau ist eine Engländerin und hat meine Braut mehrere Male auf längere Zeit bei sich gehabt in Paris und in England, und hat ihr ein gut Theil von den besseren Seiten der englischen und französischen Sitte und Bildung beigebracht. Ich muss sagen, dass ich im vorigen Sommer Anna v. Mohl noch mehr vermieden als gesucht habe, weil ich fühlte, dass ein Mädchen ihrer Art für mich gefährlich sein würde, und ich mir eigentlich nicht einbildete, als Wittwer mit zwei Kindern, und über das Jünglingsalter weit hinaus, noch um die Hand einer viel jüngeren Dame werben zu dürfen, die alle Eigenschaften hatte, um in der Gesellschaft eine hervorragende Rolle zu spielen. Nachher hat sich's schnell gemacht, und ich sehe jetzt mit neuen glücklichen Aussichten der Zukunft entgegen. Zu Pfingsten soll Hochzeit sein.“
In den Osterferien ging Helmholtz nach England, um zwei Vorlesungen über die physiologische Theorie der Musik (Seite 373) zu halten, musste jedoch noch ohne jegliche Vorbereitung einen dritten Vortrag übernehmen, da B. Jones und Faraday darauf bestanden, dass er sich noch zu einer Abendvorlesung über Erhaltung der Kraft entschliesse. In diesem am 12. April 1861 gehaltenen Vortrage „On the Application of the Law of the Conservation of Force to Organic Nature“ giebt er, ähnlich wie in seinen früheren Vorlesungen, zunächst eine Darstellung des Princips der Erhaltung der Kraft, welches er, weil dasselbe keine Beziehungen zu der Intensität der Kraft hat, mit Rankine lieber das Princip von der Erhaltung der Energie genannt wissen will, und das er als den wichtigsten Fortschritt der Naturphilosophie im vorigen Jahrhundert bezeichnet, weil es alle Gesetze der Physik und Chemie umschliesst. Nun aber geht er zu der Anwendung dieses Princips auf organische Wesen über; er weist darauf hin, dass die Fortdauer des Lebens an die fortdauernde Aufnahme von Nahrungsmitteln gebunden ist, welche, nachdem sie nach vollendeter Verdauung in die Blutmasse übergegangen sind, in den Lungen einer langsamen Verbrennung unterworfen werden und schliesslich fast ganz in dieselben Verbindungen mit dem Sauerstoff der Luft übergehen, welche bei einer Verbrennung in offenem Feuer entstehen würden. Da nun die Quantität der durch Verbrennung erzeugten Wärme unabhängig ist von der Dauer der Verbrennung und den Zwischenstufen, in denen sie erfolgt, so kann man auch aus der Masse des verbrauchten Materials berechnen, wie viel Wärme oder dieser äquivalente Arbeit von einem Thierkörper erzeugt werden kann, Versuche, die jedoch mit grossen Schwierigkeiten verbunden sind. Bei Gelegenheit der später von ihm erbetenen Beurtheilung einer wissenschaftlichen Arbeit hebt er hervor, dass die Schwierigkeiten, die sich dem praktisch sehr schwer zu behandelnden physiologischen Problem von fundamentaler Bedeutung entgegenstellen, nämlich der Frage nach der Wärmeproduction im thierischen Körper und ihrem Zusammenhange mit dem (Seite 374) Stoffwechsel, hauptsächlich dadurch bedingt sind, dass die zu messende Wärme nicht plötzlich, sondern nur im Laufe von Stunden zur Entwickelung kommt, also auch nicht annähernd in einem Apparat zusammengehalten werden kann, dass ausserdem ein grosses Luftquantum durch einen solchen Apparat geleitet werden muss, welches einen guten Theil der erzeugten Wärme mit sich fortnimmt, abgesehen von der durch die nothwendige Grösse des Apparates bedingten Vermehrung der Arbeit. Aber innerhalb der erreichbaren Grenzen zeigen die Versuche, dass die im Thierkörper wirklich erzeugte Wärme der durch die chemischen Processe zu liefernden entspricht. So weiss er es verständlich zu machen, dass der Thierkörper sich durch die Art, wie er Wärme und Kraft gewinnt, nicht von der Dampfmaschine unterscheidet, wohl aber durch die Zwecke und die Art und Weise, zu welchen und in welchen er die gewonnene Kraft weiter benutzt. Er hebt zum Schlusse seiner Vorlesung hervor, wie durch alle diese Untersuchungen die Hypothese von der Lebenskraft allmählich ganz verdrängt worden sei, und endet mit der Betrachtung, dass die jetzige wissenschaftliche Jugend, welche die wahren Gründe für alle diese Processe zu ermitteln sucht, einen Unterschied chemischer und mechanischer Arbeit in dem lebenden Körper und ausserhalb desselben gar nicht mehr kennt. Das Gesetz von der Erhaltung der Energie zeigt den Weg, auf welchem diese fundamentalen Fragen, welche so viele theoretische Speculationen verursacht haben, durch Versuche wirklich und vollständig gelöst werden können.
Am 16. Mai 1861 fand die Hochzeit von Helmholtz mit Fräulein Anna von Mohl statt.
„Es haben sich gerade die nächsten Freunde von Helmholtz“, schreibt die Schwester seiner verstorbenen Frau, „damals nicht darein finden können, dass er schon nach einem Jahre eine neue Ehe schloss. Nach dem idealen Glück der ersten erschien ein solcher Schritt so bald nahezu (Seite 375) unfassbar. Es geschah ihm Unrecht. Er hatte seine Frau nicht erst mit ihrem leiblichen Tode verloren — sie war neben ihm erloschen, dem furchtbaren Charakter ihrer Krankheit gemäss. Während des letzten Jahres derselben schon starb ihr inneres Leben Schritt für Schritt, ihre Interessen, ihre Antheilnahme erlahmten. Nur im Tode war sie wieder auf ihrer alten geistigen und moralischen Höhe. So war Helmholtz lange schon ein einsamer Mann, als sie schied, und der Blick in die Zukunft, mit zwei kleinen Kindern und deren Grossmutter, die trotz aller Hingabe und Opferfreudigkeit doch eben eine ältere Frau war, sehr trübe. Für ihn, der an die regste geistige Gemeinschaft gewöhnt war, ganz unmöglich. Er wählte die Frau, die ganz seinem Bedürfniss entsprach. Sehr bedeutend, talentvoll, mit weitem Blick und hohen Aspirationen, weltgewandt und erzogen in einer Sphäre, welche Intelligenz und Charakter gleichwerthig entwickelt hatte, war Anna von Mohl ihm bis an seinen Tod eine bewundernswerthe Genossin, war ihr Urtheil ihm stets eine Autorität.“
S. 370 - 375 aus:
Koenigsberger, Leo: Hermann von Helmholtz. - Braunschweig : Vieweg
Band 1. - 1902
Letzte Änderung: Mai 2014 Gabriele Dörflinger Kontakt
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