Leo Koenigsberger: Hermann von Helmholtz

Das Elternhaus von Hermann Helmholtz.


August Ferdinand Julius Helmholtz wurde am 21. December 1792 in Berlin geboren, besuchte das Friedrichs-Gymnasium daselbst und wurde am 15. October 1811 von Marheinecke in der theologischen Facultät der Universität Berlin immatriculirt. Wiewohl von Natur mit einem schwächlichen Körper ausgerüstet, nahm er doch an dem Feldzuge von 1813 bis 1814 Theil; er wurde unmittelbar nach dem königlichen Aufruf am 30. März 1813 als freiwilliger Jäger in Breslau in Eid genommen und nach der Schlacht bei Dresden am 8. September zum Secondelieutenant ernannt.

Als er nach dem Pariser Frieden 1814 die erbetene Entlassung erhalten, ging er wieder nach Berlin zurück, gab jedoch, da er bei der in seiner Jugendzeit herrschenden hyperorthodoxen Richtung aus schweren Gewissensbissen sich nicht herauszuarbeiten vermochte, das theologische Studium auf und wählte Philologie als Brotstudium, wenn er auch am liebsten seiner innersten Neigung folgend Philosoph geworden wäre; am 11. October 1814 trat er unter dem Decanat von Aug. Boeckh in die philosophische Facultät über. Da er in Folge eines lange andauernden schleichenden Nervenfiebers dem Feldzuge von 1815 „entsagen musste“, nahm er zunächst eine Hauslehrerstelle an, in der er sich als Erzieher zweier talentvoller und strebsamer Zöglinge zufrieden und glücklich fühlte, und aus der er nur ungern schied, um für seine Zukunft zu sorgen und eine feste Stellung anzubahnen.

(Seite 2) Er wurde, nachdem er bei der wissenschaftlichen Prüfungscommission in Berlin sein Examen abgelegt, an das Gymnasium zu Potsdam berufen und erhielt am 1. October 1820 seine Bestallung als Oberlehrer, Ostern 1827 als Subrector und im Februar 1828 das königliche Patent als Professor.

Unmittelbar nachdem er seine Stellung am Gymnasium angetreten, heirathete er am 5. October 1820 Fräulein Caroline Penne, die am 22. Mai 1797 geborene Tochter eines hannoverschen Artillerieofficiers — in männlicher Linie von dem bekannten amerikanischen Bürger William Penne, von dem der Name Pennsylvanien herrührt, in weiblicher aus einer zum Refuge gehörigen Familie Sauvage abstammend —, mit der er in glücklichster Ehe bis zum Jahre 1854 vereint lebte, und die in treuer Erfüllung ihrer Pflichten als Mutter und Gattin ihrem Manne den schweren Beruf erleichterte, der durch Pflicht und eigene Gewissenhaftigkeit auf ihm lastete. Die innige Liebe, welche die beiden Gatten durch das ganze Leben hin verband, finden wir in schönen und erhebenden Worten in den an W. Wackernagel gerichteten Gedichten ausgesprochen, welche sich noch heute in den alten Familienpapieren vorfinden.

Caroline Helmholtz wird als eine äusserlich ungemein einfache Frau geschildert, von tiefem Gemüth und geistiger Regsamkeit; plastisch war alles, was sie sagte, klar und hell ihr schlichtes Urtheil; wie von einer Art Divination geleitet durchschaute sie etwas Fragliches ohne Schwierigkeit „scheinbar ohne Nachdenken bis in die letzten Consequenzen“ und sprach es in einfacher Form aus. „Eine feinfühlige Officierstochter“, sagt der jüngste Sohn Otto, „musste sie bei den engen Verhältnissen, die ihr der Vater nur schaffen konnte, ihr ganzes Leben den Sorgen des Haushaltes und der Erziehung der Kinder, namentlich beider Töchter, widmen, denn meines Vaters Körper war aus den Feldzügen sehr geschwächt hervorgegangen.“ Und (Seite 3) sein Beruf war schwer, denn gar strenge herrschte in Preussen das Regiment der Vorgesetzten, freilich zum Glücke Preussens, zum künftigen Heile ganz Deutschlands.

Noch ist uns die für die strenge Disciplin im preussischen Beamtenstande und für den Geist, in dem die heranwachsende Jugend erzogen wurde, charakteristische Antwort des Consistoriums erhalten auf die in einer Eingabe ausgesprochene Bereitwilligkeit des jungen Lehrers, der allgemeinen Wittwenkasse beizutreten:

„Ihre Eingabe ist dem Inhalt nach ungenügend und rücksichtlich der Form höchst tadelnswerth. Es lag Ihnen ob, bestimmt zu erklären, und sich dadurch zu verpflichten, dass Sie Ihre künftige Gattin bei der allgemeinen Wittwenversorgungsanstalt zu einer Pension von wenigstens 100 Thlr. einkaufen würden, daher die Erklärung, dass Sie entschlossen wären, sich zum Einkauf Ihrer Gattin zu verpflichten, einleuchtend nicht genügt. Jene Erklärung erwarten wir also noch binnen 8 Tagen ...... Was die Form betrifft, so musste es Ihnen bekannt sein oder wenigstens das Schicklichkeitsgefühl Ihnen sagen, dass eine officielle Erklärung oder Eingabe an ein Landescollegium nicht auf einem einzelnen Blatte, sondern auf einem ganzen Bogen abgefasst sein muss. Das von Ihnen eingereichte Blatt trägt die Beweise der grössten Unaufmerksamkeit und der Vernachlässigung der Ehrerbietung, welche Sie Ihrem vorgesetzten Landescollegio und dessen Chef, von welchen der Bescheid vom 3. d. M. ausgegangen war, schuldig sind. Wir können nicht umhin, Sie hierauf der Folgen wegen aufmerksam zu machen, und Ihnen die Beobachtung der Anständigkeit und des Dienstverhältnisses wohlmeinend anzurathen.“

Aber derartige Zurechtweisungen nahm der junge preussische Beamte mit der ihm angeborenen Achtung vor den Anordnungen der vorgesetzten Behörde ruhig hin. Er ergab sich mit Liebe und Freude seinem Lehrerberufe, unterrichtete im Deutschen und in der Philosophie, übersetzte (Seite 4) und interpretirte seinen Schülern Plato, die Odyssee, Ovid und Virgil, selbst der mathematische und physikalische Unterricht wurde ihm in den oberen Klassen vier Jahre hindurch anvertraut, und er widmete sich auch diesem, wie der damalige Director Blume ausdrücklich der Behörde gegenüber bezeugt hat, mit regem Eifer und voller Hingabe, — und trotz dieser fast erdrückenden Beschäftigung behielt er noch hinreichende Zeit, um sich der Malerei zu widmen, ohne je darin Unterricht genossen zu haben, philosophische Studien zu treiben und eine Reihe von wissenschaftlich interessanten Programmabhandlungen zu verfassen: „Ueber die erste Entwicklung der Hellenen“, „Die Wichtigkeit der allgemeinen Erziehung für das Schöne“, „Ueber die geschichtliche Aufgabe des nächsten Jahrhunderts“ und „Die Araber, geschildert aus der Hamasa“, welche später auch die volle Anerkennung hervorragender Philologen gefunden haben. „Er besitzt eine vortreffliche ästhetische Bildung, die sich auf umfassende litterarische Studien stützt, ist von allgemeinem wissenschaftlichen Interesse beseelt, sein Unterricht ist anregend und fördernd, und er zeigt durchweg eine gebildete innerliche Individualität“, so lautet der offizielle Directorialbericht, und es wird darin weiter sein wohlthätiger Einfluss auf die Gesinnung und das Streben der Schüler nicht minder hervorgehoben, als es jetzt aus dem Munde von noch lebenden Schülern geschieht, von denen sich viele in den angesehensten Lebensstellungen befinden.

„Die Aelteren unter uns haben noch die Männer jener Periode gekannt, die einst als die ersten Freiwilligen in das Heer traten, stets bereit, sich in die Erörterung metaphysischer Probleme zu versenken, wohlbelesen in den Werken der grossen Dichter Deutschlands, noch glühend von Zorn, wenn vom ersten Napoleon, von Begeisterung und Stolz, wenn von den Thaten des Befreiungskrieges die Rede war“,
(Seite 5) lauteten die Worte eines unsterblichen Mannes, die 50 Jahre später zur Stiftungsfeier der Berliner Universität gesprochen wurden.

Das Brotstudium, wie er selbst seine Philologie bezeichnete, scheint, so weit es das Latein betrifft, in der That nur ein solches gewesen zu sein, hingegen war er ein begeisterter Hellenist und wirkte auf seine Gymnasiasten dadurch kräftig ein, dass er sie zum Erfassen der poetischen Schönheiten anzuregen suchte, anstatt die bloss grammatische Seite zu cultiviren. Dass er mit Vorliebe der griechischen Sprache sich hingab, während er den gewünschten, schon von seinen Lehrern im Friedrichs-Gymnasium bei ihm vermissten Ciceronianischen Stil sich nie anzueignen vermochte, suchte er später häufig, den Anschauungen seines grossen Sohnes folgend, dadurch zu erklären, „dass auch das Sprachtalent nicht ein einiges sei, sondern, wie alle anderen geistigen Functionen, eine Addition verschiedener Summanden“.

Er war einer der bedeutendsten Lehrer der Anstalt und wurde sehr oft in Gemeinschaft mit dem Mathematiker Meyer durch freiwillige Ovationen der Schüler ausgezeichnet. „Zu unseren schönsten Stunden gehörte es“, schreibt noch heute ein hervorragender Mann im preussischen Staatsdienst, „wenn er, unseren Bitten nachgebend, uns aus Dichtungen, Dramen, Balladen u. s. w. vorlas; ich erinnere mich z. B., wie er einmal den ersten Monolog im „Faust“ und ein anderes Mal Bürger's „Lied vom braven Mann“ so stimmungsvoll und wirksam vortrug, dass wir regungslos und in tiefer Andacht ihm lauschten — oft im Leben erklang mir und noch heute höre ich seine damalige Stimme und sehe dabei seine ausdrucksvolle Miene.“

Aber neben aller Gewissenhaftigkeit des Pädagogen brach doch noch oft der Feuereifer des begeisterten Freiheitskämpfers durch. Auf Bitten der Schüler liess er sich einmal verleiten, drei Stunden des deutschen Unterrichts, den er als Ordinarius in der Secunda gab, dazu zu (Seite 6) verwenden, den Schülern eine Schilderung der geistigen Erhebung zu geben, welche vor 1813 im preussischen Volke herrschte; in Begeisterung jubelten ihm alle zu. Aber der Director erfuhr davon, und der so beliebte Lehrer erhielt einen Verweis, sowie Androhung sofortiger Entlassung, wenn etwas Aehnliches noch einmal vorkommen sollte. Es war die Zeit in der Mitte der vierziger Jahre, in welcher der Druck kirchlicher und staatlicher Reaction schwer auf dem preussischen Volke lastete, die in Potsdam vornehmlich den sogenannten Treubund als Frucht zeitigte, dem auch der Director der Anstalt und mehrere Lehrer derselben angehörten.

So kam es, dass, wenn auch noch bisweilen in kleinerem Kreise sein Unmuth über die politische Entwickelung Deutschlands hervorbrach, ihn doch die Rücksicht auf seine Familie zwang, das Opfer des Schweigens zu bringen; denn schon im Jahre 1821 war sein ältester Sohn Hermann geboren, kurz darauf seine Töchter Marie und Julie, 12 Jahre danach sein Sohn Otto und später noch zwei, schon sehr früh in den Jahren 1836 und 1839 gestorbene Söhne Ferdinand und Heinrich, die Besoldung war eine karge — erst am Ende seiner Lehrerlaufbahn bezog er einen Gehalt von 1050 Thlr. — und als treuer Gatte und fürsorgender Vater blieb ihm nichts übrig, als seine politischen Gedanken allmählich ganz in seinem Innern zu verschliessen und selbst in seinem eigenen Hause im vertrauten Umgänge mit dem Prof. Meyer und den Seinigen die politischen Gespräche völlig zu meiden. Stets allein und in philosophische Gedanken vertieft, machte er von nun an seine Spaziergänge nach der historischen Mühle von Sanssouci.

Wenn er aber auch fernerhin seinen politischen Ansichten nicht mehr öffentlich Ausdruck geben durfte, so konnte er es doch mit seinen philosophischen Anschauungen nicht in Einklang bringen, auch der kirchlichen Orthodoxie gegenüber sich Schweigen aufzuerlegen. Eine grosse Reihe von Ausarbeitungen und Entwürfen zu Reden zeigen uns den (Seite 7) von tiefen philosophischen Ideen getragenen, von den edelsten religiösen Gedanken beseelten gläubigen Christen; wahrhaft religiöser Sinn erfüllte ihn, den Lehrer der Jugend, war ihm die Basis für eine sittliche Gemeinschaft mit seiner Frau und für eine ethische Erziehung seiner Kinder. Aber jeder kirchliche Zelotismus war ihm verhasst, und so trat er unbedenklich in Gemeinschaft mit seinem späteren Director der von Männern wie Alschefski, Bellermann, Bonnel, Jonas, Lisco, Meinecke u. A. entworfenen und am 15. August 1845 veröffentlichten Erklärung bei, die mit den Worten beginnt: „Es hat sich in der evangelischen Kirche eine Partei geltend gemacht, welche starr an der Fassung des Christenthums hält, wie sie solche aus den Anfängen der Reformation ererbt hat Diese Formel ist ihr Papst. Gläubig ist ihr, wer sich unbedingt derselben unterwirft, ungläubig aber, auch politisch verdächtig sind ihr alle diejenigen, welche sich dieselbe nicht angeeignet haben“, und fortfährt: „Wir erklären, dass wir eine heilsame Lösung des Kampfes nur dann für möglich halten, wenn allen Theilen das Recht freier Entwickelung ungekränkt erhalten wird …“

So entrollt sich allmählich vor uns ein Bild von Ferdinand Helmholtz, das es uns verstehen lässt, wenn sein bester Freund, mit dem er ein langes Leben hindurch in stetem Briefwechsel gewesen und gemeinsam so manche Reise unternommen, Im. Herm. Fichte, der Sohn von Joh. Gottlieb Fichte, und seit 1842 Professor der Philosophie in Tübingen, später in fast überschwänglicher Weise es ausspricht, „mit wie unverwelklicher, stets gesteigerter Liebe er ihm zugethan sei, und dass ihre gegenseitige Liebe für ihr beiderseitiges Leben von den wichtigsten Folgen geblieben ist“.

Ganz seiner amtlichen Thätigkeit und der Erziehung seiner Kinder hingegeben, deren weitere Entwickelung er als liebender Vater mit Aufmerksamkeit und Nachsicht, aber vermöge seiner ernsten und tief angelegten philosophischen (Seite 8) Natur zugleich auch mit kritischem Urtheil verfolgte, blieb er bis zum Jahre 1857 seinem Lehrerberufe in den ihm lieb und theuer gewordenen Verhältnissen treu und suchte sodann, als seine Kräfte immer mehr abnahmen, seine Pensionirung nach, die ihm von der Königl. Behörde unter der ehrenvollsten Anerkennung seiner langjährigen und verdienstlichen Wirksamkeit bewilligt wurde.

„Wir können nur wünschen“, so lauten die Worte des Directors [Rigler] im Programm der Anstalt für das Jahr 1857, „dass in seiner den wissenschaftlichen Bestrebungen gewidmeten Musse seine geschwächte Gesundheit sich immer mehr kräftigen und ihm ein langer, schöner und heiterer Lebensabend beschieden sein möge.“


S. 1 - 8 aus:
Koenigsberger, Leo: Hermann von Helmholtz. - Braunschweig : Vieweg
Band 1. - 1902


Letzte Änderung: 24.05.2014     Gabriele Dörflinger   Kontakt

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