Günter Kern:
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Am 1. März 1852 unterbreitete Nell der Philosophischen Fakultät der Heidelberger Universität sein Gesuch um Zulassung zum Doktorexamen mit dem Hauptfach Astronomie und den Nebenfächern Mechanik, Physik und Mathematik. Als Probeschrift legte er eine handschriftliche Abhandlung, betitelt „Vorschlag zu einer neuen Chartenprojektion“, vor, die ihm die Zulassung zur Promotion laut Urteil der Professoren Schweins und Jolly ermöglichte (55.3). Schon hier wird über seinen sittlichen Charakter ausgesagt, es läge „nichts Nachteiliges“ vor und über seine Persönlichkeit gäbe es „nur Anziehendes“ zu berichten. Am 14. März 1852 prüfte ihn der Ordinarius für Mathematik Schweins über Integralrechnung und höhere Geometrie aus der Mathematik, sowie über Mechanik und Astronomie; der für Physik und angewandte Mathematik zuständige Professor Jolly übernahm die Prüfung in praktischer Astronomie (Seite 56) und Physik, worauf Nell die zweite Note — insigni cum laude — erteilt wurde (56.1).
Noch im gleichen Jahr reichte Dr. Nell auch sein Gesuch um Zulassung zur Habilitation ein (56.2). Als Habilitationsschrift diente erneut die inzwischen gedruckte Inauguraldissertation „Vorschlag zu einer neuen Chartenprojektion“ (56.3), wie es zu dieser Zeit noch möglich war (56.4). Aus den fünf von Prof. Jolly gestellten Themen für die Probevorlesung wählte die Fakultät auf seinen Vorschlag hin das erste „Über die verschiedenen Methoden der Bestimmung der Größe und Gestalt der Erde“, das Dr. Nell zur Zufriedenheit der Fakultät am 6. Mai vortrug, worauf diese ihm den zweiten Grad — hinreichend fähig — zuerkannte (56.5).
Auch die Thesen für die am 12.5.1852 stattfindende Disputation, in deren Anschluß Dr. Nell unter die Privatdozenten aufgenommen wurde, behandelten astronomische und physikalische Fragen (56.6).
Als Nell noch im Oktober 1852 vom Ministerium die Verwaltung der Sternwarte Mannheim angeboten bekam, kündigte er Vorlesungen über Mathematik oder Astronomie an, um seine Rechte als Privatdozent nicht zu verlieren (56.7). Fünf Jahre später, am 20. September 1857, wies Dr. Nell darauf hin, daß er ganz von Mannheim (Seite 57) und Heidelberg weggehen und daher auf die Venia docendi verzichten würde (57.1).
1872 schließlich wurde Nell ordentlicher Lehrer der
Mathematik an der höheren Gewerbeschule — die spätere
technische Hochschule — in Darmstadt, wo er sich im Jahr
1898 emeritieren ließ. Nell starb am 11. Juni 1901
(57.2).
IV.2 Moritz Cantor
Sicher bei weitem bedeutender als A. M. Nell wurde der
spätere Mathematikhistoriker Moritz Cantor.
Am 23. August 1829 in Mannheim als Sohn des jüdischen Kaufmanns Isaak Bendix Cantor geboren ging er zunächst in Frankfurt zur Schule, bevor er in die fünfte Klasse des Mannheimer Lyceums wechselte. Seit dem Spätjahr 1848 widmete er sich dem Studium der Mathematik, Physik und Chemie in Heidelberg, ein Jahr darauf wechselte Cantor nach Göttingen, wo er seine Studien in den genannten Fächern bei Mathematikern wie Stern und vor allem Gauß vervollständigte (57.3). Mit der Meldung zur Promotion in Heidelberg im April 1851 legte Cantor als Inaugural-Dissertation eine Schrift „Über ein weniger gebräuchliches Coordinaten-System“ (57.4) vor, die ebenfalls von Prof. Schweins nur insofern beurteilt wurde, daß das Imprimatur erteilt werden könne (57.5). Die Prüfung am 5. Mai 1851 konnte Cantor, wie schon erwähnt, nur mit der dritten Note — cum laude — abschließen, weshalb er sich bei seiner (Seite 58) Habilitation einer zusätzlichen Prüfung unterziehen mußte (58.1).
Bis Cantor schließlich im März 1853 um die Genehmigung zur Habilition nachsuchte, verbrachte er ein Jahr in Berlin, um seine Kenntnisse in der Mathematik weiter auszubilden, und bereitete sich seit Herbst 1852 in Heidelberg auf seine wissenschaftliche Laufbahn vor (58.2). Nicht nur das am 1. April 1853 mit der zweiten Note „hinreichend befähigt“ abgehaltene Colloquium, sondern auch seine inzwischen gedruckte Dissertation sowie zwei weitere in Grunert's Archiv für Mathematik erschienene Abhandlungen (58.3) sah die Fakultät als „weitere Belege seiner ernsten wissenschaftlichen Bestrebungen“ (58.4) an, und empfahl somit dem Engeren Senat und dem Ministerium, den Petenten als wissenschaftlich gebildeten und strebsamen jungen Mann zur weiteren Habilitation zuzulassen (58.5). Nach Genehmigung durch das Ministerium stellte Schweins drei Themen für die Probevorlesung, aus denen die Fakultät das dritte, „Die Elemente der Mechanik. Kräfte in der Ebene und im Raume, ihre Verbindungen, Kräftepaare usw.“ (58.6) (Seite 59) auswählte.
Moritz Cantor hielt mathematische Vorlesungen in Heidelberg bis zu seinem freiwilligen Ausscheiden 1913 mit beinahe 84 Jahren. Schwerpunkte waren dabei die Integral- und Differentialrechnung, Analytische Geometrie der Ebene und des Raumes, Algebraische Analysis und Politische Arithmetik (59.1), dazu kamen in den ersten Jahren seiner Vorlesungstätigkeit auch Vorlesungen über Zahlentheorie sowie über Trigonometrie. Seine Hörerzahl belief sich dabei in den Jahren bis ca. 1880 zwischen 5 und 10, dann war ein merklicher Anstieg zu verzeichnen mit bis zu 20 Hörern; für die geringe Zahl an Mathematikstudenten in damaliger Zeit bedeutete dies schon sehr viel (59.2). Besonders seine Vorlesungen über „Geschichte der Mathematik“, die er im Sommersemester 1860 erstmals ankündigte, die zu dieser Zeit bei den Studenten jedoch noch nicht auf Interesse stieß, machten Cantor später berühmt. Erst mit dem Wintersemester 1873/74 fanden sich hierzu die ersten Hörer ein, ihre Zahl schwankte seither zwischen eins im Ws 74/75 und elf im WS 82/83. Aus diesen Vorlesungen ging sein vierbändiges Hauptwerk „Vorlesungen zur Geschichte der Mathematik“ hervor, das seither zu einem Standardwerk der Historiographie der Mathematik geworden ist und auch heute noch die „eingehendste Gesamtdarstellung der Geschichte der Mathematik von den Anfängen bis 1800“ (59.3) darstellt.
Erst spät wurden die Leistungen Moritz Cantors gewürdigt. Im November 1860 reichte er ein Gesuch um Beförderung zum außerordentlichen Professor ein und fügte diesem zur Unterstützung eine Liste seiner Vorlesungen mit Hörerzahlen sowie eine Aufstellung seiner bisherigen literarischen Tätigkeit bei. So hatte er je zwei Aufsätze in „Grunert's Archiv für Mathematik und Physik“ und in den „Nouvelles annales de mathématique“ veröffentlicht, (Seite 60) in der „Zeitschrift für Mathematik und Physik“ waren es sogar 15 Aufsätze, hinzu kamen 21 Rezensionen (60.1). Da Cantor sein Gesuch auf drei Punkten aufbaute — der schriftstellerischen Tätigkeit, der Lehrtätigkeit und der Anciennität — äußerte sich die Fakultät hinsichtlich dieser Argumente. Deren Aussagen bezüglich seiner literarischen Tätigkeit zeigen, daß mathematisch-historischen Abhandlungen keine große Bedeutung beigemessen wurde. Nach Ansicht der Fakultät entstammten die rein mathematischen Abhandlungen Gebieten, die „weder ausgebreitetes Studium noch tiefes Eindringen in das Wesen der Wissenschaft“ verlangten, die mathematisch-historischen Abhandlungen hingegen erlaubten „ebensowenig eine Einsicht in den Umfang der mathematischen Kenntnisse des Verfassers“ (60.2). Hinsichtlich der Lehrtätigkeit Cantors anerkannte die Fakultät seine Leistungen, ihr Urteil zeigt aber auch die vermeintlich schlechte Situation des mathematischen Unterrichts an den badischen Schulen in damaliger Zeit:
„Der mathematische Unterricht auf der Schule ist in Baden im Vergleich mit anderen Staaten leider so mangelhaft, daß die jungen Leute ohne diejenigen Vorkenntnisse die Schule verlassen, welche zu einem gedeihlichen Studium der höheren Mathematik und Naturwissenschaften auf der Universität notwendig sind. Dieser Übelstand wird, soweit das überhaupt möglich ist, durch die Vorlesungen des Dr. Cantor, die zum größten Teile sich auf elementare Gebiete der Mathematik beziehen, gehoben.“ (60.3)In Betreff auf die Anciennität sah die Fakultät eine Gefahr darin, wenn jeder Privatdozent nach einer gewissen Reihe von Jahren (Seite 61) zum Professor ernannt würde, weshalb sie das Gesuch nicht unterstützte (61.1). Erst als sich Cantor im Sommer 1863 erneut um die Charakterisierung als außerordentlicher Professor bewarb, unterstützte die Fakultät seinen Antrag, wobei anscheinend das Anciennitätsprinzip nun doch eine Rolle spielte, denn die Fakultät begründete ihre Zustimmung nicht nur damit, daß Cantor sich durch seine Vorlesungen vor allem aus der elementaren Mathematik nützlich gemacht habe, sondern daß er eine Reihe von Jahren in Heidelberg gewirkt hätte (61.2). Mit Ministerialentschließung vom 9. November 1863 erhielt Cantor die Charakterisierung zum außerordentlichen Professor (61.3)
Eine gegenteilige Bewertung wie bei seiner erstmaligen Ablehnung als außerordentlicher Professor erfuhr das Gesuch Cantors um Beförderung vom 15. April 1877 (61.4). Die Fakultät nahm die günstigen Urteile der Fachleute bezüglich der Leistungen Cantors in Geschichte der Mathematik, insbesondere des Altertums, auf und anerkannte ebenso seine Treue und sein Mühen in 24 Jahren Wirkens in Heidelberg (61.5). Am 30. Juli 1877 wurde Cantor der Charakter (Seite 62) eines „Professor honorarius“ verliehen (62.1). Seither stieg seine Bedeutung merklich an, was sich schon bei der Übernahme der Remuneration von Prof. Rummer zeigt (62.2). Nach dessen Tod bat Cantor beim Ministerium um ein regelmäßiges staatliches Einkommen — bisher lebte er ja von den Hörergeldern, die bei seiner relativ geringen Hörerzahl nicht sehr hoch sein konnten — wofür er auch die Vorlesungen des Prof. Rummer übernehmen wollte (62.3). In ihrer Sitzung vom 24. November 1882 beschloß die Fakultät, dieses Gesuch „aufs Wärmste“ zu befürworten,
„damit durch seine [Cantors] Vorlesungen die zahlreichen hier studierenden Cameralisten den Vorschriften genügen können, welche in der Verordnung vom 17. März 1881 § 2 bezüglich der Mathematik gegeben sind.“ (62.4)Diese vor allem für die Wirtschaftsstudenten bestimmten Vorlesungen könnten als Grundvorlesungen bezeichnet werden, oder im damaligen Sprachgebrauch „elementarmathematische Vorlesungen“, und umfaßten eigentlich Politische Arithmetik, Arithmetik und Algebra, Trigonometrie sowie Planimetrie und Stereometrie. Obwohl Cantor es für angebracht und notwendig erachtete, die Vorlesungen aus beiden Gebieten abwechselnd zu lesen, ordnete er sich den Wünschen des Ministeriums, das auf die Arithmetik die Schwerpunkte setzte, unter und las die elementararithmetischen Vorlesungen in aufeinanderfolgenden Semestern (62.5). Ausgestattet mit den Titeln „Hofrath“ (62.6) und „Geheimer Hofrath“ (62.7) wurde Cantor noch (Seite 63) am 21. Februar 1908 zum „Ordentlichen Honorarprofessor“ ernannt (63.1) und konnte am 7. Mai 1911 sogar sein 60. Doktorjubiläum feiern. Seine Bekanntheit im Ausland zeigen die Ernennung zum korrespondierenden Mitglied durch die Petersburger Akademie der Wissenschaften sowie durch die „Scienze lettere ed arti“ in Venedig im Jahr l901 (63.2). Am 19. Mai 1913 schließlich bat Cantor hochbetagt um seine Entlassung aus dem Staatsdienst, da seine Augen inzwischen so schwach seien, daß er selbst seinen eigenen Tafelanschrieb nicht mehr lesen könne. Hierauf wurde der verdiente Lehrer zum Ende des Sommersemesters 1913 seines Lehrauftrages enthoben und in den Ruhestand versetzt (63.3). Am 23.8.1919 konnte die Fakultät noch ihre Glückwünsche zum 90. Geburtstag übermitteln, doch wurde ihr dann am 9. April 1920 die Nachricht von Cantors Tod mitgeteilt (63.4).
Eine Würdigung fand das Schaffen Cantors schon anläßlich seines 70.Geburtstages, als die Universität ihre Glückwünsche übermittelte.
„Der Tag, an welchem Sie ihr 70tes Lebensjahr vollenden, ist auch für unsere Universität ein Tag der Freude und des dankbaren Riickblicks auf die Vergangenheit. Wir gedenken heute mit Befriedigung der treuen Dienste, welche Sie in einer langen Zeit des Schaffens dieser unserer Hochschule geleistet haben als ein Gelehrter und Forscher von anerkannter Bedeutung dazu ein ersprießlich wirkender Lehrer, der sich die Förderung der akademischen Jugend im Gebiete der mathematischen Studien allezeit aufs Wärmste und erfolgreichste angelegen sein ließ.“ (63.5)Als führender Mathematikhistoriker Deutschlands im 19. Jahrhundert und als Begründer einer wissenschaftlichen Schule gab Cantor der mathematikgeschichtlichen Forschung wesentliche Impulse.
Am 16. Juli 1831 als Sohn des Arztes Ludwig Wilhelm Eisenlohr und dessen Frau Auguste Catoir in Mannheim geboren, besuchte er seit 1845 das Lyceum in seiner Vaterstadt, um sich ab dem Wintersemester 1849/50 wissenschaftlichen Studien in Heidelberg und Göttingen zu widmen. Am 7. Oktober 1852 reichte er sein Gesuch um Zulassung zur Promotion mit Physik als Hauptfach sowie Mathematik und Chemie als Nebenfächer ein und wurde am 20. Oktober 1852 mit der ersten Note „summa cum laude“ promoviert (64.2). Als Dissertation legte Eisenlohr eine Arbeit „Untersuchungen über Variationsrechnung“ vor, die 1853 in Mannheim gedruckt wurde (64.3). Bis zu seinem Antrag auf Zulassung zur Habilitation 1854 hielt sich Eisenlohr zu Privatstudien an den Universitäten Gießen, Göttingen und Berlin auf (64.4).
Unter Vorlage seiner Dissertation als Habilitationsschrift reichte Friedrich Eisenlohr am 28. September 1854 sein Gesuch um Zulassung zur Habilitation für das Fach der mathematischen Physik ein (64.5). Da er die Promotion mit der ersten Note bestanden hatte (Seite 65) entfiel das Colloquium und der Physiker Gustav Robert Kirchhoff stellte die drei Themen für die Probevorlesung, die Eisenlohr am 12. Dezember 1854 mit der Note „hinreichend befähigt“ abschloß (65.1). Einen Tag später reichte der Petent seine Thesen für die Disputation ein, deren Zulässigkeit Kirchhoff festellen sollte (65.2) und nach deren Durchführung Eisenlohr als Lehrer der Mathematischen Physik unter die Privatdozenten aufgenommen wurde (65.3).
Neben der für das laufende Wintersemester 1854/55
angekündigten Vorlesung „Methode der kleinsten Quadrate“
behandelten die übrigen Veranstaltungen seines langen Wirkens in
Heidelberg die Mechanik, theoretische Optik,
Wahrscheinlichkeitsrechnung Differential- und Integralrechnung und
Potentialtheorie. Dabei schwankte die Hörerzahl zwischen eins und
acht, und auch den Lehrerfolg sah die Fakultät als nicht sehr
erfolgreich an
(65.4).
(Seite 66)
Dennoch stellte die Fakultät einstimmig und von sich aus den Antrag,
Eisenlohr
zum außerordentlichen Professor zu ernennen, dies wohl auf Grund
seiner literarischen Tätigkeit. Eisenlohr hatte bis zum Jahre 1872 schon
mehrere wissenschaftliche Abhandlungen in den „Poggendorffschen
Annalen“ und im „Journal für die reine und angewandte Mathematik“
veröffentlicht, und
daneben in der „Kritischen Zeitschrift für Chemie, Physik und
Mathematik“, die er unter anderen mit Moritz Cantor herausgab,
eine Reihe von Kritiken publiziert
(66.1).
„Diese
Abhandlungen haben eine große Anerkennung bei den Männern
seiner Wissenschaft gefunden“ urteilte die Fakultät
(66.2).
Mit Erlaß vom 3. Mai 1872 wurde Eisenlohr zum
ausserordentlichen Professor ernannt
(66.3),
aber entscheidend
dabei war, daß nicht er sondern die Fakultät diesen Schritt
einleitete
(66.4).
Somit sollte wohl seine fast zwanzigjährige
Lehrtätigkeit an der Heidelberger Universität vor allem aber
sein literarisches Wirken gewürdigt werden. Wiederum zwanzig
Jahre später
(Seite 67)
konnte Eisenlohr am 21. Oktober 1902 noch sein 50. Doktorjubiläum
feiern, am 21. Juli 1904 starb er
(67.1).
IV.4 Georg Zehfuß
Nur vier Jahre währte das Wirken von Georg Zehfuß in Heidelberg.
Am 4. April 1832 wurde
Zehfuß nahe bei Darmstadt geboren und in evangelischem Glauben
erzogen; sein Vater war durch Bücher über die Altertümer Hessens
bekannt geworden
(67.2).
Wie Zehfuß selbst eingesteht, zeigte er
in seiner Jugend mehr Interesse für Sprachen und Geschichte denn für
Mathematik. Mit 15 Jahren trat er in das Polytechnikum in Darmstadt ein, wo er
sich — angeregt durch seinen Lehrer Strecker — dem Studium der
Mathematik, Mechanik, Physik und Chemie widmete, daneben aber
weiterhin auch an Veranstaltungen in Latein, Französisch sowie
deutsche Geschichte und Literatur teilnahm. Nach Abschluß der
Reifeprüfung mit der Note „summa cum laude“ zog es ihn 1850 nach
Gießen, wo ihm jedoch nur „wenig wissenschaftliche Anregung zu
Theil wurde“
(67.3).
Seine Kenntnisse in niederer Mathematik
waren schon vor diesem Wechsel eben durch den Einfluß von Strecker
fortgeschritten, daneben erwarb sich Zehfuß eine „gewisse
Fertigkeit in der Behandlung trigonometrischer Formeln und die
notwendigsten Kenntnisse in der analytischen Geometrie der Ebene“
in Privatstudien. Weiteres Mühen führte ihn zur Differential- und
Integralrechnung, wobei ihm die Leibnitzsche Methode des
Unendlichkleinen und diejenige der Grenzen wichtige Hilfen waren.
Schon im Alter von 16 Jahren war es Zehfuß mit Hilfe dieser
Kenntnisse möglich, deren „vorzüglichste Anwendungen auf
Geometrie und Mechanik“ zu studieren und bis zu seinem Eintritt in die
Universität auch mathematische Abhandlungen in deutscher, französischer und
lateinischer Sprache zu lesen. In Gießen galt sein Hauptinteresse
der endlichen
(Seite 68)
Differenzenrechnung, deren Ergebnisse er in Grunerts Archiv veröffentlichte,
ebenso wie
eine elementare Begründung der Variationsrechnung
(68.1).
Gestützt auf Cauchys
„Exercices
de Mathématiques“ reichten seine Forschungen auch in die Akustik,
besonders in die Lehre
von den Schwingungen hinein. Schließlich beendete Zehfuß seine Studien in
Gießen mit dem
Gymnasiallehrerexamen und dem Doktorgrad im Januar 1853
(68.2).
An der höheren
Gewerbeschule in Darmstadt, wohin er sich im Frühjahr 1853 wandte, ließ ihm
sein Amt nur
wenig Zeit für private Studien
(68.3).
Dennoch konnte er sich
Jacobis Schriften wie auch
Herbarts mathematischer Psychologie widmen, und auch sonst scheint sein
Schaffen zu dieser Zeit noch erfolgreich gewesen zu sein. Er
lehrte niedere und höhere Mathematik sowie höhere Mechanik,
publizierte einen Beweis über die Grenzen der Gültigkeit der Lagrangeschen
Rekursionsformel im Külpschen Lehrbuch der Differential- und
Integralrechnung und arbeitete darin auch an den Kapiteln über bestimmte Integrale,
über die Gammafunktion und die Fourierschen Reihen und
Integrale mit
(68.4).
Um größere wissenschaftliche Anregungen zu erfahren und wegen der Verhältnisse an der Gewerbeschule Darmstadt, die er jedoch nicht näher dargestellt hat, reichte Zehfuß im Mai 1857 ein Gesuch um Zulassung zur Habilitation in Heidelberg für reine Mathematik ein (68.5). Seine hierzu beigefügte Habilitationsschrift „Abhandlung über einige mathematische Gegenstände“ gliedert sich in (Seite 69) vier Teile:
„I. Über die Auflösung der CongruenzNach dem Urteil des damaligen Ordinarius der Mathematik Hesse zählten alle vier Teile zu den „schwierigen, und deshalb nur den mehr ausgebildeten Mathematikern zugänglichen Teilen der Wissenschaft“ (69.2). Insgesamt sei zwar der Umfang gering, im ersten Teil vermisste Hesse die Angabe der Bedingungen für die Gültigkeit des Endresultates, doch der zweite Teil löste mit Geschick eine wichtige Frage der Analysis, während der dritte Teil ein einfacher Beweis für eine in der Theorie der bestimmten Integrale schon bekannte Formel enthielt. Neben Hesse empfahl auch Kirchhoff, der den vierten Teil der Arbeit begutachtete und ihn als ein sehr schwieriges Gebiet der theoretischen Physik, speziell der theoretischen Wärmelehre, ansah, die Annahme der Arbeit als Habilitationsschrift (69.3). Am 10. Oktober 1857 bestand Zehfuß das Kolloquium mit der ersten Note, doch mußten seine weiteren Prüfungsleistungen aus Krankheitsgründen verschoben werden (69.4).
ax ≡ b (mod αm βn γ^p ...)II. Über Lagrange's Reversionsformel
III. Bestimmung des Integrales
I = ∫0+∞ (cos ax / (1 + x2)) dxIV. Theoretische Formel für die Maxima der Spannkräfte der Wasserdämpfe bei verschiedenen Temperaturen.“ (69.1)
Mit der Probevorlesung über ein Kapitel aus der Theorie der Maxima und Minima am 7. März 1859 nahm Zehfuß die Habilitationsleistungen (Seite 70) wieder auf (70.1) Obwohl die Probevorlesung weder von Hesse noch von Kirchhoff günstig beurteilt wurde, erinnerte Kirchhoff an den ähnlichen Fall des Dr. Meidinger, dessen Probevorlesung der von Zehfuß hinsichtlich ihrer Qualität nahekam und dennoch angenommen wurde (70.2). Da die Fakultät sich dieser Meinung anschloß, konnte der Kandidat am 3. Mai 1859 die Disputation bestreiten, an deren Ende seine Aufnahme unter die Privatdozenten der Universität Heidelberg stand (70.3).
In der kurzen Zeit bis zu seinem Ausscheiden im Jahr 1861 hatte Zehfuß nach Ansicht der Fakultät mit „bestem Erfolge in seinem Fach gewirkt“ (70.4). Eine in Reval in Lettland ihm angebotene Gymnasialprofessur stellte Zehfuß vor die Frage, diese Chance wahrzunehmen oder in Heidelberg zu bleiben.
(Seite 71) „Man hat dem gehorsamst Unterzeichneten eine Stelle als Gynnasialprofessor zu Reval in Lethland angeboten, welche in pecuniärer Hinsicht so gut dotiert ist, daß in Ermangelung einer fixen Anstellung in Deutschland es ihm geraten schien, auf dieselbe nicht geradezu Verzicht zu leisten. Da derselbe die Universität nur sehr ungern verläßt. so möchte er sich den Rücktritt, wenigstens für ein Jahr offen halten. um die Verhältnisse in Reval aus eigener Anschauung kennen zu lernen, (...).“ (71.1)Nachdem nicht nur dieser Urlaub sondern auch eine Verlängerung um ein weiteres Jahr am 15. August 1861 vom Ministerium genehmigt worden war (71.2), läßt sich der weitere Werdegang des Georg Zehfuß nicht mehr verfolgen, doch schon auf Grund der bisherigen Veröffentlichungen und der Nachweise seiner mathematischen Studien ist zu erkennen, daß Heidelberg mit ihm keinen allzubedeutenden Mathematiker verloren hatte (71.3).
Am 2. Dezember 1831 in Berlin als Sohn des Geh. Reg. Raths im früheren königlich- preußischen Departement der Neuenburger Angelegenheiten Felix Henry Du Bois-Reymond und dessen Frau Wilhelmine (Seite 72) Henry geboren, absolvierte er die Domschule zu Naumburg/S., um hier den Reifegrad zu erlangen. Schon da wurde ihm der mathematische Unterricht zu großem Nutzen (72.1), dennoch studierte er in Berlin zuerst sieben Semester lang Medizin, hörte dabei aber auch mathematische Vorlesungen neben Chemie, Physik, Botanik und Zoologie (72.2). In Zürich studierte Du Bois-Reymond Physiologie und veröffentlichte hier auch zwei Abhandlungen auf diesem Gebiet. Zurückgekehrt nach Berlin absolvierte er das „tentamen philosophicum“ bei der philosophischen Fakultät, hörte aber auch neben seinen medizinischen Studien die Vorlesung von Dirichlet (72.3) über die Integration der partiellen Differentialgleichungen. Hier reifte sein Entschluß, sich den physikalisch-mathematischen Studien zu widmen, wozu es ihn wegen der berühmten Lehrer Neumann, Richelot und Hesse für drei Jahre nach Königsberg zog (72.4). Nach seiner Rückkehr nach Berlin beschäftigten ihn vor allem Untersuchungen auf physikalischem Gebiet, und mit einer Arbeit aus diesem Bereich, „De aequilibrio fluidorum“, erwarb er sich hier auch den Doktortitel sowie das Examen pro facultate docendi für das höhere Lehramt. Mathematische Probleme, wie etwa die Theorie der nichtlinearen partiellen Differentialgleichungen, die sich beim Bearbeiten von physikalischen Aufgaben stellten, veranlaßten Du Bois- Reymond, auch die reine Mathematik zu studieren. Als Ergebnis seiner mittlerweile fünfjährigen Studien auf diesem Gebiet konnte Du Bois-Reymond eine Schrift „Beiträge zur Interpretation (Seite 73) der partiellen Differentialgleichungen“ veröffentlichen. Am 30. Januar 1865 reichte er ein Gesuch um Zulassung zur Habilitation für das Fach der reinen und angewandten Mathematik an der Universität Heidelberg ein (73.1), mußte aber wegen seiner auswärtigen Promotion das Kolloquium bestehen (73.2). Schon das Urteil des Fachvertreters Hesse über die eingereichten Abhandlungen fiel sehr positiv aus.
„Der Herr Dr. Dubois-Reymond hat augenscheinlich ernste mathematische Studien gemacht. Seine Beiträge zur Interpretation der partiellen Differentialgleichungen, welche ich beilege, geben Zeugnis davon. Dasselbe gilt auch von seiner Dissertation de aequilibrio fluidorum, die aber mehr in das Gebiet der angewandten Mathematik gehört. Einer eingehenden Critik in den wissenschaftlichen Werth der vorliegenden weiteren Druckschriften bedarf es nicht, um zu der Ueberzeugung zu gelangen, daß das Gesuch des Dr. R. wirklich Berücksichtigung verdient.“ (73.3)Nachdem ihn das Ministerium für die weiteren Prüfungen zugelassen hatte, konnte Du Bois-Reymond am 11. März 1865 seine Probevorlesung vermutlich mit dem ersten der gestellten Themen, „Über die Auflösung der linearen Gleichungen durch Determinanten“, abhalten, die er auch mit der Note „hinlänglich befähigt“ bestand und somit zur Disputation zugelassen wurde (73.4). Die Thesen für die Disputation behandelten die partiellen Differentialgleichungen, die Integralrechnung, die Theorie der komplexen Zahlen sowie die angewandte Mathematik. Am 26. April 1865 wurde Du Bois-Reymond (Seite 74) als Privatdozent aufgenommen (74.1).
Wie aus einem Schreiben Du Bois-Reymonds an die Philosophische Fakultät hervorgeht, bildeten in den kommenden acht Semestern sehr unterschiedliche Themen den Gegenstand seiner Vorlesungen. So las er im Bereich der analytischen Geometrie, der Variationsrechnung, der Differential- und der Integralrechnung, über Kugelfunktionen und Determinanten und auch über Fouriersche Integrale, hatte dabei jedoch nur wenige Zuhörer (74.2). Dennoch bat Du Bois-Reymond schon 1868 um Charakterisierung als außerordentlicher Professor. In seinem Gesuch vom 13. Juli 1868 sprach er auch die beiden Punkte an, auf die auch Hesse in seiner Beurteilung des Gesuches einging: die literarische und die Lehrtätigkeit des Petenten (74.3). Hesse würdigte dabei das Wirken Du Bois- Reymonds in hohem Maße und empfahl ihn eindringlich der Fakultät zur Beförderung. Mehrjährige Erfahrungen als Lehrer und die wissenschaftlichen Kenntnisse des Petenten ließen nach Ansicht Hesses schon bei dessen Habilitation ein „ersprießliches Wirken“ an der Heidelberger Universität erwarten (74.4). Das um die Zuhörerzahl unbeirrte Wirken Du Bois-Reymonds ermöglichte es, in Heidelberg Spezialvorlesungen zu halten, für die andere Universitäten von Staats wegen Lehrkräfte einstellen müßten (74.5). Als Beweis seiner „unausgesetzten wissenschaftlichen Thätigkeit“ und dafür, daß Du Bois-Reymond inzwischen sich einen Namen in der Wissenschaft erworben hatte, dienten Hesse die Abhandlungen über die Fourierschen Integrale und die bereits erwähnten „Beiträge zur Interpretation (Seite 75) der partiellen Differentialgleichungen mit drei Variabeln, Leipzig 1864“ (75.1). Da auch die Fakultät dieses Gutachten annahm, wurde Du Bois-Reymond am 8. September 1868 zum außerordentlichen Professor ernannt (75.2). Mit Nachdruck unterstützte die Fakultät das Gesuch Du Bois-Reymonds um eine Vergütung für die von Prof. Hesse, der nach München gegangen war, übernommenen Vorlesungen im Wintersemester 1868/69, was weiterhin den Wert dieses Mathematikers für die Universität und seinen Einsatz für dieselbe belegt.
„Wir sind der Ansicht, daß allerdings Billigkeitsgrunde dafürsprechen, das Gesuch des Prof Du Bois-Reymond zu berücksichtigen, sofern nach dem Urtheil unserer sachverständigen Mitglieder derselbe unzweifelhaft mit Zeit und Kraft der Universität genützt hat, indem er die von Prof Hesse für das verflossene Wintersemester angezeigt gewesenen Vorlesungen gehalten und während dieses Semesters die mathematischen Übungen geleitet hat; (...).“ (75.3)Schon ein halbes Jahr nach Bewilligung dieses Antrages berief das Ministerium Du Bois-Reymond zum Sommersemester 1870 als ordentlichen Professor der Mathematik nach Freiburg (75.4). Tübingen seit 1874 und die Technische Hochschule in Berlin ab dem Wintersemester 1884/85 bildeten weitere Stationen seines Wirkens (75.5), bis er am 7. April 1899 in Freiburg starb.
Du Bois-Reymonds Forschungsschwerpunkte bildeten die „Theorie der unendlichen Reihen“ (75.6), insbesondere der Fourier-Reihen, die „Theorie der Differentialgleichungen“ und die „Theorie der Funktionen (Seite 76) mit reellen Variablen“ (76.1). Seine Arbeiten auf dem Gebiet der Fourier-Reihen bildeten eine „Erweiterung der Differentialrechnung“ und wurden zu „einem Grundpfeiler der modernen Theorie der reellen Funktionen im 20. Jh.“ (76.2). Hier griff Du Bois-Reymond Probleme auf, die schon Cauchy, Abel und Dirichlet beschäftigt hatten, und veröffentlichte Arbeiten von bleibendem Wert.
Du Bois-Reymond war geleitet durch die grundlegenden Fragestellungen der Analysis
seiner Zeit, seine Arbeiten waren sowohl durch seine Persönlichkeit
als auch durch den
Stand der Mathematik seiner Zeit geprägt
(76.3).
IV.6 Heinrich Weber
Mit Heinrich Weber begann in Heidelberg ein Mathematiker seinen Weg,
der für die
Wissenschaft noch beeindruckende Ergebnisse seiner Forschungen
hinterlassen sollte.
Am 5. März 1842 in Heidelberg geboren, besuchte der Sohn des Lehrers und Historikers Georg Weber seit 1853 zunächst das Lyceum in Heidelberg, bis er zum Wintersemester 1860 sein Studium in Heidelberg mit den Schwerpunkten Mathematik, Physik und Chemie begann. Zum Sommersemester 1862 ging er für sechs Monate nach Leipzig, worauf er sich, nach Heidelberg zurückgekehrt, zur Promotion meldete (76.4). Vom Fachvertreter Hesse mit dem Prädikat „sehr fleißiger junger Mann“ versehen, wurde Weber hierzu zugelassen und bestand am 18. Februar 1863 bei Hesse, Bunsen und Kirchhoff mit der Note „summa cum laude“ die Prüfung (76.5).
Wo Weber die folgenden Jahre verbrachte, läßt sich aus den (Seite 77) Akten nicht erkennen, doch reichte er im Juli 1866 mit seinem Gesuch um Zulassung zur Habilitation eine Abhandlung „Zur Theorie der singulären Lösungen partieller Differentialgleichungen erster Ordnung“ ein, die von Hesse beurteilt werden sollte (77.1), und die nach dessen Ansicht schon erahnen ließ, daß sich Weber mit wichtigen Problemen der Mathematik auseinandersetzen und sich damit einen Namen machen würde. Demnach behandelte die Untersuchung zwei Fragen, die zu den schwierigsten der Integralrechnung gehörten (77.2).
„Ihre streng wissenschaftliche Behandlung in der Dissertation giebt Zeugniß davon, daß der Verfasser ganz in der Lage ist dunkle Parthien der Wissenschaft zu durchdringen und neue, wichtige Entdeckungen zu machen.“ (77.3)Nach Zulassung Webers zur Habilitation durch das Ministerium (77.4) stellte Prof. Hesse drei Themen für die Probevorlesung aus der Determinantentheorie, der Integralrechnung und der angewandten Mathematik. Mit dem ersten Thema, „Darstellung der Prinzipien der Determinanten-Theorie“, schloß Weber die Probevorlesung am 8.August 1866 mit der Note „vorzüglich befähigt“ ab (77.5). Am 11. August 1866 verteidigte Weber seine Thesen mit befriedigendem (Seite 78) Erfolg und wurde unter die Privatdozenten aufgenommen (78.1).
Auch wenn Heinrich Weber in den folgenden Jahren nur wenige Zuhörer in seinen Vorlesungen hatte, so behandelten diese doch wichtige Gebiete der Mathematik. Den Gegenstand seiner Kollegien bildeten die elliptischen Funktionen, die Theorie der bestimmten Integrale, Algebra, die Theorie der Kapillarität, die Theorie der Fourierschen Reihen, die Theorie der Funktionen komplexer Variablen, die analytische Mechanik und die Theorie und Anwendung der Kugelfunktionen (78.2). Auf Grund der geringen Hörerzahl und da Weber erst drei Jahre Privatdozent war, wurde die geringe Wirksamkeit als Universitätslehrer bei seinem Gesuch um Beförderung zum außerordentlichen Professor gegenüber dem literarischen Wirken zurückgestellt (78.3). Dennoch glaubte Königsberger, der hierzu seine Meinung äußern sollte, daß Weber der Universität noch mehr Nutzen bringen werde (78.4).
Die Forschungen Webers lagen auf sehr schwierigen Gebieten der höheren Mathematik mit einer „ganzen Reihe neuer, schöner und wichtiger Resultate“ und gehörten „zu den besten und solidesten der in letzter Zeit von jüngeren Mathematikern veröffentlichten“ (78.5). Die Zugehörigkeit Webers zu den besten jüngeren Mathematikern schon zu diesem Zeitpunkt bewies auch der Umstand, daß er für das Züricher Polytechnikum vorgesehen war. Somit war die Beförderung vom wissenschaftlichen Standpunkt aus „äußerst wünschenswerth“ (78.6). Am 20. August 1869 wurde Weber der Titel „außerordentlicher Professor“ verliehen, doch schon am 2. Januar 1870 teilte die Philosophische Fakultät Webers Ruf als ordentlicher (Seite 79) Professor an die eidgenössische polytechnische Hochschule in Zürich zum Sommersemester 1870 dem Engeren Senat mit (79.1). Über die Universität Königsberg, das Polytechnikum in Berlin und die Universitäten Marburg und Göttingen kam Weber schließlich 1895 nach Straßburg, wo er am 17. Mai 1913 starb (79.2).
Die Bedeutung Heinrich Webers zeigt die Würdigung durch die Fakultät anläßlich seines 50. Doktorjubiläums im Jahr 1913.
„Heinrich Weber (...), der sodann als junger Mathematiker an unserer Universität mit dem besten Erfolge gelehrt, und später in Zürich, Königsberg. Berlin. Göttingen und Straßburg als unermüdlicher Docent eine große Reihe von Schülern zu hervorragenden Lehrern und Gelehrten heran gebildet, der durch eine große Anzahl scharfsinniger und weittragender Untersuchungen auf den Gebieten der Algebra, der Funktionentheorie und der mathematischen Physik sich eine ruhmreiche Stellung in der Wissenschaft gesichert und durch eine Reihe von Lehrbüchern, die in höchster paedagogischer Vollendung für das Verständnis der schwierigsten mathematischen Disziplinen älteren und jüngeren Mathematikern von hervorragendem Nutzen waren, seinem Namen in allen mathematischen Kreisen des In- und Auslandes eine hohe Geltung verschaffte. (...).“ (79.3)Weit mehr noch als Webers Arbeiten aus der Analysis über partielle Differentialgleichungen der mathematischen Physik, seine Untersuchungen über Abelsche Integrale und Abelsche Funktionen oder auch über die elliptischen und Besselschen Funktionen, waren die Arbeiten dieses vielseitigen Mathematikers im Bereich der Algebra und Zahlentheorie von Einfluß (79.4). Hier arbeitete er mit Dedekind zusammen (79.5), forschte auf dem Gebiet der Galois-Theorie, der endlichen Gruppen und der algebraischen Zahlkörper, die wesentliche Anstöße für die Entwicklung der Klassenkörpertheorie gab. 1895/96 publizierte Weber ein zweibändiges „Lehrbuch der (Seite 80) Algebra“, das lange Zeit ein Standardwerk von großer Bedeutung war (80.1).
Jakob Lüroth wurde am 18. Februar 1844 in Mannheim geboren, studierte zunächst zwei Semester Astronomie in Bonn und wechselte dann im Jahr 1863 nach Heidelberg (80.2). Mit seiner Dissertation „Zur Theorie des Pascalschen Sechsecks“ reichte Lüroth im Februar 1865 sein Gesuch um Zulassung zur Promotion in den Fächern Mathematik (Hauptfach), Physik und Mineralogie (Nebenfächer) bei der Philosophischen Fakultät der Heidelberger Universität ein (80.3). Lüroth benutzte für seine Arbeit die Steinerschen Sätze, welche damals „zu den elegantesten Sätzen der neueren Geometrie“ (80.4) gehörten. „Durch Combination ganz einfacher Formeln, also auf einem sehr eleganten Wege“, leitete Luroth „neue geometrische Sätze ab“, wie Hesse feststellte. Er empfahl daraufhin der Fakultät die Annahme der Arbeit, weniger wegen der „wissenschaftlichen Bedeutung“, sondern vielmehr wegen des „daraus hervorleuchtenden speculativen Talentes“ (80.5). Dieses mit seiner Dissertation schon gezeigte Talent legte Lüroth auch bei seiner Promotionsprüfung am 18. Februar 1865 an den Tag, die er mit der besten Note — summa cum laude — abschloß (80.6).
(Seite 81) In den folgenden zwei Jahren setzte Lüroth seine Studien in Berlin bei Karl Weierstraß und dann in Gießen bei Alfred Clebsch fort (81.1). Am 23. April 1867 suchte er bei der Philosophischen Fakultät in Heidelberg um die Genehmigung zur Habilitation in „Mathematik und den verwandten Disziplinen“ nach (81.2). Hierzu legte er auch eine Schrift „Zur Theorie der windschiefen Flächen“ vor, die wiederum Hesse beurteilen sollte (81.3). Die früher vorgelegte Dissertation über das Pascalsche Sechseck in Erinnerung rufend, stellte Hesse fest, daß beide Arbeiten „neue, die Wissenschaft fördernde Resultate“ enthielten, was nicht der Erfolg „mißliebiger Rechnungen“ wäre, sondern „allein durch die Macht des Gedankens“ erzielt worden sei (81.4). Die Tatsache, daß sich die Arbeit zudem mit den „die mathematische Welt bewegenden“ Theorien von Abel und Riemann beschäftigte, ließ jeden Zweifel wegfallen, sie als Habilitationsschrift anzunehmen. Nach Zulassung zur Habilitation durch das Ministerium (81.5) hielt Lüroth am 4. Juni 1867 seine Probevorlesung über „die Entwicklung des Begriffes eines bestimmten Integrals“ (81.6), welche die Fakultät mit „vorzüglich“ benotete. Für das akademische Streitgespräch legte Lüroth Thesen aus den Gebieten der Geometrie, der Analysis, der Integralrechnung sowie der Mechanik vor, und wurde daraufhin am 15. Juni 1867 als Privatdozent aufgenommen (81.7).
(Seite 82) Nur ein Jahr dauerte das Wirken Lüroths in Heidelberg, denn schon am 6. Juli 1868 genehmigte der Engere Senat einen Urlaub für das Wintersemester 1868/69 und — sofern nötig — auch darüber hinaus, damit Lüroth an der polytechnischen Schule in Karlsruhe einige Lehrstunden übernehmen konnte (82.1). Am 20. Januar 1869 berichtete Lüroth der Fakultät, daß er eine Professur für höhere Analysis am Polytechnikum in Karlsruhe erhalten habe (82.2) und schied somit aus der Heidelberger Universität aus. Bis zu seinem Tode am 14. September 1910 in München lehrte Lüroth noch an der Technischen Hochschule München sowie an der Universität Freiburg (82.3).
Die Forschungen Jakob Lüroths hatten einen großen Umfang und zeigten
Vielseitigkeit.
Geometrie, Mechanik, Astronomie, Geodäsie, Wahrscheinlichkeitsrechnung,
Mengenlehre,
Funktionentheorie und Algebra gehörten zu seinen Forschungsgebieten,
wobei er — angeregt
durch O. Hesse — wichtige Ergebnisse in der algebraischen Geometrie
sowie in der Topologie erzielte
(82.4).
IV.8 Max Noether
Am 25. November 1844 in Mannheim als Sohn eines Kaufmanns geboren,
trat er 1854 in die
Tertia des dortigen Lyceums ein, welches er 1858 aus Krankheitsgründen
verlassen mußte.
In der nun folgenden Zeit der „Einsamkeit“ wuchs Noethers Neigung
zur Mathematik.
Privatstudien überbrückten die Zeit bis zu seinem Studium der
theoretischen Astronomie in
Mannheim, das er im Herbst
(Seite 83)
1865 begann. Im Jahr darauf wechselte Noether nach Heidelberg, wo er
theoretische und angewandte Naturwissenschaften und
Mathematik studierte, wobei die spezielle Richtung seiner Studien durch Jacobis
„Vorlesungen über Dynamik“ beeinflußt waren
(83.1).
Hier in Heidelberg wurde Noether am 4. März 1868 mit der Note „summa cum laude“ promoviert, wobei er in seinem Gesuch Mathematik mit ihren Seitenzweigen analytische Mechanik und theoretische Astronomie als Hauptfach angab, theoretische Physik mit Elastizitäts- und Elektrizitätstheorie und Hydrodynamik sowie Mineralogie als Nebenfächer (83.2).
Die Akten geben keine Auskunft über den Aufenthaltsort Noethers in den kommenden zwei Jahren (83.3), jedoch hat er die Zeit sicher auch dafür verwendet, seine Habilitationschrift „Über Flächen, welche Schaaren rationaler Curven besitzen“ auszuarbeiten, die er dann als Manuskript am 19. Mai 1870 mit seinem Gesuch um Zulassung zur Habilitation der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg vorlegte (83.4). Königsberger gab in seiner (Seite 84) Beurteilung dieser Schrift zunächst den Inhalt und das Ergebnis der Arbeit wieder und äußerte sich dann zum Gesamteindruck.
„Die vorliegende Schrift, (...), enthält sehr gute analytisch-geomerische Untersuchungen über ziemlich schwierige Teile der Geometrie und hat eine beträchtliche Anzahl neuer und wesentlicher Resultate aufzuweisen; (...).“ (84.1)Wissenschaftliche Bedenken stünden daher der Zulassung Noethers zur Habilitation nicht entgegen. Auch hier nahm die Fakultät die Empfehlung des Fachvertreters an und bat den Engeren Senat, beim Ministerium die Zulassung zur Habilitation zu erwirken (84.2). In Anwesenheit von 12 der 17 Fakultätsmitglieder hielt der Habilitand am 18. November 1870 seine Probevorlesung über das erste der von Königsberger gestellten Themen „Über die Krümmung der Flächen“, wofür er die Note „hinreichend befähigt“ erhielt (84.3). Am 26. November 1870 verteidigte Noether seine Thesen, die sich mit der theoretischen Mechanik, der Theorie der algebraischen Formen, den Fourierschen Reihen, Funktionen komplexer oder mehrerer reellen Variablen, den Differentialgleichungen und den Abelschen Funktionen beschäftigten, zur Zufriedenheit der Fakultät, die ihn hierauf als Privatdozent aufnahm (84.4).
In den wenigen Jahren seines Wirkens in Heidelberg bildeten die (Seite 85) analytische Geometrie, die Determinantentheorie, die Algebra, Analysis und Differentialgleichungen sowie die algebraische Analysis die Gegenstände seiner Vorlesungen die sich demnach sowohl mit allgemeineren Teilen der Mathematik wie auch mit Noethers Forschungsgebiet, den „algebraischen Theilen, auf denen die Functionentheorie und die Geometrie ruht“, beschäftigten (85.2). Wie aus dem Gutachten Königsbergers in Bezug auf das Gesuch Noethers um Beförderung zum außerordentlichen Professor hervorgeht, hat dieser in jener Zeit auch einige sehr gute Arbeiten veröffentlicht (85.2). Somit trugen die literarische Tätigkeit Noethers und vor allem die Tatsache, daß er „bereits mehrfach dadurch Anerkennung gefunden hat, daß er bei der Besetzung außerordentlicher Universitätsprofessuren in Frage gekommen ist“, dazu bei, daß die Fakultät dieses Gesuch befürwortend an den Engeren Senat weiterleitete (85.3). Mit Ministerialerlaß vom 25. September 1874 wurde Noether der Charakter eines außerordentlichen Professors verliehen, doch schon am 8. Januar 1875 berichtete dieser, daß er einen Ruf als außerordentlicher Professor der Mathematik nach Erlangen zum kommenden Sommersemester angenommen habe (85.4). Hier wurde er am 1. April 1888 zum ordentlichen Professor berufen und blieb auch in Erlangen bis zu seinem freiwilligen Ausscheiden zum Sommersemester 1918. Am 13. Dezember 1921 starb Max Noether (Seite 86) an seiner letzten Wirkungsstätte (86.1).
Noethers Streben ging nach „vollständiger arithmetischer Begründung der
algebraischgeometrischen Schlußweisen“, zusammen mit Alexander von Brill
(86.2)
veröffentlichte er einen
Bericht über die Entwicklung der Theorie der algebraischen Funktionen,
die entscheidenden
Einfluß auf die Entwicklung der algebraischen Geometrie in Deutschland
und Italien nahm
(86.3).
Noether gilt als einer der „Väter“ der algebraischen Geometrie.
IV.9 Martin Krause
Der am 30. Juni 1851 bei Königsberg geborene Protestant Martin Krause
setzte die Reihe
derer fort, die nur kurze Zeit in Heidelberg lehrten
(86.4).
Mit dem Reifezeugnis des Gymnasiums Elbing trat er für zwei Semester in die Universität Königsberg ein, wo er mathematische und physikalische Vorlesungen bei Richelot, Neumann und Rosenhain hörte (86.5). In Heidelberg setzte er für zwei Jahre sein Studium der Mathematik und Physik bei Königsberger und Kirchhoff fort und reichte am 3. Mai 1873 sein Gesuch um Zulassung zur Promotion bei der Philosophischen Fakultät ein. Diesem beigelegt war eine Abhandlung „Verallgemeinerung der Hermite'schen Verwendungstafeln der elliptischen Modularfunktionen“ (86.6), die der Ordinarius (Seite 87) für Mathematik, Königsberger, begutachtete (87.1). In „übersichtlicher Form“ verallgemeinerte Krause die schon von anderen auf algebraischem Wege gefundenen Resultate bezüglich der Arbeiten Hermite's über die elliptischen Funktionen und schloß hieran einen „eleganten Beweis des Galois'schen Satzes“ über die Graderniedrigung bestimmter Modulargleichungen. Königsberger äußerte sich nicht über den Schwierigkeitsgrad der vorgelegten Arbeit, sondern er empfahl lediglich der Fakultät die Annahme der Dissertation (87.2). Die Fakultät folgte der Empfehlung Königsbergers und so wurde Martin Krause, nachdem er die Prüfung in Mathematik als Hauptfach sowie Physik und Mechanik als Nebenfächer mit „summa cum laude“ bestanden hatte, am 13. Mai 1873 promoviert (87.3).
Nachdem er in diesem Sommersemester Kollegien bei Königsberger und Kirchhoff weiterverfolgt hatte, ging Krause nach Königsberg, wo er sich hauptsächlich mit physikalischen Studien beschäftigte, und dann weiter nach Berlin, um sich nun ausschließlich der Mathematik, und hier vor allem der Theorie der Abelschen Funktionen und der Zahlentheorie, zu widmen (87.4). Zum Sommersemester 1874 kehrte Krause nach Heidelberg zurück und widmete sich jetzt hauptsächlich dem Studium der Theorie der elliptischen Funktionen. Im März 1875 reichte er schließlich sein Gesuch um Zulassung zur Habilitation bei der Philosophischen Fakultät ein und erklärte sich bereit, nicht nur „über streng mathematische Theorien zu lesen“, sondern auch „über solche, die in das Gebiet der Physik hineinreichen.“ (87.5) Als Habilitationsschrift legte Krause eine Abhandlung „Über die Diskriminante der Modulargleichungen der elliptischen Funktionen“ vor (87.6), (Seite 88) die wiederum Königsberger zur Begutachtung übergeben wurde (88.1). Die Arbeit behandelte „einen wesentlichen Punkt der Transcendententheorie“ und befaßte sich mit Resultaten, die Hermite in einer „überaus schwierigen Arbeit über Modulargleichungen“ gefunden hatte. Nach Königsberger würden die Ergebnisse Krauses „eine ganze Reihe weiterer Untersuchungen über die Moduln der complexen Multiplikation“ bewirken, welche für die Algebra von großer Wichtigkeit seien.
„Die vorgelegte Arbeit hat somit einen wissenschaftlichen Werth und würde schon allein mich bestimmen, dieselbe der Facultät zur Annahme als Habilitationschrift zu empfehlen.“ (88.2)Auf Grund des großen Fleißes des Petenten glaubte Königsberger, daß schon bald weitere Arbeiten von wissenschaftlichem Wert folgen und Krause sich „sehr bald zu einem anregenden Lehrer ausbilden“ würde, wenn er Gelegenheit bekäme zu dozieren. Daher empfahl er der Fakultät „dringend“ die Zulassung des Dr. Krause zur Habilitation.
Im weiteren Verlauf bemühte sich die Fakultät nachhaltig um eine Dispensation von der Bestimmung des Ministerialerlasses von 1835 (88.3), daß zwischen dem Abgang von der Universität und einem Habilitationsgesuch zwei Jahre vergangen sein sollten (88.4).
„Da indessen Herr Dr. Krause in den letzten Jahren nicht mehr in Studentenkreisen gelebt hat, und, seiner ganzen Persönlichkeit nach, volle Bürgschaft dafür bietet, daß bei seiner jetzt schon erfolgenden Zulassung zur Habilitation keiner der Nachtheile zu besorgen sei, welchen durch den Erlaß v. J. 1835 vorgebeugt werden sollte, und unter Erinnerung daran, daß schon früher, in ähnlichen Fällen, die Zulassung gewährt wurde (Ministerialerlaß vom 11. Juni 1869), hat die philosophische Fakultät einstimmig beschlossen, bei dem engeren Senat zu beantragen: (...).“ (88.5)(Seite 89) Nachdem das Ministerium am 22. Mai 1875 die Zulassung zur Habilitation unter der nachgesuchten Dispensation genehmigt hatte, konnte Martin Krause am 11. Juni 1875 seine Probevorlesung halten und erhielt hierfür die Note „hinlänglich befähigt“ (89.1). Für die am 26. Juni 1875 zu haltende Disputation wählte Krause Thesen aus den Gebieten der Analysis, der Mechanik und der komplexen Zahlen (89.2) und wurde nach zufriedenstellender Leistung unter die Schar der Privatdozenten auf genommen (89.3). Für das kommende Wintersemester kündigte Krause noch Vorlesungen über Differential- und Integralrechnung sowie über die Potentialtheorie an (89.4), er verließ die Universität jedoch zu Ostern 1876, um sich an der Breslauer Hochschule ebenfalls für Mathematik zu habilitieren (89.5). Zwei Jahre später wurde Krause als Professor an die Universität Rostock berufen, von wo aus er im Jahre 1888 an die Technische Hochschule in Dresden wechselte. Hier starb er am 2. März 1920 (89.6).
Der am 6. März 1855 geborene Sohn des Kaufmanns Jakob Friedrich Koehler und dessen Frau Pauline war Protestant und besuchte bis zu seinem 9. Lebensjahr die Volksschule (90.1). Auf dem Gymnasium in Mannheim erwarb er sich 1871 das Abgangszeugnis, um seit Herbst desselben Jahres auf dem Polytechnikum in Karlsruhe Chemie zu studieren und dabei auch mathematische Vorlesungen bei Lüroth und Grashoff zu hören. Zum Wintersemester 1874 wechselte er nach Heidelberg, wo er — unterbrochen von seinem einjährigen Wehrdienst und einem Semester in Berlin (90.2) — bei Cantor, Fuchs und Quincke Mathematik und Physik studierte. Unter Vorlage einer Abhandlung „Über die Integration vermittelst expliciter Funktionen derjenigen homogenen linearen Differentialgleichungen m-ter Ordnung, deren Integrale nur für unendlich große Werthe der Variabelen unstetig werden“ suchte er am 3. Januar 1879 um die Zulassung zur Promotion nach (90.3). Dem Urteil des Fachvertreters Fuchs zufolge enthielt die Arbeit eine Erweiterung eines von Liouville behandelten Problems im Bereich der Integration einer Differentialgleichung (90.4). Bei der Behandlung des Problems benutzte Koehler Liouvilles Ergebnisse wie auch neuere „Lehren über Differentialgleichungen“ und konnte so ein „nützliches Problem in seinen Hauptzügen“ erledigen. Dennoch bemängelte Fuchs einige Unkorrektheiten und die Form der Darstellung, weshalb er zwar die Annahme der Abhandlung als Dissertation empfahl, aber vor Drucklegung (Seite 91) mit dem Kandidaten über die kritischen Punkte sprechen und sie beseitigen wollte.
Prof. Fuchs war von der Prüfung in Mathematik als Hauptfach — Mechanik und Physik bildeten die Nebenfächer — in „vorzüglicher Weise befriedigt“, worauf Koehler die erste Note — summa cum laude — erteilt und er promoviert wurde (91.1).
Die folgenden zwei Jahre verbrachte Koehler als Privatmann in Heidelberg, bis er um die Genehmigung der Habilitation nachsuchte (91.2). Auch seine hierzu eingereichte Habilitationsschrift „Über eine in der ganzen Ebene gültige Darstellung der Integrale gewisser Differentialgleichungen“ hatte die Theorie der Differentialgleichungen zum Gegenstand (91.3). Prof. Fuchs ging in seinem Gutachten über diese Abhandlung zunächst auf die allgemeinen Probleme bei Darstellungen von Funktionen durch Potenzreihen ein und erläuterte dann den Inhalt der vorliegenden Arbeit. Dabei äußerte er sich nicht über den Schwierigkeitsgrad der gestellten Aufgabe, empfahl jedoch der Fakultät die Annahme der Schrift als für die Habilitation genügend, wobei sich Koehler nochmals mit ihm wegen einiger formaler Änderungen in Verbindung setzen sollte (91.4). Für die hierauf zu erfolgende Probevorlesung stellte Fuchs drei Themen aus der Theorie der Differentialgleichungen, woraus die Fakultät das erste, „die notwendigen und hinreichenden Bedingungen dafür zu entwickeln, daß eine algebraische Differentialgleichung erster Ordnung, welche die unabhängige Variable nicht enthält, ein eindeutiges Integral besitze, und die Natur (Seite 92) eines solchen Integrals näher zu bezeichnen“, auswählte (92.1). Am 6. Juni 1882 konnte Koehler die Probevorlesung mit der Note „hinreichend befähigt“ erfolgreich abschließen und wurde so zur Disputation am 17. Juni 1882 zugelassen, in deren Verlauf er die Fakultät ebenfalls zufriedenstellte und als Privatdozent auf genommen wurde (92.2).
In den folgenden Jahren hielt Koehler Vorlesungen aus dem Bereich der komplexen Analysis, der Integral- und Differentialrechnung, der Fourierschen Reihen und der Zahlentheorie, doch nahm die Zahl der Vorlesungen aus dem geometrischen Gebiet ständig zu. Seitdem er das planmäßige Extraordinariat innehatte — seit 1. Oktober 1905 —, bildeten nur noch Themen aus der analytischen und synthetischen Geometrie den Gegenstand seiner Vorlesungen (92.3). Bis zum Sommersemester 1888 lassen sich dabei Hörerzahlen feststellen, die um zehn schwankten, im Sommersemester 1886 sogar 22 erreichten (92.4). Gerade in den geometrischen Vorlesungen hatte sich Koehler dabei nach Ansicht Königsbergers als „tüchtiger und anregender Lehrer bewährt“ (92.5). Dennoch bildete zunächst die geringe literarische Wirksamkeit Koehlers ein Hindernis, ihm den Titel eines außerordentlichen Professors zu (Seite 93) verleihen (93.1). Im Jahr darauf richtete Königsberger selbst ein Gesuch an die Fakultät, sie möge Dr. Koehler beim Ministerium zur Charakterisierung als außerordentlicher Professor vorschlagen (93.2). Dabei wies er hinsichtlich der an die literarischen Leistungen gestellten Forderungen auf eine inzwischen veröffentlichte kleine Arbeit Koehlers über lineare nicht homogene Differentialgleichungen hin, hob aber besonders die Lehrtätigkeit des Dozenten hervor:
„Wenn in anderen Fallen bei geringerer Docententhätigkeit eine größere wissenschaftliche Bethätigung für ausreichend gehalten wurde, um beim Ministerium die Beförderung zum ausserordentlichen Professor zu befürworten, so darf ich vielleicht zugleich mit Rücksicht auf das von Herrn Dr. Köhler bereits einmal selbst ein gereichte Gesuch auf die stets anerkannte tüchtige paedagogische Wirksamkeit desselben hinweisen, die sich auch in den früher der Facultät unterbreiteten Listen der Zuhörerzahl ausspricht, (...).“ (93.3)Da nun auch die Fakultät dem Antrag zustimmte, wurde Koehler mit Erlaß des Ministeriums vom 18. August 1888 zum außerordentlichen Professor ernannt (93.4).
In seinen Bemühungen, das Lehrangebot in Mathematik an der Universität Heidelberg zu sichern und zu verbessern, erreichte Königsberger schließlich, daß das Ministerium im Frühjahr 1905 ein planmäßiges Extraordinariat der Mathematik errichtete (93.5). Für die Besetzung dieser Stelle brachte er Karl Koehler in Vorschlag und betonte erneut dessen großen Erfolg in der Lehrtätigkeit. Zudem arbeitete Koehler zusammen mit dem Kieler Mathematiker Lothar (Seite 94) Heffter an einem zweibändigen Werk „Einführendes Lehrbuch der analytischen Geometrie in systematischer Darstellung“, das „mit großer Sorgfalt, methodischer Genauigkeit und mathematischer Strenge gearbeitet sei“ und „für die Studierenden ein geeignetes Lehrbuch zur Einführung in eine systematische Behandlung der Geometrie der Kegelschnitte bilden“ könnte (94.1). Da Koehler schon einen Lehrauftrag für „darstellende Geometrie“ erhalten hatte, sollte ihm nun die etatmäßige außerordentliche Professur übertragen werden, unter der Bedingung, „in jedem Semester mindestens eine 4stündige Vorlesung über analytische oder synthetische Geometrie der Ebene und des Raumes, und zwar in jedem zweiten Jahre eine 4stündige Vorlesung über darstellende Geometrie zu halten“ (94.2). Besoldet war diese Stelle mit einem Gehalt von jährlich 2500 Mark und dem gesetzlichen Wohnungsgeld von jährlich 900 Mark (94.3).
Im November 1913 bat Koehler um Entlassung aus dem Staatsdienst, da er zum 1. April 1914 seine etatmäßige Stelle aufgeben wollte (94.4). Er erklärte sich jedoch bereit, auch weiterhin Vorlesungen „nach freier Wahl“ zu halten (94.5). Das Ministerium schlug daraufhin vor, diesen „verdienten Dozenten“, der seit 31 Jahren dem (Seite 95) Lehrkörper angehörte, zum ordentlichen Honorarprofessor zu ernennen (95.1). Daß Koehler im Jahr 1922 erneut einen Lehrauftrag übertragen bekam, läßt auf einen immer noch großen Erfolg als Dozent schließen (95.2).
Nach langer und wohl auch erfolgreicher Lehrtätigkeit starb Karl
Koehler am 16. April l932
(95.3).
IV.11 Hermann Schapira
Mit Hermann Schapira habilitierte sich ein Mann in Heidelberg,
der zwei Welten in sich zu vereinigen suchte:
„Träumer und dennoch ein exakter Wissenschaftler; ein Rabbi aus Rußland und zugleich Universitätsprofessor in Heidelberg; ein Mystiker, verankert im Bereich des Glaubens, aber von messerscharfer Logik, souverän im Bezirk der Vernunft.“ (95.4)Am 4. August 1840 in Erswilken/Rußland, nahe der preußischen Grenze, geboren, erzog ihn sein jüdischer Vater im Talmud-Studium (95.5). Schon sehr früh hatte er mathematische und astronomische Schriften in der hebräischen Bibliothek kennengelernt, absolvierte zunächst aber ein Rabbinatsstudium, während dessen er seine Lieblingswissenschaft Mathematik nur geheim und im Privaten pflegen konnte. Im Jahr 1867 jedoch gab er seine Rabbinatskarriere auf und ging nach Berlin, „zu Fuß und ohne Geld“, wie Herbert Freeden schreibt (95.6). An der Gewerbeakademie Charlottenburg (Seite 96) hörte er u.a. Vorlesungen bei Christoffel und Reuleaux (96.1), bis ihn 1871 Mittellosigkeit sowie seine angegriffene Gesundheit zur Rückkehr nach Rußland zwangen. In den folgenden sieben Jahren arbeitete er als Buchhalter, Korrespondent und Kontrolleur, bis er — inzwischen 38 Jahre alt — im Sommer 1878 wieder nach Deutschland ging, diesmal nach Heidelberg. In den vier Semestern in Heidelberg hörte er Vorlesungen bei Bunsen, Cantor, Fuchs und Quincke. Mit einer Abhandlung „Lineare homogene Cofunktionen“ reichte Schapira schließlich am 31. Juli 1880 sein Gesuch um Zulassung zur Promotion mit Mathematik als Hauptfach sowie Mechanik und hebräische Sprache und Literatur als Nebenfächer ein (96.2). Dem Gutachten des Ordinarius für Mathematik, Fuchs, zufolge, behandelt die Dissertation „eine Verallgemeinerung der Theorie der hyperbolischen Funktionen und der Beziehungen der letzteren zu den cyclischen Funktionen“ (96.3).
„Die Art, wie der Verfasser seine Aufgabe gelöst, liefert ein gutes Zeugniß für seine Fähigkeit, ein wissenschaftliches Problem zu formulieren, und für eine nicht gewöhnliche Gewandtheit in der Herbeiholung der Hilfsmittel zur Lösung desselben.“ (96.4)Dennoch kritisierte Fuchs, daß die Arbeit zu weit angelegt sei und der Verfasser Fragen zu behandeln suchte, die er „noch kaum zu präcisieren in der Lage“ sei. Hinsichtlich der Form der Darstellung bemängelte Fuchs eine „gewisse Breite, angewendet bei (Seite 97) bekannten Gegenständen“ sowie „Unklarheit in der Auseinandersetzung der eigenen Entwicklungen“.
„Aber was der Verfasser in seiner Aufgabe geleistet, ist im Allgemeinen gut — und zeichnet sich durch systematische Auffassung bei weitem vor anderen Arbeiten, die neuerdings in Bezug auf denselben Gegenstand erschienen sind, aus.“ (97.1)Unter der Bedingung, daß Hermann Schapira hinsichtlich der Verbesserungsvorschläge mit ihm Rücksprache halten sollte, empfahl Fuchs der Fakultät die Annahme der Arbeit als Dissertation. Somit wurde Schapira am 16. Dezember 1880 mit der zweiten Note — insigni cum laude — promoviert (97.2).
Zwei Jahre später, am 23. Februar 1883, reichte Hermann Schapira ein Gesuch um Zulassung zur Habilitation für das Fach der Mathematik bei der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg ein (97.3). Auch hierzu legte er eine Abhandlung, „Darstellung der Wurzeln einer allgemeinen Gleichung n- ten Grades mit Hilfe von Cofunktionen aus Potenzreihen, in elementarer Behandlungsweise“ (97.4), vor, die sich mit Cofunktionen beschäftigte und mit der sich der Verfasser die Aufgabe gestellt hatte, „diejenigen Gleichungen zu ermitteln, deren Coefficienten durch Potenzreihen dargestellt werden und deren Wurzeln durch gewisse aus diesen (Seite 98) Potenzreihen gebildete Reihen, welche er Cofunktionen nennt, gegeben werden können“ (98.1).
„Diese Aufgabe löst der Verfasser unter Aufwand vielen Scharfsinns und außerordentlicher Rechenenergie, sowie auch nicht ohne anerkennenswerthe Gewandtheit.“ (98.2)Fuchs stellte zwar den Antrag, die vorliegende Arbeit als Habilitationsschrift anzunehmen, doch aufgrund formaler Mängel sollte Schapira noch vor der Drucklegung der Arbeit mit ihm Rücksprache halten, um die Mängel und bezeichneten Lücken zu beseitigen.
Die vom Ordinarius Fuchs für die Probevorlesung am 8. Mai 1883 gestellten Themata behandelten ausschließlich ein Forschungsgebiet des Kandidaten, die Theorie der Differentialgleichungen. Nachdem diese einstimmig mit „hinreichend befähigt“ benotet worden war, verteidigte Schapira am 6. Juni 1883 seine Thesen, ebenfalls zur Zufriedenheit der Fakultät, und wurde hierauf als Privatdozent aufgenommen (98.3).
Zwar kündigte Hermann Schapira für seine Vorlesungen eine große Anzahl verschiedener Themen aus Algebra, Zahlentheorie, Analysis und Geometrie, sogar „über einige mathematisch-philosophische Prinzipien“ an, doch blieb seine Hörerzahl häufig gering, ja (Seite 99) oftmals mußte er seine Kollegien streichen, da sich keine Studenten dafür meldeten (99.1). Dies lag wohl auch daran, daß sich Schapira zum größten Teil mit spezielleren Gebieten der Mathematik, insbesondere mit seinem Forschungsgebiet, den Differentialgleichungen und Cofunktionen, in seinen Vorlesungen beschäftigte (99.2).
Als er sich im Juli 1887 um Verleihung des Titels „außerordentlicher Professor“ bewarb, deutete Königsberger hinsichtlich des wissenschaftlichen Wirkens von Schapira dessen Fleiß und Scharfsinn an, der „eine recht gute analytische Arbeit von wissenschaftlichem Werthe“ erwarten ließe und daß aus den bisher vorgelegten Korrekturbögen, die demnächst als Abhandlung „in den Berichten des hiesigen wissenschaftlichen Vereins“ erscheinen sollten, zu erkennen sei, daß „der formale Theil des gestellten Problems im Allgemeinen erledigt und damit allein schon ein algebraisches Resultat von Interesse ermittelt“ sei (99.3). Die Fakultät beschloß, zunächst dem Petenten zu empfehlen, er solle sein Gesuch zurückziehen bis er eine wissenschaftliche Arbeit vorlegen könne, doch schon bald stimmte sie dem Gesuch Schapiras nach eindringlicher Fürsprache Königsbergers zu, der auf das Alter, die persönlichen Verhältnisse und den großen Fleiß Schapiras hinwies und „bis an die Grenzen des Möglichen“ in Bezug auf die Beförderung Schapiras gehen wollte (99.4). Wenn auch das Ministerium (Seite 100) Hermann Schapira am 31. Juli 1887 den Charakter eines außerordentlichen Professors verlieh, bleibt doch festzustellen, daß das wissenschaftliche Werk Schapiras nicht das halten konnte, was auch Königsberger sich davon erhoffte.
„Seine wissenschaftlichen Werke verrieten Genie, aber er war nicht imstande, auch nur ein einziges zu vollenden. Sein gesamtes Opus blieb ein Torso.“ (100.1).Es sollte dabei aber auch berücksichtigt werden, daß Schapira der erste russische Jude war, „der ohne Gymnasialbildung, ohne überhaupt eine formelle Schulbildung im weltlichen Sinne zu haben, akademischer Lehrer an einer der berühmtesten Universitäten Deutschlands wurde“ (100.2).
Am 8. Mai 1898 erlag Hermann Schapira auf einer Reise nach Köln
einer Lungenentzündung
(100.3).
IV.12 Georg Landsberg
Mit Georg Landsberg habilitierte sich erstmals ein Mathematiker
an der neu geschaffenen naturwissenschaftlich-mathematischen
Fakultät und nach der neuen Habilitationsordnung
(100.4).
In Breslau am 30. Januar 1865 in einem jüdischen Elternhaus geboren, absolvierte er das Gymnasium in seiner Vaterstadt und studierte dann in Breslau und Leipzig Philosophie und vor allem Mathematik. Am 19. Dezember 1889 legte Landsberg in Breslau das Examen rigorosum ab und wurde am 29. März 1890 ebenda promoviert. In Berlin setzte er seine Studien fort und reichte schließlich am 29. Juli 1892 sein Gesuch um Zulassung zur Habilitation bei der naturwissenschaftlich-mathematischen Fakultät (Seite 101) in Heidelberg ein (101.1). Diesem legte der Antragsteller neben dem Abiturientenzeugnis, dem Doktordiplom und dem Lebenslauf auch seine Inauguraldissertation „Untersuchungen über die Theorie der Ideale“ bei sowie zwei weitere gedruckte Abhandlungen und drei handschriftliche Arbeiten, die fast ausschließlich der Zahlentheorie und der Algebra angehörten (101.2). Königsberger attestierte in seinem Gutachten über diese Abhandlungen dem Bewerber zunächst, er sei ihm „von zuverlässiger Seite als ein junger Mann ,von bescheidenem und angenehmem Wesen' dringend empfohlen worden“ (101.3). Eine der drei noch nicht veröffentlichten Abhandlungen — „Zur Theorie der Gauß'schen Summen und der linearen Transformation der Thetafunctionen“ — bildete die Habilitationsschrift Landsbergs (101.4) und zeigte ebenso wie die beiden anderen handschriftlichen Abhandlungen einen „unzweifelhaften Fortschritt in der Vertiefung der Aufgabenstellung und der Lösung der Probleme“. Zwar hatten auch schon andere Mathematiker diese Probleme aufgegriffen und „in anderer Richtung behandelt“,
„so sind doch eine ganze Reihe neuer algebraischer Resultate sowie mannigfache neue und selbständige Methoden in den Arbeiten des Candidaten zu finden, und eine nicht geringe Begabung zur selbständigen Auffassung und Behandlung zum Theil recht schwieriger und abstracter Probleme, wie sie schon die Doctordissertation liefert, zu erkennen.“ (101.5)Für den nun stattfindenden Probevortrag, an den sich das (Seite 102) Kolloquium anschließen sollte, stellte Landsberg der Fakultät drei Themen zur Auswahl, die sich mit elliptischen Funktionen sowie algebraischen Problemen beschäftigten (102.1). Nachdem Landsberg am 29. November 1892 über das erste Thema gesprochen und anschließend die Fragen der Fakultätsmitglieder beantwortet hatte, erklärten diese ihn für „fähig“ und stellten nun den Antrag beim Engeren Senat, dieser möge beim Ministerium die Zulassung Landsbergs zur Habilitation beantragen (102.2). Nach erteilter Genehmigung der Habilitation wählte Landsberg für die öffentliche Probevorlesung am 28. Februar 1893 das Thema „Über die Nicht-Euklidischen Raumformen“ und erhielt anschließend die Venia legendi für das Fach der Mathematik (103.3).
Seine Vorlesungstätigkeit umfaßte die elliptischen Funktionen, die Theorie der Determinanten, Integralrechnung, Algebra sowie auch verschiedene Teile der Geometrie, wobei die Hörerzahl anfangs zwischen drei und sieben schwankte, gegen Ende seines Wirkens in Heidelberg sogar auf bis zu 16 Studenten anstieg (102.4). Die Forschungen Landsbergs betrafen zwar auch Kurven auf höherdimensionalen Mannigfaltigkeiten, die Mechanik fester Körper und die Thetareihen, doch hatte er auf dem Gebiet der algebraischen Funktionen einer Variablen die wichtigsten Resultate vorzuweisen (102.5).
Nachdem Landsberg am 17. Februar 1897 zum außerordentlichen Professor ernannt worden war (102.6), erhielt er zum Sommersemester 1900 den Lehrauftrag, eine „4stündige Vorlesung über darstellende (Seite 103) Geometrie in einem Semester des Studienjahres“ zu halten, wofür ihm ein Honorar von 500 Mark bewilligt wurde (103.1). Den Antrag auf Erteilung des Lehrauftrages hatte Königsberger eingebracht und dabei auf die „größere Reihe sehr guter wissenschaftlicher Arbeiten“ und auch auf Landsbergs anregende Lehrtätigkeit nachdrücklich hingewiesen (103.2). Auch bei der Erteilung eines zweiten Lehrauftrages zum Wintersemester 1902/03 berief sich Königsberger in seinem Antrag auf die literarische Tätigkeit Landsbergs und bezeichnete ihn als „gewandten und geschickten Forscher“ auf modernen Gebieten der Analysis und Algebra. Um den Ordinarius zu entlasten, sollte Landsberg zusätzlich zur darstellenden Geometrie in jedem Semester eine 4stündige Vorlesung über höhere Mathematik wie z.B. die Funktionentheorie halten (103.3). Das Ministerium genehmigte auch diesen Antrag und gewährte Landsberg für jede gehaltene Vorlesung ein Honorar von 500 Mark (103.4).
Landsberg kündigte für das Wintersemester 1904/05 seinen Wechsel als außerordentlicher Professor an die Universität Breslau an (103.5), von wo aus er nach Kiel übersiedelte und hier am 30. Januar 1911 zum ordentlichen Professor ernannt wurde. Landsberg starb am 14. September 1912 in Berlin.
Karl Boehm wurde am 29. April 1873 in Mannheim geboren, sein Vater, der Kaufmann Joseph Boehm, erzog ihn katholisch, doch trat er 1904 aus der Kirche aus. Von seinem 7. bis 10. Lebensjahr hatte er bei einem Privatlehrer Unterricht, besuchte dann vom Herbst 1882 bis zum Sommer 1891 das Gymnasium in Mannheim und trat schließlich im Oktober desselben Jahres in die Universität Heidelberg ein, wo er zunächst Chemie, später — beeindruckt durch mathematische Vorlesungen und da die chemischen Versuche seine Gesundheit zu schädigen drohten — Mathematik studierte (104.1). Unter Vorlage einer schriftlichen Abhandlung „Allgemeine Untersuchungen über die Reduktion partieller Differentialgleichungen auf gewöhnliche Differentialgleichungen mit einer Anwendung auf die Theorie der Potentialgleichung“ bat Boehm am 6. Mai 1896 um Zulassung zur Promotion (104.2). Königsberger beschrieb in seinem Gutachten zunächst die Fragestellung der Arbeit, deren Beantwortung Boehm „klar und geschickt auf ein Eliminationsproblem“ zurückgeführt habe (104.3). Die Abhandlung enthielt zudem „eine Reihe interessanter und recht gut durchgeführter geometrischer Betrachtungen“, die sich mit von Darboux (104.4) gewonnenen Resultaten auseinandersetzten, (Seite 105) sie auf einfachere Weise herleiteten, ergänzten und sogar erweiterten.
„So wird ziemlich vollständig die oben bezeichnete Frage beantwortet, und es darf die Arbeit, welche sich durch klare, elegante Darstellung auszeichnet und nicht nur ein ziemlich umfangreiches Wissen des Candidaten sondern auch die unzweifelhafte Befähigung zu selbständiger mathematischer Production bekundet, als eine recht gute der Facultät zur Annahme empfohlen werden.“ (105.1)Die Promotionsprüfung, mit Mathematik als Hauptfach, analytischer Mechanik und Chemie als Nebenfächern, bestand Boehm am 10. Juni 1896 mit der ersten Note — „summa cum laude“ (105.2), worauf er am 1. August 1896 promoviert wurde (105.3). In den folgenden Jahren widmete er sich weiterhin wissenschaftlichen Studien, hörte dabei physikalische, mathematische, astronomische und musiktheoretische Vorlesungen und arbeitete für zwei Semester am physikalischen Institut der Universität Heidelberg (105.4). Unter Beigabe der erforderlichen Zeugnisse und zwei gedruckter Abhandlungen übergab Boehm am 28. April 1900 sein Gesuch um Zulassung zur Habilitation für Mathematik mit einem als Habilitationsschrift gedachten Manuskript „Zur Integration partieller Differentialgleichungen“ (105.5). In seinem Gutachten ging Königsberger zunächst auf (Seite 106) die Studien und die bisherigen Arbeiten Boehms ein (106.1).
„Herr Dr. Böhm hat seine mathematischen Studien in Heidelberg gemacht und schon als Student in Vorträgen im mathematischen Seminar eine hervorragende wissenschaftliche und pädagogische Begabung bewiesen. Seine Inaugural-Dissertation war eine recht gute, seine im Journal für Mathematik veröffentlichte Arbeit über die Existenzbedingungen des kinetischen Potentials, welche eine von Helmholzz angeregte Frage behandelte, ist von wissenschaftlichem Werthe.“ (106.2)Die vorgelegte Habilitationsschrift erörtere eine Frage, „die zu den schwierigsten und compliciertesten der Analysis gehört“ (106.3). Mit einem umfassenden Theorem konnte der Verfasser die Frage abschließen.
„Jedenfalls bilden die in der Arbeit erwiesenen Theoreme einen wesentlichen Fortschritt in der Theorie der partiellen Differentialgleichungen, und die Habilitationsschrift darf als eine formal und inhaltlich sehr gute bezeichnet werden.“ (106.4)Da die Fakultät der Empfehlung Königsbergers folgte und die Arbeit annahm, konnte Karl Boehm nun seine drei Themen für die Probevorlesung zur Auswahl vorlegen; diese beschäftigten sich mit Problemen der Mechanik und mit partiellen Differentialsystemen (106.5). Am 28. Mai 1900 referierte Boehm über das erste Thema, „Über die Grundgesetze der Bewegung“, und nachdem er auch das Kolloquium absolviert hatte, wurde er mit der Note „fähig“ dem (Seite 107) Engeren Senat zur Befürwortung der Habilitation vorgeschlagen (107.1). Für die öffentliche Probevorlesung am 7. Juli 1900 wählte Boehm das Thema „Die Mathematik der Natur“, worauf ihm die Fakultät die Venia legendi für das Fach der Mathematik erteilte (107.2).
In seinen mit dem Wintersemester 1900/01 einsetzenden Vorlesungen behandelte Boehm in erster Linie speziellere Teile der Mathematik und hatte daher zumeist sehr wenig Zuhörer (107.3). Der Stil seiner Vorlesungen war nach Aussage Königsbergers durch „Klarheit, Präcision und Sachlichkeit“ ausgezeichnet (107.4). Die wissenschaftlichen Arbeiten Boehms wiederum
„beschäftigen sich wesentlich mit der Untersuchung von Kriterien für die Existenz und den Charakter der Integrale besonderer Klassen von partiellen Differentialgleichungen und Differentialgleichungssystemen, und behandeln in scharfsinniger und geistvoller Weise ein sehr schwieriges analytisches Problem, für dessen Lösung Cauchy und Sophie von Kowalewski die ersten grundlegenden Methoden geschaffen haben.“ (107.5)In den Augen der Mathematiker des In- und Auslandes würden die Arbeiten Boehms sehr günstig beurteilt, worauf Königsberger den (Seite 108) Antrag stellte, Boehm zum außerordentlichen Professor zu ernennen (108.1).
Die seit dem Sommersemester 1906 festzustellende gestiegene Hörerzahl hing sicher auch damit zusammen, daß Boehm einen Lehrauftrag für eine in jedem Semester zu haltende 3stündige Vorlesung über Elementare Mathematik und eine dazugehörige Übungsstunde erhalten hatte (108.2). Im November 1908 beantragte Königsberger eine Erhöhung des Honorars für diesen Lehrauftrag auf Grund des großen Lehrerfolges und der wissenschaftlich sehr guten Leistungen Boehms (108.3). Zwar erhielt Karl Boehm einen mit dem Wintersemester 1913/14 beginnenden weiteren Lehrauftrag über eine zweistündige Vorlesung aus dem Gebiete des Versicherungswesens und der mathematischen Hilfswissenschaften, den bisher Moritz Cantor innehatte, doch nahm er am 28. September 1913 einen Ruf als ordentlicher Professor an die Universität Königsberg an (108.4). Die Fakultät sah diesen Ruf als Anerkennung und dankte dem Mathematiker für eine „langjährige, unermüdliche und erfolgreiche Tätigkeit als Forscher und Gelehrter“ (108.5).
Boehm wurde später Professor an der Technischen Hochschule Karlsruhe und starb am 7. März 1958 in Friedrichshafen (108.6).
Als Sohn des praktischen Arztes Gustav Bopp wurde Karl Bopp am 28. März 1877 in Rastatt geboren (109.2). Vom Herbst 1886 bis Herbst 1893 besuchte er hier das Gymnasium, legte das Maturitätsexamen jedoch am 26. Juni 1895 in Baden-Baden ab. An der Straßburger Universität studierte er zunächst Physik, Chemie und Zoologie, wechselte dann zur Mathematik und Philosophie und hörte u. a. auch Vorlesungen bei Heinrich Weber. Zum Sommersemester 1900 wandte sich Bopp nach Heidelberg, wo er Kollegien von Königsberger, Quincke, Cantor und Kuno Fischer besuchte. Indem er Mathematik als Hauptfach, Physik und Geschichte der Philosophie als Nebenfächer angab, bat er im Januar 1902 um die Zulassung zur Promotion (109.3). Seine eingereichte Dissertation „Antoine Arnauld, der große Arnauld, als Mathematiker“ behandelte ausschließlich ein mathematikhistorisches Thema (109.4). Königsberger anerkannte in seinem Gutachten den großen Fleiß, der sich hinter dieser Arbeit verbarg, wollte aber auf Grund ihres historischen Hintergrunds kein Urteil darüber abgeben. Er beantragte daher, für diesen Fall eine Ausnahme zu machen und Moritz Cantor als Referenten heranzuziehen (109.5). Nach dessen Urteil hatte Karl Bopp Arnauld „für die Geschichte der Mathematik entdeckt“ und die „schwer zugänglichen in der Editio princeps ungemein seltenen Schriften einem (Seite 110) gründlichen Studium unterzogen“ (110.1). Im ersten Teil seiner Habilitationsschrift schilderte Bopp nach den Ausführungen Cantors Arnauld als Philosophen, im weiteren ging er auf die Doktorthesen, die ebene Geometrie und dessen Untersuchungen über die Zauberquadrate ein. Es sei Bopps Verdienst, mit Arnauld den ersten Mathematiker entdeckt zu haben, der die ebene Geometrie des Euklid neu gefaßt und zum Teil abgeändert hatte. Die gesamte Arbeit bezeichnete Cantor als „eine nützliche und der Veröffentlichung sehr würdige“ und empfahl sie dringend der Fakultät zur Annahme. Die am 4. März 1902 stattfindende Prüfung konnte Bopp lediglich mit der dritten Note „cum laude“ bestehen (110.2).
Nach erfolgter Promotion exmatrikulierte sich Bopp, hörte aber weiterhin Vorlesungen bei Königsberger und studierte die Literatur seines Faches (110.3). Daneben veröffentlichte er kleinere Referate und war als Schriftführer der fünften Sektion beim III. internationalen Mathematikerkongress im August 1904 in Heidelberg beteiligt (110.4). Sein Hauptaugenmerk galt aber der Ausarbeitung seiner Habilitationsschrift „Die Kegelschnitte des Gregorius a St. Vincentio in vergleichender Bearbeitung“ (110.5), die er im Dezember 1905 zusammen mit seinem Habilitationsgesuch der naturwissenschaftlich-mathematischen Fakultät in Heidelberg vorlegte (110.6). Bopp unterzog darin die Forschungen und Ergebnisse des Gregorius über die Kegelschnitte einer eingehenden Analyse (110.7). Nachdem er ein „klares und exaktes Bild“ vom Stand der Forschungen über die (Seite 111) Theorie der Kegelschnitte an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert geliefert hatte, analysierte Bopp „mit großem Fleiß und guter Sachkenntnis“ die drei Bücher des Gregorius über die Ellipse, Parabel und Hyperbel.
„Da der Verfasser in den ersten Jahren seiner Studien in Straßburg Kenntnisse auch in den modernen Wissenschaften sich zu erwerben bemüht war, ferner durch einen größeren Vortrag im hiesigen mathematischen Oberseminar sowie durch sein hier abgelegtes Doctorexamen ein genügendes Wissen auch in der höheren Mathematik bekundet hat, so nehme ich keinen Anstand — wenn auch wissenschaftliche Leistungen anderer als historischer Natur nicht vorliegen — der Facultät den Antrag zu unterbreiten, Herrn Dr. Bopp zur Habilitation für das Fach der Mathematik zuzulassen.“ (111.1)Die von Karl Bopp für die Probevorlesung vorgeschlagenen Themen behandelten die elliptischen Funktionen sowie die Theorie der elliptischen Transzendenten; auf Vorschlag Königsbergers referierte Bopp am 21. Februar 1906 „über die Anfänge und Entwicklung der Theorie der elliptischen Transzendenten“ (111.2). Auch Bopp wurde für „fähig“ erklärt und daraufhin beim Ministerium die Genehmigung zur Habilitation eingeholt (111.3). Am 21. Juli 1906 hielt er eine öffentliche Vorlesung über „Leonhard Eulers Jugendarbeiten“, worauf ihm die Fakultät die Venia legendi erteilte (111.4).
Die Vorlesungstätigkeit Karl Bopps erstreckte sich in erster Linie auf Gebiete aus der Geschichte der Mathematik, wobei die Hörerzahlen meist unter fünf lagen (111.5). Am 26. Juni 1915 wurde (Seite 112) ihm der Titel „außerordentlicher Professor“ verliehen und ab dem Sommersemester 1919 hatte ihm das Ministerium einen Lehrauftrag über eine 2-3 stündige Vorlesung aus der „Geschichte der Mathematik“ übertragen, die jedes zweite Semester für ein Honorar von 200 Mark je Vorlesungsstunde zu halten war (112.1).
Eine Würdigung erfuhr Bopp bei seinem 50. Geburtstag im Jahr 1927.
„Er hat auf dem Gebiete der Geschichte der Mathematik eine im In- und Ausland — wo er als ‚der Nachfolger M. Cantors auf dem Heidelberger Lehrstuhl für Geschichte der Mathematik‘ gilt — anerkannte Forschertätigkeit entfaltet.“ (112.2)Auch seine Lehrtätigkeit war „sehr rege“ und ermöglichte es gerade Lehramtskandidaten, sich mit der „Fachgeschichte vertraut zu machen und darin selbständig zu arbeiten“ (112.3).
Nach schwerem Leiden starb Karl Bopp am 5. Dezember 1934 in
Heidelberg.
IV.15 Paul Hertz
Nur vier Jahre währte das Wirken des letzten Habilitanden im untersuchten Zeitraum.
Am 29. Juli 1881 wurde Paul Hertz in Hamburg als Sohn des Juristen Eduard Hertz und dessen Frau Elisabeth geboren, besuchte von Ostern 1891 bis Ostern 1900 das Gymnasium in Hamburg und studierte ab dem Sommersemester 1900 für ein Jahr in Heidelberg Mathematik, Physik und Philosophie (112.4). Das Sommersemester 1901 verbrachte er in Göttingen, ging dann für drei Semester nach Leipzig, worauf er Ostern 1903 nach Göttingen zurückkehrte. Am (Seite 113) 28. Juli 1904 wurde er hier promoviert (113.1). In Göttingen hörte er u.a. bei Blumenthal, Hilbert, Klein und Minkowski, in Leipzig zählten Boltzmann, Hausdorff und Hölder zu seinen Lehrern (113.2). Nach seiner Promotion war er vier Jahre lang ständig unterwegs, kam über Paris, Göttingen, Berlin, Tübingen, Heidelberg und Hamburg schließlich im Sommer 1908 erneut nach Heidelberg, wo er sich für „theoretische Physik und diejenigen Theile der Mathematik, die in Beziehungen zur theoretischen Physik stehen“, habilitieren wollte (113.3). Seinem Gesuch war eine noch nicht veröffentlichte Abhandlung „Zur Theorie des Saitengalvanometers“ (113.4) beigefügt, zu deren Begutachtung der Physiker Lenard Königsberger als Koreferenten bat (113.5).
„Wie schon aus den früheren Arbeiten des Verfassers ist auch aus der vorliegenden zu ersehen, daß derselbe ausgezeichnete Kenntnisse selbst in den schwierigen Theilen der Analysis besitzt und auch die neuesten Forschungen über Integralgleichungen, welche für die Anwendungen der Functionentheorie auf mathematische Physik besonders wichtig erscheinen, sich ganz zu eigen gemacht hat.“ (113.6)Königsberger bemängelte zwar, daß die gewonnenen Resultate nicht immer „in einwandfreier Weise“ hergeleitet seien, dennoch sah er (Seite 114) in Hertz einen „durchgebildeten Mathematiker“, dessen „Zulassung zur Habilitation als mathematischer Physiker keinem Bedenken unterliegen“ könne. Am 17. Dezember 1908 hielt Hertz seinen Probevortrag über das von ihm vorgeschlagene zweite Thema „Molekulartheorien des Magnetismus“ (114.1) und bestand auch das Kolloquium, so daß ihn die Fakultät für „fähig“ erklärte. Nachdem das Ministerium die nachgesuchte Genehmigung zur Habilitation erteilt hatte (114.2), erlangte Paul Hertz seine Habilitierung mit der öffentlichen Probevorlesung „Über den absoluten und relativen Charakter der Bewegung“ (114.3).
Die Vorlesungstätigkeit des Paul Hertz umfaßte in erster Linie physikalische Themen, wobei auch die Hörerzahl nicht über acht hinausstieg (114.4).
Als Paul Hertz im Juli 1912 seinen Wechsel nach Göttingen ankündigte und dabei seinen Verzicht auf die Venia legendi aussprach, kommentierte dies der Physiker Lenard:
„Paßt auch besser nach Göttingen, wo alles aufs Äusserste specialisiert ist.“ (114.5)In Göttingen wurde Hertz im Jahr 1921 außerordentlicher Professor, mußte aber unter dem Nationalsozialismus nach Amerika emigrieren, wo er am 24. März 1940 einer Krankheit erlag (114.6).
Der Forschungsschwerpunkt von Hertz lag zunächst auf dem Gebiet (Seite 115) der „statistischen Mechanik“ (115.1). „Genaue Herausarbeitung des Begrifflichen und das Eingehen auf die methodischen Probleme“ kennzeichneten seine Forschungsweise und führten ihn schließlich zur Philosophie (115.2) und weiter zu „logisch-mathematischen“ Untersuchungen, die den Ausgangspunkt neuerer Untersuchungen zur mathematischen Logik und Axiomatik bildeten (115.3). In der Emigration kehrte er wieder zur statistischen Mechanik zurück (115.4).
„Hertz war einer der führenden Vertreter der Philosophie der Wissenschaften zu einer Zeit, als dieser Forschungszweig im deutschen Sprachgebiet noch fast gar nicht Anerkennung fand.“ (115.5)
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