76. | Hauptstr. 47-51 — Friedrichsbau Ludwig Boltzmann |
Ludwig Boltzmann im Alter von 24 Jahren |
Ludwig Boltzmann (1844-1906)
studierte und habilitierte sich in Wien. 1869 wurde er
an die Universität Graz berufen, die ihm 1870 eine mehrmonatige Freistellung zu
postgradualen Studien gewährte. Er kam im
Sommersemester 1870 nach Heidelberg und
traf dort Bunsen,
Kirchhoff und
Koenigsberger.
Ende Mai 1870 verließ
Boltzmann Heidelberg.
1873 wechselte Boltzmann an die Universität Wien, folgte im Laufe der Jahre
noch mehreren anderen Rufen und kehrte wieder nach Wien zurück.
Ludwig Boltzmann begründete die kinetische Gastheorie
und schrieb bedeutende
Beiträge zur Elektrizitätslehre und zur statischen Mechanik.
Letzte Änderung: Oktober 2017 Gabriele Dörflinger
Kontakt
Zur Inhaltsübersicht
Historia Mathematica Heidelbergensis
Homo Heidelbergensis
Bismarckplatz — Stadthalle
Leo Koenigsberger berichtet in seinen Erinnerungen (S. 105-107)
Mein Leben:
Bezüglich Boltzmann ist mir noch eine
Seminarstunde in Erinnerung, in welcher ich eine
Variationsaufgabe behandeln lassen wollte, die aber
keiner meiner vortrefflichen Seminaristen zweckmäßig
anzugreifen wußte; auf meine Frage, wer
von den Herren uns helfen wolle, erhob sich auf der
letzten Bank ein hagerer, etwas älter als die übrigen
Studierenden aussehender Zuhörer, trat an die
Tafel und entwickelte in geschickter Weise, aber in
so krassem österreichischem Dialekt, daß die Zuhörer
sich eines Lächelns nicht erwehren konnte, die
Lösung der Aufgabe. Da er sich vorher bei mir
nicht gemeldet hatte, fragte ich ihn nach seinem
Namen — die Antwort war: „Dr. Boltzmann aus
Wien,“ von dem mir schon einige, von seinem Lehrer
Stefan vorgelegte kleinere Noten aus den Mitteilungen
der Wiener Akademie bekannt waren.
Noch am Nachmittage desselben Tages kam er zu
mir, um sich für eine demnächst erscheinende Wärmearbeit
in betreff einiger algebraischer Probleme
meinen Rat zu erbitten, und ich fragte ihn bei dieser
Gelegenheit, ob er Kirchhoff schon persönlich kennen
gelernt habe. Als er meine Frage ein wenig verlegen
verneinend beantwortete, drückte ich ihm mein
Erstaunen darüber aus, da er schon seit einigen
Wochen in Heidelberg sich aufhielt, bis er mir endlich
seine Befürchtung gestand, daß die Unterhaltung
dann wohl sehr bald auf Kirchhoffs letzte Arbeit
über die Bewegung von zwei Ringen in einer
Flüssigkeit kommen könnte — es ist dies die fundamentale
Untersuchung über die Parallelität der
durch den hydrodynamischen Druck und elektrische
Ringströmung hervorgebrachten Bewegung — und daß
es ihm dann unangenehm wäre, Kirchhoff zu
sagen, daß die Arbeit einen mathematischen Fehler
enthielte. Als er mir das Nähere auseinandergesetzt,
und ich ihm versicherte, daß Kirchhoff, wenn er
seinen, übrigens das Resultat der Untersuchung nicht
in Frage stellenden Irrtum eingesehen, ihm dann
erst recht mit größter Liebenswürdigkeit entgegenkommen
würde, entschloß er sich, ihn sogleich zu
besuchen. Einige Stunden später kam Kirchhoff zu
mir und erzählte mir, daß Boltzmann gleich bei
seiner Vorstellung ganz unvermittelt ihm mitgeteilt
habe, daß er einen Fehler in jener Arbeit gemacht,
und ich konnte an der Erregtheit von Kirchhoff, der
bei seiner feinen, aber etwas formellen Art, sich zu
geben, auch eine bescheidene und vorsichtige Rücksichtnahme
\mymargin{107}
von anderen verlangte, wohl erkennen,
daß die Art der Mitteilung ihn Boltzmann gegenüber
ein wenig stutzig gemacht hatte, — sehr bald
wurde ihr Verhältnis aber ein recht gutes, getragen
von der gegenseitigen Hochachtung ihrer wissenschaftlichen
Bedeutung.
Es bleibt noch nachzutragen, dass das Verhältnis der beiden Wissenschaftler
in der Tat ein sehr gutes wurde. Boltzmann widmete seine
Rektoratsrede 1877
an der Universität Graz dem wenige Monate zuvor
verstorbenen Gustav Robert Kirchhoff.