Badische Post: Nachruf Leo Koenigsberger
Quelle: Badische Post . Heidelberger Zeitung (gegr. 1858) u.
Handelsblatt. - Frankfurt, M. ; Heidelberg, 16. bzw. 19. Dez. 1921
16. Dezember 1921
Aus Stadt und Umgebung
Heidelberg, den 16. Dezember 1921
Leo Koenigsberger +.
Der inaktive ordentliche Professor der Mathematik an der Universität
Heidelberg, Dr. Phil., Dr. phil. h.c., Dr. rer. nat. h.c., Geh. Rat
Leo Koenigsberger Exz. ist gestern im Alter von 84 Jahren
gestorben. Koenigsberger ist am 15. Oktober 1837 in Posen geboren,
hat dort das Gymnasium absolviert und bezog dann die Universität
Berlin. Nach vierjähriger Tätigkeit als Lehrer der Mathematik und
Physik am Berliner Kadettenkorps erhielt er einen Ruf an die
Universität Greifswald (1864).
Im Jahre 1869 kam er zum ersten Mal an die Universität Heidelberg.
1875 folgte er einem Rufe an das Polytechnikum in Dresden, von
1877 bis 1884 dozierte er an der Universität Wien. Seit diesem
Jahr wirkte der Verstorbene an der Universität Heidelberg.
Eine große Reihe wissenschaftlicher Schriften hat den Namen des
Gelehrten weit über die Grenzen Deutschlands hinausgetragen.
19. Dezember 1921
Kunst und Wissenschaft
Zum Tode Prof. Dr. Koenigsbergers wird uns noch geschrieben:
Ueberraschend kam uns am Donnerstag die Kunde von dem Hinscheiden
des bedeutenden Gelehrten Wirkl. Geh. Rat Prof. Dr. Koenigsberger.
Mit ihm verliert die Universität und die Stadt Heidelberg eine ihrer
in der ganzen Gelehrtenwelt bekannten Zierden. Koenigsberger,
1837 in Posen geboren, hatte als Schüler das Glück, den in
Heidelberg unvergessenen Mathematiker L. Fuchs zum Hauslehrer
zu haben und seinem Einfluß ist es teilweise zu danken,
daß er ein so begeisterter Apostel der Mathematik wurde.
Seine erste Lehrtätigkeit enrfaltete er 1961 bis 1864 am Berliner
Kadettenkorps, wobei Hindenburg zu seinen Schülern zählte. Im
jugendlichen Alter von 32 Jahren kam er 1869 als Nachfolger des
berühmten Hesse an die Ruperto-Carola und erwarb sich sofort
durch seine seltene Lehrgabe die Verehrung einer großen
Schar von Schülern, von denen mancher sich einen großen Namen
in der Wissenschaft gemacht hat. Mit unübertrefflicher Klarheit
gelang es ihm in stürmischen Eifer eine unglaubliche Fülle
Lehrstoff in einer Stunde zu bewältigen und seine Zuhörer
durch die Lebendigkeit des Vortrags mitzureißen.
Nach 6jähriger Tätigkeit verließ er unsere Hochschule und zog
dadurch auch einen älteren Freund, Kirchhoff, von Heidelberg
weg. Er kehrte aber 1884 zurück, um sich nie wieder von Heidelberg
zu trennen. Hier veröffentlichte er seine mustergültigen
Arbeiten über Funktionentheorie, Differentialgleichungen und
Mechanik und über die Bedeutung von Jacobi und Helmholtz, welchem
letzteren er als Kollege wissenschaftlich näher getreten war
und über dessen mathematische Befähigung er nun mit
erfurchtsvoller Begeisterung reden konnte. Daher ist er auch
in der ganzen Gelehrtenwelt als erster Kenner von Helmholtz
anerkannt und vor wenigen Monaten suchte ihn ein
bedeutender amerikanischer Naturforscher auf, um aus seinem
Munde seine Kenntnisse von Helmholtz zu erweitern. An der
Heidelberger Akademie der Wissenschaften war er als
Mitgründer eifriger Förderer und Mitarbeiter hervorragend
tätig. Im Jahr 1914 trat Koenigsberger bei Gelegenheit
seines 50jährigen Dozenten-Jubiläums von seinem Lehrstuhl
zurück. Bei diesem Anlaß zeigte sich am deutlichsten die
große Verehrung, die dem Verewigten bei Freunden, Kollegen und
Schülern entgegengebracht wurde.
Wenn er auch das hohe Alter des Diophantos erreicht hat, so ist er
seinen Schülern, denen er seine Kenntnisse immer noch zugute
kommen ließ, viel zu früh entrissen worden.
Letzte Änderung: Mai 2014 Gabriele Dörflinger
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