Studien zur Geschichte der Mathematik ... / Erwin Christmann

Die Mathematik an der Hochschule zu Heidelberg im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts

S. 127-138 aus:
Christmann, Erwin: Studien zur Geschichte der Mathematik und des mathematischen Unterrichts in Heidelberg : von der Gründung der Universität bis zur combinatorischen Schule. - 1924. - 164 S.
Univ. Heidelberg, Diss., 1924
Signatur Univ.-Bibl. Heidelberg: W 3461

Abschrift: Gabriele Dörflinger


Kapitel IV.   Die Mathematik an der Hochschule zu Heidelberg im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts.

(Seite 127) Bei Beginn des 19. Jahrhunderts brach für das mathematische Studium an der Heidelberger Hochschule eine neue Aera an. Der die Restauration der Universität(276) beseelende und durch die persönliche Initiative des für die Hebung des Schulwesens besorgten Karl Friedrich, Grossherzog von Baden(277), erweckte Geist teilte sich neben der Pflege der anderen Universitätswissenschaften auch der der Mathematik mit. Er schuf den festen Willen, eine Umgestaltung herbeizuführen, dem starren und nur selten unterbrochenen schulmässigen Karakter des mathematischen Unterrichts entgegenzutreten und ihm eine würdige Stelle im Kreise der deutschen Universitäten einzuräumen. Die Bestrebungen blieben nicht ohne Erfolg und die Mathematik an der Hochschule zu Heidelberg erhob sich behutsam aber entwicklungsgerecht zu einem gleichgestellten Gliede gelehrten mathematischen Lebens und versuchte selbst scbhulbildend zu wirken und einen Einfluss auf die Weiterentwicklung zu gewinnen, um so lehrend und gestaltend die ganze Möglichkeit ihres Seins zu erschöpfen.

Hier ist nur die allmähliche Entwicklung, die Uebergangszeit zu behandeln, während der Höhepunkt und das Ergebnis von Moritz Cantor in seiner Studie "Ferdinand Schweins und Otto Hesse" beschrieben wird. Die einzelnen Stufen sind die ausserordentliche Professusr des J. Hermann Vossmann, die ordentliche des K. Christian von Langsdorf, die Lehrtätigkeit verschiedener Privatdozenten, der mathematische Unterricht des Philosophen Jakob Fries und den Abschluss bildet Ferdinand Schweins, der Heidelberg zu einem Mittelpunkte der combinatorischen Schule machte(278).

(Seite 128) Mit der Neuorganisation der Universität wurden aus der kurpfälzischen Zeit G. A. Succow und als ordentlicher Professor der Mathematik Jakob Schmitt mitherübergenommen. G. A. Succow las aber aus dem bisher von ihm für die Studierenden der volkswirtschaftlichen Sektion vertretenen umfangreichen Gebiete der reinen und angewandten Mathematik nur noch bürgerliche Baukunst. Auch Jakob Schmitt befasste sich jetzt weniger mit dem mathematischen Unterricht und lehrte bis zu seinem Weggange daneben noch Philosophie und Physik. Die erste aussserordentliche Professur für reine und angewandte Mathematik, die zugleich mit einer ordentlichen im Bezug auf einen tatsächlichen Unterricht ausgeübt wurde, erhielt der bisherige Rechenmeister J. Hermann Vossmann. Bis es jedoch soweit kam, waren heftige Widerstände zu überwinden, die vor allem in seiner mangelhaften Allgemeinbildung eine willkommene Nahrung gefunden hatten(279). Unter dem pfälzischen Regime war er nie zur Geltung gekommen und erst die badische Behörde und der seine Professur einreichende geheime Referendär Hofer, der sich auch sonst grosse Verdienste um die Wiederaufrichtung der Universität erwarb, waren objektive Beurteiler seines vornehmlich auf dem Gebiete der Praxis liegenden Könnens und zollten seiner Tätigkeit volle Anerkennung. Vossmann, im Besitz eines guten Auffassungsvermögens, hatte sich aus den primitivsten Anfängen — er war Leinenweber gewesen — durch eigenes Studium emporgearbeitet und [sich] neben der reinen in der angewandten Mathematik vorzügliche Kenntnisse angeeignet. So war er befähigt, einen inhaltsreichen Vortrag zu bieten, der sich noch besonders durch die Einflechtung seiner grossen praktischen Erfahrungen und eine nur lose Knüpfung an die sonst üblichen Kompendien auszeichnete.

(Seite 129) Seine Anstellung als Rechenmeister war im Jahre 1783 auf sein Gesuch und dem von der Universität ausbedungenen Verzicht auf Besoldung hin erfolgt(280). Eine Ankündigung seiner Vorlesungen mit Nennung seines Namens erschien seit dem Wintersemester 1790/91 regelmässig im offiziellen Verzeichnis unter der Abteilung "freie Künste" und führte Arithmetik und Algebra auf. Als ausserordentlicher Professor las Vossmann im Wintersemester 1804/1805 täglich von 8/9 Uhr Zahlen-, Buchstaben-, Differential- und Integralrechnung für Anfänger und Angehörige eines praktischen Studiums, z.B. das der Forstwirtschaft, der Baukunst und anderer Fächer der Staatswirtschaftlichen Sektion, während im übrigen das Studium der reinen Mathematik dem ordentlichen Professoren der Mathematik Jak. Schmitt anvertraut war(281). Die Lehre der angewandten Mathematik fiel Vossmann mit Ausnahme der Civilbaukunst ganz zu, als Leitfaden diente ihm, der sich an Abweichungen und eigenen Zugaben nicht fehlen liess, der zweite Band von Clemm's Kompendium.

Von seinen Schriften ist neben einem "Handbuch für Ingenieure und Bauleute", gedruckt zu Mannheim 1804(282), ein dem Grossherzog Karl Friedrich überreichter Vorschlag erwähnenswert, nach einem von ihm aufgestellten Plane gleiche Masse und Gewichte einzuführen. Aber seine Gedanken konnten noch nicht verwirklicht werden, da man nach der erst kürzlichen Zusammenfassung der badischen Ländern zur Einschränkung der Ausgben gezwungen war und auch vom schwäbischen Kreise oder im ganzen deutschen Lande kein gemeinsames Vorgehen in dieser Frage zu erwarten war(283). Seiner Tätigkeit wurde durch sein am 4. Mai 1805 erfolgten Tods ein Ziel gesetzt. Durch dieses Ereignis und den Weggang von Jakob Schmitt wurde der mathematische Unterricht in die Hände zweier neuer Persönlichkeiten (Seite 130) Karl Christian von Langsdorf und Jakob Fries, gleichzeitig aber auch einer grösseren Anzahl von Privatdozenten übergeleitet.

Karl Christian von Langsdorf geb. 18. Mai 1757 auf dem Salzwerke zu Nauheim, wurde 1806 als ordentlicher Professor der Mathematik nach Heidelberg unter Ernennung zum badischen geheimen Hofrat berufen(284). Von jung auf hatte er ein Interesse für Mathematik und ihre praktischen Anwendungen und erwarb sich besonders durch das Studium der Salinenkunde und seinen langjährigen Aufenthalt auf den bedeutendsten Salzwerken Deutschlands den Ruf eines erfahrenen Salinenfachmannes und Praktikers. Aus diesem Grunde stellte ihn auch die dänische Regierung in ihre Dienste (1784–1792), wurde ihm 1796 die Professur der Mathematik in Erlangen übergeben und bekleidete 1804 er als kaiserlich-russischer Hofrat, ausgestattet mit dem russischen Adel, die Professur der angewandten Mathematik in Wilma an der dortigen Hochschule. Das Erscheinen von von Langsdorf brachte für Heidelberg eine höhere Bewertung der angewandten Mathematik mit sich, eine Tendenz in der mathematischen Wissenschaft, die eigentlich noch starke Beziehungen mit dem Aufklärungszeitalter gemein hatte und an manchen Universitäten schon am Abklingen war. Eine stärkere Betonung der theoretischen Mathematik hätte vielleicht die Berufung eines Mathematikers mit Namen Bürmann zur Folge gehabt. In der Mathematik war nun diese Zeit das Aufkommen einer neuen Epoche zu konstatieren, deren Hauptmomente in der von Hindenburg ausgehenden combinatorischen Schule und in der neueren Entwicklung der Mathematik in Frankreich, durch J. L. Langrange's Arbeiten(285) bedingt, lagen. Wenn auch Langsdorf den neueren Richtungen in der Mathematik nicht huldigte, so waren seine Verdienste um das, was er unter Mathematik verstand, (Seite 131) ausserordentlich gross, und sein Eintreten und Arbeiten für seine Auffassungen sind die Kennzeichen einer Persönlichkeit, deren Eigenart darin bestand, dass sie neben dem theoretischen das praktische Element den Universitäten erhalten wollte. Er schied in der mathematischen Wissenschaft streng das Spekulative von dem Nützlichen und im bürgerlichen Leben Brauchbare, und die theoretische Mathematik, auf deren guten Kenntnis ein nicht geringer Teil seiner Erfolge beruhte, sollte nur insoweit gepflegt werden, als sie Mittel zum Zweck sein konnte. Diesen Geist atmeten seine Vorlesungen und seine Schriften, um ihm dienen zu können, studierte er die Arbeiten von Euler, Newton, Kästner, Karsten, Klügel u. a. m. und glaubte auch ihre Werke einer scharfen Kritik unterwerfen zu dürfen, — ich denke dabei an eine Tendenzschrift über verschiedene Gelehrte aus dem Jahre 1807 — oder zum mindesten einer Korrektur unterwerfen zu müssen. Das geschah in der "Erläuterung der Kästner'schen Analysis endlicher Grössen; Analysis des Unendlichen, Mannheim – Giessen 1776 – 1778", in der Schrift "über die Unstatthaftigkeit der unendlichen Teilung, Erlangen 1804" und in der "neuen und richtigeren Darstellung der Prinzipien der Differential- und Integralrechnung Heidelberg 1807" (auch lateinisch: "principia calculi differentialis ex fundamentis noris et iis solidioribus deducta"). Die verschiedenen Ausfälle, die er sich erlaubt, und sein manchmal anmassend scheinender Ton lassen sich verstehen, wenn man annimmt, dass er keinen Sinn für philosophische Betrachtungen gehabt hatte und der Ansicht war, nur mit überlegener Kritik das von ihm als falsch Erkannte erfolgreich bekämpfen zu können. Elementare Schriften sind seine "Anfangsgründe der reinen und höheren Mathematik auf Revision der bisherigen Prinzipien (Seite 132) begründet, Erlangen 1802", die "arithmetische Abhandlung über juristische, staats- und forstwirtschaftliche Fragen, Mortaliltät u. s. w. Heidelberg 1810", die "Einleitung in das Studium der Elementargeometrie, Algebra, Trigonometrie u. s. w. Mannheim 1814" und die "leichtfassliche Anleitung zur Analysis endlicher Grössen und der Unendlichkeit, Mannheim 1817". Die angewandte Mathematik fand natürlicherweise auch in literarischer Beziehung seine grössere Beachtung. Aber die Zahl der Abhandlungen und Lehrbücher die auf diesem Gebiet von ihm verfasst oder neu bearbeitet herausgegeben wurden, ist derart gross, dass hier auf Zusammenstellungen in Poggendorfs Biographie, im Almanach der Universität Heidelberg auf das Jahr 1813 (herausgegeben von Lampadius), auf die Abhandlungen der königlichen Akademie zu München und die Heidelberger Jahrbücher der Literatur (mathematisches Fach) verwiesen werden muss. Als die wichtigsten wollen wir erwähnen sein "Lehrbuch der Hydraulik mit beständiger Rücksicht auf die Erfahrung mit 51 Kupfertafeln. Altenburg 1794", die "Grundlehren der mechanischen Wissenschaften ... Erlangen 1802" und die "Anfangsgründe der Photometrie Erlangen 1803. 1805". V. Langsdorf leistete durch diese literarische Betätigung Hervorragendes für die Verbreitung der in Betracht kommenden praktischen Disziplinen, hat aber auch hierin manches Neue gebracht, das hier nur konstatiert werden kann, denn das Gebiet der Technik würde sonst zu sehr in den Vordergrund rücken.

V. Langsdorfs Vorlesungstätigkeit setzte im Wintersemester 1806/1807 ein und erstreckte sich ohne Unterbrechung, soweit aus den noch vorhandenen Verzeichnissen und Akten zu ersehen, bis in das Jahr 1816, wo ihn andere Geschäfte, vor allem die Erschliessung von Salzquellen am Neckar, am Kocher (Seite 133) und in Dürrheim auf längere Zeit am Lesen hinderten(286). Arithmetik und Geometrie las er fünfmal in der Woche, Jahr für Jahr wohl bis 1812. Trigonometrie sagte er erst einstündig (1806/1807), später zweistündig und auch mit Logarithmik verbunden (1809, 1809/1810) an. Geometrische Exkursionen kündete von Langsdorf für das Sommersemester 1807 an. Nach 1812 scheint er wohl immer "Arithmetik ausführlich mit den wichtigsten Anwendungen auf Geschäfte des bürgerlichen Lebens" und Geometrie zugleich mit Trigonometrie, beide in einem fünfstündigen Kolleg vorgetragen zu haben. In einem Verzeichnis der Vorlesungen für das Jahr 1813 findet man bei der anzusagenden Geometrie den ausführlichen Hinweis "mit beständiger Rücksicht auf die Geometrie der Griechen", daneben aber auch eine Vorlesung von Ferdinand Schweins betitelt "Grössenlehre und Geometrie mit einer Kritik der Euklidischen Methode". "Gemeine Algebra" lehrte er zweistündig 1809 und 1809/1810, das gleiche mit Diffenrential- und Integralrechnung fünfstündig 1807. Für höhere Analysis erbot er sich 1806/1807, für höhere Geometrie 1807/1808, für beide unter "Privatissimum der höheren Mathematik" 1810/1811 und 1813 unter "Analysis nebst Fundamentallehren der höheren Geometrie" (sechsstündig). Seit 1812 hielt er im Winter und im Sommer encyklopädische Vorlesungen über die wichstigsten Lehren der Geometrie, Trigonometrie, Algebra, Differential- und Integralrechnung, höhere Geometrie und die mechanischen Wissenschaften. Von Langsdorfs Vorlesungen lagen zu Grunde die Lehrbücher "Anfangsgründe der reinen Elementar- und höheren Mathematik Erlangen 1802" und die "Arithmetische Abhandlung über ... Heidelberg 1810". Vorlesungen aus der angewandten Mathenamtik waren Elementarmechanik (Seite 134) 1806/1807, 1809/1810 fünfstündig, höhere Mechanik 1806/1807, 1807/1808, 1809/1810 vierstündig, beide nach dem "Lehrbuch der gemeinen und höheren Mechanik fester und flüssiger Körper Heidelberg 1807" (vor 1807 nach dem "Lehrbuch der Hydraulik Alt. 1794"). Hinzukommen noch andere Vorlesungen über Teilgebiete oder die Gesamtheit der mechanischen Wissenschaften, einmal las er auch diese nach eigenen Heften für Studierende ohne besondere mathematische Vorkenntnisse. Seinen Vorlesungen über Photometrie legte er das oben genannte Lehrbuch zu Grunde, denen über Strassen-, Mühlen- und Brückenbau die "Erläuterung höchstwichtiger Lehre der Technologie Heidelberg 1807. 2 Bände". Als er in der Zeit nach 1816 öfters an badischen Salinen tätig war, kamen in den Verzeichnissen unter seinem Namen angeführten Vorlesungen — so "Analysis endlicher Grössen und des Unendlichen, fünfstündig, 1819/1820", "ausgehobene Lehren aus den mechanischen Wissenschaften, sechsstündig 1819/1820" — nicht mehr zustande. Und als er durch den Einspruch der Universität, die besonders seine Vorträge über Maschinenlehre, Hydraulik und bürgerliche Baukunst nicht missen wollte, seiner Staatsgeschäfte entbunden worden war und seine Lehrtätigkeit wieder aufnehmen wollte, da hatte von Langsdorf jeglichen Kontakt mit der Universität und den Studierenden verloren, zu den von ihm angekündigten Vorlesungen fand sich niemand ein(287), die reine Mathematik lehrte zur allgemeinen Zufriedenheit Ferdinand Schweins und auch für die von ihm vor allem gelesenen Disziplinen waren jüngere Dozenten erschienen. Dass er, der in seinen besten Jahren das ganze Gebiet der reinen und angewandten Mathematik lehrend umfasst und nur aus freiem Willen und Gefälligkeit Strassen-, Brücken- und Mühlenbau gelesen habe, nun auf Wunsch (Seite 135) der Universität neben der Maschinenlehre, Hydraulik und besonders diese lehren sollte, kränkte ihn sehr(287), an keiner Universität Deutschlands werde an einen ordentlichen Professoren der Mathematik eine solche Zumutung gestellt. Kennzeichnend für die Gefühle, die den alternden Gelehrten bewegten und ihn überflüssig erscheinen liessen, ist eine Zeile einer Zuschrift von Langsdorf an die Universität (schon 1821), die von seiner Abwesenheit und seinen zu haltenden Vorlesungen spricht: "die Studierenden verlieren übrigens nichts dabei, sie haben Moses und die Propheten, lass sie dieselben hören"(287). Wer damit gemeint war, ist klar. Eine ersehnte Emeritierung versetzte von Langsdorf 1827 in den Ruhestand, im Jahre 1834 verstarb er.

Die eingehendere Darstellung von von Langsdorfs Persönlichkeit hat uns zeitlich über das Thema hinausgeführt, sodass wir, um ihm gerecht zu werden, zurückgreifend noch die anderen Momente erledigen müssen, die zum Aufblühen des mathematischen Studiums geführt haben. Während im 18. Jahrhundert an der Heidelberger Hochschule Privatdozenten der Mathematik ausser H. Vossmann nicht zu nennen waren, verfügte die Zeit nach der Restauration der Universität über eine beträchtliche Anzahl, und man geht nicht fehl, dass als Gründe für diese Erscheinung die Bestrebungen des badischen Staates und der Hochschule massgebend waren, in zeitentsprechendem Geiste das Universitätsleben zu gestalten, sodass auch den Mathematikern gute Aussichten sich boten(288). Es war ein Zeichen lebhaften mathematisches Interesses, dass Privatdozenten über das gleiche Thema wie der ordentliche Professor v. Langsdorf oder über einen Teil seines Lehrstoffes lesen konnten, denn aus der regelmässigen Aufführung der Vorlesungen darf man schliessen, dass sie auch wirklich zustande (Seite 136) kamen. Von den Heidelberger Privatdozenten der Mathematik sollen Erwähnung finden F. Karl Class aus Bensheim a. d. Bergstr., der Arithmetik und Geometrie nach dem Lehrbuch von Oppen (1805/1806), Algebra, Logarithmik, Trigonometrie nach dem Lehrbuch von Krause (1805/1806), Arithmetik, Algebra, Logarithmen, höhere Gleichungen sechsstündig nach dem ersten Teile (1806, 1806/1807, 1807, 1807/1808), Geometrie, ebene und sphärische Trigonometrie, Kegelschnitte, Differential- und Integralrechnung nach dem zweiten Teile von Vegas Lehrbuch (1806 und ohne die beiden letzten 1807/1808) und Mechanik, Hydraulik, Hydrostatik, Aereometrie nach eigenen Heften (1806/1807) las. Joh. Christian Zimmermann sagte an für 1805/1806 Algebra vierstündg nach Diktaten, für 1806 Elementarmathematik nach Lorenz, für 1807 Trigonometrie nach Kästners Anfangsgründen, auf dem Gebiete der angewandten und praktischen Mathematik eine fünfstündige Vorlesung nach Kästner (1805/1806), viermal in der Woche praktische Vermessungslehre nach Meinerts Anfangsgründen der Feldmesskunst (1794) in den Wintersemestern 1806/1807 und 1807/1808, Architektur vierstündig nach Klügel (1805/1806) und nach eigenen Diktaten (1807) und mathematische Chronologie (1807/1808). Zimmermanns literarische Betätigung beschränkte sich auf Geologie und er verliess auch im Jahre 1809 Heidelberg um im Harz eine Stelle als Bergwerksdirektor zu übernehmen(289). Nur kurze Zeit nach seiner Habilitation durch die Arbeit "de methodo tractandi capita arithmeticae practicae 1808" verbrachte in Heidelberg der ehemalige Theologe W. Adolf Diesterweg. Er lehrte Arithmetik und Geometrie nach Hauffs Uebersetzung von Euklid, Algebra nach Simon L'huiliers Anleitung zur Elementaralgebra und Trigonometrie (Seite 137) und höhere Geometrie nach Diktaten. Im Jahre 1809 ging er an das neuorganisierte Gymnasium zu Mannheim und von hier an die Bonner Universität.

Neben den genannten Privatdozenten befasste sich auch der Professor der Philosophie Jak. Fr. Fries, geb. 1773 gest. 1843 zu Jena(290), mit dem mathematischen Unterricht. Seine Stellung zur Mathematik war gekennzeichnet durch die von ihm erstrebte rein wissenschaftliche Behandlung der Mathematik und Unterordnung der gesamten organischen Welt unter ihre Gesetze und die mathematisch mechanische Erklärung. Seine mathematischen Vorlesungen konnten natürlich nicht die Bedeutung erlangen, die denen von Ferdinand Schweins zukam, denn er war ja auch als Professor der Philosophie und nicht der Mathematik im Jahre 1804 nach Heidelberg berufen worden. Die Professur der Mathematik bekleidete Fries später in Jena. Für uns ist von besonderem Interesse, dass er neben Arithmetik und Geometrie nach Lorenz "Grundriss der reinen Mathematik 1804" und dessen Supplement "Grundlehre der allgemeinen Mathematik 1800" (fünfstündig 1805/1806, 1806/1807), Geometrie und Trigonometrie (dreistündig 1806), Analysis (vierstündig 1807/1808) und Privatissima über reine Mathematik im Jahre 1807 eine Vorlesung "Combinationslehre und ihre Anwendungen auf die Analysis" als vierstündiges Kolleg ankündigte. Als Grundlage benutzte Fries D. M. Stahls Combinationslehre, ein Lehrbuch eines Schülers von K. Fr. Hindenburg. Die combinatorischen Ideen fanden somit in Heidelberg in Jak. Fries ihren ersten Vertreter und Verfechter und sollten in kurzer Zeit durch das Auftreten des jungen Privatdozenten und späteren ordentlichen Professoren der Mathematik Ferdinand Schweins die Mathematik an der Heidelberger Hochschule zum Mittelpunkte (Seite 138) der combinatorischen Schule machen. Ihre Geschichte wurde von Moritz Cantor in seiner Abhandlung "Ferdinand Schweins und Otto Hesse" ausführlich beschrieben.


Fussnoten

  1. Die Restauration der Universität ist bearbeitet in W. Dittenberger. Die Universität Heidelberg im Jahre 1804 und den schon mehrmals genannten Arbeiten Aug. Kellers und Franz Schneiders.
  2. Heidelberg und grössere Teile der ehemaligen Kurpfalz waren nach den politischen Ereignissen der vergangenen Jahre durch den Reichsdeputationshauptschluss (27. April 1803) an den bisherigen Markgrafen von Baden gefallen.
  3. Moritz Cantor. Ferdinand Schweins und Otto Hesse in "Heidelberger Professoren aus dem neunzehnten Jahrhundert. Festschrift der Universität zur Zentenarfeier ihrer Erneuerung durch Karl Friedrich". S. 229
  4. Aug. Keller. Die Universität Heidelberg von 1803 – 1813. S. 107. Franz Schneider. Die Universität Heidelberg von 1803 – 1813. S. 120.
  5. Archiv der Universität. VI. 3. b. 36. Senatsbeschluss vom 26. Nov.
  6. Archiv der Universität. III. 1. 50. II. 1. 51.
  7. Poggendorf. Biographisch-literarisches Handwörterbuch.
  8. Archiv der Universität. VI. 3. b. 36.
  9. Jul. Lampadius. Almanach der Universität auf das Jahr 1813. S. 79 – S. 84.
  10. Vor allem durch seine "Mécanique analytique".
  11. Archiv der Universität. III. 5. b. 134.
  12. Archiv der Universität. III. 5. b. 134.
  13. In dem vorangehenden Zeitabschnitt war es dem sogenannten Repetenten und Privatdozenten untersagt, im Unterrichte den gleichen Stoff wie der ordentliche Professor der Mathematik zu behandeln. Friedrich Hautz. Geschichte der Universität. II. S. 274/275.
  14. Poggendorf. Biographisch-literarisches Handwörterbuch.
  15. Karl Vorländer. Geschichte der Philosophie. II. S. 267/268.

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