Studien zur Geschichte der Mathematik ... / Erwin Christmann |
Abschrift: Gabriele Dörflinger
Um der ganzen Angelegenheit eine entscheidende Wendung zu geben und da höchstwahrscheinlich dem Oberkuratel der Verdacht aufgestiegen war, als ob eine absichtliche Verschleppung vorliege und eine Einigung nicht erzielt werden könne, gab der Kurfürst der Universität den Auftrag, andere Universitäten als Vorbild zu nehmen und über ihre entsprechenden Einrichtungen Bericht einzuholen. Die Hochschulen von Ingolstadt, Würzburg und Göttingen bekamen einen diesbezüglichen Fragenkomplex(239) zugesandt, der sich mit der Zahl der Professoren in Mathematik und Physik, mit besonderen Lehrstühlen, den Grenzen der einzelnen Lehrfächer und mit der Ausübung der mathematischen und physikalischen Lehre befasste. Aus den Antwortschreiben (240) geht hervor, dass in Würzburg und Ingolstadt in den fraglichen Fächern drei Professsoren tätig seien, dass jeweils die reine Mathematik, die theoretische Physik und die angewandte Mathematik verbunden mit der experimentellen Physik von einem Professoren gelehrt werde. Die Göttinger Verhältnisse, die grosse Anzahl der Dozenten für die verschiedenen Spezialgebiete schienen für die Heidelberger Hochschule nicht als Vorlage dienen zu können. Obgleich man die Richtlinien der Neuordnung des mathematischen Studiums durch die auch sonst im Bezug auf Lehre und Lehrstunden recht ausführlichen Antworten Ingolstadts und Würzburgs gegeben waren, zog sich die Entscheidung unverständlicherweise weiter hinaus, so dass erst nach einem abermaligen dringenden Verlangen des Oberkuratel(241) mit einem Hinweis auf die grosse Verantwortung — der Unterricht wurde nur sehr mangelhaft aufrecht erhalten — die philosophische Fakultät zu einem endgültigen Beschlusse kam und ihn dem Senat mitteilte (18. März 1752)(242). Die theoretische und experimentelle (Seite 115) Physik fiel an Schwab, die reine und angewandte Mathematik an Kübel, beiden wurde der Gebrauch der mathematischen und physikalischen Instrumente zugesagt und besonders dem Professor Kübel die Vorführung in der angewandten Mathematik empfohlen. Mann könnte glauben, dass die spät gefallene Entscheidung selbst ausdrücken wollte, dass sie bei ihrem nicht verleugbaren Werte nur ein Zwischenglied zu einem weiteren Ausbau oder das Endglied eines erstorbenen Systems sein werde.
Das mathematische Studium in Heidelberg in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts war gekennzeichnet durch die Auffassungen, die man in dieser Zeit ganz allgemein von dem Universitätsunterricht hatte. Die Pflichten eines Inhabers eines mathematischen Lehrstuhles entsprachen weniger denen eines Gelehrten als denen eines höheren Lehrers. Der Erziehung zu Wissenschaftlern wurde kaum Rechnung getragen, vielmehr ein grösseres Gewicht auf Ausbildung von erfahreren Staatsdienern und Bürgern gelegt. Das soll aber nicht heissen, dass die Universitätsprofessoren dieser Zeit nichts zur Entwicklung der mathematischen Wissenschaften beigetragen hätten, im Gegenteil manche Universität verzeichnete Mathematiker, die für die Zunahme mathematischer Erkenntnisse Erspriessliches geleistet haben, aber ihr Können und ihre Produktionen kamen auf dem Katheder nicht zur Geltung. In Heidelberg mussten diese Erscheinungen bei den gegebenen Verhältnissen noch mehr zu Tage treten. Durchdie Jesuiteninflation war dem mathematischen Unterricht noch ein besonderes Gepräge verliehen worden und dies Erbe einer glanzlosen Zeit könnte auch durch zeitweise Besserungsbestrebungen, Schaffung des Lehrstuhles für Experimentalphysik und Mathematik und später des der reinen (Seite 116) und angewandten Mathematik nicht überwunden werden, umso mehr als nach der Aufhebung des Jesuitenordens und dem allmählichen Verschwinden der Exjesuiten durch das Erscheinen der Lazaristen einer tiefgreifenden Umwandlung abermals der Boden entzoen wurde. Aber es hat auch in Heidelberg nicht an Gelehrten gefehlt, die für eine wirklich wissenschaftliche Betätigung des Mathematikprofessoren eintraten. Ich erinnere nur an Christian Mayer, der den festen Willen besass nicht nur Lehrer einer in ihren Ausmassen begrenzten, sondern auch ein mitarbeitendes Glied einer lebenden sich entwickelnden Wissenschaft zu sein. Der Kampf für diese Anschauung und ihre teilweise Realisation stand und fiel jedoch mit den einzelnen Persönlichkeiten. Eine staatliche Unterstützung war nicht vorhanden, für den Staat war allein die Ausbildung der Landeskinder — ausserpfälzische Studierende besuchten im Gegensatz zu früher, im Mittelalter und im 16. Jahrhundert, kaum noch die Heidelberger Hochschule — zu befähigten Beamten das erstrebenswerte Ziel, das in allem massgebend wurde. Einen Begriff, wie tief eingewurzelt diese Anschauung waren, kann man sich machen,wenn man bedenkt, dass noch im Jahre 1807 die badische Regierung erklärte "dass man das Erfinden im Scientischen für das Geschäft des Gelehrten, aber nicht für das des Lehrers(Hochschul-) halte"(243). Der Hochschulprofessor musste in Sachen des Unterrrichtes vor allem Lehrer sein, wenn er dazu geeignet war und wenn es ihm die Zeit erlaubte, so konnte er auch Gelehrter sein, aber höheren Orts wurde darauf kein Wert gelegt.
Dementsprechend wurde auch der mathematische Stoff in den Vorlesungen behandelt. Hier war eine freie und nach einem eigenen System gehaltene Darstellungsweise verpönt, man hielt sich an Kompendien und Lehrbücher(244), (Seite 117) sodass ein Dozent, der einigermassen eine persönliche Note ihr beilegen wollte, sich genötigt sah, derartige Leitfäden zu verfassen und in Druck zu geben. Diese literarische Tätigkeit betrachtete man in dieser Zeit als eine sehr wesentliche Aufgabe eines Universitätsprofessoren. Etwas freier konnte sich wohl der Unterricht bei den privaten Lektionen gestalten, die wir von den öffentlichen streng scheiden müsssen, weil auf sie der Schwerpunkt des mathematischen Bildungswesens sich verlegt hatte. Die öffentlichen Vorlesungen waren für die Angehörigen der philosophischen Fakultät bestimmt, die auch weiterhin ihre propädeutische Stellung beibehalten hatte. Die Studierenden der Philosophie schieden sich in die sogenannten Logiker und Physiker, in Anfänger und Fortgeschrittenere, und konnten ohne erfolgreiche Prüfung in der Mathematik nicht zum Baccalaurat und zur Doktorwürde zugelassen werden(245). Die gestellten Anforderungen waren gering(246). In der kritischen Zeit der Verhandlungen um die Lehrstuhltrennung und die Neuordnung des mathematischen Studiums mussten die Prüfungen ausfallen oder schienen in ihrer Durchführung bedroht, da weder der Lehrstuhl besetzt noch ein Dozent gefunden werden konnte, der durch keine anderen ablenkenden Arbeiten beeinflusst sich ganz der Mathematik widmen konnte, und die Vorlesungen nur langsam ihre frühere Gestaltung wieder annahmen(247) Man verlangte in den achtziger und neunziger Jahren von den Logikern täglich eine Stunde Mathematik, vor allem die Einführung in die reine Mathematik und etwas aus der Differentialrechnung, von den Physikern weniger höhere als besonders angewandte Mathematik(248).
Neben den öffentlichen Vorlesungen wurde der mathematische Unterricht in den privaten besonders gepflegt, hatte wie auch an anderen Universitäten in Heidelberg offiziellere (Seite 118) Formen angenommen und war zum Hauptarbeitsgebiet der Dozenten geworden. Das notwendige Fundament für einen ausgebreiteten privaten Unterricht hätte aber ein grösserer Lehrkörper sein müssen. Nur dann wäre es möglich gewesen, den mathematischen Stoff erschöpfend und neuzeitlich anzubieten, eventuell auch aus der verschiedenen Darstellung Vorteile zu ziehen. Ausser dem ordentlichen Professoren lehrte höchstens noch ein Privatdozent Arithmetik und Algebra, der seine Vorlesungen unter den freien Künsten im Verzeichnisse figurieren liess(249), und von Traitteur praktische Geometrie und Baukunst. Der Inhalt dieser Vorlesungen ist nur schwer und annäherungsweise zu bestimmen, da Vorlesungskataloge und entsprechende Akten nur allgemein von privaten Vorlesungen sprechen und weder die Zeit noch das zu behandelnde Gebiet näher identifizieren. Die mathematische Vorbildung und das Interesse der Studierenden wurden stets als Ausgangspunkt des zu wählenden Stoffes berücksichtigt. Wir können aber ruhig annehmen, dass wirklich höhere Mathematik in Heidelberg ebenso wenig Zuspruch wie an anderen mehr auf die Zeit eingestellten Universitäten fand. Man kam z. Beispiel auch in Göttingen oft nicht über die Ankündigungen hinaus. Die Akten der Universität sprechen ganz im Sinne des Aufklärungszeitalters von der Nützlichkeit und Brauchbarkeit der mathematischen Wissenschaften und man könnte daraus auf einen aus dieser Meinung resultierenden hohen Stand der Lehre der angewandten Mathematik schliessen, wenn nicht ihre Weitschichtigkeit, ihre Beherrschung und Weitergabe einen Dozenten für sich verlangt hätte, einen Mann mit praktischen Erfahrungen. Als angewandte galt ja die Anwendung der mathematischen Lehre auf allerlei reale Dinge, die auf Kräfte führen zur Mechanik, Hydrostatik, Hydraulik, Aereometrie, mathematische Betrachtungen (Seite 119) über die Ergebnisse der Lehre von dem geradlinig fortschreitenden Lichte zur Katoptrik (Reflexion) und Dioptrik (Refraction), über die Bewegungen der Himmelskörper zur mathematischen Astronomnie. Die Civil- und Militärbaukunst lag zwar weiter weg, gehörte aber immer noch in den Bereich der angewandten Mathematik. Man konnte wohl deshalb auch in diesem Teile der Mathematik nicht über eine allgemeine Orientierung hinausgehen und die Verhältnisse brachten es mit sich, dass eine besondere Pflege der reinen Mathematik eine Benachteiligung der angewandten bedeutete und umgekehrt und dass eine aus gleichmässiger Beachtung entsprechende gegenseitige Befruchtung ausblieb.
Die Vorleseverzeichnisse und die Universitätsakten können über den mathematischen Stoff des Unterrichts und über seine systematische Behandlung nicht eine Auskunft geben, die hinreichend ist, um zu beweisen, dass der mathemaatische Unterricht kaum über das erwähnte Mass hinausgehen konnte. Den besten Einblick erlauben uns die Kompendien und Lehrbücher, an die die Vorlesungen sich anschliessen mussten. Schon aus der Drucklegung und dem Verfasser lässt sich manches folgern. Neben neueren und der Zeit angepassten Lehrbüchern findet man veraltete und um Jahrzehnte rückständige, selten war der Verfasser ein Mathematiker mit Namen, der ausserhalb des Jesuitenordens stand, die meisten tragen die Signatur "cum permissu superiorum" herausgegeben. Die in Süddeutschland im Gebrauch gewesenen Kompendien Kästners konnten in Heidelberg keinen Eingang finden, wenigstens im 18. Jahrhundert, im folgenden wurde der Hochschule ihr starres System genommen. Unter den mathematischen Kompendien, die von Heidelberger Professoren verfasst worden waren und als Grundlage (Seite 120) des Unterrichts benutzt wurden, sind zu nennen die "elementa arithmetica" des Christian Mayer und das Kompendium der reinen Mathematik des Franz. Trentel, das sich zusammensetzte aus den Einzelbänden "compendium algebrae elementaris (1774)", "compendium geometriae elementaris (1775)" und "compendium sectionum conicarum (1778)". Bezeichnend ist das vollkommene Fehlen der Differential- und Integralrechnung. Trentel, den wir auch in Heidelberg angetroffen haben, war Lehrer der Philosophie an mehreren Ordenskollegien, seit 1773 Professor der Mathematik und Astronomie in Würzburg. Als Ergänzung zu den Fächern Mayers und Trentels benutzte man die "institutionum mathematicarum opuscula" (Frankfurt 1753–1758) des Franciscus Huberti (1715 – 1789), der als Exjesuit und Professor der Mathematik in Würzburg lehrte und dessen Kompendiensammlung die Arithmetik, Geometrie, Trigonometrie, Mechanik, Hydrodynamik, Optik, die bürgerliche und militärische Baukunst enthielt. Der Darstellung des Stoffes ging in diesen Kompendien gewöhnlich eine historische Auseinandersetzung voraus. Aehnliche Dienste leisteten die "institutiones mathematicae" (1771 – 1781) des Bernoulli-Schülers Dominicus Beck (1732 – 1791), Benediktiner und Professor der Mathematik und Physik in Salzburg. Im ersten Teile des 18. Jahrhunderts waren die Anfangsgründe(250) des Freiherrn von Wolf ein allgemein geschätztes Lehrbuch, seine Stoffwahl und Stoffbehandlung machten es vielleicht zum besten Kompendium seiner Zeit, aber als es in Heidelberg eingeführt wurde, da war es längst veraltet. Und nicht genug damit, obgleich die Anfangsgründe schon sämmtliche Kennzeichen eines Kompendiums trugen, so begnügte man sich bisweilen im Unterrichte einen Auszug aus ihnen zu gebrauchen. Die Mängel, die sich mit der Zeit in dem (Seite 121) beliebtesten und durch die wohlgelungene Anordnung wertvollsten Kompendium geltend gemacht hatten, bewogen den Württemberger Theologen und Mathematiker Heinrich W. Clemm (1726–1755[korrekt 1775]), den ersten Darsteller einer Differentialgleichung mit singulärer Lösung(251), ein neues Lehrbuch herauszugeben, das alle Vorteile des Wolf'schen und auch die deutsche Sprache übernehmen sollte, dagegen den Zeitverhältnissen entsprechend bearbeitet werden und die Fehler des Wolf'schen ausmerzen sollte. Das Clemm'sche Kompendium, das ebenfalls sehr verspätet nach Heidelberg kam, aber lange Zeit im Gebrauche war, erklärte im ersten Bande die reine Mathematik und zwar nach der Reihe die arithmetischen Wissenschaften (Zahlen, Buchstabenrechnen, praktische Arithmetik), die geometrischen (elementare Geometrie, ebene und sphaerische Trigonometrie, praktische Geometrie) und als Abschluss höhere Geometrie, allgemeine Begriffe von algebraischen und höheren Funktionen, Differential- und Integralrechnung. Der letzte Abschnitt nennt sich "die Lehre von den Evolutionen, Evoluten und aus Evolution erzeugten Linien, den Kreiszirkeln und Radiis" Der zweite Band umspannte die angewandte Mathematik, die statischen, optischen, astronomischen Wissenschaften, die Civil- und Kriegsbaukunst. Die Dürftigkeit manchen Kapitels könnte für eine speziellere Vorlesung eine Disposition abgegeben haben. Ein anderes in Heidelberg oft verwendetes Kompendium war die "compendiaria matheseos institutio" (zuerst herausgegeben: Vindobonae 1764) des Jesuiten Mako von Kerekgede (1723 – 1793), zeitweilig Professor der Mathematik und Physik am Theresianum zu Wien. Es war lateinisch geschrieben und das Handbuch für die Vorlesungen in den neunziger und den ersten Jahren des (Seite 122) 19. Jahrhunderts, enthielt die elementare Algebra, Geometrie und die "sectiones conicae" (Kegelschnitte). Zur Einführung in die Differential- und Integralrechnung wurde Makos "calcul differentialis et integralis Wien 1764" herangezogen. Ein Ueberblick über alle diese Leitfäden des mathematischen Unterrichts zeigt uns einen mathematischen Lehrstoff, der auf das Wesentlichste beschränkt ist und der in den Händen des Professoren die grösste Magerkeit besitzen konnte oder aber auch, wenn man ihn nur als ein ehernes Gerüst betrachtete, doch vorzügliche Dienste leisten konnte. Heute ist es schwer zu bestimmen, inwiefern mehr das eine oder das andere vorherrschend war, da dies zu sehr mit der Persönlichkeit des Dozenten zusammenhing, deren oft nur kurze Amtsführung kaum nähere Einblicke gestattet. Aber auch ein weiterres Eingehen, das vielleicht dieser Zeit eine zu grosse Würdigung angedeihen liesse, kann kaum andere Ergebnisse zeitigen, als hier angegeben sind.
Zur Vervollständigung des Bildes wollen wir noch auf die Dozenten zu sprechen kommen, die in der Zeit nach der Trennung der Lehrstühle der Experimentalphysik und Mathematik in Heidelberg die mathematische Professur bekleideten. Die ordentliche Professur des Math. Kübel, geb. Nov. 1742 zu Herbstein bei Fulda(252) und im Januar 1772 in Heidelberg als Professor der Rhetorik immatrikuliert(253), war unter den bekannten Schwierigkeiten zustandegekommen. Durch kurfürstliches Rescript wurde er im November 1781 ausserordentlicher Professor der Mathematik und lehrte längere Zeit ohne, später vielleicht mit einer geringen Besoldung in dieser Eigenschaft, bis er nach dem Tode Christian Mayers (16. April 1783) die ordentliche Professur (12. Mai 1783) und 300 Gulden als Jahresgehalt zugewiesen erhielt(254). Kübel zeichnete sich aus durch eine grosse Feinheit des Geistes, besass ein gutes mathematisches Wissen und entledigte sich seiner Pflichten mit einem seltenen (Seite 123) Eifer und einer liebevollen Hingabe(255). Seine Vorlesungen auf dem Gebiete der Mathematik aus der Zeit der Verhandlungen um Professur und Lehre konnten aus schon genannten Gründen nur einen provisorischen Karakter tragen(256), erst als sein Amt festere Formen angenommen hatte, konnte seine Persönlichkeit voll zur Geltung kommen. 1781/1782 las er dreistündig reine Mathematik nach Franz Trantel, angewandte nach dem zweiten Teil des "institutiones mathematicae" des Dom. Beck, 1783/1784 fünfstündig die beiden genannten Vorlesungen nach H. W. Clemm(257). Sein privater Unterricht richtete sich nach dem Interesse der Studierenden. An schriftlichen Arbeiten kann man anführen "Lehrsätze und Aufgaben aus der Grössenlehre Heidelb. 1783" und den "Entwurf einer Vorlesung aus den gemeinnützigsten Teilen der praktischen Mechanik Heidelb. 1783". Im Jahre 1784 verliess Kübel den mathematischen Lehrstuhl, um von nun ab bis zu seinem 1809 erfolgten Tode in Heidelberg geschichtliche und juristische Vorlesungen zu halten(258).
An seine Stelle trat der erste Lazarist(259) auf dem mathematischen Lehrstuhle an der Hochschule zu Heidelberg Christoph Jérome, im November 1782 als cand. theol. immatriculiert(260) und seit 12. Mai 1784 durch kurfürstliches Rescript Professor der Mathematik(261). Seine Tätigkeit war nur von kurzer Dauer, er zerfiel mit seinem Orden und schon Ende des Jahres zählte er nicht mehr zu dem Lehrkörper der Universität(262).
Ihm folgte Peter Ungeschick(263), geb. Juli 1760 im Luxemburgischen und seit 1779 Lazarist; er übertraf seinen Vorgänger in Fähigkeit des Lehrens und an wissenschaftlichem Eifer. Seinen meist dreistündigen Vorlesungen über reine Mathematik und angewandte Mathematik legte er den Wiener Auszug aus Wolfs Anfangsgründen in lateinischer Sprache zu Grunde, je nach dem Wunsche der Studierenden gab er den Unterricht deutsch, lateinisch (Seite 124) oder französisch(264). Die Zeitgenossen nannten ihn einen fleissigen Lehrer mit dem steten Willen, etwas zu erreichen. Auf Genauigkeit und Strenge wies er in seinem Unterricht besonders hin, versuchte die Studierenden von dem Werte der Mathematik zu überzeugen und erteilte gratis Privatstunden. Wenn er trotzdem das von ihm gewünschte Ziel nicht erreichte, so lag das am versäumten oder übereilten Studium der Anfangsgründe(265). Als Wissenschaftler machte sich Ungeschick einen Namen durch seine Unterstützung der Arbeiten Lalandes, durch seine Beobachtungen und Berechnungen, die er auf der von ihm geleiteten Mannheimer Sternwarte ausführte(266). Ungeschick verschied 1790 auf einer Reise nach Luxemburg.
Sein Nachfolger war schon 1786 Jakob Schmitt, geb. 1762 zu Fulda und gleichfalls Mitglied des Lazaristenordens, geworden(167). Schmitt bekleidete 1786 in Heidelberg eine Professur der Philosophie in Kant'schem Sinne. Seine mathematischen Kenntnisse waren nicht gering, die öffentlichen Vorlesungen waren auch bei ihm auf die Prüfung der Philosophiekandidaten zugeschnitten, seine Befähigung zu wirkungsvoller Erklärung soll ihm allgemein anerkannte Erfolge gebracht haben. Private Vorlesungen sagte er nicht an, so kommt es auch, dass man im grossen ganzen Schmitts Unterricht als eine Vorstufe zu den Vorlesungen an der Kameralschule ansehen kann und auch wohl damals ansah, wo Succow grössere Ansprüche an die Studierenden stellte. Schmitt hielt seine Vorlesungen über reine Mathematik im Anschluss an Makos "Anleitung zur Grössenkunde" und dessen "calcul differentialis et integralis", über angewandte nach eigenem Systeme(268). Reine Mathematik las er gewöhnlich sechsstündig im Wintersemester, desgleichen auch eine Vorlesung über "mathesis forensis", in den Sommersemestern (Seite 125) brachte er angewandte (1789), reine und angewandte Mathematik (1790), Geometrie, Trigonometrie, Kegelschnitte, Differential- und Integralrechnung, Uebungen auf dem Felde zur Lösung geometrischer und trigonometrischer Aufgaben (1792), Buchstabenrechnung, Messkunde und einiges aus der angewandten Mathematik (1792)(269). Die beiden letzten Vorlesungen wiederholten sich immer wieder bis 1805, von wo ab seine Lehrtätigkeit sich beschränkte, im Winter auf ein vierstündiges Kolleg über Mako und im Sommer auf Logarithmik. Die für das Wintersemester 1806/07 angesagten Vorlesungen, ausser Mako auch einmal eine Mechanik nach eigenen Heften, sind nicht zustandegekommen, da Jakob Schmitt Ende 1806 von Heidelberg nach Freiburg als geistlicher Rat vesetzt wurde(270). Neben Schmitt fungierte als Professor der praktischen Geometrie, Civil- und Militärbaukunst Joh. Andreas von Traitteur, geb. 1752 zu Philippsburg(271). Seine Anstellung (1784) erfolgte nur unter dem von ihm angebotenen Verzicht auf jegliche Besoldung und unter der Bedingung, dass sein Bruder eine Professur der Geschichte oder einer ähnlichen Disziplin der philosophischen Fakultät erhalte(272). V. Traitteur lehrte seine Fächer in einer dreistündigen Vorlesung, Semester für Semester vom Jahre 1785 bis 1790/1791, desgleichen Anfertigung von Karten, die sich auf Geographie, Feldmess- und bürgerliche und militärische Baukunde bezogen, in täglichem Unterricht, später bis zum Jahre 1795 nur noch praktische Baukunst und bisweilen Hydrotechnik. Seine Lehrtätigkeit gab er vollkommen auf, als er 1794 zum wirklichen Reichsingenieur-Major bei dem damals neu errichteten Ingenieurcorps ernannt wurde und in dieser Eigenschaft andere Funktionen zu versehen hatte(273). Während von Traitteur offensichtlich seine Professur als ein Ehrenamt (Seite 126) betrachtete und diese wieder deswegen besonders interessant war, weil sie zum ersten Male in Heidelberg eine Aufteilung der mathematischen Disziplinen und die eigene Behandlung eines spezielleren Gebietes nach sich zog, ist der mathematische Unterricht an der von Lautern im Jahre 1774 durch Karl Theodor gegründeten und 1784 nach Heidelberg verlegten mit der Universität vereinigten hohen Kameralschule (274) gekennzeichnet durch seine Einstellung auf die Aufgaben dieser Schule. Sie lehrte die praktischen Fächer der Philosophie, diente zur Heranbildung von Staatsdienern und sollte keinen wissenschaftlichen Zwecke verfolgen. Und doch ist es eine Ironie, dass gerade die mathematischen Vorlesungen an dieser staatswissenschaftlichen Schule denen der Universität nicht nur gleichkamen, sondern auch bedeutend grössere Anforderungen an die Studierenden stellten. Lehrer der Mathematik aber auch vieler volkswirtschaftlichen Fächer war G. A. Succow(275). Seine mehr ausgedehnte als ins Einzelne gehende Gelehrsamkeit, verbunden mit einem unermüdlichen Fleisse liess ihn nicht geringe Erfolge in seiner Unterrichtstätigkeit erzielen, aber kaum etwas für den Fortschritt der vielen von ihm vertretenen Wissenschaften beitragen. Seine Vorlesungen über reine und angewandte Mathematik, denen übrigens bezeichnenderweise nur wenige richtig zu folgen imstande waren, hielt er im Anschluss an Busch bezw. an Busch und Eberhard, seit 1788/89 nach Clemm bezw. nach Clemm und Eberhard und schliesslich seit 1796/97 nach Mönicht unter Hinzuziehung der angewandten Mathematik des Eberhard. Dazu las er noch besonders bürgerliche Baukunst.
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