Studien zur Geschichte der Mathematik ... / Erwin Christmann |
Abschrift: Gabriele Dörflinger
Während seiner ungefähr zwanzigjährigen Lehrtätigkeit machte Mayer einen strengen Unterschied zwischen seinen öffentlichen Vorlesungen, von denen er Mathematik drei bis vierstündig den Kandidaten der Philosophie lehrte(210), und den privaten, auf die er den grösseren Fleiss und die grösssere Mühe verwendete. Er hielt sie gratis und erfreute sich einer so regen Teilnahme, dass er sich gegen ihre Gefährdung und ihre Beschränkung mit seiner ganzen Persönlichkeit einsetzte. Mayer sah in ihnen den Kernpunkt seiner Lehrpflicht, die aber wiederum nur ein Teil seiner mit der Uebernahme des Lehrstuhls verknüpften Verpflichtungen darstellen sollte, denn er vertrat die Auffassung, dass der Beruf eine Hochschulprofessors der Mathematik und Physik dreierlei mit sich bringe, den elementaren Anfängerunterricht, der sich aus dem Daniederliegen des Gymnasialunterrichtes ergeben musste, den höheren wissenschaftlichen Unterricht und das gelehrte Schaffen, das wegen einer Ueberlastung durch die beiden ersteren nicht in den Hintergrund treten dürfte. Zur Stütze (Seite 107) seiner Anschauungen berief er sich auf andere Gelehrte, auf L'Abbé Nollet vom Collège Navarre, der bei einem jährlichen Lehrkurs von vier bis fünf Monaten bedeutend mehr Zeit habe, sich seiner Wissenschaft zu widmen. Dagegen werde ihm bei seiner starken sonstigen Inanspruchnahme noch eine neue öffentliche Vorlesung in Gestalt der Geographie übertragen und ihm ausserordentlich erschwert, privaten Unterricht zu erteilen, seine wissenschaftlichen Arbeiten zu publizieren, neue in Angriff zu nehmen und seine astronomieschen Berechnungen mit der nötigen Sorgfalt durchzuführen. Und dennoch verstand sich der arbeitsame Gelehrte dazu, den Kandidaten der Jurispondenz einen kurzen privaten Lehrkurs zu eröffnen, wenn die Universität ihrerseits für die durch die Anschaffung geographischer Hilfsmittel entstandenen Kosten aufkäme(211).
Mayers hervorragende Kenntnisse in der Mathematik, Geodäsie und Astronomie machten ihn zum Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Akademien, zum Korrespondenten bedeutender Gelehrten, so Kaestners und Eulers und riefen ihn durch die Huld der Kaiserin Katharina II. von Russland als "obervator principalis" des Venusdurchganges (3. Juni 1769) nach Petersburg. Ausser den schon erwähnten mathematischen Abhandlungen sind noch zu nennen "scientia numerorum methodo plana exposita Mhm 1762", die astronomischen Schriften "solis et lunae eclipseos obervatio astronomica 1764", "expositio de transitu Veneris ante discum solis", die er anlässlich seiner russischen Reise in Petersburg herausgab, die "Verteidigung neuer Beobachtungen von Fixsterntrabanten Mhm 1778", "de novis in coelo ardesco phaenomenis", von welchem Tratate Mayer durch den Senat der Universität ein Exemplar zukommen liess, in kartographischer Beziehung eine "basis Palatina Mhm 1763", eine (Seite 108) "basis novae chartae 1773" und sonst die grosse Anzahl in Druck gegebener physikalischer Arbeiten.
Die Aufhebung des Jesuitenordens (1773) hatte nichts daran geändert, dass die Jesuiten auch weiterhin den grössten Teil des Lehrkörpers der Universität stellen konnten, und auch auf Mayers Tätigkeit gewann sie keinen Einfluss. Aber schon 1771 verlegte dieser sein Arbeitsfeld immer mehr an die kurfürstliche Sternwarte zu Mannheim. Dorthin hatte der in einem gewissen Sinne für die Wissenschaften eingenommene Fürst Karl Theodor wertvolle astronomische Werkzeuge direkt von England kommen lassen. Der positive Erfolg dieser fürstlichen Grosszügigkeit, die sich in Zahlen durch die stattliche Summe von 10.000 Gulden ausdrücken liess, war Mayers Entdeckung von 100 unbekannten Fixsternbegleitern und ihrer Eigenbewegungen. Auch bei der Herstellung eines astronomischen Observatoriums in Schwetzingen erwarb sich Christian Mayer Verdienste.
In der Eigenschaft eines Hofastonomen wurde er jedoch bald so sehr in Anspruch genommen, dass er sein Lehramt in Heidelberg nicht mehr vollkommen versehen konnte. Während seines Petersburger Aufenthaltes war für ihn der Jesuitenpater Franciscus Trentel eingesprungen(212), jetzt wurde ihm sein bisheriger Schüler, der Pater Johannes Metzger zur Unterstützung beigegeben (5. Okt. 1771) und mit Einwilligung des Kurfürsten zum öffentlichen Professoren bestellt (5. Nov. 1771)(213). Anerkannt wurden seine nicht geringen astronomischen Kenntnisse, an hinterlassenen Schriften könnten die "elementa trigonometriae sphaericae Mhm 1774" und die "tabulae aberrationis et mutationis in ascensionae rectae et declinationam insigniorum 352 stellarum Mhn 1778" angeführt werden(214). Der Lehrstuhl für Experimentalphysik und Mathematik bekleidete Metzger nur für (Seite 109) einen kleineren Zeitraum. Im Frühjahr 1774 wurde er adjungierter Astronomieprofessor des Christian Mayer und diesem eine wertvolle Stütze(215).
Der Exjesuit Philipp Egel (1746 – 1782)(216) aus Mannheim und bisher Professor der Mathematik in Heidelberg oder Mannheim wurde nun mit der Hochschullehrstelle bedacht, unter dem Vorbehalt, dass er in der nächsten Zeit Eignung für sein Amt bewiese(217). Die nötigen Voraussetzungen scheint er erfüllt zu haben, denn bis Mai 1776 wird er als ausserordentlicher Mathematik- und Experimentalphysikprofessor geführt, um von da ab das Ordinariat zu bekleiden, das ihm nach mehreren Gesuchen (1775–1776) zugefallen war. Neben den mit seinem Lehrstuhl verbundenen Fächern lehrt Egel nach dem Tode des Professoren Agricola vorübergehend die theoretische oder speculative Physik, die bei der später erfolgten Trennung des Lehrstuhles der Experimentalphysik und Mathematik mit der Experimentalphysik an den Professoren Schwab fiel(218). Seine mathematischen Vorlesungen hielt er erst dreimal in der Woche, seine physikalischen zweimal, später auf Drängen des Oberkuratels(219) las er täglich 9/10 die reine Mathematik und wöchentlich dreimal die angewandte oder auch experimental genannte Mathematik in Anlehnung an die Anfangsgründe der Mathematik des Freiherrn von Wolf, der "elementa arithmetica" Chr. Mayers und dem Kompendium des Huberti(220). Egel sah die Notwendigkeit der Erhöhung der wöchentlichen Stundenzahl seiner öffentlichen Vorlesungen nicht ein. Es waren auch nur wenige Kandidaten der Philosophie vorhanden, die ein spezielleres Interesse an der Mathematik hatten, und diesen wollte er liebr durch private Vorlesungen eine besssere Einführung in den Stoff, Ausbildung und mehr Anregungen (Seite 110) geben. Die privaten Vorlesungen und ihr Ausbau sind auch ihm wie dem Professoren Mayer die eigentliche Aufgabe als Hochschulprofessor der Mathematik gewesen(221). An veröffentlichten Schriften ist nur die Abhandlung "problema Halleyanum Heidelb. 1775" bekannt(222). Besondere Verdienste hat sich Egel noch erworben um die Instandhaltung und Vermehrung physikalischer und mathematischer Instrumente(223). Es war ein schwerer Verlust (224) und ein grosser Schaden für den mathematischen Unterricht, als er durch Erkrankung — seine schwächliche Natur machte sich schon 1774 geltend und veranlasste ihn damals, eine Bittschrift um Berücksichtigung seiner Lage einzureichen — gezwungen wurde um das Jahr 1780 seine Tätigkeit einzustellen. Man suchte zwar auf Drängen der in Mitleidenschaft gezogenen Kreise durch eine neue Berufung einer vollständigen Unterbrechung des mathematischen Unterrichtes vorzubeugen, aber Unentschlossenheit, ein gewisses Mass von Lässigkeit, aber auch die aufkommende Einsicht, dass man eine Umgestaltung des mathematischen Unterrichtswesens vornehmen müsse, hemmten in ihrem Zusammenwirken die notwendige Entscheidung. Man hatte den Exjesuiten Scherft in Vorschlag gebracht(225), da er sich jedoch einstweilen anders umgesehen hatte und eine Anstellung an einer unteren Schule erhalten hatte, verlegte man sich auf die Berufung des bisherigen "praeses theologorum in seminario maiore" Mathaeus Kübel, dem die von dem verstorbenen Metzger bezogenen 100 Gulden zuerkannt werden sollten(226). Aber Kübel musste vorerst seit November 1780 unentgeltlich neben seinen sonstige Lehrverpflichtungen der Mathematik sein Interesse schenken(227). Dass wir in dieser kritischen Zeit kaum noch von einem mathematischen Unterricht in Heidelberg sprechen können, war nicht Kübels Schuld, nur seiner Uneigennützigkeit und seinem Streben nach einer mathematischen (Seite 111) Lehrstelle haben wir es zu verdanken, dass die Lehre der Mathematik nicht vollkommen aussetzte.
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