Hermann von Helmholtz †.Helmholtz ist am 31. August 1821 in Potsdam geboren. Von seinen Jugendjahren giebt er uns selbst in der am 2. November 1891 bei der Feier seines 70jährigen Geburtsfestes gehaltenen Tischrede eine (Seite 73/2) ansprechende und interessante Schilderung. Sein Vater, Lehrer am Gymnasium in Potsdam, lebte daselbst mit seiner Familie in einfachen und bescheidenen Verhältnissen. Helmholtz nennt ihn einen pflichtstrengen, aber enthusiastischen, für Dichtkunst, besonders für die grosse Zeit der deutschen Literatur, begeisterten Mann. Während Helmholtz unter diesem Einfluss durch seine Erziehung im elterlichen Hause nach humanistischer Richtung hin vorgebildet wurde, entwickelte sich in ihm, wie es scheint, ganz selbständig von früher Kindheit an die Neigung zu geometrischer Betrachtung. Bis zum 7. Jahre ein kränklicher Knabe, spielte er gern mit Bauhölzchen, an denen er die geometrischen Verhältnisse schon vor dem Unterrichte in der Schule aus der Anschauung kennen lernte. Dagegen hatte er, wie er selbst sagt, kein gutes Gedächtniss für „unzusammenhängende Dinge“, für die unregelmässigen Formen der Grammatik alter Sprachen und für Geschichte, während er Verse der alten Dichter und deutsche Gedichte gern lernte und gut behielt. Bald erwachte in ihm in der schönen Umgebung seiner Vaterstadt der Sinn für die Naturbetrachtung, und diese führte ihn zum Nachdenken über die Naturgesetze, deren Kenntniss ihm als der „Zauberschlüssel“ zur Macht über die Natur in den Händen der Menschen erschien.
Aus alten Lehrbüchern der Physik in der Bibliothek seines Vaters, durch allerhand Experimente im Hause mit den einfachsten Hülfsmitteln, erwarb er sich mehr Kenntniss in den Naturwissenschaften, als es sonst bei dem mangelhaften Unterrichte auf dem Gymnasium möglich war. Er gesteht offen, dass er manches Mal in der Klasse, statt Cicero oder Virgil zu lesen, unter dem Tische optische Probleme berechnete, die ihm später bei der Construction des Augenspiegels nützlich waren.
Da die Verhältnisse es nicht gestatteten, das brodlose Studium der Physik zu ergreifen, so wendete er sich nicht ohne Lust dem Studium der Medicin und der belebten Natur zu und wurde 1838 in das militär-ärztliche Friedrich-Wilhelms-Institut zu Berlin als Studirender aufgenommen.
An der Universität Berlin gerieth er sofort unter den Einfluss seines berühmten Lehrers, des geistvollen Anatomen und Physiologen Johannes Müller, welcher in der Physiologie die anatomische mit der physikalischen Richtung so erfolgreich verband. So wurde neben dem Studium der praktischen Medicia das Gebiet der physikalischen Physiologie das Feld der wissenschaftlichen Thätigkeit von Helmholtz. Von grossem Werthe aber war es für ihn, dass er auf diesem Wege gleichstrebende Freunde, E. du Bois-Reymond, Brücke, Ludwig und Virchow antraf, mit denen er unter gegenseitiger Anregung lernte und forschte.
Schon in der Dissertation, „de fabrica systematis nervosi evertebratorum“ 1842, kommt etwas von dem Helmholtz'schen Geiste zum Vorschein. Das unter dem Einfluss von Johannes Müller aus der vergleichenden Anatomie und Physiologie gewählte Thema behandelt hauptsächlich den Zusammenhang der Nervenfasern und Ganglienzellen unter einander. Während Valentin die Ansicht vertrat, dass die Nervenfasern die Ganglienzellen umschlingen und an ihnen vorbeiziehen, nahm Remak an, dass die Nervenfasern aus den Ganglienzellen entspringen. Helmholtz untersuchte trotz der damals noch unvollkommenen Hülfsmittel der mikroskopischen Technik mit grossem Geschick die Ganglien wirbelloser Thiere und fand, dass die Fortsätze vieler Ganglienzellen derselben direct in Nervenfasern übergehen.
Er schliesst daraus, dass es sich bei den Wirbelthieren ebenso verhalten werde, was sich in der That durch die späteren Forschungen bestätigt hat.
Während sich Helmholtz solchen rein physiologischen Untersuchungen neben den praktisch medicinischen Studien hingab, war er beständig mit mathematisch (Seite 74/1) und theoretisch physikalischen Problemen beschäftigt. In der Bibliothek des Friedrich-Wilhelm-Instituts fand er die Werke von Daniel Bernoulli, D'Alembert und anderer Mathematiker des vorigen Jahrhunderts vor, die er in seiner freien Zeit studirte. In ihm lebte die unwiderstehliche Neigung, auf die mechanischen Grundursachen der Erscheinungen in der todten und lebenden Natur zurück zu gehen. „Junge Leute“, sagt er in seiner Tischrede vom 2. November 1891, „greifen am liebsten gleich von vorn herein die tiefsten Probleme an, so ich die Frage nach dem räthselhaften Wesen der Lebenskraft“. Der Streit über das Perpetuum mobile war ihm schon von der Schulzeit her bekannt; nun fing er an, nachdem die Unmöglichkeit eines solchen in der Mechanik anerkannt war, sich die Frage zu stellen: „Welche Beziehungen müssen zwischen den verschiedenen Naturkräften bestehen, wenn allgemein kein Perpetuum mobile möglich sein soll?“ Hiermit verband sich zugleich die Entscheidung über die Existenz einer Lebenskraft im Sinne der alten Lehre von G. E. Stahl, nach welcher die physikalischen und chemischen Kräfte während des Lebens von jener beherrscht werden sollten. „In dieser Erklärung ahnte ich“, sagt Helmholtz, „etwas Widernatürliches; aber es hat mir viel Mühe gemacht, diese Ahnung in eine präcise Frage umzugestalten. Endlich in meinem letzten Studienjahre fand ich, dass Stahl's Theorie jedem lebenden Körper die Natur eines Perpetuum mobile beilegte.“
Bevor noch die Lösung dieser fundamentalen Probleme zur völligen Reife gedieh, erschienen als Früchte der vorbereitenden Arbeit eine Anzahl von schönen Untersuchungen im Gebiete der Physiologie. Im Jahre 1843 veröffentlichte Helmholtz in Müller's Archiv einen Aufsatz „Ueber das Wesen der Gährung und Fäulniss“, in welchem er durch Versuche klar nachwies, dass die Gährung nur durch die unmittelbare Einwirkung der lebenden Hefezellen hervorgebracht wird und nicht durch eine aus der Hefezelle in die Flüssigkeit übergehende Substanz. Er trennte die Zuckerlösung und die hefehaltige Flüssigkeit durch eine poröse Membran und beobachtete, dass die Gährung niemals in der von der Hefe getrennten Flüssigkeit eintrat. Er fand ferner die später von Pasteur noch exacter festgestellte Thatsache, dass niemals Gährung oder Fäulniss eintrat, wenn man erhitzte Luft zu den gekochten Flüssigkeiten zuliess, dass also nicht der Sauerstoff, wie Liebig und Andere meinten, die wesentliche Ursache der Gährungen sei. Auch constatirte er, dass in allen Fällen der Gährung und in den meisten der Fäulniss Mikroorganismen auftraten. Dass sie nicht in allen Fällen bei der Fäulniss erkannt wurden, lag an der Mangelhaftigkeit der damaligen Hülfsmittel. Viele Fäulnissbacterien gehen auch durch Membranen hindurch. So hat Helmholtz auch an den Grundlehren der heute so enorm wichtig gewordenen Bacteriologie mitgearbeitet.
Es folgten zwei Berichte über die „physiologischen Wärmeerscheinungen“ (1845 Encyklop. Handwörterb. d. med. Wiss., 1847 Fortschr. d. Physik), in denen Helmholtz nicht nur eine gute Zusammenstellung der bis dahin ermittelten Thateachen gab, sondern eine physikalische Grundlage für die Lehre von der thierischen Wärme schuf. Er berechnete eine noch jetzt im Ganzen als richtig anerkannte Bilanz der Wärmeeinnahmen und -ausgaben für den menschlichen Körper. In ähnlicher Richtung liegt die wichtige Arbeit „Ueber den Stoffverbrauch bei der Muskelaction“ (Müller's Arch. 1845), durch welche die chemische Aenderung der Muskelsubstanz bei der Thätigkeit zum ersten Male nachgewiesen wurde. Hieran reiht sich die grundlegende Arbeit „Ueber die Wärmeentwickelung bei der Muskelaction“ (vorgetr. 1847 in d. physik.Gesellsch., erschienen 1848 in Müller's Archiv). In dieser Abhandlung wird der Zusammenhang zwischen Arbeit und Wärme im lebenden Muskel dargethan.
(Seite 74/2) Alle diese Arbeiten stehen augenscheinlich in einem nahen Zusammenhange mit den tiefen Problemen über die Kräfte in der todten und lebenden Natur, mit welchen sich Helmholtz beschäftigte. Die Untersuchung über Gährung und Fäulniss widerlegte die Ansicht, dass Fäulniss eine Folge des Erlöschens der sogenannten Lebenskraft sei, die Arbeiten über die thierische Wärme und den Stoffverbrauch im Muskel bewiesen, dass im lebenden Körper die Entwickelung der Kräfte vom chemischen Process abhängig ist.
Es kamen diese Arbeiten unter mancherlei schwierigen äusseren Verhältnissen zu Stande. Helmholtz war nach Beendigung des Studiums als Assistenzarzt in der Berliner Charite thätig und wurde dann als Militärarzt nach Potsdam versetzt. Erst im Herbst 1848 erhielt er eine wissenschaftliche Anstellung als Lehrer der Anatomie an der Berliner Kunstakademie.
Unter solcher Thätigkeit war die fundamentale Abhandlung: „Ueber die Erhaltung der Kraft“, Berlin 1847, (vorgetr. d. 23. Juli 1847 in der physikal. Gesellsch.) zur Vollendung gediehen. Ihre Bedeutung ist zu allgemein bekannt, als dass es nöthig wäre, an dieser Stelle darauf einzugehen. Bekannt ist ferner das Schicksal derselben, welches sie mit den vorangegangenen, aber bis dahin unbekannt gebliebenen Arbeiten von Robert Mayer Anfangs theilte. In Poggendorff's Annalen nicht aufgenommen, erschien sie als selbstständige Schrift, fand aber bei den Physikern der damaligen Zeit nur wenig Beachtung und Verständniss.
Es ist sicherlich kein Zufall, dass das Gesetz von der Erhaltung der Kraft, welches als das Fundament der Naturwissenschaft anerkannt wird, von zwei Medicinern entdeckt worden ist. Die Probleme der lebenden Natur, im Besonderen der Physiologie, drängten in viel stärkerem Maasse zu einer einheitlichen Auffassung der Naturkräfte, als die specielleren Aufgaben, mit denen such die Physik und Chemie damals beschäftigte.
Am meisten zu bewundern ist die mathematische Schärfe, mit welcher Helmholtz dieses Naturgesetz ausdrückte. In der Mathematik war und blieb Helmholtz ein Autodidact; denn er hatte auf der Universität oder später keine Musse, mathematische Vorlesungen zu hören. Auch in späteren Jahren nannte er sich Mathematikern von Fach gegenüber in der grossen Bescheidenheit seines Wesens einen Dilettanten auf diesem Gebiete. Aber dank der genialen mathematischen Begabung war es diesem Dilettanten vorbehalten, mit wunderbarer Leichtigkeit mathematisch-physikalische Probleme zu lösen, an denen sich die Genies eines Euler und Lagrange vergeblich abgemüht hatten, und späterhin auch die reine Mathematik mit neuen Vorstellungen zu bereichern.
Es war ein glücklicher Umstand, dass man damals den Anfang machte, besondere Lehrstühle der Physiologie zu errichten. Als Nachfolger von Brücke wurde Helmholtz im Juli 1849 zum ausserordentlichen Professor der Physiologie und allgemeinen Pathologie in Königsberg ernannt und im Jahre 1852 zum ordentlichen Professor daselbst befördert. Hier waren es zunächst wichtige physiologische Untersuchungen, welche ihn beschäftigten. Er analysirte die Zusammenziehung des Muskels, indem er dieselbe auf eine rotirende Trommel aufzeichnete; er verfeinerte die Pouillet'sche Methode der Zeitmessung, um damit die Geschwindigkeit der Nervenerregung zu messen, die man bis dahin für unmessbar gross gehalten hatte. In diesen für die Nerven- und Muskelphysiologie bahnbrechenden Arbeiten bewies Helmholtz ein bewundernswerthes experimentelles Geschick, mit dem er mancherlei Hindernisse überwand. Er zerstörte die Vorstellung eines Nervengeistes oder -äthers und setzte an dessen Stelle einen mit verhältnisemässig geringer Geschwindigkeit in den Nerven ablaufenden, materiellen Process. (Seite 75/1) Mannigfach angeregt waren diese Untersuchungen durch die bedeutenden Entdeckungen E. du Bois-Reymond's auf dem Gebiete der thierischen Elektricität, über die Helmholtz auch gelegentlich einen zusammenfassenden Bericht erstattete.
Bei allen physiologischen Untersuchungen gerieth Helmholtz, entsprechend seiner Neigung, den Dingen auf den Grund zu gehen, auf das Gebiet der Physik. Im Zusammenhang mit den genannten Arbeiten standen die Untersuchungen „Ueber die Dauer und den Verlauf der durch Stromesschwankungen inducirten elektrischen Ströme“ (Pogg. Annal. 1851), deren mathematische Formel entwickelt und mit Hülfe einer sinnreich construirten Wippe experimentell bestätigt wurde. Ebenso veranlassten thierisch elektrische Versuche du Bois-Reymond's Helmholtz zu einer tief eindringenden mathematisch-physikalischen Betrachtung betitelt „Ueber einige Gesetze der Vertheilung elektrischer Ströme in körperlichen Leitern mit Anwendung auf die thierisch-elektrischen Versuche“ (Pogg. Annal. 1853). Doch dies sind nicht die einzigen Gegenstände, welche Helmholtz in den ersten Jahren seines Königsberger Aufenthaltes beschäftigten. In der Stille seines Laboratoriums reifte eine Erfindung von grosser Tragweite, welche seinen Namen weit über die Grenzen Deutschlands hinaus berühmt machen sollte, bevor noch das Gesetz von der Erhaltung der Kraft allgemein durchgedrungen war. Aus der unscheinbaren Beobachtung Brücke's über das Augenleuchten entsprang der von Helmholtz construirte Augenspiegel, dessen hohe praktische Bedeutung von den Augenärzten bald erkannt wurde. Helmholtz theilt in der oben erwähnten Tischrede selbst mit, dass er auf die Idee des Augenspiegels gekommen sei, während er seinen Zuhörern die Theorie des Augenleuchtens klar zu machen suchte. Mit den einfachsten Hülfsmitteln, einigen zusammen gekitteten Deckgläschen , wurde der erste Spiegel zusammengesetzt, und nach dem überraschendsten Erfolge wurde das Instrument weiter vervollkommnet. Die im Jahre 1851 erschienene Schrift „Beschreibung eines Augenspiegels zur Untersuchung der Netzhaut im lebenden Auge“ brachte eine Umwälzung in der Augenheilkunde hervor. Bis dahin waren, wie ein berühmter Ophthalmologe sagte, nicht nur die Kranken, sondern auch die Augenärzte blind; denn sie konnten nicht sehen, was in dem kranken Auge vorging. Der Augenspiegel erhellte mit einem Schlage ein noch ganz dunkles Gebiet der Heilwissenschaft; seine Anwendung führte zu Heilmethoden, welche einer grossen Zahl von Menschen das Augenlicht erhalten oder wiedergegeben haben. Die Erfindung des Augenspiegels hat Helmholtz zu einem Wohlthäter der Menschheit gemacht.
Gleichzeitig begannen eine grosse Reihe von Arbeiten auf dem Gebiete der physiologischen und physikalischen Optik. Zugleich mit einer Rede „Ueber die Natur der menschlichen Sinnesempfindungen“, gehalten 1852 bei der Ernennung zum ordentlichen Professor, in welcher die Lehre von der specifischen Energie der Nerven auf die Farbenempfindung angewendet wurde, erschienen Arbeiten „Ueber die Theorie der zusammengesetzten Farben“ (Pogg. Annal. 1852) und „Ueber Herrn D. Brewster's neueste Analyse des Sonnenlichtes“ (Pogg. Annal. 1852), welche die Brewster'schen Ansichten widerlegten und an die Stelle der falschen Methode der Farbenmischungen mit Pigmenten die Mischung der Spectralfarben setzten. Die Methode wurde durch die bald folgende Arbeit „Ueber die Zusammensetzung von Spectralfarben“ (Pogg. Annal. 1855) ausserordentlich vervollkommnet und damit die Reihe der complementären Farbenpaare des Spectrums festgestellt. Diese Arbeiten legten den Grund zu der auf den Ansichten von Thomas Young aufgebauten Theorie der Farbenempfindung, die erst in dem später erschienenen „Handbuche der physiologischen Optik“ zur Vollendung kam. Hieran schlossen sich Untersuchungen „Ueber die (Seite 75/2) Empfindlichkeit der menschlichen Netzhaut für die brechbarsten Strahlen des Sonnenlichtes“ (Pogg. Ann. 1855), in denen das ultraviolette Licht durch Reinigung des Spectrums zur Wahrnehmung gebracht wurde. Mit einem Schüler E. Esselboch wurden nach einer neuen Methode durch Beobachtung der sogen. Talbot'schen Linien die Wellenlängen des ultravioletten Lichtes gemessen. Helmholtz beschäftigte sich ferner mit der Accommodation des Auges. Er fand selbständig die schon von Cramer gesehene Verkleinerung des Spiegelbildes der vorderen Linsenfläche bei der Accommodation für die Nähe und construirte ein sehr sinnreiches Instrument, „das Ophthalmometer“, um die Grösse der Spiegelbilder des Auges unabhängig von dessen Bewegungen genau zu messen. Hiermit war die Theorie der Accommodation vollständig gegeben, welche bis dahin ein Räthsel gewesen war. In der im Jahre 1856 erschienenen Arbeit „Ueber die Accommodation des Auges“ (Graefe's Arch. f. Ophthalmologie II.) sind die mit dem Ophthalmometer ausgeführten Messungen über die Krümmung der brechenden Flächen des Auges niedergelegt, welche vielen nachfolgenden Arbeiten in diesem Gebiete als Muster gedient haben. Das Ophthalmometer ist für die wissenschaftliche Augenheilkunde neben dem Augenspiegel ein sehr wichtiges Instrument geworden; die Lehre von der Kurz- und Weitsichtigkeit ist durch seine Anwendung wesentlich gefördert worden.
Im Herbst 1855 war Helmholtz nach Bonn übergesiedelt, um dort den Lehrstuhl der Physiologie einzunehmen. Eine Frucht weiterer optischer Untersuchungen war das von Helmholtz construirte Telestereoskop, welches für die Theorie des Sehens mit beiden Augen von Interesse ist; durch dieses erblickt man eine Landschaft mit beiden Augen von zwei Standpunkten aus, welche weiter von einander als die Augen entfernt sind. Die Landschaft erscheint daher wie ein in die Nähe gerücktes Modell. Andere kürzere physiologische Arbeiten aus dieser Zeit sind die über die Bewegungen des Brustkastens und die Wirkungen der Muskeln des Armes. Die erstere behandelt die Art der Rippenbewegung und zeigt, dass die Rippen beim Heben und Senken auch um ihre Längsaxe tordirt werden. In der zweiten wurden die Wirkungen der Muskeln an den Gelenken durch ihre Verkürzungen und Verlängerungen bei der Bewegung bestimmt. Im Uebrigen wendet sich das Interesse von Helmholtz neben den optischen hauptsächlich akustischen Untersuchungen zu. Schon im Jahre 1850 hatte Helmholtz in einem „Bericht über die theoretische Akustik betreffenden Arbeiten vom Jahre 1848 und 1849“ (Fortschritte der Physik IV.) Fragen aus diesem Gebiete eingehend bearbeitet. Seine erste experimentelle und theoretische Untersuchung in diesem Gebiete beschäftigte sich mit der Entstehung der Combinationstöne (Ueber Combinationstöne, Pogg. Annal. 1856). Er beobachtete, dass ausser dem schon bekannten tieferen Combinationstöne, dem Differenztone, dessen Schwingungszahl gleich der Differenz der Schwingungszahlen zweier Töne ist, ein höherer, der Summationston, existirt. Zum Zwecke der Untersuchung stellte er reine, einfache Töne ohne Obertöne mit Hülfe von Stimmgabeln und Resonatoren her. Er leitete aus den Formeln für die akustischen Schwingungen theoretisch ab, dass die Combinationstöne in vielen Fällen objectiv in der Luftmasse oder in dem Trommelhöhlenapparat entstehen müssen, wenn man berücksichtigt, dass die Excursion der schwingenden Theilchen nicht als verschwindend klein gegen die Wellenlänge zu betrachten ist. Von grosser Bedeutung ist die Arbeit „Ueber die Klangfarbe der Vocale“ (Pogg. Annal. 1859). In ihr wird die Theorie des Klanges auf experimenteller Grundlage errichtet. Es gelingt Helmholtz, die Vocale künstlich mit Stimmgabeln und Resonatoren zu erzeugen (Seite 76/1) und somit nachzuweisen, dass sie Klänge sind, deren Verschiedenheit auf dem Verhältniss des Grundtones zur Zahl und Intensität der Obertöne beruht. In der Analyse der Sprachlaute, in der Physiologie der Gehörsempfindungen war hiermit ein epochemachender Fortschritt geschehen. Das Dunkel, welches die Räthsel des Ohrlabyrinthes umhüllte, ward plötzlich erhellt; die Resonanzhypothese, nach welcher die Schnecke des Ohres abgestimmte Endapparate der Hörnervenfasern enthält, erklärte mit einem Schlage die verschiedensten Vorgänge der Gehörswahrnehmungen. In dem bekannten Werke „Die Lehre von den Tonempfinduugen“ (Braunschweig 1862, 4. Aufl. 1877) hat Helmholtz diese und viele andere Untersuchungen, vielfach experimentell und theoretisch erweitert und vertieft, in gemeinverständlicher Darstellung einem grösseren Leserkreise zugänglich gemacht und hierdurch für die wissenschaftliche Theorie der Musik Grosses geleistet.
Im Jahre 1858 wurde Helmholtz nach Heidelberg berufen, um dort Physiologie zu lehren. Wichtige Specialarbeiten, welche zum Aufbau und weiteren Ausbau der gesammten Lehre von der Klangerzeugung und Wahrnehmung dienten, schlossen sich bald an die schon genannten Arbeiten an. Darunter namentlich „Die Theorie der Luftschwingungen in Röhren mit offenen Enden“ (1859, Journ. f. reine und angew. Mathematik, Bd. LVII) und „Ueber den Einfluss der Reibung in der Luft auf die Schallbewegung“ (1863, Verh. d. nat.-med. Vereins Heidelberg). Die mathematische Theorie von Bernoulli, Euler und Lagrange stimmte mit der Erfahrung nicht genügend überein, weil sie der Einfachheit der Rechnung wegen annahmen, dass die parallel mit der Axe der Röhre gerichteten, ebenen Schwingungen der Lufttheilchen nur bis zum offenen Ende reichten und hier plötzlich in die kugeligen Wellen des Raumes übergingen. Helmholtz weist durch die mathematische Analyse nach, dass die ebenen Wellen der Röhre sich noch etwas über die Mündung ausbreiten, indem sie sich allmälig in kugelige Wellen verwandeln, und entwickelt mit Hülfe des Green'schen Satzes die für diesen Vorgang gültigen Formeln. Schon hierdurch und noch vollständiger nach Berücksichtigung der Reibung der Lufttheilchen kommt eine befriedigende Uebereinstimmung zwischen der theoretisch geforderten und experimentell ermittelten Röhrenlänge der Pfeifen zu Stande. Diesen rein physikalischen Untersuchungen folgten später physiologische über die Vorgänge des Hörens. In der Arbeit „Die Mechanik der Gehörknöchelchen und des Trommelfells“ (Pflüger's Archiv 1869) sind neue wichtige anatomische Beobachtungen über die Gestalt des Trommelfells, über die Befestigung der Gehörknöchelchen und ihre Gelenkverbindungen enthalten. Helmholtz erklärt die wunderbare Eigenschaft des Gehörapparates, auf Töne der verschiedensten Höhe in weiten Grenzen gleich gut zu reagiren, aus der bis dahin nicht beachteteten, trichterförmigen Gestalt des Trommelfells und seiner Verbindung mit den Gehörknöchelchen. Er entdeckt die eigentümliche sperrzahnartige Gelenkverbindung zwischen Hammer und Amboss, welche dazu bestimmt ist, die Schwingungen zu übertragen und befestigt so die Lehre Ed. Weber's, dass die Gehörknöchelchen als ein Ganzes pendelartige Schwingungen ausführen. In einer weiteren Arbeit „Ueber die Schallschwingungen in der Schnecke des Ohres“ (1869, Verhandlung. des naturh.-medic. Vereins Heidelberg) modificirt Helmholtz die von ihm aufgestellte Resonanzhypothese, indem er nach Hensen die in ihrer Breite wechselnde Basilarmembran als hauptsächlich mitschwingenden Apparat an Stelle der Corti'schen Bogen betrachtet und durch Rechnung nachweist, dass eine isolirte Schwingung einzelner Querstreifen der Membran möglich sei. Alle diese Folgerungen aus den erwähnten Untersuchungen wurden in ihrem Znsammenhange mit den älteren Forschungen (Seite 76/2) der zweiten Auflage der „Tonempfindungen“ (1870) eingereiht.
Während dieser fruchtbaren Thätigkeit in dem Gebiete der Akustik ruhten auch die optischen Arbeiten nicht. Helmholtz beschäftigte sich in dieser Zeit vielfach mit der weiteren Ausarbeitung der Farbenlehre, mit den Zuständen der Farbenblindheit und den farbigen Contrasten. Eine sehr bedeutende Förderung erfuhr aber durch ihn die Lehre vom Sehen mit beiden Augen und von den Augenbewegungen. In den Arbeiten „Ueber die Form des Horopters, mathematisch bestimmt“ (1862) und „Ueber den Horopter“ (1864, Graefe's Archiv) behandelt er diesen schwierigen Gegenstand in erschöpfender Weise und mit mathematischer Strenge. Eine hervorragende Leistung ähnlicher Art ist die Arbeit „Ueber die normalen Bewegungen des menschlichen Auges“ (1863, Graefe's Archiv), in welcher ein zuerst von Listing ausgesprochenes, wichtiges Gesetz der Augenbewegung experimentell bestätigt und durch mathematische Analyse streng bewiesen wird. Bewundernswerth ist Helmholtz in allen seinen Arbeiten in der Erfindung einfacher und exacter Beobachtungsmethoden. Sehr schwierig war es bis dahin, bei den genannten optischen Untersuchungen, dem Auge eine feste Lage im Kopfe und gegen einen Punkt des Gesichtsfeldes zu geben. Dies erreicht Helmholtz auf sinnreiche Art, indem er einen Abdruck des Gebisses zwischen die Zähne nimmt und an dem herausragenden Ende desselben ein Sehzeichen für die Augen anbringt.
Neben anderen optischen Arbeiten gedieh das „Handbuch der physiologischen Optik“ bis zum Jahre 1866 zur Vollendung. In diesem ist das gesammte Gebiet dieses Gegenstandes sowohl literarisch als auch nach den eigenen Untersuchungen mit erstaunlicher Gründlichkeit und Vollständigkeit bearbeitet --- ein Werk von bedeutendem Umfange, welches noch für lange Zeit eine Fundgrube des Wissens für den Physiker, Physiologen und Ophtalmologen sein wird.
Ausser über das Gebiet der Sinne, erstreckten sich die Untersuchungen Helmholtz' während der Heidelberger Periode auch über das Gebiet der Nerven- und Muskelphysiologie, zu welchen die Vorlesungen über Physiologie und die Arbeiten im Laboratorium die beständigen Anregungen gaben. Hier entstanden die interessanten und wichtigen Arbeiten „Versuche über das Muskelgeräusch“ (1864) und „Ueber den Muskelton“ (1866), welche über das bis dahin wenig verstandene Muskelgeräusch Aufklärung gaben und zeigten, dass die Theilchen der Nerven und Muskeln einer sehr schnellen Oscillation ihres Zustandes fähig sind. Die akustische Analyse des natürlichen Muskeltones bei der willkürlichen Contraction ergab die Schnelligkeit der Impulse, welche von den Centralorganen erregt werden. Es wurden ferner als Fortsetzung älterer Untersuchungen mit einem Schüler „Versuche über Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizung in den motorischen Nerven des Menschen“ (1870) angestellt, welche mit Hülfe neuer Apparate zu recht genauen Resultaten führten. Zu erwähnen ist auch, dass die Anwendung eines beweglichen Kautschukschlauches zwischen den Ballons der Quecksilberluftpumpe, die ursprünglich zur Blutentgasung diente, von Helmholtz herrührt. Erst hierdurch wurde der viel angewendete Apparat zu einem praktisch brauchbaren.
Indem hiermit die eigentlich physiologischen Arbeiten Helmholtz', abgesehen von einigen späteren Aufsätzen über Physiologie und Phsychologie der Sinnesempfindungen, abschliessen, ist es am Orte, auch seiner Wirksamkeit als Lehrer der Physiologie zu gedenken. Helmholtz trug in Heidelberg nicht nur die gesammte Physiologie vor, sondern behandelte noch die Physiologie des Gesichts- und Gehörssinnes ausführlicher in einer besonderen Vorlesung. Ausserdem hielt er populäre Vorlesungen für Studirende aller Facultäten über die (Seite 77/1) allgemeinen Ergebnisse der Naturforschung, sowohl nach kosmologischer, als nach anthropologischer Richtung. Helmholtz gehörte nicht zu denjenigen akademischen Lehrern, welche durch oratorische Beredtsamkeit glänzen. Dafür wirkte er auf den Zuhörer andauernd und nachhaltig durch die Einfachheit und Klarheit seines Vertrages. Seine Redeweise war der unmittelbare Ausdruck der in ihm lebendig arbeitenden Gedanken und fesselte hierdurch in hohem Grade die Aufmerksamkeit des Zuhörers. Hierzu gesellte sich aber vor allem der Eindruck einer imponirenden geistigen Grösse, welche sich in der Persönlichkeit von Helmholtz ausprägte. Noch grösser war sein Einfluss auf diejenigen, welche ihm als Schüler im Laboratorium näher traten. Eine ansehnliche Zahl von jüngeren Physiologen und Ophthalmologen kamen nach Heidelberg, um hier die von Helmholtz erfundenen Methoden kennen zu lernen und Anregung zu neuen Untersuchungen zu empfangen. Wer das Glück gehabt hat, Helmholtz experimentiren zu sehen, wird den Eindruck nicht vergessen, welchen das zielbewusste Handeln eines überlegenen Geistes bei der Ueberwindung mannigfacher Schwierigkeiten hervorruft. Mit den einfachsten Hülfsmitteln, aus Kork, Glasstäben, Holzbrettern, Pappschachteln u. dergl. entstanden Modelle sinnreicher Vorrichtungen, bevor sie den Händen des Mechanikers anvertraut wurden. Kein Missgeschick war im Stande, die bewundernswerte Ruhe und Gelassenheit, welche dem Temperament von Helmholtz eigen war, zu erschüttern; auch das Ungeschick eines Anderen konnte sie nie aus ihrem Gleichgewicht bringen. Diejenigen, welche Jahre lang unter seiner Leitung thätig waren, haben ihn bei solchen Anlässen niemals in Erregung gesehen.
Auf die oben erwähnten Gebiete beschränkten sich die Arbeiten von Helmholtz während seines Heidelberger Aufenthalts keineswegs. Im Jahre 1858 erschien eine Abhandlung „Ueber Integrale der hydrodynamischen Gleichungen, welche den Wirbelbewegungen entsprechen“ (Crelle's Journal f. reine u. angewandte Mathematik), welche als eine glänzende, epochemachende Leistung im Felde der analytischen Mechanik anzusehen ist. Offenbar ist sie die Frucht langjährigen Denkens gewesen, welches vermuthlich mit dem frühzeitigen Studium der Werke von Euler und Lagrange begonnen hat und durch mannigfache Beobachtungen über Flüssigkeits- oder Blutströmung angeregt worden ist. Euler und Lagrange hatten die hydrodynamischen Gleichungen für das Gleichgewicht und die Bewegung von Flüssigkeiten aufgestellt, aber man konnte mit ihnen nur solche Probleme lösen, bei denen die Reibung keine Rolle spielt. Zu den Wirkungen der Reibung gehören auch die Wirbelbewegungen in Flüssigkeiten. Man kann sie beobachten, wenn man z. B. die Spitze eines Löffels oder eine halb eingetauchte Kreisscheibe schnell in der Flüssigkeit vorwärts bewegt und herauszieht. Es bilden sich Wirbelringe, welche die merkwürdigsten Eigenschaften zeigen. Wirbelringe schreiten mit einer gewissen Geschwindigkeit in der Richtung ihrer Axe vorwärts, indem die darin befindlichen, rotirenden Wassertheilchen immer dieselben bleiben. Zwei in derselben Richtung fortschreitende Wirbelringe wirken derart auf einander ein, dass der hintere den vorderen einholt, indem der letztere sich erweitert, der erstere sich verengt und durch den anderen hindurchgeht, ein Spiel, welches sich periodisch wiederholt. Auf die umliegenden Wassertheilchen hat ein Wirbelring dieselbe Wirkung, wie ein durch ihn fliessender elektrischer Strom auf umgebende magnetische Massen. Diese wunderbare Analogie ist die Grundlage der hydrodynamischen Theorie der Elektricität geworden, welche zur Maxwellschen elektrischen Lichttheorie und den Entdeckungen von Hertz in enger Beziehung steht.
Bald darauf wurden unter der Leitung von Helmholtz Versuche „Ueber die Reibung tropfbarer (Seite 77/2) Flüssigkeiten“ (1860) (angestellt von v. Piotrowsky) ausgeführt, in welchen die Schwingungen einer nm verschiedenen Flüssigkeiten gefüllten Metallkugel beobachtet wurden. Unter diesen einfachen Bedingungen konnte bei Einführung der Reibung in die hydrodynamischen Gleichungen aus diesen eine Reibungsconstante berechnet werden.
In einer späteren Arbeit (1868) behandelt Helmholtz „Die discontinuirlichen Flüssigkeitsbewegungen“, welche auftreten, wenn Flüssigkeit an einer scharfen Kante vorbeiströmt. Wenn eine Strömung durch eine Oeffnung mit scharfen Rändern in einen weiten Raum eintritt, so müssten sich nach den hydrodynamischen Gleichungen in einer imcompressiblen Flüssigkeit ohne Reibung die Stromlinien ebenso nach allen Seiten hin vertheilen, wie die der fliessenden Elektricität oder der geleiteten Wärme. Dass dies nicht der Fall ist, ergiebt die Beobachtung an einem mit Rauch imprägnirten Luftstrahl, der aus einem Rohre in ruhige Luft austritt. An der scharfen Kante entsteht eine Trennungsfläche, an welcher der Druck negativ wird und die Flüssigkeit gleichsam zerreisst. Die Oberflächen eines solchen Strahles befinden sich in einem sehr labilen Gleichgewichte und lösen sich daher durch geringe Störungen, durch Stoss und Reibung, leicht in Wirbel und spiralige Windungen auf. Helmholtz entwickelt die mathematische Theorie dieser Bewegung für den entgegengesetzten Fall, dass Flüssigkeit aus einem weiten Räume in einen engen Kanal übergeht.
Es wurden ferner unter der Leitung von Helmholtz Beobachtungen über das Verhalten suspendirter Körperchen im Strome an Capillarröhren und weiteren Röhren augestellt, und gefunden, dass sie, gleichsam von den Wänden abgestossen, nach der Axe des Stromes hinstreben. Dieselbe Erscheinung bemerkt man an den rothen Blutkörperchen in den mikroskopisch betrachteten, kleinen Blutgefässen. Nach einer Theorie von W. Thomson soll dagegen ein in einer nicht reibenden Flüssigkeit auf eine senkrechte Wand fallender Körper zu diesem hingedrängt werden. Dies ist auch bei sehr schweren Körpern, z. B. Schrotkugeln in cylindrischen Röhren der Fall. Bei leichteren Körpern, z. B. Wachs, findet dagegen das umgekehrte statt, weil sich der Einfluss der Reibung stärker geltend macht. Helmholtz gelangt zu der Regel, dass bei geringen Geschwindigkeiten die schwimmenden Körper sich immer an diejenigen Orte begeben, wo ihre Anwesenheit die geringste Vermehrung der Reibung in der Flüssigkeit hervorbringt. Die mathematische Betrachtung zeigt, dass diese Probleme ohne Berücksichtigung der quadratischen Glieder der Geschwindig-keitscomponenten nicht gelöst werden können. („Zur Theorie der stationären Ströme in reibenden Flüssigkeiten“, 1869).
Im Anschluss an die genannten Arbeiten erschien 1873 eine Abhandlung, in welcher eine Anwendung der Resultate auf das Problem, Luftballons zu lenken, gemacht wurde. Obgleich nur in wenigen einfachen Fällen unter Berücksichtigung der Reibung die hydrodynamischen Differentialgleichungen einer Lösung durch Integration zugänglich sind, so können sie doch, wie Helmholtz zeigt, dazu dienen, um die Beobachtnngsresultate, welche an einer Flüssigkeit und Apparaten von gewisser Grösse und Geschwindigkeit gewonnen worden sind, auf geometrisch ähnliche Massen einer anderen Flüssigkeit und Apparate von anderer Grösse und Bewegungsgeschwindigkeit zu übertragen. Aus den Erfahrungen über die Geschwindigkeit von Dampfern, ihrer Grösse und dem Gewicht ihrer Kraftmaschinen lassen sich Schlüsse über die Grösse von Ballons und der zur Erreichung gewisser Geschwindigkeiten nöthigen Stärke eines Motors ziehen, dessen Gewicht eine gewisse Grenze nicht überschreiten darf.
Inzwischen lenkte Helmholtz sein Interesse wiederum der Elektricität zu, deren Gesetze mit denen der (Seite 78/1) Hydrodynamik so nahe Beziehungen zeigte. Er beschäftigte sich Zunächst mit den Problemen der elektrischen Vertheilung und Strömung. Als aber von Cl. Maxwell eine auf Faraday's Anschauungen aufgebaute, neue Theorie der Elektricität aufgestellt war, welche eine wellenartige Ausbreitung der elektrodynamischen Wirkungen in den Raum folgerte, kam Helmholtz auf die fruchtbare Idee, die elektrischen Oscillationen, welche an den Entladungen der Leydener Flasche and des Inductoriums beobachtet waren, zur experimentellen Prüfung der vorhandenen elektrischen Theorien zu benutzen. Er untersuchte den Ablauf der Oscillationen in Inductionsspiralen, welche mit einem Condensator verbunden wurden, mit Hülfe des stromprüfenden Froschschenkels und bestimmte die Zahl und Dauer der Oscillationen mit einem hierzu construirten Pendelunterbrecher („Ueber elektrische Oscillationen“, 1869.) Er fand ferner, dass die Ausbreitung inconstanter Ströme in körperlichen Leitern eine andere ist als die der constanten Ströme, was sich ebenfalls mit Hülfe des stromprüfenden Froschschenkels zu erkennen gab. Die Theorie der inconstanten Strömungen und der Oscillationen war schon von Kirchhoff auf der Grundlage des Weber'schen elektrodynamischen Gesetzes entwickelt worden. Helmholtz zeigte nun, dass die von F. E. Neumann, von W. Weber und zuletzt von Maxwell aufgestellten Grundgleichungen der elektrischen Bewegung, welche für geschlossene Ströme zu denselben Resultaten führen, sich für die in ungeschlossenen Kreisen bewegenden Oscillationen nur durch den Werth einer constanten Grösse unterscheiden, welche nach Neumann gleich +1, nach Maxwell gleich 0, und nach Weber gleich -1 zu setzen ist. Helmholtz prüfte diese Theorien und kam zu dem Resultate, dass die Weber'sche Theorie mit dem Gesetz von der Erhaltung der Kraft nicht vereinbar sei. Denkt man sich die von einem Centrum in einem unendlich ausgedehnten, leitenden Medium ausgehende elektrische Bewegung in transversale und longitudiuale Wellen zerlegt, so erhält man bei dem Werthe der Constanten = 1 für die Geschwindigkeit der longitudinalen Wellen die des Lichtes; nach der Maxwell'schen Theorie aber ist diese Geschwindigkeit unendlich gross, d. h. die longitudinalen Wellen existiren gar nicht und die elektrische Bewegung besteht wie die des Lichtes nur aus Transversalschwingungen. Diese fundamentalen Fragen der Elektricitätslehre wurden von Helmholtz in drei längeren Abhandlungen (Journal f. reine u. angewandte Mathematik 1870, 1873, 1874) kritisch erörtert. Eine experimentelle Entscheidung war nur durch Versuche möglich, in denen eine Fortpflanzung der elektrischen Schwingungen nachgewiesen werden konnte. Helmholtz ermittelte, dass die Oscillationen in Inductionsspiralen sich durch den Raum mit einer Geschwindigkeit fortpflanzen, welche grösser als 42,4 geographische Meilen in der Secunde sein müsste, wenn sie überhaupt eine messbare ist. Doch diese Methoden konnten wegen der Unzulänglichkeit irdischer Distanzen und Kräfte nicht zur Entscheidung führen, aber sie gaben die Anregung zu den späteren Entdeckungen von Hertz, welcher die Wellennatur der elektrischen Bewegung durch Interferenz, Reflexion und Brechung der sich ausbreitenden Oscillationen bewiesen hat.
Nicht nur die in der Physik angewendete Mathematik, sondern auch die rein theoretischen Probleme dieser Wissenschaft fanden in Helmholtz einen Bearbeiter. Von der Physiologie der Sinne ausgehend, wurde Helmholtz zur philosophischen Untersuchung über die Principien der Geometrie geleitet. („Ueber die Thatsachen, welche der Geometrie zu Grunde liegen“. 1868, Königl. Gesellsch. d. Wissensch. Göttingen.) Dieses Thema war von Riemann schon in sehr allgemeiner Weise behandelt worden, welcher die Geometrie eines Raumes von beliebig vielen Dimensionen untersuchte. Die (Seite 78/2) hiervon unabhängig gewonnenen Resultate von Helmholtz waren zum Theil in den Riemann'schen schon implicite enthalten. Sehr interessante Anwendungen hiervon giebt Helmholtz in seinem später bekannten Vortrage „Die Thatsachen in der Wahrnehmung“. Auch in einem anders gestalteten, z. B. in einem sphärischen oder pseudosphärischen Raume würden wir uns mit Hülfe der Erfahrungen im Gebiete der Sinnesempfindungen und der Bewegungen des Körpers zurecht finden und die diesem Räume entsprechenden Axiome der Geometrie ableiten. Diese Axiome sind daher nicht, wie Kant angenommen, durch transcendentale Anschauung gegeben, sondern durch die Erfahrung erworben.
Ueberblickt man die grosse Reihe hervorragender Arbeiten auf den verschiedensten Gebieten, welche Helmholtz während seines 12- bis 13jährigen Aufenthaltes in Heidelberg vollendete, so erstaunt man im höchsten Grade über die enorme Fruchtbarkeit seines Geistes. Helmholtz befand sich in dieser Zeit, im kräftigsten Mannesalter stehend, auf der Höhe seiner geistigen Leistungsfähigkeit. Wenn grosse Männer auch unter schwierigen Verhältnissen ihren Ideen Geltung zu verschaffen vermögen, so sind sie doch von äusseren Umständen nicht ganz unabhängig. Es muss daher als ein glücklicher Umstand gepriesen werden, dass es Helmholtz vergönnt war, in dieser Zeit in Heidelberg zu leben und zu wirken. Hier hatten Bunsen und Kirchhoff die Spectralanalyse entdeckt, hier erfreute sich Helmholtz des wissenschaftlichen und persönlichen Verkehrs hervorragender Männer auf dem Gebiete der Naturwissenschaft und anderer Wissenschaften, hier konnte er in der heiteren, fröhlichen Natur neue Kraft zu schöpferischen Gedanken sammeln. Nicht im Studirzimmer, sondern auf Spaziergängen in Feld und Wald kamen ihm, wie er in seiner Tischrede vom 2. Nov. 1891 sagte, die besten Ideen.
Helmholtz hatte sich nach Verlust seiner ersten Frau in Heidelberg zum zweiten Male verheirathet. Sein Leben gestaltete sich hierselbst, an der Seite seiner Gemahlin, der Tochter des vormaligen badischen Bundestagsgesandten v. Mohl, innerhalb eines ansehnlichen Freundeskreises in jeder Richtung als ein freudiges. Ernste Arbeit und heitere, edle Geselligkeit war die Signatur des Helmholtz'schen Hauses.
Als der Physiker Magnus in Berlin gestorben war, lag es nahe, an die Berufung von Helmholtz als Professor der Physik an die Universität Berlin zu denken. Diese Berufung kam in der That zum 1. April 1871 nach glücklicher Beendigung des Krieges zustande. Es war natürlich, dass das neue Deutsche Reich die Koryphäen der Wissenschaft in der Reichshauptstadt zu sammeln strebte. Helmholtz konnte von nun ab seine ganze Kraft der Physik widmen, der er von vornherein am meisten zugeneigt war. Wohl mochten es die Physiologen bedauern, einen solchen Mann aus ihrer Mitte scheiden zu sehen. Indessen es war einleuchtend, dass Helmholtz als Physiker nicht nur der Physik, sondern auch der Wissenschaft im Allgemeinen und ebenso der Physiologie, deren Grundlage ja die Physik im allgemeinsten Sinne ist, weit mehr Gewinn bringen konnte, als in seiner bisherigen Stellung.
In der Gedächtnissrede auf Magnus, dessen experimentelle Verdienste er gebührend würdigte, betonte Helmholtz den hohen Werth der mathematischen Theorie, welche bei dem erreichten Standpunkte der Wissenschaft einen bestimmenden Einfluss auf den Gang der experimentellen Untersuchung gewonnen habe. Beide Richtungen, die experimentelle und theoretische, haben sich gegenseitig zu durchdringen und zu ergänzen.
Die Arbeiten, mit denen sich Helmholtz und eine grosse Zahl von seinen Schülern in Berlin beschäftigten, gehörten vornehmlich der Elektricitätslehre an, welche ja auch im öffentlichen Leben in dieser Zeit eine so grosse praktische Bedeutung gewann. Helmholtz (Seite 79/1) untersuchte die Vorgänge der elektrischen Polarisation und erklärte das Fortbestehen elektrischer Ströme in einem von schwachem Strom durchflossenen Voltameter aus der Absorption und Occlusion der Gase in demselben, vermöge der sogen. „Convection“. Daran knüpften sich Untersuchungen über galvanische Ströme, welche durch Concentrationsunterschiede von Flüssigkeiten entstehen, ferner über Ströme, welche durch Erschütterung am polarisirten Platin hervorgerufen werden. Hieran schloss sich ferner eine eingehende Theorie über die elektrische Strömung in zersetzbaren Flüssigkeiten und die Vorgänge der Elektrolyse und Polarisation. In den „Studien über elektrische Grenzschichten“ (1879) entwickelte Helmholtz die Vorstellung von der „elektrischen Doppelschicht“, welche man sich an Stelle eines Potentialsprunges, an der Grenze chemisch-differenter Körper denken kann. Hierdurch sind die Beziehungen chemischer und elektrischer Kräfte dem Verständniss wesentlich näher gerückt worden. Von diesen Untersuchungen aus ist Helmholtz in seinen Abhandlungen über „Die Thermodynamik chemischer Vorgänge“ (1882) wieder zu dem Gebiete der allgemeinen Energielehre zurückgekehrt und hat die Beziehungen zwischen den Gesetzen der Wärme, der Elektricität und des Chemismus in mathematische Formeln gebracht, welche es sehr wahrscheinlich machen, dass chemische Valenzen und elektrische Potentiale der Atome identisch sind. Die elektrochemischen Processe erscheinen hiernach als eine, nach den Coordinaten des Raumes geordnete, die Wärme als eine ungeordnete Molecular- und Atombewegung.
Helmholtz hat auch als Lehrer der Physik nicht aufgehört, der Physiologie und Medicin näher stehende Gegenstände zu bearbeiten. So hat er über die theoretische Grenze für die Leistungsfähigkeit der Mikroskope Sätze abgeleitet, welche für die Deutung der bei sehr starker Vergrösserung gesehenen Bilder von grosser Wichtigkeit sind. Besonders interessirten ihn bis in die letzten Jahre seines Lebens die physiologische Optik und die sich an dieselbe knüpfenden psychologischen Probleme der Erkenntniss. Er stellte Untersuchungen an über das sogen. Tapetenphänomen, über Wahrnehmung kleinster Helligkeitsunterschiede, über die Anwendung des Fechner'schen psychophysischen Gesetzes der Empfindung auf die Farbenwahrnehmung. Unter seiner Anregung sind eine neue Reihe von Beobachtungen über Farbenempfindungen ausgeführt worden. Eine zweite Auflage des „Handbuches der physiologischen Optik“ wurde von ihm unter Mithülfe von A. König begonnen, leider nicht zu Ende geführt.
Auf mehrfachen Ferienreisen in den Alpen und an das Meer hat Helmholtz Erholung und zugleich Belehrung über das grossartige Werk der Naturkräfte gesucht. Eine Frucht solcher Beobachtungen waren unter anderen Versuche über die Bildung des Gletschereises durch starke Compression (1865). Gleichzeitig mit seinem talentvollen, leider so früh verstorbenen Sohne Robert v. Helmholtz wendete er sein Interesse auch meteorologischen Problemen zu. Im Jahre 1889 hielt Helmholtz auf der Naturforscherversammlung in Heidelberg in der physikalischen Section einen inhaltreichen, geistvollen Vortrag über Wind und Meereswellen nach Beobachtungen, welche er am Cap d'Antibes angestellt hatte. Von hydrodynamischen Principien ausgehend, betrachtete Helmholtz das Verhalten von übereinander sich bewegenden Luftschichten ungleicher oder entgegengesetzter Geschwindigkeit und gelangte zu der in der Meteorologie sehr wichtig gewordenen Theorie des „Wolkenwogens“, einer wellenartig mit periodischer Wolkenbildung einhergehenden Bewegung in der Atmosphäre, wie sie beim böigen Wetter auftritt. Auf einer Reise nach Amerika zur Columbischen Ausstellung liess er die Eindrücke der neuen Welt noch in voller geistiger Frische auf sich einwirken. Allgemeine Theilnahme erweckte der Unfall, der ihn auf der Rückkehr beim Landen betraf.
(Seite 79/2) Helmholtz hatte im Jahre 1888 die Direction des physikalischen Instituts niedergelegt, um die Leitung der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt in Charlottenburg, welche auf Anregung und mit thätiger Beihülfe des mit ihm eng verbundenen Werner Siemens gegründet war, zu übernehmen. Hier wurde eine grosse Reihe Arbeiten von theoretischer und praktischer Bedeutung ausgeführt. Man hat es Helmholtz zu verdanken, dass diese Anstalt nicht nur im Deutschen Reiche, sondern auch im Auslande ein einflussreiches Ansehen gewonnen hat.
Helmholtz ist nicht nur als Forscher für alle Zeiten von hervorragender Grösse, er hat auch als populärer Schriftsteller auf weite Kreise belehrend eingewirkt. In einer grossen Reihe von öffentlichen Vorträgen und Reden (welche gesammelt erschienen sind) hat er mannigfache Gebiete der Naturforschung dem allgemeinen Verständniss näher gerückt, und ist hierdurch im wahren Sinne des Wortes ein Lehrer und Erzieher seines Volkes geworden. Seine vorwiegend contemplative, in das Wesen der Dinge tief eindringende, in sich harmonisch geschlossene Natur war dem Goethe'schen Geiste auf das Innigste verwandt, zugleich aber beherrscht von der Strenge des mathematischen Gedankens. In jeglicher Richtung des Forschens hat er niemals die Beziehung der Wissenschaft zum Menschen und zur Menschheit aus dem Auge verloren. Allen Dingen und Angelegenheiten des menschlichen Lebens gegenüber bewährte er sich stets als der Vertreter einer echten und wahren Humanität. Ihm sind in seiner Laufbahn äussere Ehren reichlich zu Theil geworden; dem Adel seiner Gesinnung konnte durch diese Nichts hinzugefügt werden.
Es kann kaum die Aufgabe des Einzelnen sein, einen solchen Mann in seiner ganzen Bedeutung erfassen und schildern zu wollen. Der Fachmann, die eine oder andere Seite seiner geistigen Thätigkeit beleuchtend, vermag immer nur Stückwerk zu liefern. Vollends aber ihn als Menschen in dem harmonischen Zusammenhange seines ganzen Thuns und Denkens darzustellen, müssen wir der Zukunft überlassen. Soviel aber wissen wir, dass er zu den bevorzugten Grössen gehört, deren Namen am Himmel der Wissenschaft mit leuchtender Schrift eingezeichnet sind.
Julius Bernstein (Halle).
Letzte Änderung: Nov. 2025 Gabriele Dörflinger
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