Hermann von HelmholtzSchon vor der Berufung nach Heidelberg hatte Helmholtz eine große Reihe ausgezeichneter Arbeiten veröffentlicht. Seine ersten Untersuchungen bewegten sich auf dem Gebiete der Nerven- und Muskelphysiologie. Aber sehr früh zeigte sich seine in das Wesen der Naturprozesse tief eindringenden Geist in der Aufstellung des Gesetzes von der Erhaltung der Kraft, das erst allmählig anerkannt, eine Umwälzung in den Naturwissenschaften herbeiführen sollte. Dieses Gesetz bedeutet im Prinzip, daß nirgends in der toten oder lebenden Natur Kraft oder, besser gesagt, Energie von selbst entsteht oder vernichtet wird, sondern daß alle Naturerscheinungen auf einer Umwandlung der Energieformen ineinander nach bestimmten Maßverhältnissen beruhen. Dieses Gesetz ist zur Richtschnur aller physikalischen, chemischen und physiologischen Untersuchung geworden. In der Physiologie stürzte er vollends die alte Lehre von der Lebenskraft. Mit einem Schlage wurde der Name Helmholtz berühmt durch die Erfindung des Augenspiegels im Jahre 1851. Dieses Instrument gestattet bekanntlich einen Einblick in das Innere des Augapfels bis zur Netzhaut und ist zu einem unentbehrlichen Hilfsmittel der Augenheilkunde geworden. Vorher pflegte der bedeutende Augenarzt Graefe zu sagen, waren nicht nur die Kranken, sondern auch Augenärzte blind; denn sie konnten nicht sehen, was in dem erkrankten Auge vorgegangen war. Durch diese Erfindung ist Helmholtz zu einem Wohltäter der Menschheit geworden, und viele Tausende verdanken ihm hierdurch die Wiedergabe der Sehkraft. — Andere Arbeiten von Helmholtz, welche er in Königsberg und Bonn vollendete, beschäftigten sich mit der Geschwindigkeit der Nervenprozesse, mit der Dauer und dem Verlauf der Induktionsströme, und dann wandte sich das Interesse von Helmholtz namentlich optischen und akustischen Untersuchungen zu. Es erschienen Arbeiten über eine Theorie der Farbenempfindung, die sich an die ältere Theorie von Th. Young anschloß, nach welcher Helmholtz drei verschiedene Sehnervenfasern für die Empfindung dreier Grundfarben (Rot, Grün, Violett) annahm. Er untersuchte ferner die Akkomodation des Auges, d. h. die Einstellung desselben auf Gegenstände in verschiedener Entfernung, und erklärte die Zunahme der Linsenkrümmung (Seite 283) beim Sehen in die Nähe. Seine akustischen Untersuchungen bezogen sich auf die physikalische Entstehung der Kombinationstöne, und dann ging er dazu über, die Klänge der verschiedenen Instrumente und der menschlichen Stimme und Sprache zu analysieren. Mit solchen Aufgaben beschäftigt, zog Helmholtz im Herbst 1858 in Heidelberg ein, um dort das Lehramt der Physiologie zu übernehmen, das vorher von dem Anatomen Friedrich Arnold bekleidet worden war. Es bestand bis dahin in Heidelberg ein besonderes physiologisches Institut nicht, und es wurde daher für Helmholtz ein provisorisches Institut in einem Gebäude der westlichen Hauptstraße, dem „Riesen“, eingerichtet. Inzwischen wurde gegenüber demselben der „Friedrichsbau“ errichtet und nach Vollendung desselben das physiologische Institut zugleich mit einer Amtswohnung für den Direktor in dem ersten Stock des Gebäudes untergebracht. Diese Räume wurden später dem physikalischen Institut zugeteilt, nachdem das neue physiologische Institut in die Akademiestraße unter W. Kühne erbaut war. Das Institut bestand damals aus einem Direktorzimmer, an welches zwei zu akustischen und optischen Versuchen bestimmte Zimmer anstießen, aus einem etwas größeren, allgemeinen Arbeitsraume, einem Assistentenzimmer, einer kleinen chemischen Küche und einem bescheidenen Auditorium. In diesen Räumen entfaltete Helmholtz eine emsige und in hohen Maße fruchtbringende Tätigkeit als Forscher und Lehrer. — Seine akustischen Studien faßte Helmholtz im Jahre 1862 in einem Werke „Die Lehre von den Tonempfindungen als physiologische Grundlage für die Theorie der Musik“ zusammen, welches epochemachend auf dem Gebiete der physikalischen und physiologischen Akustik, sowie auf dem Gebiete der Musiktheorie gewesen ist. Von diesem Werke sind mehrere Auflagen mit erheblichen Zusätzen und Erweiterungen erschienen. Es ist darin eine umfassende Darstellung des Gegenstandes in gemeinverständlicher Form, zugleich aber auch mit strengen mathematischen Beweisen in angefügten Beilagen, enthalten. Ausgehend von den Schwingungen der tönenden Körper und der Luft, wird die Zusammensetzung eines Klanges aus einem Grundton und einer Reihe harmonischer Obertöne bewiesen. Mit Hilfe der von Helmholtz erfundenen Resonatoren kann man jeden Klang in seine einfachen Töne zerlegen. Es läßt sich zeigen, daß die Klangfarbe der verschiedenen musikalischen Instrumente und ebenso der menschlichen Stimme nur auf der Gegenwart verschiedener Obertöne in wechselnder Stärke beruht. Die Vokale der menschlichen Sprache sind nach diesen Untersuchungen nichts anderes als Klänge, (Seite 284) deren Grund- und Obertöne im Kehlkopf erzeugt werden und durch die entsprechenden Formen der Mundhöhle eine Verstärkung durch Resonanz erfahren. Eine befriedigende Theorie der Sprachlaute wird hier zum ersten Male entwickelt. Es kam nun ferner darauf an, den Vorgang des Hörens durch die Mechanik unseres Gehörorgans zu erklären. Auch hierin haben die Untersuchungen von Helmholtz einen wichtigen Fortschritt gebracht. Das Trommelfell und die Gehörknöchelchen wurden als schallleitende Apparate von großer Präzision erkannt, welches durch ihre eigentümliche Gestaltung und Feinheit befähigt sind, Töne und Klänge innerhalb einer weiten Skala in Höhe und Tiefe dem inneren Ohr zuzuführen. Das tiefste Geheimnis waltete aber bis dahin über der Tätigkeit des inneren Ohres, welches man wegen seines komplizierten Baues das „Labyrinth“ genannt hatte. Die Helmholtzschen Untersuchungen haben auch hier Licht geschafft. In die Höhlen des Labyrinths, welche mit Flüssigkeit gefüllt sind, versenkt sich der Hörnerv mit seinen feinsten Fasern und steht in der Schnecke in Verbindung mit einem aus Membranen und Zellen zusammengesetzten Organ (Cortisches Organ), welches einer Klaviatur mit Saiten und Tasten ähnlich sieht. Nach der Helmholtzschen Resonanztheorie spielt gewissermaßen der zugeleitete Schall auf dieser Klaviatur wie ein geschickter Klavierspieler vermöge des Gesetzes der Resonanz, indem er diejenigen Tasten anschlägt, welche auf die einzelnen einfachen Töne einer zusammengesetzten Klangmasse abgestimmt sind. Unklar war ferner bis dahin die Ursache der Konsonanz und Dissonanz, der Harmonie und Disharmonie der Töne und Klänge. Helmholtz führte die Dissonanz zurück auf die Entstehung von Schwebungen in der Stärke des Tons, welche auf unser Ohr einen unangenehmen Eindruck der Rauhigkeit machen, ähnlich wie ein flackerndes Licht unserem Auge unbehaglich vorkommt. Die Konsonanz, welche mehr oder wenige frei von solchen Rauhigkeiten in der Empfindung ist, macht auf das Ohr einen wohltuenden Eindruck durch den gleichmäßigen Fluß der kombinierten Wellen, und der Übergang von vollkommener Konsonanz bis zur entstehenden Dissonanz erzeugt die charakteristische Tonempfindung der verschiedenen Zusammenklänge.
Im Jahre 1867 wurde das „Handbuch der physiologischen Optik“ abgeschlossen, dessen erste Abteilung schon 1856 erschienen war. In diesem umfassenden Werke ist die ganze Lehre vom Gesichtssinn nach physikalischer und physiologischer Richtung historisch und experimentell in meisterhafter Weise abgehandelt. Man findet darin auch die (Seite 285) wichtigsten Untersuchungen von Helmholtz auf diesem Gebiete darstellt, welche einen so erheblichen Fortschritt in diesem herbeigeführt haben. Hierzu gehört die Ausmessung des lebenden Auges mit Hilfe des von ihm konstruierten Ophthalmometers, eines Instruments, das auch der Ophthalmologie wichtige Dienste leistet. In der Dioptrik des Auges finden wir die Untersuchungen über Akkommodation des Auges und die Konstruktion des Augenspiegels, die wir schon oben erwähnt haben, vor. Es folgt die Lehre von den Gesichtsempfindungen, welche die spezifische Energie des Sehnerven, auf jede Regung immer nur Lichtempfindung hervorzurufen, die Eigenschaften der Netzhaut behandelt und sich dann vornehmlich mit der Farbenempfindung beschäftigt. Hier ist eine ausführliche Darstellung der sog. Young-Helmholtzschen Farbentheorie gegeben, die wir schon oben kurz erwähnt haben. Erst hier kommt die richtige Methode der Farbenmischung zur Anwendung gegenüber den bis dahin vielfach benutzten ungenauen Methoden. Er wird auf diese Weise das Gesetz der komplementären Farbenpaare festgestellt und darauf die Lehre von den Grundfarben und ihren entsprechenden farbenempfindlichen Elementen der Netzhaut und Fasern des Sehnerven aufgebaut. Eine große Fülle von Erscheinungen läßt sich nach dieser Theorie zusammenfassen und erklären. Die Farbenblindheit erfährt hierdurch zum ersten Male eine befriedigende Deutung. Es schließen sich daran die Beobachtungen über Nachbilder, über die Kontrasterscheinungen, welche viele Bereicherungen empfangen. Sehr wichtig ist die Bearbeitung der Augenbewegungen in diesem Werke, in welcher die Listingschen Gesetze derselben bewiesen und genau mathematisch abgeleitet werden. Das Sehen mit beiden Augen, die Lehre von den identischen Netzhautstellen und vom Horopter wird mit großer Ausführlichkeit und Gründlichkeit abgehandelt. Einen wichtigen Abschnitt bilden ferner die Untersuchungen über die Tiefenwahrnehmungen des Raumes und das körperliche Sehen. Dies alles gibt die Grundlage für die von Helmholtz vertretene empiristische Theorie des Sehens, nach welcher erst durch die Erfahrung die Wahrnehmung der Außenwelt und die Raumanschauung erworben wird. Alle Stellen der Netzhaut erhalten dadurch gewissermaßen „Lokalzeichen“, welche den verschiedenen Stellen des Gesichtsfeldes entsprechen. Beim Sehen mit beiden Augen wird ebenfalls vermöge der Erfahrung durch Kombination der Lokalzeichen und des Gefühls unserer Augenmuskeln die Raumanschauung gewonnen. Diese Vorgänge lassen sich nach Helmholtz nicht aus rein anatomisch-physiologischen Anordnungen der Nervenelemente in der Netzhaut und im Gehirn (Seite 286) allein ableiten, obwohl die Bedingungen hierzu in einer solchen Anordnung gegeben sein könnne, sondern bedürfen zu ihrem Zustandekommen gewisser rein psychologischer Voraussetzungen. Die nativistische Theorie dagegen sucht, ohne den physiologischen Vorgang der Erfahrung zu Hilfe zu nehmen, die Gesichtswahrnehmungen im Raume durch angeborene Lokalzeichen der Netzhaut nach gegebenen anatomisch-physiologischen Anordnungen zu erklären. Der Streit zwischen diesen beiden Theorien hat sich bis zur Gegenwart fortgesetzt. Außer mit diesen Arbeiten über die Sinne beschäftigte sich Helmholtz aber noch mit Versuchen über Muskel- und Nerventätigkeit in erfolgreicher Weise. Hierhin gehören seine Beobachtungen über das „Muskelgeräusch“ (1862) und den „Muskelton“ (1866), in denen er nachwies, daß bei der Kontraktion sehr schnelle Schwingungen kleinster Teilchen im Muskel stattfinden und daß die Höhe des Muskeltones der Zahl der Reize in der Sekunde entspricht. Bei der willkürlichen Kontraktion sendet hiernach unser Gehirn etwa 16-20 Reize in der Sekunde aus.
Während der Heidelberger Periode trat neben diesen Erfolgen in der Physiologie zugleich bei Helmholtz die beständige Neigung zu physikalischer und mathematischer Untersuchung in glänzender Weise hervor. Schon bei seinem Eintritt in das Heidelberger Lehramt erschien eine mathematisch-physikalische Abhandlung von wunderbarer Vollendung und großer Tragweite, betitelt „Über Integrale der hydrodynamischen Gleichungen, welche den Wirbelbewegungen entsprechen“. Diese Arbeit ist als eine hervorragende Leistung auf dem Felde der analytischen Mechanik anzusehen, offenbar eine Frucht langjährigen Denkens, welches vermutlich schon mit dem Studium der Werke von Euler und Lagrange begonnen hat, die Helmholtz in der Bibliothek der Pepinière (militärärztliche Anstalt in Berlin) vorfand. Euler und Lagrange hatten die mathematischen Gleichungen für das Gleichgewicht und die Bewegung von Flüssigkeiten aufgestellt; aber man konnte mit ihnen nur solche Probleme lösen, bei denen die Reibung keine Rolle spielt. Das Zustandekommen der Wirbelbewegungen in Flüssigkeiten und Gasen kann man aber ohne Reibung nicht erklären. Man beobachtet bekanntlich leicht solche Wirbel, wenn man mit der Spitze eines Löffels in einer trüben Flüssigkeit, z. B. in einer Tasse Kaffee oder einem Teller Suppe, eine schnelle Bewegung ausführt. Wirbel in der Luft kann man sehen, wenn man Ringe von Zigarrenrauch aus dem Munde bläst oder aus der Öffnung eines Papierkästchens herausstößt. Solche Wirbelringe haben die merkwürdigsten (Seite 287) Eigenschaften. Sie verhalten sich wie feste elastische Körper. Sie schreiten mit einer gewissen Geschwindigkeit vorwärts, indem ihre Teilchen immer dieselben bleiben. Zwei hintereinander sich bewegende Wirbelringe wirken in eigentümlicher Weise aufeinander ein, indem der hintere den vorderen einholt, sich zusammenzieht, durch ihn hindurchgeht und sich wieder erweitert, und dieses Spiel wiederholt sich in derselben Weise periodisch. Helmholtz bewies, daß die elektrischen und magnetischen Erscheinungen ganz ähnlichen Gesetzen gehorchen wie die Wirbelbewegungen in Flüssigkeiten. Endlich hat W. Thomson seine Wirbeltheorie der Atome auf diesen Untersuchungen begründet, nach welcher die Atome nichts anderes als unendlich kleine Wirbelringe des Äthers sind. In Heidelberg entstanden im Anschluß hieran noch andere Untersuchungen ähnlicher Art. Dann wendete sich aber Helmholtz mit intensivstem Eifer der Elektrizitätslehre zu, die damals an einem Wendepunkt ihrer Entwicklung stand, nachdem Maxwell eine auf Faradayschen Anschauungen basierende neue Theorie aufgestellt hatte. Diese Arbeiten begannen mit Beobachtungen über elektrische Oscillationen (1869) und setzten sich in zahlreichen theoretischen Abhandlungen fort, die im „Journal für reine und angewandte Mathematik“ bis zum Jahre 1874 erschienen. Helmholtz kritisierte in diesen Arbeiten die bis dahin aufgestellten Theorien der Elektrizität und des Magnetismus vom Ampère, Fr. Neumann, W. Weber und verglich sie mit der neueren Theorie von Faraday und Maxwell. Schon hieraus ergab sich vieles, was zugunsten der Maxwellschen Theorie sprach, und so bahnten diese Arbeiten den Weg für den großen Fortschritt, welchen später die Entdeckungen von Heinrich Hertz herbeigeführt haben. Nach dieser neueren Lehre ist die Fortbewegung der elektro-magnetischen Kräfte durch den Raum mit der des Lichtes identisch. Helmholtz hat auch während seines Heidelberger Aufenthalts auf dem Gebiete der reinen Mathematik gearbeitet, indem er in einem Aufsatz „Über die Tatsachen, welche der Geometrie zugrunde liegen“ (1868) interessante Betrachtungen anstellte. In seinem späteren Vortrage „Die Tatsachen in der Wahrnehmung“ hat Helmholtz dieses Thema populärer behandelt. Es wird darin gefolgert, daß die Axiome der Geometrie der Ebene und des dreidimensionalen Raumes nicht, wie Kant meinte, durch transzendentale Anschauung a priori gegeben seien, sondern erst durch Erfahrung erworben werden. Auch wenn der Raum eine Kegelfläche wäre oder eine andere beliebige Gestaltung besäße, würden wir uns in ihm vermöge der Erfahrung durch die Sinne zurechtfinden.
(Seite 288) Neben seiner Forschertätigkeit hat Helmholtz in Heidelberg das akademische Lehramt mit Erfolg verwaltet. Er trug daselbst die gesamte Physiologie vor und behandelte die Physiologie der Sinne ausführlicher in einer besonderen Vorlesung. Außerdem hielt er populäre Vorlesungen für Studierende aller Fakultäten über die allgemeinen Ergebnisse der Naturforschung in kosmologischer und anthropologischer Richtung. Er gehörte nicht zu denjenigen akademischen Lehrern, welche durch oratorische Beredsamkeit glänzen; aber sein schlichter und klarer Vortrag verfehlte nicht, auf den Zuhörer einen nachhaltigen Eindruck zu machen, und seine imponierende Persönlichkeit, welche der äußere Ausdruck seiner geistigen Größe war, wirkte mächtig auf den Lernenden ein. Ebenso bedeutend war sein Einfluß auf diejenigen, welche ihm als Schüler im Laboratorium nähertraten. Hier sammelten sich um ihn eine Anzahl jüngerer Physiologen, die unter seiner Anregung arbeiteten, und viele Ophthalmologen des In- und Auslandes kamen nach Heidelberg, um die Beobachtungsmethode der physiologischen Optik dort zu erlernen. Helmholtz besaß ein ungewöhnliches Geschick im Experimentieren und eine unerschöpfliche Gabe von Ideen und Kunstgriffen, wenn es galt, mechanische Probleme zu lösen und Schwierigkeiten zu überwinden. Dabei entstanden unter seinen Händen aus den einfachsten Hilfsmitteln, aus Kork, Glasstäben, Holzbrettchen, Pappschachteln und dergl. die sinnreichsten Apparate. Wer Helmholtz hat experimentieren sehen, wird die Ruhe und Gelassenheit bewundert haben, die ihn dabei beherrschte und die durch keinerlei Mißgeschick erschüttert werden konnte. Das glückliche Temperament Helmholtz', in welchem sich Ernst und heitere Ruhe paarten, machte ihn auch zum geborenen Experimentator. Hauptsächlich bewegten sich die in seinem Laboratorium ausgeführten Arbeiten auf dem Gebiete der physikalischen Physiologie, der Optik, Akustik und Elektrizitätslehre. Hier arbeiteten die Physiologen Wundt, Sig. Exner, Sig. Mayer, J. Bernstein, die pathologischen Anatomen Zahn und Thoma, der Ophthalmologe Knapp und viele jüngere Physiologen, Ophthalmologen, Physiker und Psychologen.
Bei einem Manne von so umfassender Tätigkeit konnte die geistige und physische Umgebung, in der er lebte, nicht ohne Einwirkung sein. Es war ein glücklicher Geist der badischen Regierung, eine Reihe bedeutender Männer der damaligen Zeit an der Alma mater der Neckarstadt zu vereinigen. Hier erfreute sich Helmholtz des wissenschaftlichen und freundschaftlichen Verkehrs mit dem Entdeckern der Spektralanalyse, Bunsen und Kirchhoff. Hier lehrten gleichzeitig der Chemiker Kopp und (Seite 289) in der medizinischen Fakultät die Kliniker Friedreich und Otto Weber. Hier lebten und lehrten auch in anderen Wissenschaften hervorragende Männer wie Häusser, Gervinus und andere. Hier konnte Helmholtz in der heiteren, fröhlichen Natur der Umgebung immer wieder neue Kraft zu unermüdlicher Tätigkeit sammeln. Nicht in der Studierstube, wie er in der Tischrede an seinem 70jährigen Geburtstage sagte, kamen ihm seine besten Ideen, sondern auf Spaziergängen in Feld und Wald. Und wo wäre hierzu ein schönerer Ort zu finden gewesen als in den Bergen und Tälern Heidelbergs? Aber in der Stille seiner Studierstube, da gediehen die schöpferischen Gedanken zur Reife, welche ihm die herrliche Natur eingegeben und diese Arbeit vollzog sich nicht ohne mühevolle Anstrengung und unermüdliche Ausdauer. Wer in der damaligen Zeit als Lernender oder Lehrender in Heidelberg weilte, der konnte, am späten Abend aus fröhlichem Kreise heimkehrend, gar oft die Helmholtzsche Studierlampe im Friedrichsbau noch leuchten sehen. Helmholtz nahm in Heidelberg an dem geselligen wissenschaftlichen Leben regen Anteil. Besonders war es der „Naturhistorisch-medizinische Verein“, dem er seine Tätigkeit widmete und dessen jahrelanger Vorsteher er gewesen ist. Seine zahlreichen Untersuchungen, wie sie eben aus seiner Werkstatt hervorgegangen waren, teilte er hier mit, und so finden wir in den Sitzungsberichten dieses Vereins die ersten Veröffentlichungen sehr vieler Helmholtzschen Arbeiten vor: „Zur Theorie der Zungenpfeifen“ (1861), „Über eine allgemeine Transformationsmethode der Probleme über elektrische Verteilung“ (1861), „Über die Form des Horoptors“ (1862), „Über die Bewegungen des menschlichen Auges“ (1863), „Über den Muskelton“ (1866), „Über die Augenbewegungen“ (1865), „Über stereoskopisches Sehen“ (1865), „Über die Eigenschaften des Eises“ (1865), „Über die tatsächlichen Grundlagen der Geometrie“ (1868), „Zur Theorie der stationären Ströme in reibenden Flüssigkeiten“ (1869), „Über die physiologische Wirkung kurzdauernder elektrischer Schläge im Innern von ausgedehnten leitenden Massen“ (1869), „Über elektrische Oscillationen“ (1869), „Über die Schallschwingungen in der Schnecke des Ohres“ (1869), „Über die Gesetze der inkonstanten elektrischen Ströme in körperlich ausgedehnten Leitern“ (1870). Aber nicht nur in den wissenschaftlichen Sitzungen, sondern auch bei festlichen Gelegenheiten erfreute er die Mitglieder des Vereins mit belehrender und anregender Rede. Ebenso beteiligte er sich lebhaft an den Verhandlungen und Diskussionen des Heidelberger Dozentenvereins, in welchem er unter anderem einen (Seite 290) gemeinverständlichen Vortrag „Über den Ursprung und die Bedeutung der geometrischen Axiome“ im Jahre 1870 hielt.
Ein Zeichen der Anerkennung von seiten seiner Kollegen war seine Wahl zum Prorektor der Heidelberger Universität im Jahre 1862. In seiner Prorektoratsrede „Über das Verhältnis der Naturwissenschaften zur Gesamtheit der Wissenschaften“ behandelt er einen an weiten Ausblicken reichen Stoff, an welchem er seine vielseitige Anschauungsweise glänzend darlegt. Er scheidet Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft nur insofern, als erstere sich mit dem wahrnehmbaren Objekt der Außenwelt, letzteres mit den Betätigungen des menschlichen Geistes selbst beschäftigt. Die Naturwissenschaften besitzen eine größere Vollendung in der streng wissenschaftlichen Form, die Geisteswissenschaften behandeln dagegen einen reicheren, dem Interesse des Menschen und seinem Gefühle näherliegenden Stoff. Die Naturwissenschaften sind meist imstande, ihre Induktionen bis zu scharf ausgesprochenen Regeln und Gesetzen durchzuführen, während die Geisteswissenschaften es überwiegend mit Urteilen nach psychologischem Taktgefühl zu tun haben. Helmholtz tritt dafür ein, daß den mathematischen Studien als „den Repräsentanten der selbstbewußten logischen Geistestätigkeit“ ein größerer Einfluß in der Schulbildung eingeräumt werde, doch erkennt er hier wie bei anderer Gelegenheit die Wichtigkeit an, welche der Inhalt der klassischen Schriften für die Entwicklung des sittlichen und ästhetischen Gefühls besitzt. Auch in vielen anderen Vorträgen und Reden hat Helmholtz die Resultate seiner Untersuchungen und seiner theoretischen Gedankenarbeit, sowie die bedeutenden Ergebnisse auf dem Gebiete der Naturforschung in leicht verständlicher und vollendeter Form einem großen Publikum zugänglich gemacht. In Heidelberg und in Frankfurt a. M. hielt er 1868 Vorträge über „die neueren Fortschritte in der Theorie des Sehens“, welche in den Preußischen Jahrbüchern erschienen. Praktische Anwendungen der physiologischen Optik gab er in seinem 1871 in Berlin, Köln und Düsseldorf gehaltenen Vorträgen „Optisches über Malerei“. Die philosophische tiefere Begründung der von ihm in seinen Arbeiten über Sinneswahrnehmungen behandelten Probleme erfolgte später (1878) in der zur Stiftungsfeier der Berliner Universität gehaltenen Rede „Die Tatsachen in der Wahrnehmung“. Die Grundlage seiner philosophischen Anschauung bildet durchweg die „empiristische Theorie“ gegenüber der „nativistischen Theorie“, wie sie unter den Physiologen von Johannes Müller und unter den Philosophen von Kant vertreten worden war. Im Jahr 1969 hielt Helmholtz auf (Seite 291) der Naturforscher-Versammlung in Innsbruck eine Rede „Über das Ziel und die Fortschritte der Naturforschung“. Er faßt darin das Große und Ganze der Naturwissenschaft klar zusammen und prüft, wie weit es sich dem gesteckten Ziele genähert hat. Das Wesen dieser Wissenschaft ist nach ihm die Auffindung der Gesetze; denn das Gesetz der Erscheinungen finden, heißt sie begreifen. Bei der Darlegung des Gesetzes der Erhaltung der Kraft ergreift er die Gelegenheit, den in der Versammlung anwesenden Robert Mayer aus Heilbronn als den Mann zu feiern, welcher dieses grundlegende Naturgesetz zuerst klar erfaßt hat. Kurz vor seinem Fortgang von Heidelberg hielt Helmholtz daselbst einen populären Vortrag „Über die Entstehung des Planetensystems“, in welchem er die Kant-Laplacesche Hypothese darlegte und die neueren Berechnungen von William Thomson über die Dichtigkeit des Weltäthers mitteilte. Das gebildete Publikum der Stadt folgte ihm mit gespanntem Interesse und brachte ihm zum Abschied seine Huldigungen dar.
Der große Ruf, welcher Helmholtz auch im Auslande genoß, veranlaßte ihn mehrfach zu Reisen dorthin. Im Jahre 1864 reiste er in den Osterferien nach England, besuchte dort viele bedeutende Leute, Faraday, Tyndall, Stokes, Huxley, Max Müller, Thomson und andere und hielt in der Royal-Society eine „Croonian lecture“ über den Horopter und die Augenbewegungen und mehrere populäre Vorträge über die Erhaltung der Kraft und andere Gegenstände in der Royal Institution. Überall war Helmholtz Gegenstand der Verehrung und Bewunderung. Zu Ostern 1866 reiste er auf 14 Tage nach Paris, wo er im Hause des bekannten Orientalisten Julius von Mohl, des Onkels seiner Frau, aufgenommen wurde und den Mathematiker Hermite, den Chemiker St. Claire-Deville, den Physiker Regnault und andere kennen lernte. Im Jahre 1867 besuchte er den ophthalmologischen Kongreß in Paris, woselbst er einen Vortrag über das binokuläre Sehen hielt und sehr gefeiert wurde. Zu seiner Erholung reiste Helmholtz meist in die Alpen und weilte gern an hochgelegenen Orten, wie Engelberg und Pontresina, woselbst ihn die umgebende Gletscherwelt zu manchen interessanten Betrachtungen anregte.
Im Jahre 1849 hatte Helmholtz als junger Professor in Königsberg sich mit Olga von Velten verheiratet, die er in Potsdam während seiner Militärdienstzeit kennen gelernt hatte. Seelische Gleichgestimmtheit und musikalisches Interesse hatten ihn mit dieser anmutigen Frau verbunden, die ihm als treue Gefährtin bis Heidelberg gefolgt war. Doch bald stellten sich daselbst bei ihr Verschlimmerungen eines schon (Seite 292) länger bestehenden Leidens ein, dem sie im Dezember 1859 erlag. Helmholtz verheiratete sich zum zweiten Male im Jahre 1861 und verlebte an der Seite seiner zweiten Gemahlin, geb. Anna von Mohl, Tochter des badischen Bundestagsgesandten Robert von Mohl, den größten Teil seiner Heidelberger Zeit unter glücklichen gesellschaftlichen Verhältnissen. Das Helmholtzsche Haus wurde zu einem Mittelpunkt edlen geselligen Lebens in Heidelberg, und die geistvolle und liebenswürdige Frau verstand es, Freunden und Gästen den Aufenthalt in demselben angenehm zu machen. Helmholtz selbst besaß zwar nicht sog. gesellige Talente, wenigstens waren dieselben unter dem ständigen Einfluß strenger wissenschaftlicher Gedanken nicht zur Ausbildung gelangt; aber sein Interesse für geselliges Leben zeigte sich unverkennbar und kam manchmal in überraschender Weise zum Vorschein. Von jeher hatte er sich für das Theater interessiert, und es wird mancher seiner Gäste erstaunt gewesen sein, ihn bei einem im Hause aufgeführten Lustspiel in einer komischen Rolle antreten zu sehen. Ausgewählte musikalische Genüsse wurden den Gästen vielfach dargeboten. Neben seinen eindringenden Studien in dem Gebiete der Musik und Musikwissenschaft war in ihm ein tiefes musikalisches Empfinden lebendig. Er hat es zwar selbst nicht zu einer technischen Fertigkeit auf einem Instrumente gebracht, doch hörte man ihn häufig Bachsche Fugen und andere klassische Kompositionen auf dem von ihm konstruierten Harmonium mit reiner Stimmung exakt spielen.
Zu Ostern 1871 folgte Helmholtz einem Rufe als Professor der Physik an die Berliner Universität, als der Lehrstuhl von Gustav Magnus daselbst freigeworden war. Damit trat Helmholtz endlich auch amtlich in denjenigen Beruf ein, den er sich von vornherein gewünscht hatte. Seine wissenschaftliche Neigung trieb ihn unwiderstehlich zu grundlegender mechanisch-mathematischer Betrachtung der Naturvorgänge. So schied er von dem ihm lieb gewordenen Heidelberg, um in Berlin eine noch umfangreichere Wirksamkeit zu entfalten. Die streng wissenschaftlichen Arbeiten von Helmholtz, die nun folgten, liegen zum größten Teil auf dem Gebiete der Elektrizitätslehre, die durch die bald folgenden Entdeckungen seines genialen Schülers Heinrich Hertz eine gründliche Umwälzung zugunsten der Maxwellschen Theorie erfuhr. Eine große Reihe von Abhandlungen über diesen Gegenstand sind der Berliner Akademie vorgelegt und erschienen zum Teil ausführlicher in mathematischen und physikalischen Zeitschriften. Unter diesen sind die Arbeiten über die Theorie der Elektrodynamik, über die Konzentrationsströme, über die elektrischen Grenzschichten, über (Seite 293) die Thermodynamik chemischer Vorgänge und über die cyklischen Systeme die bedeutenderen. Dieselben haben einen hervorragenden Einfluß auf den experimentellen und theoretischen Fortschritte der Physik und der physikalischen Chemie, und dadurch auch auf den der Elektrotechnik ausgeübt. Schon lange mit Werner Siemens durch Freundschaft und Wissenschaft auf das engste verbunden, übernahm Helmholtz zu Ostern 1888 die Präsidentschaft der von Siemens gegründeten technischen Reichsanstalt in Charlottenburg. Hier entfaltete er eine für die physikalische und mechanische Technik äußerst segensreiche Tätigkeit, während ihm zur Vollendung seiner eigenen Arbeit reiche Hilfskräfte zu Gebote standen. — In die Zeit der Berliner Periode fällt eine Anzahl bedeutsamer Reden. die sich nach verschiedenen Richtungen der Wissenschaft und allgemeinerer menschlicher Interessen bewegen. Hervorgehoben seien die Gedächtnisrede auf Gustav Magnus 1871, die am Stiftungstage der militärärztlichen Anstalten gehaltene Rede „Das Denken in der Medizin“ 1877, die Rektoratsrede „Über die akademische Freiheit der deutschen Universitäten“ 1877, die zur Stiftungsfeier der Berliner Universität 1878 gehaltene Rede „Die Tatsachen in der Wahrnehmung“, die auf einer Reise nach England 1881 daselbst in englischer Sprache gehaltene Rede über Faraday, die Rede über Joseph Fraunhofer 1887 und die in der Goethe-Gesellschaft zu Weimar 1892 gehaltene Rede „Goethes Vorahnungen kommender naturwissenschaftlicher Ideen“. An äußeren Ehren und Auszeichnungen von seiten der Regierungen und Behörden hat es dem an Erfolgen so reichen Leben des weltberühmten Mannes nicht gefehlt. Nachdem ihm der erbliche Adel verliehen war, wurde ihm am 12. Oktober 1891, dem Geburtstage Kaiser Friedrichs, der Charakter als Wirklicher Geheimer Rat mit dem Prädikate „Exzellenz“ zuerteilt. Zahlreiche Anerkennungen und Huldigungen von nah und fern, aus engeren und weiteren Kreisen Deutschlands und des Auslandes sind ihm zuteil geworden. Nach dem Jubiläum der Universität Heidelberg im Jahre 1886, an welchem er hervorragenden Anteil nahm, wurde ihm daselbst von der ophthalmologischen Gesellschaft die Graefe-Medaille feierlich überreicht. Zu einer großartigen Ovation gestaltete sich die Feier seines 70jährigen Geburtstags am 2. November 1891. Eine große Zahl von Regierungen des In- und Auslandes, von Akademien, Universitäten, Fakultäten, wissenschaftlichen Vereinen und Gesellschaften und von städtischen Korporationen beteiligte sich durch Ansprachen und Darbringung von Glückwünschen. Weite Kreise der gesamten gebildeten und wissenschaftlichen (Seite 294) Welt hatten sich vereinigt zur Überreichung einer von Adolf Hildebrand ausgeführten Büste des Jubilars und zur Stiftung einer Helmholtz-Medaille, welche von seiten der Berliner Akademie der Wissenschaften an ausgezeichnete Gelehrte und Forscher verliehen werden soll. Von hohem Interesse für den Entwicklungsgang seines Geistes und das Wesen seines Charakters sind die bei dieser Gelegenheit von ihm auf Ansprachen gegebenen Antworten und gehaltenen Reden. Aus seiner Tischrede beim Festmahle leuchtet insbesondere die große Selbstlosigkeit seiner Denkart hervor, indem er die Erwartung ausspricht, daß die Preisrichter künftiger Jahrhunderte bei der Vergebung der Medaille sich frei von den Rücksichten auf seine zeitliche Persönlichkeit machen würden.
Helmholtz ist bis in sein letztes Lebensjahr in ungetrübter geistiger Frische tätig gewesen. Das Bild seiner irdischen Hülle ist in dem vor der Berliner Universität aufgestellten Denkmal den kommenden Jahrhunderten aufbewahrt. Die Werke seines Geistes aber werden von Generation auf Generation wirken, so lange es eine Wissenschaft gibt.
Letzte Änderung: Nov. 2025 Gabriele Dörflinger
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