Während draußen das Kriegsunwetter tobt, gedenkt die Deutsche Gesellschaft für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften ihres unermüdlichen zweiten Vorsitzenden, der im Dienste für das Vaterland das fern der Heimat verbrachte siebenzigste Lebensjahr am 6. Februar 1918 vollendet. Eiserne Notwendigkeiten dieser Tage ließen leider die geplante Herausgabe einer Festschrift zunichte werden, lenken uns aber dafür in erhöhtem Maße zu dem Arbeitsfeld, das S. GÜNTHER mit jahrzehntelangem Fleiß zu reicher Ernte gebracht hat. Nur von wenigen Früchten, die seiner umsichtigen Arbeitsamkeit zu danken sind, kann hier gesprochen werden, obgleich damit manche wertvolle und an neuen Ergebnissen überreiche Untersuchung unerwähnt bleiben muß.
Die Lust zum Versenken in das, was einst gewesen, ist S. GÜNTHER von der Heimatstadt mitgegeben worden, dem alttraulichen Nürnberg, in dem die deutsche Vergangenheit zu eindrucksvoller Gegenwart wird. Hier ist S. GÜNTHER am 6. Februar 1848 geboren worden, als Sonntagskind, Das Studium der Naturwissenschaften und der Mathematik führte ihn während der Jahre 1865 bis 1870 an die Universitäten zu Erlangen, Heidelberg, Leipzig, Berlin sowie Göttingen und fand einen kriegerischen Abschluß durch den deutsch-französischen Feldzug, der ihn unter die Fahnen rief. Nach kurzer Lehrtätigkeit an der Lateinschule zu Weissenburg (1872) wurde er in Erlangen und dann am Polytechnikum zu München Privatdozent. Während der Jahre 1876–86 wirkte er als Professor für Mathematik und Physik am Gymnasium zu Ansbach und folgte dann einer Berufung zum ordentlichen Professor für Erdkunde an der technischen Hochschule zu München.
Manches gründliche und fein angelegte Buch, dem ein anderer Verfasser wohl einen nichthistorischen Charakter gegeben hätte, wurde unter der Feder des vielbelesenen und erfahrenen Forschers zu einem Muster geschichtswissenschaftlicher Schilderung und schuf wichtige Ausgangspunkte für die Wege historischen Durchdringens. Bei jedem Werke dieses Schlages — mag man aus früherer Zeit das „Handbuch der mathematischen Geographie“ (1890) oder aus den letzten Jahren die „Vergleichende Mond- und Erdkunde“ (1911) als Beispiel wählen — kann man sich des Gefühls nicht entschlagen, daß die erfreuliche Steigerung der Teilnahme an der Geschichte
Das feine Einfühlen in die Ideengänge früherer Zeiten und das liebevolle Versenken in die Gedankenwelt großer Naturforscher verspürt man beim Lesen der verschiedenen Bücher, die S. GÜNTHER der Erinnerung an Leben und Werk von COLUMBUS, ADAM VON BREMEN, KEPLER, GALILEI, JAKOB ZIEGLER, ALEXANDER VON HUMBOLDT, LEOPOLD VON BUCH, LICHTENBERG und VARENIUS geweiht hat. Wer so aus dem Vollen schöpfen kann und in die Geschichte der Naturwissenschaften Licht bis in die verborgensten und dunkelsten Ecken gebracht hat, ist auch der richtige Mann einem Unternehmen, wie es diese „Mitteilungen“ sein sollen und sind, die leitende Hand für das eigene Arbeitsfeld zu bieten. Das Erbe KAHLBAUMS ist bei ihm in sicherer Hut seit den Tagen, da jener der allmächtigen Natur den schuldigen Tribut gezollt hat. S. GÜNTHERS zahlreiche, nein zahllose Besprechungen, die vom Geiste ruhiger Sachlichkeit erfüllt sind, aber vor der scharfen Waffe strenger Kritik gegen unwissenschaftliches Gebaren keinesfalls zurückschrecken, bilden einen integrierenden Bestandteil der naturwissenschaftlichen Abschnitte dieser Blätter.
Trotz der großen Schwierigkeiten, die draußen im Feindesland
Auch den unterzeichneten langjährigen Mitredakteur an den „Mitteilungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften“ drängt es, vor allen Lesern der Zeitschrift unserer Gesellschaft seinem Arbeitsgefährten glückwünschend die Hand zu reichen, ihm zu danken für treue Genossenschaft nunmehr im 12. Jahre und ihn um weiteres Ausharren am Posten der redaktionellen Arbeit zu bitten, auch namens des Vorstandes unserer Gesellschaft
In Treuen ergeben und dankbar
Leipzig, den 1. Januar 1918.
Karl Sudhoff.
Quelle:
Kistner, Adolf (1878-1940): Zu S. Günthers siebenzigstem Geburtstag
In: Mitteilungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften.
— 17 (1925), S. 1–4
Letzte Änderung: Juli 2016 Gabriele Dörflinger Kontakt
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