In einem Nekrolog der „Allg. Zeitung“ vom 19. März 1885, der uns erst nach der Abfassung der obigen Worte zu Gesicht gekommen ist, bestätigt ein ehemaliger Zuhörer dieses Urteil über Jollys Lehrerfolge: „Was ihm die Herzen der Studentenschaft sozusagen im Sturm eroberte, war teils die fast magnetische Kraft seiner außerordentlichen persönlichen Liebenswürdigkeit, teils die seltene Klarheit und Präcision seiner Vorträge.“
Dennoch wurde er lange von der Fakultät und von der (Seite 250) Benützung des physikalischen Kabinetts der Universität fern gehalten. Es mußte sich die zum Gebrauch seiner Vorlesungen notwendigen Apparate aus eigenen Mitteln anschaffen. Wohl sechzehn bis achtzehn Jahre mochte er als Privatdocent und Extraordinarius in Heidelberg gelehrt haben, als ihn der Tod des älteren Kollegen in die Reihe der ordentlichen Professoren führte. Seine Leistungen in der Wissenschaft gehören nicht in den Rahmen dieser Blätter. Sie fallen in seine Münchener Periode, wo er sich namentlich durch seine exakten Untersuchungen über die Wage einen geachteten Namen gemacht hat. Hier sollen nur einige Züge hervorgehoben werden, die dem Schreiber dieser Zeilen noch lebhaft im Gedächtnis stehen und ihn „an manche Jugendnacht“ erinnern. Wie erst und eifrig immer Jolly seinem Berufe oblag, im Freundeskreise verlor er nie den heiteren Gleichmut und Frohsinn aus seiner Seele. Konnte er doch einst in der Faschingszeit gemeinschaftlich mit einem befreundeten Herrn ein von diesem gedichtetes humoristisches Fastnachtsspiel in Hans Sachsischer Manier in Bänkelsängertracht mit einer Drehorgel in traulicher Gesellschaft vortragen! Jolly besaß eine große Fertigkeit, mit einigen Feder- oder Bleistiftstrichen humoristische Scenen darzustellen. Eins ereignete es sich, daß eine Anzahl Heidelberger Bürger das Haus eines Stadtgeistlichen stürmten, weil derselbe am Grabe eines Mitbürgers, eines geschickten Geschäftsmannes, der sich aber den Lebensgenüssen in lustiger Gesellschaft gern hinzugeben pflegte, eine scharfe und verletzende Leichenrede gehalten hatte. Der Bedrohte flüchtete durch den Garten in das Nachbarhaus, wo Jolly wohnte, und verbrachte dort einige Stunden bei dem Hausherrn in Gesprächen über die Veranlassung des Tumultes und über die wichtigen Fragen, die sich daran knüpften. Da wurde einige Tage nachher im Freundeskreise eine Zeichnung mit deutlich erkennbaren Figuren herumgereicht, wie der Physiker den „Sabel“ des Metaphysikers parierte. Als guter Rechner und praktischer Oekonom war Jolly auch Vorsitzender des Museumsausschusses. In dieser Eigenschaft hielt er auf strenge Ordnung und Sparsamkeit. Denn es war oft Ebbe in der Kasse. Dies gab seinst seinem Freunde Pfeufer zu einer Tischrede Gelegenheit, worin er dem sorgfältigen Verwalter den (Seite 251) Dank der Gesellschaft aussprach für seine rücksichtsvolle Humanität. Wie leicht hätte er, so sagte der stattliche Mann scherzend, zur Vermehrung der Einnahmen auf den Gedanken geraten können, seine eigene Person (Jolly war von geringer Mittelgröße) als Normalmaß für alle Mitglieder aufzustellen und jeden, der über dieses Maß emporrage, zu einem höheren Beitrag heranzuziehen.
Nun ist auch dieser lebensfrische, verstandesklare und thatkräftige Mann, der mit so vielen Fäden an Heidelberg und das Land Baden geknüpft war, am fernen Isarstrande von hinnen geschieden und vermag nichtg mehr das Ehrenfest der Ruperto-Carola mitzufeiern. Ueber Jollys letzte Heidelberger Zeit vor seiner Uebersiedelung nach München spricht sich der erwähnte Nekrolog in folgender Weise aus: „Wahrscheinlich hatte dessen alter Freund, der geistvolle Obermedizinalrat Pfeufer, die Aufmerksamkeit des Herrn von Dönniges, des Motors aller Berufungen, und durch ihn des Königs, auf diese badische Lehrkraft hingelenkt. Alles war im besten Gange, als aus Heidelberg, wahrscheinlich seitens eines mißgünstigen Kollegen, eine Denunziation wegen zu beanstandender politischer Gesinnung einlief. Kein Vorwurf konnte unbegründeter sein. Jolly war Zeit seines Lebens ein treuer Anhänger monarchischer Institutionen und für die Sache der Ordnung im Jahre 1848 sogar mit seiner Person eingetreten. Die Studenten hatten ihn damals zu ihrem Hauptmann gewählt, und er hatte als solcher den Befehl, das Gewehr anzulegen, gegeben, welcher die Bauern, die am Ostersonntag 1848 mit Säcken und Wagen nach Heidelberg kamen, um die Güterteilung vorzunehmen, zwang, unverrichteter Sache wieder abzuziehen.“ So schlimm war es mit dem Einzug der sogenannten „Sinsheimer“ in Heidelberg nicht gemeint. Aus dem Oberland war die Parole ausgegeben worden, daß an den Ostertagen in den größeren badischen Städten die Republik proklamiert werden sollte. Zu dem Zweck und vielleicht auch im geheimen Einverständnis mit einigen Heidelberger Gesinnungsgenossen zog aus dem oberen Neckarthal eine Schar bewaffneter Männer in republikanischer Gesinnung in die Stadt ein, wurde jedoch von der Bürgerwehr unter der Führung ihres Kommandanten Rummer auf dem Marktplatz umringt und zur Ablieferung der Waffen gezwungen. Der (Seite 252) Mythus von den Wagen und Säcken zum Einpacken der Beute aus der badischen Güterteilung ist erfunden worden, um die Heidelberger Bürger von ihren republikanischen Sympathien zu heilen. In vertrauten Kreisen ahnte oder kannte man den Angeber und dachte wohl wie Wallenstein: „Das war kein Heldenstück, Oktavio.“ Doch nahm die Sache bald eine günstigere Wendung. Pfeufer hatte, so berichtet der Nekrolog weiter, den gegen Jolly erhobenen Verdächtigungen gegenüber sich auf Schlosser berufen, auf den der König, als einen seiner früheren Lehrer, große Stücke hielt. Das politische Sittenzeugnis, das der berühmte Historiker dem befreundeten Docenten ausstellte, zerstreute alle Bedenken; mit allerhöchstem Dekret vom 15. Juni 1854 wurde Jolly das bayrische Indigenat verliehen und unter dem 28. desselben Monats wurde er zum ordentlichen Professor der Experimentalphysik an der Universität München und zum Vorstand des physikalischen „Universitätsattributes“ ernannt.
Was der Verfasser des Nekrologs zum Schlusse von Jolly
sagt, gilt auch von der Heidelberger Periode:
Seine rastlose Thätigkeit ging aus dem allgemeinen
Schaffungsdrang einer reichen Begabung hervor, aus dem
Streben, Licht zu verbreiten und durch seinen
Unterricht andere vorwärts zu bringen. Er versäumte niemals,
am Schlusse seiner Vorlesungen anzudeuten, daß alles
Wissen nur Stückwerk sei und über die letzten Gründe
und Zwecke alles Seins keinen Aufschluß gewähre.
Letzte Änderung: 24.05.2014 Gabriele Dörflinger Kontakt
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