Die Mathematiker der Heidelberger Akademie der Wissenschaften |
Ludwig Stickelberger, geb. 1850 im Schweizer Kanton Schaffhausen, studierte in Heidelberg und Berlin, wurde dort 1874 promoviert und habilitierte sich anschließend in Zürich. 1879 wurde er an die Universität Freiburg berufen, an der er bis 1924 als ordentlicher Professor bzw. ordentl. Honorarprofessor lehrte, bis er sich 1924 in die Schweiz zurückzog.
Der Nachruf der Akademie erfolgt im Bericht über das Geschäftsjahr 1935/36 erstattet von dem geschäftsführenden Sekretär der Akademie Herrn [Friedrich] Panzer am 14. Juni 1936:
Am 11. April 1936 verstarb in Basel im fast vollendeten 86. Lebensjahr der Mathematiker Geh. Hofrat Prof. Dr. Ludwig Stickelberger, seit 1909 außerordentliches Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse. Er entstammte einem alten, teils in der Schweiz, teils im Breisgau ansässigen alemannischen Geschlecht und wurde am 18. Mai 1850 zu Buch im Kanton Schaffhausen geboren. Er hatte mit 17 Jahren die Schule durchlaufen, studierte in Heidelberg und Berlin und erwarb an letzterer Universität 1874 die Doktorwürde, um sich noch im selben Jahre am Polytechnikum in Zürich zu habilitieren. 1879 wurde er auf Veranlassung von Thomae, der seine Bedeutung erkannt hatte, als a.o. Professor nach Freiburg i. Br. berufen, erhielt hier 1896 ein planmäßiges Ordinariat, das er bis 1919 bekleidete, und wirkte dann noch weiter als ordentlicher Honorarprofessor, bis er 1924 in seine Schweizer Heimat nach Basel zurückkehrte.Die wissenschaftlichen Arbeiten von Stickelberger beziehen sich auf Arithmetik, Algebra, Gruppentheorie, elliptische Funktionen, lineare Differentialgleichungen und können in Kürze nicht besser charakterisiert werden, als es in einem Aufsatz der „Freiburger Hochschulnachrichten“ zu seinem 70. Geburtstag geschehen ist: „Bei seinen Veröffentlichungen hat sich Stickelberger zum Gaußschen Standpunkt „Pauca, sed matura“ bekannt. In schärfster Selbstkritik gestattete er nur einem Teil seiner Untersuchungen den Weg zur Druckerei. Er hat sich stets bemüht, selbst das letzte Wort zu sprechen. Wohl nicht einfacher, als von ihm geschehen, konnten seine Untersuchungen über reelle orthogonale Substitutionen, die Darlegung seines neuen Satzes von der Diskriminante algebraischer Zahlkörper und sein Beitrag zur Theorie der vollständig reduziblen Gruppen linearer homogener Substitutionen gestaltet werden; sein Beweis des Noetherschen Fundamentalsatzes aus der Theorie der algebraischen Funktionen ist der Schlußstein der Entwicklung, und sein neuer Beweis des Bertinischen Satzes über lineare Systeme ganzer Funktionen, den er besitzt, wird der Beweis dieses Theorems sein. Stickelbergers Untersuchungen über Weierstraß' Theorie der Elementarteiler, die in des Meisters grundlegender Arbeit eine wesentliche Lücke aufgedeckt und ausgefüllt haben, sind zum Teil in die Lehrbücher übergegangen. Einige Arbeiten hat Stickelberger gemeinsam mit dem namhaften Algebraiker G. Frobenius veröffentlicht. Jener Beweis des Bertinischen Satzes war aber bis heute noch nicht gedruckt und erscheint nun als 9. Abhandlung des Jahrganges 1936 unserer Sitzungsberichte.
Stickelberger besaß ein bewundernswertes Gedächtnis, wodurch er in Verbindung mit unermüdlichem Fleiße die Mathematik seiner Schaffenszeit in ungewöhnlichem Umfang beherrschte und in Bereitschaft hatte, kritischen Scharfblick, der ihn schnell den schwachen Punkt einer Theorie erkennen ließ, und das Ingenium, das ihm bei auftretenden Schwierigkeiten den Fingerzeig der Lösung eingab. Er hatte also alle Eigenschaften eines produktiven Forschers und muß trotz des geringen Umfanges seiner Publikationen als Mathematiker von hohem Rang bezeichnet werden.
Die strengen Ansprüche, die er an sich selbst stellte, veranlaßten ihn auch zu solchen an seine Schüler. Seine Vorlesungen galten deshalb als schwer. Gereifte Männer aber, die einst bei ihm gehört haben, erklären, daß man gerade dadurch viel bei ihm lernen konnte.
Im gewöhnlichen Leben meist still und wortkarg, erwies er sich bei näherer Bekanntschaft als fester, unbedingt zuverlässiger, treuer Freund mit goldenem Herzen. Hiervon zeugen auch seine namhaften dauernden Unterstützungen der verschiedenen Hilfseinrichtungen, die nach dem Kriege für die notleidenden Studierenden und andere Organe der Universität geschaffen wurden. Durch beträchtliche Legate für den „Verband der Freunde der Universität Freiburg“ und unsere Akademie fanden diese Unterstützungen ihre Krönung.
Obwohl Schweizer von Geburt, hat Stickelberger in Deutschland eine zweite Heimat gefunden und alle Zeit mit ihr gefühlt. Er hat beim Kriegsausbruch den deutschen Standpunkt verstanden und geteilt. Er hat während des Krieges mit uns gehofft und gezittert. Er hat beim Kriegsende und in den Jahren nach dem Kriege mit uns gelitten. Dafür schuldet Deutschland ihm Dank.
Quelle: Jahresheft 1935/36 / Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Seite 21-23
Literatur:
Lexikon bedeutender Mathematiker / hrsg. von Siegfried Gottwald ...
- Thun [u.a.], 1990. - S. 441
Heffter, Lothar: Ludwig Stickelberger
In: Jahresbericht der DMV. - 47 (1937),
S. 79-86
GDZ
Wikipedia
Stickelberger, Ludwig:
Neuer Beweis eines Satzes von Bertini über zerlegbare lineare
Scharen von Polynomen / von L. Stickelberger †.
Eingesandt von
Lothar Heffter am 10. September 1936. - Heidelberg, 1936. - 8 S.
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siehe auch: L 1152
Letzte Änderung: 24.05.2014 Gabriele Dörflinger Kontakt
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