Friedrich Karl Schmidt
Heidelberger Akademie der Wissenschaften

Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften
Jahresheft 1946/55
S. 190
Sitzung der Math.-nat. Klasse
am 22. Januar 1955

Herr F. K. Schmidt spricht:»Über einige Entwicklungslinien der neuren Mathematik«.

Der Vortrag schildert die strukturelle Auffassung der neueren Mathematik. Sie entstand aus der Gruppentheorie und, anknüpfend an die Entdeckung der nichteuklidischen Metriken, aus den axiomatischen Untersuchungen der Geometrie. In der modernen Algebra und Topologie hat sie ihren ausgeprägten Ausdruck gefunden. Ihre Frucht ist eine Vereinheitlichung der Mathematik, die es ermöglicht, Methoden eines mathematischen Gegenstandsbereichs auf scheinbar abliegende andere Problemkreise anzuwenden. Die moderne Theorie der algebraischen Funktionen, in der Gedanken aus Analysis, Geometrie, Algebra und Zahlentheorie zu einer Einheit verschmelzen, wird als Beispiel dieser Tendenzen näher skizziert.



Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften
Jahresheft 1957/58
S. 9


am 9. November 1957

Herr F. K. Schmidt spricht über: »Das Differential, historische Entwicklung und moderne Anwendung«.

Der Vortrag geht von der Rechtfertigung des Differentials in der Approximationsmathematik des 19. Jahrhunderts aus. Das Differential einer Funktion an einer festen Stelle ist nach dieser Auffassung eine Linearform, die an der Stelle »tangiert«. Variiert man die Bezugsstelle, so erhält man das Differential der betrachteten Funktion schlechthin. Es ist eine Linearform, deren Koeffizienten selbst Funktionen sind.

Der Übergang von den Funktionen zu den zugehörigen Differentialen bedeutet eine Linearisierung. Das Operieren mit Funktionen, d.h. Addieren, Multiplizieren und Einsetzen, geht in ein lineares Operieren mit den Differentialen über, das durch Summen-, Produkt- und Kettenregel beschrieben wird.

Das führt zu der Frage, ob man den Übergang zu den Differentialen nicht geradezu als eine Abbildung eines gegebenen Funktionenringes in einen linearen Modul über diesen Funktionenring auffassen kann, wobei die Abbildung lediglich gewissen formalen Regeln zu genügen braucht. Tatsächlich ist das möglich. Der Begriff des Differentials wird auf diese Weise sogar von dem der Funktion losgelöst. Man kann nach E. Kähler den Differentialmodul eines beliebigen Ringes einführen. Auch den Zahlen eines Zahlrings lassen sich Differentiale zuordnen, die nicht 0 zu sein brauchen.

Damit wird die Differentialrechnung in ihrer ursprünglichen Form für rein zahlentheoretische Fragen nutzbar gemacht. Beispiele zeigen die Bedeutung dieser Methode. Ein Ausblick auf neue Resultate in der arithmetischen Theorie der algebraischen Funktionen beschließt den Vortrag.


Redaktion:   Gabriele Dörflinger

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