Die Herkunft der Familie Emmy Noethers

S. 4-6 aus
Emmy Noether / Auguste Dick
In: Elemente der Mathematik / Beihefte. - 13 (1970)

Der Vater [Emmy Noethers], Max Noether, 1844 in Mannheim geboren, 1921 in Erlangen gestorben, kam aus einer sehr gut situierten Familie von Eisengroßhändlern; sein Großvater Elias Samuel (1774? -1846) verlegte sein Geschäft von Bühl im nördlichen Schwarzwald nach Bruchsal, das damals noch im Besitz der Erzbischöfe von Speyer war und für Juden günstigere Verhältnisse bot als andere Orte der Rheinebene. Zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts kam mit der rechtsrheinischen Pfalz auch Bruchsal an das eben entstehende Großherzogtum Baden. Als im Jahre 1809 das badische Toleranzedikt bestimmte, daß jeder Hausvater jüdischer Religion, der nicht bereits einen auszeichnenden erblichen Zunamen hatte, schuldig wäre, einen solchen für sich und seine Kinder anzunehmen, da erhielt Elias Samuel mit seiner Frau und neun Kindern den Namen Nöther. Dies ist ein durch Jahrhunderte nachweisbarer nichtjüdischer Familienname. Der Mathematiker Max und seine Kinder schrieben stets Noether, obwohl noch in den Heiratspapieren von Max die amtliche Schreibweise Nöther lautet. Mit der Annahme eines Familiennamens war auch die eines christlichen Vornamens verbunden. So wurde aus dem Hertz, Sohn des Elias Samuel, ein Hermann Nöther. Dieser zeigte bereits Neigung zum Studium oder war vielleicht auch aus anderen Gründen von seinen Eltern dazu bestimmt worden. Jedenfalls kam er als Achtzehnjähriger aus seiner Geburtsstadt Bruchsal nach Mannheim, um dort an der Lemle Moses-Stiftung, auch Klaus-Schule genannt, Theologie zu studieren. Er hat sich aber später von der Wissenschaft ab- und dem Handel zugewandt. 1837 gründete er mit einem älteren Bruder in Mannheim die Firma Joseph Nöther u. Co., eine Eisengroßhandlung, die später in Düsseldorf und Berlin Zweigniederlassungen unterhielt und schließlich nach hundertjährigem Bestand der „Arisierung“ zum Opfer fiel.

Hermanns Frau, Amalia Würzburger aus Mannheim — auch als Malche und Malchen in den Papieren aufscheinend —, gebar fünf Kinder; aus dem mittleren wurde der Mathematiker Max. In der Familie vermutete man später, daß dessen mathematische Begabung aus dem mütterlichen Erbe stammte. Max wurde der erste Doktor der Philosophie des Namens Noether; es folgten ihm in den nächsten Generationen eine ansehnliche Reihe, darunter mindestens drei Mathematiker und drei Chemiker. Einige von diesen wurden auch, wie Max, Universitätsprofessoren. Einer der zahlreichen Vettern aus Maxens Generation, Ferdinand Nöther (1834-1918), hat in Heidelberg Medizin studiert und lebte seit 1870 als praktischer Arzt in Mannheim. Die übrigen waren durchwegs Kaufleute. In der nächsten Generation gibt es bereits einen Maler, einen Diplomingenieur und einen Schriftsteller.

Max Noether hatte das Unglück, im Alter von vierzehn Jahren an Kinderlähmung zu erkranken, wonach er Zeit seines Lebens gehbehindert blieb. Als reifer Mann, in der Stellung eines königlich-bayerischen außerordentlichen Universitätsprofessors, heiratete er 1880 in Wiesbaden Ida Amalia Kaufmann (1852 Köln - 1915 Erlangen), eine Tochter aus reichem jüdischem Hause. Stammten die Vorfahren von Max Noether aus dem Schwarzwald und aus Mannheim, so lebten Ida Kaufmanns Vorfahren väterlicher- und mütterlicherseits am Niederrhein.

Die Söhne von Viehhändlern und Schlächtern namens Kaufmann aus den rein landwirtschaftlichen Gegenden westlich von Köln wurden Großkaufleute in dieser Stadt mit Gutsbesitz in der Umgebung. Markus Kaufmann (1813 Garzweiler - 1866 Brühl bei Köln) heiratete die Bankierstochter Friederike Scheuer aus Düsseldorf, deren Vorfahren väterlicherseits Generationen hindurch Rabbiner waren; ihr Stammbaum soll sich bis 1533 verfolgen lassen. Aus der Ehe des Markus Kaufmann mit Friederike Scheuer stammen außer Ida noch zehn andere Kinder, darunter Wilhelm Kaufmann (1858 Köln - 1926 Berlin), Universitätsprofessor in Berlin, ein zu seiner Zeit anerkannter Fachmann für Finanz- und Finanzierungsfragen im Rahmen des Völkerrechtes. Von ihm und seinem Bruder Paul, Großkaufmann in Berlin, stammte ein Teil des Vermögens, von dem Emmy Noether zehrte. Emmy hatte zwei wenig jüngere Brüder, 1883 und 1884 geboren, mit denen sie im Elternhaus in Erlangen, Nürnberger Straße 30-32, ihre erste Kindheit verbrachte. 1889 wurde ein weiterer Bruder geboren. Es war ein häßliches Mehrfamilienhaus, in dem die Noethers rund 45 Jahre hindurch eine große Wohnung im ersten Stockwerk als Mieter innehatten. Im selben Haus wohnte übrigens auch sehr lange Prof. Eilhard Wiedemann (1852-1928), Physiker und Islamkenner, dessen Familie soviel Wasser verbrauchte, daß Frau Noether sich benachteiligt sah, weil beide Familien gleich viel für den Wasserverbrauch zu bezahlen hatten.


Redaktion:   Gabriele Dörflinger

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