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Heinrich Liebmann: Zum Geleit der Mathematischen Fachschaft

aus:
Tätigkeitsbericht der Mathematischen Fachschaft an der Universität Heidelberg. - 1930
Signatur UB Heidelberg: L 29-3::1930

Zum Geleit.

Unnahbar, vom „Pathos der Distanz“ verklärt, so standen einst die Besten und gerade die Besten, die glänzendsten und genialsten Forscher und Denker der Wissenschaft den Lauschenden, den für zündende Funken Empfänglichen gegenüber. Nie wollen wir das missen, dieses große öffentliche Wirken, das tief sich einprägend schlummernde Kräfte wecken kann.

Und doch, eine vielleicht dem vom Wort und Persönlichkeit Erfaßten unscheinbare, der breiteren Oeffentlichkeit fast verborgene wesentliche Aufgabe darf nicht vergessen werden. Kurz und gut, die zwar nicht mehr schulhaft gebundene aber doch strenge Einzelarbeit erfordernde Aufgabe des Lehrenden, dem Lernenden die Beherrschung des Stoffes zu sichern, weiterhin den Weg zu eigener Forschung zu weisem.

Dafür wurden Institute und Seminare eingerichtet, das Forschungsmaterial als Manuskript, als Kunstwerk, als Naturobjekt zur Verfügung gestellt.

Volle Durchbildung aller Lernwilligen erreichen unter weitgehender Lehramtsteilung und gestützt auf treue Beihilfe eines Stabes von Helfern ja wohl in erster Linie Medizin und Naturwissienschaften. Auch die Uebungen, wie sie jetzt vielen mathematischen Vorlesungen angegliedert sind und die Vortragsseminare bestreben sich, diesem Ziele nahezukommen.

Doch bleibt ein Rest! Eigene Erinnerung lehrt ja schon, daß der Studierende manche der Aufklärung dienende Frage lieber an den Kommilitonen stellt. Es sind oft leicht zu klärende Mißverständnisse, die den Zugang zu einem vorgetragenen Gedankengang und zum Sinn und Ziel einer Uebungsaufgabe sperren. Und gerade in diesem Gefühl scheuen sich oft die Besten, sich unmittelbar an den Lehrenden zu wenden.

Psychologische Forschung hat uns gelehrt, welche Fülle von Abwandlungen der Aufnahmefähigkeit optischer und akustischer Reize es gibt. Ebenso in der Wissenschaft, insbesondere in der Mathematik, die ja soviel mitschaffende Phantasie des Aufnehmenden erfordert.

Hier einzutreten, in kameradschaftlicher freier Form voneinander zu lernen, und einander zu lehren, das ist die Aufgabe der Arbeitszirkel, eine der vornehmsten der Fachschaft, die damit andere kameradschaftliche Bestrebungen zugleich fördert und keiner gegenübertritt.

Liebmann.


Redaktion:   Gabriele Dörflinger

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