> | Gottfried Köthe / Antrittsrede 25.2.1961
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Daß ich Mathematiker wurde, ist beinahe ein Zufall. Auf der Schule hatte ich zwei Interessen, denen ich ziemlich intensiv nachging. Das eine war die Chemie, das andere die Philosophie. Ich begann mit dem Studium der Chemie. Durch die Begegnung mit dem Innsbrucker Philosophen Kastil aus der Schule von Franz Brentano trat wieder die Philosophie in den Vordergrund. Da mich vor allem die Erkenntnistheorie und Logik, speziell die Paradoxien der Mengenlehre fesselten, schien es mir richtig, die Chemie aufzugeben und an ihre Stelle Mathematik neben Philosophie zu studieren. Die Mathematik hat mich dann doch stärker angezogen als die Philosophie; ich fand in ihren Schlußweisen die Präzision und Sicherheit, die ich in der Philosophie gesucht, aber schließlilch nicht gefunden hatte. Geblieben ist mir jedoch ein stetes Interesse an den Grenzfragen von Mathematik und Philosophie. Ich habe selbst über mathematische Logik und Grundlagenforschung gelesen und war während meiner Münsteraner Zeit sehr eng mit Heinrich Scholz und seinem Kreis verbunden.
Nach Beendigung des Studiums in meiner Vaterstadt Graz ging ich 1928 nach Göttingen. Damals war die große Blütezeit von Göttingen in Mathematik und Physik. Hilbert las noch, die zweite Auflage der »Mathematischen Methoden in der Physik« von Courant und Hilbert wurde gerade bearbeitet, die neue Quantenmechanik erregte auch die Mathematiker. Ich selbst wurde Schüler von Emmy Noether und kam durch sie zur abstrakten Algebra, die damals unter ihrer Führung in stürmischer Entwicklung war. Meine Arbeiten aus dieser Zeit beschäftigten sich mit der Theorie der Algebren, der Darstellungstheorie und verwandten Fragen. Noch meine Habilitationsschrift 1931 in Münster behandelt Schiefkörper, ein rein algebraisches Thema.
1929 holte mich Otto Toeplitz auf ein Jahr als Assistent nach Bonn. Er wollte einen Algebraiker haben, um mit ihm zusammen die Theorie der Gleichungen mit unendlichvielen Variablen wieder aufzunehmen, ein Gebiet auf dem er viele Jahre früher gearbeitet hatte. Wir haben dann gemeinsam die Theorie der vollkommenen Räume entwickelt, ein Gegenstück zur Theorie der Banachräume. Beide Theorien sind nach dem zweiten Weltkrieg in der allgemeinen Theorie der topologischen linearen Räume aufgegangen, die durch die französischen Mathematiker des Bourbakikreises ihre endgültige Gestalt erhielt, nachdem die allgemeine Topologie als Hilfsmittel genügend weit entwickelt war.
Seit diesen ersten Arbeiten mit Toeplitz bin ich im wesentlichen diesem Problemkries treu geblieben, der auch als das Gebiet der Funktionalanalysis bezeichnet wird und der methodisch als Durchdringung und Fortentwicklung der klassischen Analysis mit topologisch-algebraischen Begriffen gekennzeichnet werden kann.
Seit meiner Göttinger Zeit ist mir die Seite der Mathematik, die in engen Beziehungen zur modernen Physik steht, besonders reizvoll erschienen. Dazu gehören die Begriffsbildungen der Funktionalanalysis, wie sie in der Operatorentheorie und der Theorie der Distributionen entwickelt wurden. Vor einigen Jahren habe ich eine funktionentheoretische Begründung und Verallgemeinerung der Distributionstheorie gegeben. Augenblicklich arbeite ich an einer Gesamtdarstellung der Theorie der topologischen linearen Räme, von der der erste Band kürzlich erschienen ist.
Mein äußerer Weg führte mich von Bonn über Münster, Giessen und Mainz nach Heidelberg, wo ich das neugegründete Institut für angewandte Mathematik aufzubauen übernahm. Der rasch steigende Bedarf an Mathematikern, die diejenigen Methoden beherrschen, die in den Anwendungen gebraucht werden, macht den Aufbau dieses Instituts zu einer wichtigen und lohnenden Aufgabe.
Ich danke der Akademie sehr herzlich, daß sie mich in ihre Reihen aufgenommen hat. Meine Neugierde, zu erfahren, was in den anderen Disziplinen vorgeht, stand immer im Widerstreit mit dem Alleinherrschaftsanspruch der Mathematik. Ich bin sehr froh darüber, daß diese Neugierde damit auf eine legale Basis gestellt ist.
Redaktion: Gabriele Dörflinger
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