Mathematik in Heidelberg um 1600

S. 32-33 aus:
Breger, Herbert: Streifzug durch die Geschichte der Mathematik und Physik an der Universität Heidelberg
In: Auch eine Geschichte der Universität Heidelberg / hrsg. von Karin Buselmeier ... - Heidelberg. - 1985, S. 27 - 50
UB-Signatur: 86 A 1180

Die Blütezeit der Heidelberger Mathematik fand um die Wende des 16. zum 17. Jahrhundert mit Valentin Otho, Jakob Christmann (1554 - 1613) und Bartholomäus Pitiscus (1561 - 1613) ihren Höhepunkt und Abschluß. Christmann hatte den zu seiner Zeit einzigen europäischen Lehrstuhl für arabische Sprache inne; zur Einrichtung dieser Professur hatte er selbst (damals noch als Professor der Hebraistik) aufgefordert, damit Philosophie und Arzneikunde aus den vorhandenen Originalquellen studiert werden könnten. (21) Obwohl wir also auch hier die enge Verbindung zur Philologie finden, besteht doch ein wichtiger Unterschied zwischen Otho, Christmann, Pitiscus und ihren Vorgängern: Während letztere das mathematische Wissen als in der Antike vollendet betrachteten, unternahmen erstere den Versuch einer Erweiterung der mathematischen Kenntnisse. Christmann war ein guter Astronom, er benutzte als erster das Fernrohr in Verbindung mit dem Sextanten. Vor allem aber sind seine Leistungen in der Trigonometrie, einem für viele praktische Anwendungen bedeutungsvollen Gebiet, zu erwähnen. Das Wort ,,Trigonometrie'' ist 1595 von Pitiscus geprägt worden. Otho vollendete die von dem Kopernikus-Schüler Rhaeticus begonnenen trigonometrischen Tafeln. Die Tafeln waren genau, umfassend und das erste wirklich brauchbare Werk dieser Art. Eine Reihe von Fehlern in diesem riesenhaften Werk wurde von Pitiscus berichtigt, der außerdem ein Lehrbuch der Trigonometrie verfaßte, das ,,unzweifelhaft zu den besten (gehört), die jemals über Trigonometrie geschrieben wurden'' (22) und das bald ins Englische und Französische übersetzt wurde. In seiner Eigenschaft als Hofprediger hielt Pitiscus 1610 anläßlich des Todes des Kurfürsten eine Grabrede von für die Zeit ungewöhnlichem Freimut. Er erwähnte auch persönliche Fehler des Kurfürsten und scheute sich nicht, das Gewissen des Fürsten als die Richtschnur zu bezeichnen, nach der sich die Untertanen zu verhalten haben, (23) - eine Maxime, die ein Fürst mit weitherzigem Gewissen für staatsgefährdend halten muß.

Daß Heidelberg zu dieser Zeit eine mathematisch-naturwissenschaftliche Spitzenstellung einnahm, findet einen äußeren symbolhaften Ausdruck darin, daß die Originalhandschrift von Kopernikus' Opus de revolutionibus caelestibus sich in Heidelberg befand. Die Handschrift war von Kopernikus über Rhaeticus an Otho und nach dessen Tod an Christmann übergegangen. Christmanns Witwe verkaufte die Handschrift an einen Heidelberger Studenten - den später so berühmten Pädagogen Comenius. (24)

Anmerkungen:

  1. Dictionary, s.o. Anm. 16, Bd.III, New York 1971, S. 262.
  2. Anton von Braunmühl, Vorlesungen über Geschichte der Trigonometrie, Bd. 1, Wiesbaden 1971 (Reprint der Ausgabe von 1900), S. 225 sowie S. 220.
  3. ADB, Bd. 26, Leipzig 1888, S. 204-205.
  4. Nikolaus Kopernikus, Gesamtausgabe, Bd. 1, München und Berlin 1944, Nachbericht S. XVII.


Redaktion:   Gabriele Dörflinger

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