Siegmund Günther

S. 285-286 aus

Louis, Herbert: Geographie
In: Geist und Gestalt : biographische Beiträge zur Geschichte der bayerischen Akademie der Wissenschaften vornehmlich im zweiten Jahrhundert Ihres Bestehens. - München. - 2 (1959), S. 281-291
Signatur UB Heidelberg: F 2049-4-10 Folio::2


Siegmund Günther (geb. 6. 2. 1848 in Nürnberg, gest. 3. 2. 1923 in München) war nach einem mathematisch-naturwissenschaftlichen Studium von 1872 bis 1886 teils als Gymnasiallehrer in Weißenburg und Ansbach, teils als Privatdozent in Erlangen und München tätig. 1886 bis 1919 war er als Nachfolger von Friedrich Ratzel ordentlicher Professor der Geographie an der Technischen Hochschule in München. Günther ist einerseits durch Lehrbücher der Geophysik und Physischen Geographie, der mathematischen Geographie und elementaren Astronomie hervorgetreten. In ihnen hat er den wohl letzten größeren Versuch unternommen, als einzelner die Gesamtheit der Erdwissenschaften zu umspannen.

Andererseits hat er bedeutende Werke zur Geschichte der Entdeckungen, zur Geschichte der Erdkunde und über große ältere Geographen, wie z. B. über Varenius geschrieben. Günther hat unerhört viele Veröffentlichungen verfaßt, nach G. Greim (Geographische Zeitschrift 1923 Seite 161-164) 2000 und mehr.

In den Sitzungen der Akademie hat er durch mehr als 20 Jahre fast bis zu seinem Tode eine rege Vortragstätigkeit entfaltet. Einmal waren es Gegenstände aus der Geschichte der Erdwissenschaften, die er hier vortrug, so über die Entwicklung des Winkelmessens mit dem Jakobstab, 1902, über die Vorgeschichte des barischen Windgesetzes, 1905, über einen portugiesischen Portulanatlas des Mittelalters, 1907, zur Vorgeschichte der modernen Gewitterkunde, 1910, zur Forschung über Korallenbauten vor Darwin, 1910, über Johannes Werners De Meteoroscopiis, 1912, über die antike Apokatastasis, die Lehre von großen Zeitaltern, nach deren Ablauf gigantische Überflutungen eintreten sollten, 1916, über Jodocus, Ambrosius Ammann und seine Kartierung Oberschwabens um die Wende des 18. Jahrhunderts, 1921. In diesen Mitteilungen hat er viele interessante und wertvolle wissenschaftshistorische Sachverhalte erarbeitet.

Daneben hat Günther in einer uns heute merkwürdig berührenden Weise eine Vorliebe für irgendwie auffällig oder absonderlich anmutende Naturerscheinungen bekundet. Er hat in der Akademie über tönenden Sand, über singende Täler und singende Felsen, über Luftpuffe und Nebelrülpse, 1901, über Erdknalle, 1903, über Erdpyramiden und Büßerschnee, 1904, über Erdbrände, 1908, über Wackelsteine, 1909, über durchbohrte Berge und orographische Fenster, 1911, über einen merkwürdigen Fall von Lokalmagnetismus an der bayerisch-sächsischen Grenze, 1912, vorgetragen. Er hat auch Erörterungen über allgemeine Fragen angestellt, ohne jedoch allzu weittragende Folgerungen daran anzuknüpfen. Hydrologisch-topographische Grundbegriffe, 1902, das Pothenotsche Problem auf der Kugelfläche, ein Naturmodell der Dünenbildung, 1907, die Glazialhypothese des Mondes, 1913, optische Beweise für die Erdkrümmung haben ihn beschäftigt. Im ganzen ergibt sich das Bild eines überaus tätigen Mannes, der am Leben der Akademie regen Anteil genommen hat und der seine Stärke mehr im kritischen Referieren sah als im unmittelbaren Vorantreiben der Forschung. Groß war sein Einfluß auf den erdkundlichen Schulunterricht in Bayern. Er war auch Abgeordneter des Deutschen Reichstags und des Bayerischen Landtags.

Ausführliche Nachrufe von E. v. Drygalski und von Siegmund Günther. Jahrb. d. Bayer. Akad. d. Wiss. 1922/23 S. 79-83. G. Greim: Siegmund Günther. Geogr. Zeitschr. 1923 S. 161-164.


Redaktion:   Gabriele Dörflinger

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