Nikolaus, N. von Kues, N. von Cusa, N. Cusanus,
eigtl. N. Chrypffs oder N. Krebs, Theologe und
Philosoph, * Kues (heute zu Bernkastel-Kues) 1401, +
Todi (Umbrien) 11. 8. 1464; vermutlich bei den Brüdern
vom gemeinsamen Leben in Deventer erzogen und in
die Geisteshaltung der Devotio moderna eingeführt,
studierte N. 1416/17 Philosophie in Heidelberg, bis
1423 in Padua kanon. Recht (Promotion) und
Mathematik; seit 1425 beschäftigte er sich mit
Theologie in Köln, wobei er bes. mit dem Werk des R.
LULLUS in Berührung kam. 1427 wurde er Stiftsdekan
in Koblenz, 1435 Propst von Münstermaifeld, 1448
Kardinal und 1450 Fürstbischof von Brixen. Er bemühte
sich intensiv um die Reform von Kirche und Reich; so
nahm er seit 1432 am Basler Konzil teil, beteiligte sich
1439 am Unionskonzil von Florenz sowie an den
Verhandlungen zum Wiener Konkordat (1448).
1450-52 bemühte er sich in ausgedehnten Reisen um
eine Reform des Ordenslebens in Dtl. und bereitete als
Generalvikar durch ein umfassendes Gutachten
(»Reformatio generalis«) die Reform des röm. Klerus
vor.
Lehre und Werk: Beeinflusst durch MEISTER ECKHART und
den Nominalismus W. VON OCKHAMS, steht N. in seinem
theologisch-philosoph. Denken in der Tradition des
christl. Neuplatonismus, den er durch die Vermittlung
des JOHANNES SCOTUS ERIUGENA kennen lernte. In
seinem 1440 erschienenen philosoph. Hauptwerk (»De
docta ignorantia«, Von der gelehrten Unwissenheit)
sucht er Bedingungen und Möglichkeiten menschl.
Erkennens durch seine Vorstellung vom
Zusammenfallen der Gegensätze in Gott (»Coincidentia
oppositorum«) zu erweitern, wobei er konsequent die
Methoden der negativen Theologie anwendet. Zw. der
geschaffenen Welt als der Entfaltung Gottes ins Nichts
und Gott selbst, der als das All-Eine alle
Gegensätzlichkeit in sich aufhebt, vermittelt CHRISTUS
als der verkörperte Logos. Welt und Mensch
(Mikrokosmos) werden so zum Abbild eines
Universums, in dem alles Seiende hierarchisch gegliedert
ist. In seinem gesamten Werk bedient sich N. bevorzugt
mathemat. Denkweisen, die er auch auf
theologisch-philosoph. Sachverhalte anzuwenden
versteht. So wendet er mathemat. Verfahren und
Begriffe wie Extrapolation und Limes auf das
Verhältnis von Gott und Welt an, um Einheit und
Vielheit gleichzeitig aussagen zu können; mithilfe der
Unendlichkeitsvorstellung erarbeitet er neue
Hypothesen in der Theologie, Anthropologie und
Kosmologie. Über theolog, und mathemat.
Spekulationen hinaus bemühte sich N. intensiv um das
Studium der Natur und eine neue Methodologie der
Naturforschung, die auf Einsichtigkeit und Nützlichkeit
gerichtet war. Gegenstand seiner naturwissenschaftl.
Überlegungen waren u. a. die Kalenderreform und die
Achsendrehung der Erde. Als einer der ersten dt.
Humanisten befasste sich N. mit der
historisch-philolog. Untersuchung antiker
Handschriften und erwies die Konstantin. Schenkung
als Fälschung. Als Mathematiker beschäftigte sich N.
v. a. mit der Quadratur des Kreises (»De circuli
quadratura«, 1450), wobei er einen gegenüber
ARCHIMEDES verbesserten Näherungswert für pi angab,
mit dem Problem der Kontingenzwinkel und mit dem
Status der Zwischenwerteigenschaft. Seine »Perfectio
mathematica« (1458) antizipiert infinitesimale
Methoden.
Zu seinen theolog. Hauptwerken gehören seine
Reformschrift »De concordantia catholica« (1434)
sowie »De visione Dei« (»Über die Schauung Gottes«,
1453), »De principio« (»Über den Ursprung« 1459),
»De possest« (»Über das Können-Ist, d.h. Gott«,
1460), »De cribratione Alchoran« (»Sichtung des
Koran«, 1461).
Quelle:
Brockhaus - die Enzyklopädie. - 20. Aufl. - Leipzig.
Bd. 15 (1996), S. 673-674
Redaktion:
Gabriele Dörflinger
Zur Inhaltsübersicht
Historia Mathematica Heidelbergensis
Homo Heidelbergensis