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Schmidt, Ronald M.: Orientalistik in Heidelberg

In: Bibliotheca Palatina : Katalog zur Ausstellung vom 8. Juli bis 2. November 1986. - Heidelberg. - Textband (1986), S. 414-417

G Blütezeit der Bibliothek

G 1 Orientalistik in Heidelberg

Die orientalischen Handschriften in der Bibliothec Palatina gehen auf die Sammeltätigkeit Guillaume Postels (1510? 1581) zurück (vgl. B 15), eines gelehrten Franzosen, der als Gesandter des französischen Königs Franz 1. 1534 an die Hohe Pforte geschick worden ist. Postel studierte in Paris Griechisch und Hebräisch und beherrschte auch Italienisch, Spanisch und Portugiesisch. Sein Sprachgenie vermittelte ihm den Zutritt zum Hofe, wo er Margarete vor Navarra empfohlen worden war.

Franz 1. hatte in seinem Kampf gegen Karl V. Verhandlungen mit dem osmanischen Sultan eingeleitet. 1534 konnte eine Delegation nach Konstantinopel reisen und 1535 die berühmte Kapitulation erwirken, in der den Untertanen Franz 1. das Recht verliehen worden war, sich in der Türkei niederzulassen und Handel zu treiben. Postel nutzte seine Reise zu ausgiebigen Studien des Arabischen. Als er 1537 nach Europa zurückkehrte, versuchte er in Venedig den Drucker Daniel Bomberg zur Herstellung von arabischen Typen anzuregen. Franz 1. ernannte ihn 1539 zum Professor regius im neugegründeten Collège de France. In dieser Zeit veröffentlichte er seine Grammatica Arabica.

Diese Arbeit ist sein letzter unmittelbarer Beitrag zur Arabistik gewesen. Fortan träumte Postel von einer Missionstätigkeit zur Bekehrung aller Ketzer und Heiden, von einer Eroberung der Welt durch die von Frankreich angeführten christlichen Nationen. Sein Patriotismus war gepaart mit der Vorstellung, daß die Wahrheit des christlichen Glaubens allen seinen Gegnern verstandesmäßig bewiesen werden könne. Für diese Aufgabe wollte er sich seine Sprachkenntnisse und sein Wissen um die orientalischen Kulturen zunutze machen.

Da er in Paris für seine Pläne keine Unterstützung bekam, ging Postel 1544 nach Rom, wo er bei den Jesuiten für seine Ideen warb. Doch Ignatius von Loyola konnte diesen Mann, der den französischen König zum Weltherrscher erheben wollte, nicht akzeptieren. Postel ging im folgenden Jahr nach Venedig, wo er Mater Johanna traf, eine Krankenschwester, die Visionen hatte und sich einbildete, der Weltuntergang stünde bevor. Sie glaubte als Welterlöserin ausersehen zu sein. Er geriet immer mehr in Abhängigkeit dieser visionären Idee.

Um seine Missionspläne verwirklichen zu können, benötigte er orientalische Bibelhandschriften (Cod. Vat. Ar. 23 -> G 1.5 u. Cod.Vat. Syr. 16 -> G 1.3), um die orientalische Welt durch das arabische und syrische Evangelium für das Christentum gewinnen zu können. Von Bomberg besorgte er sich die Mittel für eine zweite Orientreise, die ihn über Jerusalem nach Konstantinopel führte. Dort hielt sich Postel 1550 - 51 auf. Die auf dieser Reise gesammelten arabischen Handschriften gab er auf dem Rückweg nach Paris in Venedig Bomberg in Verwahrung. Nach dem Tod der Mater Johanna wollte er in Paris ihre »Sendung« verbreiten. 1551 - 53 veröffentlichte Postel zahlreiche Schriften, erregte dann aber das Mißtrauen des Hofes und begab sich 1553 über Venedig nach Wien zu Johann Albrecht Widmanstetter, der gerade an der syrischen Ausgabe eines Neuen Testaments arbeitete. Vom Kaiser zum außerordentlichen Professor an der Wiener Akademie ernannt, lehrte er über verschiedene Themen seines Interessengebietes. Schon 1554 mußte er Wien verlassen, weil verschiedene seiner Schriften auf den Index gesetzt worden waren und er sich zu rechtfertigen suchte. Man bescheinigte ihm, nicht aus Böswilligkeit, sondern aus Unverstand (!) gefehlt zu haben.

In dieser Notlage mußte sich Postel von seinen orientalischen Handschriften trennen. Vermittelt durch den Freund Andreas Masius, der Clevescher und Kurpfälzischer Rat war, verpfändete er das Corpus 1551 an Kurfürst Ottheinrich für 200 Dukaten. Ottheinrich hat die Postelschen Handschriften dann später in die Bibliotheca Palatina stellen lassen (-> B 15). Die Anfänge der Arabistik in Deutschland sind mit diesen Handschriften Postels eng verknüpft. Immanuel Tremellius (1510 - 1580), ein Jude aus Ferrara, der zuerst zum katholischen, dann zum reformierten Glauben konvertiert war, lebte seit 1561 in Heidelberg. Er gab 1569 die syrische Übersetzung des Neuen Testaments nach einer der Postelschen Handschriften heraus (Cod. Vat. Syr. 16 -> G 1.3), nachdem er im gleichen Jahr eine Grammatica Chaldaea et Syriaca besorgt hatte. Sein Schüler und späterer Nachfolger als Professor für Hebräisch an der Universität Heidelberg Fr. Junius (du Jon, 1545 - 1602) übersetzte die arabische Bibelübersetzung aus dem Corpus der Postelschen Handschriften (Cod. Vat. Ar. 23 -> G 1.5) ins Lateinische.

Im Auftrag des Kurfürsten ordnete der im nahegelegenen Schönau amtierende Pfarrer Ruthger Spey die talmudischen Bücher der Bibliotheca Palatina. Bei dieser Arbeit war Spey auf die orientalischen Bibelhandschriften der Postel-Sammlung gestoßen. Aus der Handschrift (Cod. Vat. Ar. 23 -> G 1.5) gab er 1583 den Galaterbrief heraus (Orient. V 260 -> G 1.6). Der arabische Text ist in Holz geschnitten worden. Wie Postel war auch der Pfarrer Spey vom Missionsgedanken beseelt: Er empfahl die Einrichtung einer arabischen Druckerei, um die Bibel in Arabisch im Orient verbreiten zu können. Wie Postel fand auch er keine Unterstützung für dieses Vorhaben.

Der erste jedoch, der sich gründlich mit diesem Corpus beschäftigte, war ein Schüler des Junius, der Orientalist und Astronom Jakob Christmann (1554 - 1613). Unter Johann Casimir wurde er 1584 zum Professor für Hebräisch an die Universität Heidelberg berufen. Christmann lieferte von den Handschriften Postels ein Verzeichnis, das Titel und Inhalt der Handschriften, wenn auch nur in Stichworten, wiedergibt (Cod. Pal. Lat. 1951 -> G 1.1).

Christmann gab 1582 das Alphabetum Arabicum cum isagoge scribendi legendique Arabice heraus, eine kurzgefaßte Schriftlehre mit arabischen Lettern, die nach seinen Zeichnungen in Holz geschnitten waren. Schon 1590 veröffentlichte er im Vorwort zur Edition der Astronomie des Al-Fragani (Stamp. Chigi V 1127 -> G 1.2) sein arabisches Forschungsprogramm.

Schottenloher, S. 7, Anm. 8. - Levi della Vida (1939). - Fück, S. 36-47. - Guillaume Postel 1581 - 1981. Actes du Colloque International d'Avranches 5-9 septembre 1981, Paris 1985.

R.M.S.

G 1.1. Das Verzeichnis der orientalischen Handschriften der Palatina

Sammelhandschrift mit Katalogeintragungen verschiedener Hände, 16. Jahrhundert, 22 x 32 cm
Verzeichnis der aus dem Besitz von Guillaume Postel von Ottheinrich erworbenen Handschriften von der Hand Jakob Christmanns

Cod. Pal. Lat. 1951

Die Anfänge der Arabistik in Deutschland sind mit den Handschriften Postels, die von Ottheinrich 1555 erworben wurden, eng verknüpft. Jakob Christmann fertigte von diesen Handschriften ein Verzeichnis an, das hier gezeigt wird. Es gibt Titel und Inhalt, wenn auch nur in Stichworten, wieder. Die nachfolgende Abschrift des Textes ist um die Signaturen der Bände und die Exponatnummern der Ausstellung ergänzt worden.

Manuscripti Arabici
Geographia Abilfedeasi. adglutinati (sic) su(n)t in fine computationes Medicae fol. zimlich dick
(Cod. Vat. Ar. 266 -> B 15.8)
Liber Thorae, id est, Pentateuchi cum brevi explicat(io)ne 4° dick [gestr.] sehr dick
(Cod. Vat. Ar. 1 -> B 15.1)
Abul Chassumi Historia viaria (sic), Res tam Christianorum q(uam) Turcarum gestas annis sexcentis a fuga Mahometis ad Medinath Alnabi. 4° gewaltig dick.
(Oxford, Bodleian Library, Ms. Marsh 309 -> H 5.5)
Liber Elbuchari Mahometis 4°. zimlich dick
(Cod. Vat. Ar. 249 -> B 15.6)
Onomasticon [korr. aus Onosmasticon] simplicium Medicamentor(um). 4° sehr dick.
(Cod. Vat. Ar. 374 -> B 15.7)
Disputatio Christiani cum Mahometano de religione. 4° zimlich dick
(Cod. Vat. Ar. 180 -> B 15.3)
Liber adversus haereses Orient(alis) Eccles(iae) 4°. zimlich dick
(Cod. Vat. Ar. 118 -> B 15.2)
Johan(nis) Damasceni de Orthodoxa fide lib. 4. [quib(us) praemittitur. Logica.]
Calendarium cum festis sanctorum.

(Cod. Vat. Ar. 177 -> B 15.5)
Pauli Epistolae cum Canonicis item Acta Apostolorum. 4° sehr dick
(Cod. Vat. Ar. 23 -> G 1.5) Pr[ae]cationes Arabicae. 12°
(Cod. Pal. Turc. 15 -> B 15.9)
Aethiopicae (sic)
Psalterium Abasinum Chaldaeum sine (sic) Aethiopicum, cum praecationib(us) Mosis & veteris Testamenti Sanctorum hominum. 8°.

(Cod. Vat. Etiop. 27 -> B 15.10)
Syriaci
Grammatica Syriaca Gregorii Episcopi Oriental(is) cum gloßematib(us) Syris. Fol.

(Cod. Vat. Sir. 193).
Ezechiel Propheta. mutilatus quidem sed vetustatis non contemnendae. groß 4°.
(Cod. Vat. Sir. 5 -> B 15.11).
Commentarij in Euangelia, Georgij Severi, Gregorij Niseni & alterius Gregorij Theologi.
(Cod. Vat. Sir. 154)
Novum Testamentum Syriace. [Apocalypsis non adest.] Vsus hoc est Imm. Tremellius. Distinctiones lectionum sacrarum dieb(us) festis, ut in exemplari Viennensi, heic non habentur. Genebrardus immerito igitur calumniatur transiationem Tremellij, quasi detraxerit Romani (sic) Ecclesiae.
(Cod.Vat. Sir. 16 -> G 1.3)
Haec Christmannus

Schottenloher 1927, S. 128-130. - Levi della Vida 1939, S. 293 ff. - Fück 1955, S. 44 ff.

R.M.S.

G 1.2 Jakob Christmanns Programm für die Arabistik in Heidelberg

Ahmad ibn Muhammad ibn Kathir, aI-Farghani
MVHAMEDIS // ALFRAGANI // ARABIS CHRONOLO- //GICA ET ASTRONOMICA // ELEMENTA, E PALATINAE // bibliothecae veteribus libris versa, // expleta, & scholiis expolita. // ADDITVS EST COMMENTARIVS, // ... Autore M. IACOBO CHRISTMANNO Ioannis= // bergensi, Inclytae Academiae Heidelbergensis Professore. // FRANCOFVRDI // Apud Andreae Wecheli heredes, // Claudium Marnium, & Ioann. Aubrium. II MDXC.// [8] Bl., 565 S., [1] Bl., 19 x 12 cm

Stamp. Chigi V 1127

Diese Astronomie des Al-Fragani übersetzte Jakob Christmann (1554-1613) 1590 nicht aus den arabischen Quellen, sondern nach der hebräischen Übertragung des Jakob Anatoli ins Lateinische. Eine hebräische Handschrift war auch in der Palatina vorhanden (Cod. Vat. Ebr. 368, vgl. Cassuto 1935.) Von Bedeutung für die Wissenschaftsgeschichte ist der Druck aus der Frankfurter Offizin Wechels vor allem durch seine Epistola dedicatoria an Johann Casimir, wo Christmann den Bestand der Bibliotheca Palatina als Begründung für den Wunsch nach der Errichtung einer Professur für Arabistik an der Universität Heidelberg heranzieht:

Neque mehercule parum dignitatis Academiae accesserit, si cathedram professionis Arabicae erigas, in eaque cum Philosophiam, tum Medicinam ex suis fontibus doceri permittas. Suppeditat praelum Romanum libros elegantissimos; habet bibliotheca Palatina Abilfedeam cosmographum, Regimen sanitatis, Takvim-uzzihet appellatum, autore Aben Gezla, Epitomen Almagesti, Historiam Abul-Hassumi, quae ab Hegira usque ad imperium Ottomannicum res tam Christianorum quam Saracenorum per septingentos annos gestas, exponit: habet denique alias manuscriptos et insigni eruditione refertos codices. Ex quibus codicibus si Lexicon aliquod diligenti inquisitione extrahatur, et Grammaticae institutiones cum methodica Radicum analysi adiungatur; brevi futurum est, ut idioma Arabicum penitus innotescat, et multiplex corruptissimorum vocabulorum farrago, quae se in versiones interpretum insinuavit, prorsus extirpetur. Ad quam rem haud parum fortasse consulerint meditationes a me privatim confectae: quas summi consiliarii non modo viderunt, verum etiam probarunt, et ut ab ornatissimo viro Abrahamo Colbingero, fidissimo tibi a secretis ministro, accepi, editione dignos esse iudicarunt. Quare opportunum esse existimo, ut quae ante complures annos prelo committere decrevi, tandem publicae utilitatis causa pro virili parte promam: et Arabismi non tam proprietatem, quam eiusdem summam cum dialecto Hebraeorum ac Chaldaeorum affinitatem demonstrare pergam. (fol. IIII-V)

Christmann schlägt dem Kurfürsten vor, einen Lehrstuhl für Arabisch an der Universität Heidelberg zu errichten und Philosophie und Medizin aus den Quellen lehren zu lassen. Die Bibliotheca Palatina besitze Abu l-Fida's Kosmographie (Cod. Vat. Ar. 266 -> B 15.8), das Regimen Sanitatis (Cod. Vat. Ar. 266 u. 374 -> B 15.8, B 15.7), eine Epitome des Almagest, die Historia Abul Hassumi und andere Handschriften. Mit ihrer Hilfe könne man ein Wörterbuch und ein grammatisches Lehrgebäude errichten, in dem die Wurzeln methodisch analysiert würden. Dann werde es gelingen, das Arabische gründlich zu erforschen und den Wust von Korruptelen zu beseitigen, welche sich in die Übersetzungen eingeschlichen haben.

Die in der Literatur häufiger erwähnte Ernennung Christmanns zum Professor der arabischen Sprache durch Friedrich IV. 1608 ist jedoch mit Vorsicht zu lesen. Eike Wolgast verdanke ich den Hinweis auf eine Stelle der Annales universitatis zu 1609, die die Bedenken der Universität gegen der arabischen sprach offentlicher profession überliefert. Friedrich IV. hatte an die Universität geschrieben, er habe Mag. Jacob Christmann, Professor Organi Aristotelici, auch daneben die translation und Emendation der Arabischen bucher, welch auff unser Bibliothec alhie vorhanden seindt, so viel er darzu zeit und gelegenheit haben wird, gnediglich aufferlegt. Er solle billigermaßen ergötzlichkeit dafür erhalten. Auch an späteren Stellen wird Christmann ausdrücklich als Extraordinarius aufgeführt.

Christmann hatte 1582 das Alphabetum Arabicum cum isagoge scribendi legendique Arabice herausgegeben, eine kurzgefaßte Schriftlehre mit arabischen Lettern, die nach seinen Zeichnungen in Holz geschnitten waren. Das wahrscheinlich aus der Palatina stammende Exemplar dieser Schrift ist in der Vatikanischen Bibliothek leider vermißt.

Annales universitatis Bd. 26 BI. 57V - 58R zu 1609, Heidelberg UA. - Levi della Vida 1939 S. 329 ff. - Fück, S. 44ff.

R. M. S.


Redaktion:   Gabriele Dörflinger

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