Weiter nennen wir Nikolaus Cusanus als ihren Angehörigen, welcher 1416 in Heidelberg immatrikuliert wurde und hier schon seine ersten Anregungen empfangen hat. In der Zeit des Humanismus übte einen entscheidenden Einfluß die sodalitas litteraria Rhenana aus. In Richtung ihrer Bestrebungen erfolgte 1547 die Errichtung des mathematischen Lehrstuhls: „Fridericus II. peculiarem Matheseos cathedram fundavit, cui M. Jacob Curio (Hofmann) de Hof anno 1547 praeesse coepit.“ Melanchton stand mit diesem Kurfürsten und dessen Sohne Ott-Heinrich in ständiger Verbindung. Ihnen verdankt das neu geordnete mathematische Studium sein Gepräge. Auch Disputationen finden statt. Schon 1603 ist die „Specula mathematica“ erwähnt, eine Vorstufe für das spätere Seminar. Während Wilhelm Xylander (Holzmann) 1561 aushilfsweise die Mathematik übernahm, knüpft sich an seinen Namen der Höhepunkt der Uebersetzungstätigkeit griechischer Klassiker, des Euklid ins Deutsche und des Diophant ins Lateinische. Um die Wende zum 17. Jahrhundert verbreitet das Dreigestirn Jakob Christmann, Valentin Otho und Simon Petiscus (*) viel Glanz in der Trigonometrie. Das große Opus Palatinum des Rheticus wird 1596 zu Ende geführt. Petiscus ist der Schöpfer des Thesaurus mathematicus. Die Schäden des 30jährigen Krieges sucht Karl Ludwig (1652-1680) zu heilen, der in Leyden selbst mathematische Bildung erwarb. Er beruft Johannes Lünneschloß. Das Seminar wird mit Büchern und Instrumenten neu ausgestattet. Aber der orléanische Krieg bringt ihm Schaden in Höhe von 4000 Gulden. 1704 finden wir auch schon einen Honorarprofessor tätig, Hartsoecker, den Freund Newtons.
Die auftretenden Jesuiten verwischen bedenklich die Grenzen der Fächer und noch unter Karl Theodor (1743-1799) ist Experimentalphysik und Mathematik in der Hand Christian Mayers, in dessen zwanzigjähriger Tätigkeit vereinigt; bei der Trennung im Jahre 1780 erhält Schwab die Physik, Mathaeus Kübel die Mathematik. Von 1816-1827 bestanden erstmals zwei Ordinariate nebeneinander: neben Karl Christian von Langsdorf lehrte Franz Ferdinand Schweins durch vierzig Jahre. Neben ihm habilitierte sich Moritz Cantor, der große Historiker der Mathematik, der sechs Dezennien in Heidelberg lehrte und forschte. Er starb 1920. Im Wintersemester 1856/57 ist Jakobis Schüler, der große Geometer Ludwig Otto Hesse als ordentlicher Professor nach Heidelberg berufen worden, hier tätig von 1857-1868, welcher unter dem Namen „Analytisch-geometrische Entwicklungen“ seinen Schülern seine moderne analytische Geometrie im Seminar vermittelte. Ein Modell-Cabinett treffen wir schon 1831/32 [wie Herr Rosenthal u.a. festgestellt hat.] unter den Direktoren Schweins und R au, einem Nationalökonomen! Seit 1857/58 besaß Mathematik und Physik ein beiden gemeinsam dienendes Modell-Cabinett unter Hesse und Kirchhoff. Nach dem Weggang von Hesse führte es Kirchhoff allein, offenbar weil 1869 Kirchhoff und Königsberger das mathematisch-physikalische Seminar in der neuzeitlichen Form begründet hatten. Wir finden seine Statuten in dem von Hintzelmann 1886 zum Universitätsjubiläum herausgegebenen Almanach. Danach fanden Seminarübungen alle 14 Tage statt. Die besten Arbeiten wurden mit Prämien bedacht, über dieselben auch an. das Ministerium berichtet. Während das Modell-Cabinett schon 1875 in eine mathematische und physikalische Abteilung zerlegt wurde, zuerst unter dem Direktorium von Fuchs und Quincke, hieß das Seminar mathematisch-physikalisches, obwohl die Uebungen von vornherein getrennt abgehalten wurden. Formal er- folgte die Trennung hier mit dam Jahre 1900. Zu Anfang befand sich die Mathematik im Parterre des Friedrichsbaues. In den Vorlesungsverzeichnissen hieß es gewöhnlich: „Die Uebungen im mathematischen Ober- und Unterseminar leitet Professor Königsberger.“ Dieser hervorragende Gelehrte wirkte hier bekanntlich von 1868-1875 und folgte dann Rufen nach Dresden und Wien (1875-1884). Während dieser Zeit war Lazarus Fuchs sein Nachfolger. 1884 kehrte Königsberger wieder nach Heidelberg zurück und lehrte bis 1918. Er starb hier 1921.
Den Ausgangspunkt ihrer akademischen Laufbahn haben eine Reihe bedeutender Mathematiker in Heidelberg genommen. Wir nennen: Friedrich Eisenlohr, Paul Dubois-Reymond, Jakob Lüroth, Heinrich Weber, Max Noether, Hermann Schapira und Georg Landsberg. Karl Koehler habilitierte sich 1882, wurde 1905 planmäßig und lehrte ununterbrochen bis 1927. Später, in die Jahre 1900 und 1920 fallen die Habilitationen von Karl Boehm und Wolfgang Sternberg. Im Jahre 1913 wird durch Paul Stäckels (†) organisatorische Kraft nach Leo Königsbergers Emeritierung das „Mathematische Institut“ in den zweiten Stock des Friedrichsbaues verlegt und in seiner heutigen Gestalt geschaffen. Er lehrte zusammen mit Oskar Perron, der 1922 nach München ging, bis 1919 am neuen Institut. Neben ihnen Friedrich Pfeiffer als Nachfolger des im Weltkriege gefallenen Wolfgang Vogt, jetzt in Stuttgart.
Die in der Gegenwart stattfindenden Vorlesungen und Seminarien sind bedeutend erweitert und ausgebaut und in den Vorlesungsverzeichnissen leicht auffindbar. Eine wohlorganisierte Fachschaft arbeitet verständnisvoll mit ihren akademischen Lehrern zusammen auf dem klassischen Boden der Ruperto-Carola, welche auch auf mathematischem Gebiet so große Traditionen besitzt.
Anmerkung:
* Dies ist eine Verwechslung mit Bartholomäus Pitiscus,
der Oberhofprediger des Kurfürsten war und keine Stellung an
der Universität bekleidete.
Zu Simon Petiscus vgl. den Eintrag im
Heidelberger Gelehrtenlexikon
von Dagmar Drüll.
Gabriele Dörflinger
Redaktion: Gabriele Dörflinger
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