Biograph. Lexikon hervorragender Ärzte des 19. Jhd. |
Nothnagel, Hermann, zu Wien, geb 28. Sept. 1841 zu Alt-Lietzegoericke in der Neumark, studierte 1859 bis 63 als Eleve des Friedrich Wilhelms-Instituts in Berlin; seine hauptsächlichsten Lehrer waren TRAUBE, welcher den massgebendsten Einfluss auf seinen wissenschaftl. Entwicklungsgang ausübte und VIRCHOW. Er wurde 1863 promoviert, war 1865 bis 68 Assistent bei LEYDEN in Königsberg, habilitierte sich daselbst 1866 als Dozent, war 1868 bis 70 als Dozent und Militärarzt in Berlin, ebenso 1870 bis 72 in Breslau thätig. 1872 wurde er als ord. Prof. der med. Poliklinik und Arzneimittellehre nach Freiburg i. Br. berufen, 1874 als Prof. der med. Klinik nach Jena und 1882 auf den gleichen Lehrstuhl in Wien. Schriften: „Handbuch der Arzneimittellehre“ (die beiden ersten Auflagen allein, die späteren gemeinsam mit ROSSBACH) - „Anämie und Hyperämie, Blutungen und Erweichungen des Gehirns. - Epilepsie“ (in V. ZIEMSSEN's Handbuch der spez. Pathol. u. Ther.) - „Topische Diagnostik der Gehirnkrankheiten“ - „Beiträge zur Physiologie und Pathogie des Darmes“ - „Die Krankheiten des Darms und des Peritoneum“. Ausserdem eine grosse Reihe von Untersuchungen und Aufsätzen, welche meist in VIRCHOW's Archiv, dem D. A. f. k. M., der Ztschr. f. k. M. und an anderen Orten veröffentlicht sind. Dieselben behandeln versch. Fragen der Physiologie und Pathologie des Nervensystems (experiment. Forschungen über das Gehirn, die Pathologie der Krämpfe, die Wirkungen des Blitzes, den Temperatursinn, über vasomot. Neurosen u.s.w.); über die ADDISON'sche Krankheit, über die rhythmische Herzthätigkeit, über Magencirrhose. Die Untersuchungen zur Physiol. und Pathol. des Darmes sind in der erwähnten Monographie zusammengefasst. Neuerdings hat er eine Untersuchungsreihe über die Frage der Kompensationsvorgänge bei pathol. Zuständen begonnen (Ztschr. f. k. M.). Seit 1894 erscheint unter seiner Redaktion ein gross angelegtes Handbuch der spez. Pathol. und Therapie in 24 Bänden, in welchem er selbst die Krankheiten des Darms und des Peritoneum bearbeitet hat.
Oppenheimer, Zacharias, in Heidelberg, geb. zu Michelfeld (Baden) Jan. 1830, in Heidelberg und Würzburg ausgebildet, hauptsächlich als Schüler HASSE's und seitdem als Arzt und Dozent in Heidelberg thätig, gegenwärtig als ältester Prof. e. o., schrieb über: „Progressive Muskelatrophie“ - „Modus der Arsenikvergiftung durch Tapeten“ - „Physicalische Heilmittel“ - „Asthma rachiticum“ - „Beobb. zur Ätiol. der Rachitis“.
Oppolzer, Johann Ritter von, geb. 1808 m dem böhmischen Städtchen Gratzen, war nach dem frühzeitigen Tode seiner Eltern, welche ihn in den dürftigsten Verhältnissen zurückliessen, gezwungen, während seiner Gymnasial- und Univ.-Studien in Prag sich durch Unterrichtgeben kümmerliche Subsistenzmittel zu schaffen; trotzdem entwickelte er einen solchen Eifer für seine Studien; dass er die Aufmerksamkeit seiner Lehrer auf sich zog und namentlich von dem. klin. Lehrer KROMBHOLZ mit besonderen Vertrauen beehrt und zum Assistenten an der med. Klinik des allgemeinen Krankenhauses ernannt wurde. Auf Grund seiner Diss. „Observationes de febri nervosa intestinali anno 1834 Pragae epidemica“ prom. er 1835, behielt aber noch 4 Jahre lang seine Assistenten-Stellung im Krankenhause bei und habilitierte sich erst 1839 als prakt. Arzt in Prag. Sehr schnell gelang es ihm, sich das Vertrauen des Publikums zu erwerben, so dass er bald zu den renommiertesten Ärzten der Stadt zählte und schon 2 Jahre danach wurde ihm die grosse Auszeichnung zu teil, dass er nach dem Ausscheiden des Prof. KROMBHOLZ aus dem Amte zum Prof. ord. ernannt und mit der klin. Professur und der Stelle eines Primararztes im Krankenhause betraut wurde. 1848 folgte er einem Rufe als klin. Lehrer am Jakobs-Hosp. in Leipzig und zwei Jahre später einer Berufung in gleicher Eigenschaft und als Primararzt am allgem. Krankenhause nach Wien. In dieser Stellung hat O. 21 Jahre lang eine segensreiche Thätigkeit als Arzt und Lehrer entwickelt. 1871, zur Zeit der Typhus-Epidemie in Wien, wurde er infolge einer im Krankenhause erfolgten Infektion vom Typhus befallen und am 16. April ist er der Krankheit erlegen. - O. war ein klin. Lehrer ersten Ranges und als solcher hat er, neben ROKITANSKY, SKODA und HEBRA, den damaligen Glanz der Wiener Schule begründet; scharenweise strömten die jungen strebsamen Ärzte aus allen Gegenden Europas nach Wien, um seines Unterrichtes teilhaftig zu werden und wie er diese durch sein freundliches Entgegenkommen an sich fesselte, durch seinen Eifer und seine unermüdete Thätigkeit begeisterte und die Kollegen, unter welchen er keinen Feind, ja selbst keinen Neider hatte, durch sein echt humanes Wesen sich verband, so gewann er mit der Sicherheit, mit welcher er am Krankenbette auftrat, mit der liebevollen Aufmerksamkeit, welche er seinen Kranken ohne Unterschied der gesellschaftlichen Stellung erwies, das Vertrauen des Publikums und begründete den Weltruf, dessen er sich als Arzt erfreute. Im Vollbesitze der Kenntnis aller der grossartigen Fortschritte, welche die neueste Zeit auf dek Gebiete der Med. zu Tage gefördert hatte, trat er als Bekämpfer der alten symptomatischen Pathologie und als Evangelist einer streng physiol. Heilkunde auf, und mit dem Nachweise, dass die Aufgabe und das letzte Ziel der Med. nicht in der Stellung der Diagnose und der Bestätigung dieser durch den Leichenbefund, sondern in dem Heilen beruhe, verurteilte er den therapeutischen Nihilismus, der in der Wiener Schule Platz gegriffen hatte, während er andererseits mit dem Prinzipe, dass der Arzt stets bestrebt sein müsse, mit den einfachsten Mitteln zu heilen, der therapeutischen Vielgeschäftigkeit entgegentrat. Die litterar. Thätigkeit O.'s ist eine sehr beschränkte geblieben; selbstständige Schriften hat er, ausser seiner Inaug.-Diss., nicht veröffentlicht; die aus seiner Feder stammenden Journal-Artikel sind im älteren Lexikon z. T. zusammengestellt. Zahlreiche klin. Vorträge und Berichte über Kasuistik aus O.'s Klinik sind später von seinen Schülern in den Wiener med. Zeitschrr. mitgeteilt worden. Ritter V. STOFFELA, Schwiegersohn und mehrjähriger Assistent O.'s, hat die Vorlesungen desselben über spez. Pathol. und Therap. veröffentlicht; der 1. Band (1866 bis 70) enthält die Krankheiten des Herzens und der Gefässe und die Krankheiten der Atmungsorgane, vom 2. Bande ist nur eine Lieferung, die Krankheiten der Mundhöhle enthaltend, 1872 erschienen. Die letzte der zahlreichen O. zu Teil gewordenen äusseren Anerkennungen war 1869 seine, mit der Verleihung des Ritterkreuzes des Leopolds-Ordens verbundene Erhebung in den Adelsstand.
Schweninger, Ernst, in Berlin, geb. zu Freistadt i. d. Pfalz 15. Juni 1850, studierte seit 1866 in München, war 1870 bis 79 Assistent von BUHL, approbiert 1873, habilitierte sich 1875 f. pathol. -Anat. trat durch seine Erfolge mit der von OERTEL herrührenden Kur in Beziehung zu Fürst BISMARCK, der ihn als seinen Leibarzt nach Berlin, zog, wo er 1884 Prof. e. o. wurde und die Leitung der Abt. für Hautkranke a. d. Charité von LEWIN abgezweigt erhielt, zugleich mit dem Charakter als Geh. Med.-Rat. 1900 wurde er zum Direktor des neuerbauten Kreiskrankenhauses in Gr. LichterfeIde bei Berlin er wählt. Seine verschiedentlich zerstreuten Arbeiten sind in einem Sonderwerk (Berlin 1886) zusammengefasst. Dazu erschien zum 1. Jahrestag von BISMARCKs Tod: „Zum Andenken an etc.“ (Leipzig 1900).
Virchow, Rudolf, in Berlin, geb. 13. Okt. 1821 zu Schievelbein in Pommern, studierte 1839 bis 43 in Berlin im Friedrich Wilhelms-Institut, wurde 1843 Unterarzt, schrieb als Inaug.-Diss. „De rheumate praesertim corneae“ (21. Okt. 1843), ward 1844 an der Prosektur der Charité ROBERT FRORIEP's Assistent und 1846, als dieser die Leitung des weimarischen Landes-Industrie-Komptoirs übernahm , zuerst provisorisch, dann definitiv 1846 FRORIEP's Nachfolger. 1847 habilitierte er sich an der Berliner Univ. und gründete mit BENNO REINHARDT das „Archiv für pathol. Anatomie und Physiol. und für klin. Med.“, welches heute bis über 150 Bde. gediehen ist und seit dem Jahre 1852, in welchem REINHARDT starb, von V. allein geleitet wird. 1848 reiste er, auf Geheiss des Kultusministers, nach Oberschlesien ab, um die dort ansgebrochene Hungertyphus-Epidemie zu studieren; die „Mittheilungen über die in Oberschlesien herrschende Typhusepidemie“ (Berlin 1848), welche er nach seiner Rückkehr schrieb, enthielten eine freimütige Darlegung der Unterlassungssünden der Regierung und Vorschläge zu eingreifenden sozial-polit. Reformen. Anfangs Juni 1848 gab er mit LEUBUSCHER ein med. - polit. Blatt: „Medicinische Reform“ heraus, welches u. a. die Errichtung eines deutschen Reichsministeriums für öffentl. Gesundheitspflege, Aufhebung des Friedrich Wilhelms-Instituts forderte, aber schon 1849 der Reaktion weichen musste. Die Stelle eines Abgeordneten, wozu ihn 1848 ein preuss. Wahlkreis berufen, musste er ablehnen, weil er das gesetzmässige Alter noch nicht erreicht hatte. Infolge seiner Beteiligung an den Februarwahlen 1849 wurde V. durch den Minister VON LADENBERG seiner Prosektur enthoben und selbst, als er auf Fürbitte seiner Verehrer im Amte belassen wurde, geschah es nur mit dem Vorbehalte der Widerruflichkeit seiner Begnadigung. Begreiflich, dass V. unter solchen Uniständen die zuerst durch SCANZONI angeregte Berufung nach Würzburg als ord. Prof. der pathol. Anat. annahm; doch kehrte er, durch den Minister RAUMER zurückberufen, 1856 als ord. Prof. der pathol. Anat., der allgem. Pathol. und Ther. und Direktor des neuerrichteten pathol. Instituts nach Berlin zurück. In Würzburg beteiligte sich V. an der Redaktion der „Verhandlungen der physikal.-med. Gesellschaft in Würzburg“, studierte 1852, im Auftrage der bayer.Regierung, d. Hungersnot im Spessart und übernahm in demselben Jahre, auf Ersuchen EISENMANN's, mit diesem u. SCHERER die Redaktion der CANSTATT'schen Jahresberichte über die Fortschritte der ges. Med. in allen Ländern, die er seit 1867 u. d. T. : „Jahresbericht über die Leistungen und Fortschritte in der ges. Med.“ mit AUG. Hirsch, seit dessen Tod (1894) mit POSNER herausgiebt; ausserdem redigierte er das „Handbuch der speciellen Pathol. und Ther.“ (3 Bde., Erlangen 1854 bis 62) und begründete 1866 mit FRANZ V. HOLTZENDORFF die „Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftl. Vorträge“. 1859 ging er, von der norwegischen Regierung berufen, zum Studium des Aussatzes nach der Westküste von Norwegen und ist seit 1861 Mitglied des Berl. Stadtverordneten-Kollegiums, wurde 1862 in das preuss. Abgeordnetenhaus gewählt, ist einer der Gründer und Führer der Fortschrittspartei und war von 1880 bis 93 auch Mitglied des Deutschen Reichstages. Als Vorstandsmitglied des „Berliner Hilfsvereins für die Armee im Felde“ 1866 und 1870/71 organisierte er mit nicht geringen persönlichen Anstrengungen die ersten preuss. Sanitätszüge und wirkte beim Bau des Barackenlazaretts auf dem Tempelhofer Felde bei Berlin mit. Auch auf den Bau des neuen städt. Krankenhauses im Friedrichshain der städt. Irrenanstalt zu Dalldorf bei Berlin, des städt. Barackenlazaretts in Moabit bei Berlin, auf die Kanalisation Berlins, auf die neue Gesetzgebung über Tierseuchen, über Fischerei übte er hervorragenden Einfluss. Er schrieb u.a. „Generalbericht über die Arbeiten der städt. Deputat. zur Reinigung und Entwässerung Berlins“ (1873). Er war seit 1870 einer der Mitbegründer und mehrfach Präsident der Deutschen und Berliner Gesellschaft für Anthropol., Ethnol. und Urgeschichte. 1879 machte er eine Reise in die Troas, deren Ergebnisse er als „Beiträge zur Landeskunde in Troas“ (1879) und „Alttrojanische Gräber und Schädel“ (1882) publizierte. 1891 feierte er seinen 70jähr. Geburtstag, wobei ihm mannigfache Ovationen bereitet wurden (u.a. ihm eine goldene Medaille gestiftet wurde), ebenso 1893 bei der Feier seines 50jähr. Doktorjubiläums. Im März desselben Jahres besuchte er England und hielt dort die Croonian Lecture in der Royal Soc. über „die Stellung der Pathol. innerhalb der biol. Studien“, wobei V. ebenfalls durch viele Ehrungen ausgezeichnet, u.a. zum Dr. of Common Law ernannt wurde., 1896 wurde V. zum Kommandeur der Ehrenlegion ernannt. Auf der Naturforscherversammlung in Berlin 1886, dem internat. Kongress daselbst 1890 hielt er als Vors. d. Geschäftskomitee's die Eröffnungsreden, ebenso 1897 auf der Düsseldorfer Naturforscheryersammlung bei Begründung der Pathol. Gesellschaft. Auf den Internat. Kongressen in Rom (1894) und Moskau hielt V. gleichfalls Vorträge über „Morgagni und der anat. Gedanke“ und „Die Continuität des Lebens als Grundlage der. modernen biol. Anschauung“. 1897 beging er die 50jähr. Wiederkehr des Anfanges seiner akad. Wirksamkeit, 1899 sein 50jähr. Prof.-Jubiläum. Am 27. Juni desselben Jahres weihte er das neu eröffnete pathol. Museum ein und hielt aus diesem Anlass die später als Monographie (mit Tafeln) erschienene Eröffnungsrede. Weitere Veröffentlichungen V.'s aus der jüngsten sind die Darstellung des pathol.-anat. Unterrichts für das grosse Sammelwerk „Die deutschen Universitäten“ von LEXIS aus Anlass der Chicagoer Weltausstellung 1893 (auf Kosten und im Auftrage der Regierung hergestellt) - „Die Gründung der Berliner Universität und der Uebergang von dem philos. in das naturwissenschaftliche Zeitalter“ (Rektoratsrede 1893) - „Hundert Jahre allgemeiner Pathologie“ (Festschr. z. 100jähr. Stiftungsfest der Kaiser Wilhelms-Akademie 1895) - „Die Huxley-Vorlesung über die neueren Fortschritte in der Wissenschaft und deren Einfluss auf Med. u. Chir.“ (London 1898) - „Unser Jubelband“ (V.'s Arch. CL) - „Die neue Folge der Bände des Archivs f. pathol. Anat“ (Ib. CLI) - „Über den Werth des pathol. Experiments“ (Wiederabdruck des 1881 auf dem intern. Kongr. gehaltenen Vortrages London), ebenso noch verschiedene Abhandlungen in den 1900 ausgegebenen Bänden seines Archivs, Gedächtnisartikel für A. HIRSCH und E. GURLT (in B. kl. W. 1894 und Jahresbericht de 1898) etc. etc. V. ist Mitglied der wissenschaftl. Deputation für das Medizinalwesen im Kultus-Ministerium, der techn. Deputat, für das Veterinärwesen im landwirtschaftl. Ministerium, Mitglied der Berliner Akad. der Wissensch. u.s.w., seit 1874 auch Geh. Med.-Rat. Die Schriften aus der Zeit bis 1888 sind im älteren Lexikon von SCHEUTHAUER zusammengestellt, auf dessen ausführliche Würdigung der Leistungen und Bedeutung V.'s wir hiermit verweisen müssen.
Letzte Änderung: Mai 2014 Gabriele Dörflinger Kontakt
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