Biograph. Lexikon hervorragender Ärzte des 19. Jhd.
hrsg. von Julius Pagel, 1901


Sp. 114-115

Becker, Otto, 3. Mai 1828 in Domhof bei Ratzeburg geboren, vollendete seine Stadien in Wien als Schüler von ARLT und wurde 1859 promoviert. Seit 1. Oktober 1868 als Professor ordinariuss für Augenheilkunde in Heidelberg wirkend, publizierte B. neben seinen beiden Monographien: „Zur Anatomie der gesunden und kranken Linse“ (Wiesbaden 1883) und „Pathologie und Therapie der Linse“ (in GRAEFE-SÄMISCH's Handbuch 1876) noch zahlreiche Journalartikel. B., der 7. Februar 1890 starb, gehört zu den hervorragenden Ophthalmologen der V. GRAEFE'schen Aera. Er begründete in Heidelberg 1887 das „GRAEFE-Museum“, veranstaltete eine deutsche Ausgabe von DONDERS' berühmtem Werk „Die Anomalien der Accomodation und Refraktion des Auges“ (1866) und hat im einzelnen die Physiologie und Pathologie seines Spezialfachs durch die Ergebnisse zahlreicher Untersuchungen nicht unwesentlich bereichert. Hierfür kommen ausser den genannten Schriften noch in Betracht seine Veröffentlichungen „Über die sichtbaren Erscheinungen der Blutbewegungen in der menschlichen Netzhaut, über Thränenkanalstrukturen, über angeborene völlige Farbenblindheit, über die Gefässe der menschlichen macula lutea u.s.w.“ Auch gab B. zwei ophthalmo-pathologische Atlanten im Verein mit HERTZMANN, SATTLER u.a. heraus. Er erwarb sich durch die erweiterte Ausgabe von ARLT's autobiograph. Mitteilungen, sowie die Ordnung des wissenschaftlichen Nachlasses von HEINRICH MÜLLER (+ 1864) ein nicht zu unterschätzendes Verdienst. Die bedeutendsten Werke B.'s bleiben jedenfalls die oben erwähnten Monographien über die Anatomie und Pathologie der Linse.


Sp. 161-162

Bettelheim, Karl, 28. Septbr. ,1840 geb., studierte in Wien unter HYRTL, BRÜCKE, ROKITANSKY, SKODA, speziell OPPOLZER. 1866 promoviert, wirkte B. seit 1868 bis 70 als Assistent des letzteren, seit 1872 als Dozent für interne Medizin; von 1870 bis 78 war er Redakteur der „Mediz.-chirurg. Rundschau“. Später erhielt er auf BILLROTH's Vermittlung eine Berufung zum Primararzt am Rudolfiner-Hospital. B. starb 27. Juli 1895 Er bearbeitete mit Vorliebe die Pathologie des Herzens und der Gefässe Von grosser Wichtigkeit sind seine experimentellen Untersuchungen über Mitral-Insufficienz und Herzmechanik nach Kompression der art. coronaria. Unter seinen Publikationen sind weiter hervorzuheben: „Über bewegliche Körperchen im Blute“ (Wien. med. Pr. 1868) - „Über einen Fall von Phosphorvergiftung“ (Daselbst 1868) - „Ein Fall von Echinococcus cerebri“ (Vtljhrschr. f. Psychiatr.) - „Stenose eines Astes der Pulmonalarterie“ (Wien. m. Pr. 1869) - „Die Salzsäure-Medication bei Magenkrankheiten (Das. 1874) - „Bemerkungen zur Diagnose des Magencarcinoms“ (Das. 1877) - „Die sichtbare Pulsation der Arteria brachialis, ein Beitrag zur Symptomatologie einiger Erkrankungen der Cirkulationsorgane“ (D. Arch. f. klin. Med. 1878) - „Eine neue Bandwurmkur“ (Das.) - „Die Anwendung des Mercurius vivus bei Darmstenosen“ (Das. 1882) - „Beitrag zur Lehre von der Pneumonia biliosa“ (Daselbst 1883). Ausserdem übersetzte B.: R. LEPINE's „Pneumonia lobaris“ (aus dem Französischen, Wien 1883), ferner GOWERS' Handbuch der Erkrankungen des Rückenmarks (aus dem Englischen) und beschrieb „Die Entstehung des zweiten Tones in der Carotis“ (Ztschr. f. klin. Med. VI.).


Sp. 174-177

Billroth, Christiall Albert Theodor, der geniale Chirurg, als Neffe des Physikus zu Stettin, Wilhelm Frierich B. (der sich wesentliche Verdienste während der Cholerazeit erwarb), auf Eugen 26. April 1829 geboren, besuchte 1848 bis 1852 die Universitäten zu Greifswald, Göttingen (hier besonders von dem alten BAUM für die Chirurgie angeregt) und Berlin und wurde auf letzterer 1852 Dr. med. mit der Dissertation „De natura et causa pulmonum affectionis quae nervo utroque vago dissecto exoritur“ Nach einer wissenschaftlichen Reise, die sich nach Wien und Paris erstreckte, war er 1853 bis 1860 Assistent in B. V. LANGENBECK's Klinik zu Berlin, habilitierte sich bei der dortigen Universität 1856 als Privatdozent, wurde 1860 als Professor ord. und Direktor der chirurgischen Klinik nach Zürich berufen und blieb in dieser Stellung bis 1867, seit welcher Zeit er in gleicher Eigenschaft an der Wiener Universität wirkte. Mehrfache, 1862 und 1864 an ihn ergangene Berufungen nach Rostock und Heidelberg, sowie diejenige als Nachfolger V. LANGENBECK's nach Berlin (1882) lehnte er ab. 1870 nahm er freiwillig Anteil an dem deutsch-französischen Kriege und war namentlich in den Lazaretten von Weissenburg und Mannheim thätig. Auf B.'s energisches Betreiben wurden das „Rudolfinerhaus“, eine Lehranstalt für weltliche Krankenpflegerinnen in Wien, sowie das Haus der K. K. Gesellschaft der Ärzte ins Leben gerufen; dagegen gelang es ihm trotz vielfacher dahingehender Bemühungen nicht, den Bau einer neuen chirurgischen Klinik durchzusetzen. Bis zum Frühjahr 1887 völlig gesund und leistungsfähig , von ausserordentlicher körperlicher und geistiger Rührigkeit und bewundernswerter Vielseitigkeit erkrankte er j etzt zum ersten Male an einer schweren Lungen-Entzündung mit so bedeutender Herzschwäche, dass damals schon sein Ableben befürchtet wurde. Doch genas er und konnte noch 1889 seinen 60. Geburtstag, sowie 1892 sein 25jähriges Wiener Professorenjubiläum unter zahlreichen, von allen Seiten dargebrachten Ovationen begehen. Indessen nahm die seit der Erkrankung zurückgebliebene Herzschwäche stetig zu, sodass B. vielfach seine Berufsthätigkeit unterbrechen musste. Am 6. Februar 1894 trat Der Tod dieses weltberühmten Chirurgen in Abbazia ein, der von der ganzen Welt als ein schwerer Verlust tief betrauert wurde. Am 9. Februar wurde B. in Wien „unter fürstlichen Ehren“ bestattet. Am 16. Februar veranstaltete die K. K. Gesellschaft der Ärzte in Wien eine Trauerfeier zu seineu Ehren, wobei Albert die Gedenkrede hielt; am 7. November 1897 wurde im Arkadenhofe der Wiener Universität sein Denkmal enthüllt. B. wird mit Recht als ein Stern erster Grösse als ein Chirurg von universeller Bedeutung gefeiert. Was ihm seine wissenschaftliche resp. geschichtliche Bedeutung giebt ist in erster Linie die Betonung von der Notwendigkeit der streng anatomisch-mikroskopischen Richtung und die Pflege der pathologisch-anatomischen Forschung, die er auch als die einzig rationelle Basis für den Fortschritt und das Gedeihen der praktischen Chirurgie ansah. Unter seinen Schriften finden wir namentlich aus seiner Erstlingszeit eine grosse Reihe darauf bezüglicher Veröffentlichungen, unter denen als die bedeutendsten die Untersuchungen über Wundkrankheiten gelten müssen, die ihren dauernden Wert wegen der darin betonten und bethätigten Prinzipien behalten werden, trotzdem sie in ihren Ergebnissen z. T. als überholt gelten müssen. Seinen Hauptruhm verdankt B. dem Ausbau der Eingeweidechirurgie, die er dank den Fortschritten der Anti- und Asepsis um die erste vollständige Kehlkopfexstirpation (1874) und die erstmalige glückliche Pylorusresektion (1881) (bei einer 43 jährigen an Pyloruscarcinom leidenden Kranken) bereichert hat. Über die erstgenannte Operation hat sein damaliger Assistent GUSSENBAUER in V. LANGENBECK's A. XVII. 1874, über die letztgenannte B. selbst in der Wiener klin. Wochenschr. 1891 und WÖLFLER an verschiedenen Stellen berichtet. Grosse Popularität erlangte er durch seine oft aufgelegten und von unzähligen Schülergenerationen benutzten, ausserordentlich anregenden und geradezu klassisch geschriebenen, weltbekannten, in fast alle neueren Sprachen übersetzten Vorlesungen über allgem. chir. Pathol. und Therapie, die auch heute noch in der erweiterten Gestalt, die ihnen B.'s Schüler V. WINIWARTER gegeben hat, ein über alle Massen wertvolles Buch sind und bleiben werden. Was B. als Mensch bedeutete, davon legen Zeugnis ab seine von GEORG FISCHER, Hannover, jetzt schon in 4. Aufl. herausgegebenen, geradezu bezaubernden Briefe; sie verraten die universelle Bildung, die edlen Herzens- und Charaktereigenschaften; die grenzenlose Begeisterung für die Kunst, die dichterischen und musikalischen Anlagen, mit einem Wort die Universalität und Genialität B.'s, der mit seiner Persönlichkeit alle gefangen nahm, welche das Glück hatten, mit ihm in nähere persönliche Beziehungen zu treten. Seine Verdienste um die Wiener Hochschule, um die Hebung des medizinisch-chirurgischen Unterrichts, um die Erweiterung der ärztlichen Institutionen daselbst, um die Ausbildung zahlreicher Schüler zu klinischen Lehrern und Chirurgen von Weltruf, um die Kriegschirurgie, um die Krankenpflege und viele andere Zweige der neuzeitlichen Medizin können an dieser Stelle leider nicht weiter gewürdigt werden. Anstatt dessen genüge der Hinweis auf den Nekrolog von J. V. MIKULICZ in B. k. W. 1894 No. 8 und die übrigen in der gesamten Weltlitteratur erschienenen Gedenkschriften auf B., deren Verzeichnis der hauptsächlichsten sich bei GURLT in VIRCHOW's A., CXXXIX p.555 findet. B.'s Schriften sind ausführlich im älteren Lexikon (I p. 460 bis 461) verzeichnet, auf das wir hiermit verweisen müssen.


Sp. 207-210

Du Bois-Reymond, Emil, berühmter Physiologe, ist geb. in Berlin 7. November 1818. Sein Vater stammte aus Neuchâtel, woselbst er in seiner Jugend Uhrmacher war, übersiedelte dann nach Berlin und wurde dort Geheimer Regierungsrat und Vorstand des Bureaus für die Neuenburger Angelegenheiten. Seine Mutter stammte von einer der unter LUDWIG XIV. aus Frankreich vertriebenen Hugenotten-Familien, und der berühmte Zeichner und Kupferstecher DANIEL CHODOWJECKI war mit ihr verwandt. DU B.-R. besuchte erst die Volksschule und dann das Collège Francais in Berlin: als er 11 Jahre alt geworden war, und seine Eltern wieder in die Schweiz übersiedelten, wurde er in Neuchâtel Schüler des dortigen Collège. Später wieder in Berlin, kam er mit 18 Jahren auf die dortige Universität und war in die philosophische Fakultät eingeschrieben. Die Behauptung, er habe Theologie studiert, ist insofern nicht richtig, als er nie in diese Fakultät eingeschrieben war. Wohl aber hörte er bei dem Theologen NEANDER und schrieb dessen Vorlesungen mit. In dieser Zeit betrat er einmal fast zufällig MITSCHERLICH's Vorlesung. Er fühlte sich durch dieselbe so angeregt und zur Naturwissenschaft hingezogen, dass er fortan fleissig Chemie, Physik, Mathematik und im Sommer 1838 in Bonn auch Geologie studierte. Der Einfluss EDUARD HALLMANN's entschied ihn dann für die Physiologie, und er kam erst als Schüler dann als Assistent zu JOHANNES MÜLLER. Dieser wies ihn auf elektro-physiologische Untersuchungen hin, deren erste Resultate er bereits 1842 publizierte. Damals erschienen von ihm: „Über den sogenannten Froschstrom und die elektromotorischen Fische“ (Pogg. Ann. Bd. 58.) und die Doktor-Dissertation: „Quae apud veteres de piscibus electricis exstant argumenta“. Nun folgt eine Reihe von Jahren, während welcher DU B.-R. mit dem Aufgebote seiner ganzen Kraft und Begabung an der Lösung der grossen Aufgabe arbeitete, die er sich gestellt hatte. Das Resultat dieser langjährigen unentwegten Arbeit war die Begründung einer ganz neuen Wissenschaft, der Nerven- und Muskelphysik. 1848 erschien der erste Band, 1849 die erste, 1860 die zweite Abteilung des zweiten Bandes der „Untersuchungen über tierische Elektrizität“. In diesem meisterhaft geschriebenen Werke ist eine völlig neue Methodik gegeben und eine geradezu unerschöpfliche Fülle neuer Thatsachen, endlich eine Theorie der in das Gebiet fallenden Erscheinungen - kurz eine ganze, neue Wissenschaft. Die geschichtliche Einleitung wird auch der Laie mit dem grössten Genusse lesen. 1850 reiste DU B.-R. nach Paris, 1855 und 1866 nach London und verschaffte hierdurch der neuen Wissenschaft Anerkennung in Frankreich und England. 1851 wurde er Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften, deren beständiger Sekretär er seit 1867 war. 1858 wurde er an Stelle seines verstorbenen Lehrers JOHANNES MÜLLER zum ord. Professor der Physiologie an der Berliner Universität ernannt, welche Stelle er bis zu seinem 26. Dezember 1896 erfolgten Tode bekleidete. Am 11. Februar 1893 konnte er noch in voller geistiger und körperlicher Frische sein 50jähr. Doktorjubiläum begehen, bei welcher Gelegenheit ihm von seinen zahlreichen Verehrern grössere Ovationen bereitet wurden. DU B.-R. gehört zu den anerkannten Führern und Meistern der Physiologie der Neuzeit. Aus seiner Schule ist ein grosser Teil von Forschern hervorgegangen, die gegenwärtig z. T. selbst Lehrstühle an deutschen Universitäten einnehmen. Um den Unterricht in der Physiologie hat sich DU B.-R. ein grosses Verdienst erworben, wie er denn überhaupt eine Zierde der Berliner Fakultät war. Dem unter seiner Leitung stehenden physiologischen Institute hat er in Berlin einen Palast erbaut, welcher die schönste und vollkommenste unter allen, zur Zeit noch existierenden physiologischen Arbeitsstätten ist. Nach seinem Hauptwerke erschien noch eine sehr grosse Zahl von Abhandlungen, welche sich fast durchgängig auf Gegenstände der Elektrophysiologie beziehen und in neuester Zeit als „Gesammelte Abhandlungen“ in Form eines zweibändigen Werkes reproduziert wurden. Die wissenschaftlichen Ergebnisse einer Reise, welche sein Assistent SACHS zur Erforschung gewisser Eigenschaften der elektrischen Fische nach dem Inneren von Südamerika unternommen hatte, bearbeitete DU B.-R., als SACHS kurze Zeit nach seiner Rückkehr aus Amerika sein junges, hoffnungsvolles Leben bei einer Gletschererbesteigung eingebüsst hatte, und veröffentlichte sie in einem starken Bande als: „Untersuchungen am Zitteraal (Gymnotusus electricus)“ (Leipzig 1881). - Teils in seiner Stellung als ständiger Sekretär der Berliner Akademie der Wissenschaften, teils bei verschiedenen akademischen Anlässen hat DU B.-R. seine vielseitige und tiefe Gelehrsamkeit und philosophische Denkreife in einer Reihe von Reden an den Tag gelegt, welche zugleich als Muster deutschen Stiles gelten können. Die Titel einiger dieser Reden seien hier angeführt: „Voltaire in seiner Beziehung zur Naturwissenschaft“ (1863) - „Über Universitätseinrichtungen“ (1870) - „Über den deutschen Krieg“ (1870) - „Leibnizsche Gedanken in der neueren Naturwissenschaft (1871) - „Über eine Akademie der deutschen Sprache“ (1874) - „Darwin versus Galliani“ (1876) - „Der physiologische Unterricht sonst und jetzt“ (1878) - „Naturgeschichte und Naturwissenschaft“ (1878) - „Über die Grenzen des Naturerkennens“ (1882) - „Göthe und kein Ende“ (1883). - Sie erschienen gesammelt in 2 Bänden, Leipzig 1886 bis 87. In den Jahren 1859 bis 77 gab er, gemeinschaftlich mit REICHERT, das bis dahin von JOHANNES MÜLLER redigierte Archiv für Anatomie und Physiologie heraus. Seit 1877 redigierte er allein das Archiv für Physiologie, welches mit dem ebenfalls selbständigen Archiv für Anatomie die unmittelbare Fortsetzung des früheren Archives darstellt. Die nach seinem Tode erschienenen Nekrologe sind bei GURLT in VIRCHOW's Archiv Bd. 148 p. 204 zu finden. - Zwei Söhne von DU B.-R. sind gleichfalls Mediziner in Berlin. Der älteste, Claude, geb. 1856, studierte von 1876 bis 81 in Berlin, Strassburg und Leipzig, Dr. med. 1881, widmete sich der Ophthalmologie und habilitierte sich 1891. Schriften: „Über die Zahl der Empfindungskreise in der Netzhautgrube“ - „Über Schielmessung“ - „Über Seheinheit und kleinsten Sehwinkel“ - „Über das Photographieren des Auges bei Magnesiumlicht“ Der jüngere, René, geb. 1863, studierte seit 1885 in Berlin, Dr. med. 1889 („Gestreifte Darmmuskulatur der Schleie“), war hierauf Assistent von RAOUL PICTET und wurde 1895 Assistent bei der experimentellen Abteilung des Berliner physiologischen Instituts und ist zugleich Privatdozent.


Sp. 258-262

Brücke, Ernst Wilhelm Ritter von, geb. zu Berlin 6. Juni 1819 als Sohn des Porträt- und Historienmalers JOHANN GOTTFRIED B. Er studierte seit 1838 an den Universitäten zu Berlin und Heidelberg Medizin. Im November 1842 wurde er zum Dr. med. promoviert. Zu jener Zeit mussten nach den Gesetzen, welche an der Berliner Universität Geltung hatten, mindestens zwei Jahre verstreichen zwischen der Erlangung der Doktorwürde und der Habilitierung als Privatdozent, so dass B. erst am Ende des Jahres 1844 Privatdozent an der Berliner Universität wurde, und zwar für Physiologie. - Inzwischen war B. schon im Herbst 1843 Assistent an dem unter JOHANNES MÜLLER's Leitung stehenden Museum für vergleichende Anatomie geworden und versah gleichzeitig de facto, wenn auch nicht amtlich hierzu bestellt, die Dienste eines Prosektors, da der damalige Prosektor PETERS sich zwecks einer wissenschaftlichen Reise auf Urlaub befand. Im Herbst 1846 erhielt B. zu seiner Assistentenstelle noch die eines Lehrers für Anatomie an der Berliner Akademie der bildenden Künste. Im Frühling 1848 wurde er als Professor extraordinarius für. Physiologie an Stelle BURDACH's nach Königsberg berufen, und im folgenden Jahre als ordentlicher Professor der Physiologie und höheren (mikroskopischen) Anatomie an die Wiener Universität, woselbst er seit Beginn des Sommer-Semesters 1849 , ununterbrochen als Professor der Physiologie und als Leiter des physiologischen Institutes bis zu seiner nach dem österr. Universitätsgesetz erforderlichen Altersemeritierung 1890 thätig war. Noch im Jahre 1849 wurde er zum wirklichen Mitgliede der neu gegründeten Wiener Akademie der Wissenschaften ernannt und später noch vielfach ausgezeichnet; so unter anderem durch Verleihung der österreichischen Hofratswürde, durch Ernennung zum lebenslänglichen Mitgliede des österreichischen Herrenhauses (1879),durch die Rektorswürde, ferner, nebst vielen fremden Orden durch Verleihung des österreichischen Franz-Joseph- und später des Leopold-Ordens, welch' letzterer seiner und seiner Familie Erhebung in den Ritterstand mit sich brachte, durch Verleihung des preussischen Ordens pour le mérite u.s.w., durch Mitgliedschaft der Berliner, der Münchener und mehrerer anderer Akademien, durch Ehrendoktorate u.s.w. B. hat nicht,wie die meisten neueren Physiologen, ein spezielles Kapitel der Physiologie ausschliesslich oder mit besonderer Vorliebe bearbeitet, sondern auf allen Gebieten geforscht, in der Morphologie, in der physiologischen Chemie, in der physikalischen und physiologischen Optik, in der Nerven- und in der Muskel-Physiologie, in der Physiologie der Sprachorgane, in der des Blutes und der Verdauung u.s.w. und die Resultate dieser Forschungen in einigen Büchern und in zahlreichen grösseren und kleineren Abhandlungen niedergelegt. Von diesen letzteren erschienen die meisten bis 1849 in „MÜLLER's Archiv für Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Medizin“ und von diesem Jahre an in den Denkschriften und Sitzungsberichten der kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien. Seine mikroskopischen Arbeiten sind u. a. bahnbrechend gewesen und massgebend geblieben für unsere Anschauungen über das Wesen der Zellen („Elementar-Organismen“): seine optischen Arbeiten haben die Grundlage für die Erfindung des Augenspiegels abgegeben, welchen dann HELMHOLTZ konstruierte und haben unsere Kenntnisse von den Verrichtungen des menschlichen Auges sehr wesentlich bereichert; und seine chemischen Arbeiten haben nebst vielen anderem auch in das noch so dunkle Gebiet der Eiweiss-Substanzen wenigstens einige Streiflichter fallen lassen. In seinem Werke „Grundzuge der Physiologie und Systematik der Sprachlaute für Linguisten und Taubstummenlehrer“ (Wien 1856, 2. Auflage 1876) hat er eine erschöpfende Analyse der in europäischen und orientalischen Sprachen vorkommenden Laute in Beziehung auf die Art, wie sie hervorgebracht werden, gegeben und hat dann in einem anderen Werke „Neue Methode der phonetischen Transscription“ (Wien 1863) die Idee praktisch durchgeführt, die Laute der Sprache in der Schrift und im Druck nicht durch willkürliche, rein konventionelle Symbole darzustellen, die untereinander, und mit dem, was sie bedeuten sollen, in gar keinem Zusammenhange stehen, sondern sie vielmehr durch Zeichen auszudrücken, welche aus Elementen bestehen, deren jedes eine Beziehung auf eines der Sprechorgane hat, so dass im ganzen Zeichen, die Stelle der Artikulation, die Art. derselben, der Zustand der Stimmritze u.s.w. repräsentiert ist, und jeder, der nur die Bedeutung der Elementarzeichen kennt, eine nach dieser phonetischen Transskription niedergeschriebene Wortfolge in einer Sprache, die er nie gehört hat, vollkommen richtig auszusprechen imstande ist - eine Errungenschaft von grosser Wichtigkeit für Linguisten und Orthoepisten. Von grösseren Werken hat B. B ferner veröffentlicht eine „Physiologie der Farben für die Zwecke der Kunstgewerbe bearbeitet“ (Leipzig 1866) - „Die physioloqischen Grundlagen der neuhochdeutschen Verskunst“ (Wien 1871) und „Bruchstücke aus der Theorie der bildenden Künste“ (Leipzig 1877 Bd. XXVIII der Internationalen wissenschaftlichen Bibliothek). Im Jahre 1873 entschloss sich B., durch äussere Umstände dazu gedrängt, sein regelmässiges Hauptkollegium nachstenographieren zu lassen und es, mit geringfügigen Veränderungen, in Form eines zweibändigen Lehrbuches herauszugeben. Dasselbe führt den Titel: „Vorlesungen über Physiologie“ (2 Bde., Wien 1873 bis 74; seitdem sind neuere Auflagen davon erschienen, die dritte 1881). Von seinen vielen kleineren Abhandlungen seien die folgnden genannt, nur um eine Vorstellung von der Vielseitigkeit B.'s zu geben: „Anatomische Beschreibung des menschlichen Augapfels“ - „Untersuchungen über subjektive Farben“ - „Vergleichende Bemerkungen über Farben und Farbenwechsel bei den Cephalopoden und bei den Chamäleonen“ - „Über die Chylusgefässe und die Resorption des Chylus“ - „Über den Dichroismus des Blutfarbstoffes“ - „Über die Ursache der Gerinnung des Blutes“ - „Über das Vorkommen von Zucker im Harn gesunder Menschen“ - „Über den Verlauf der feinsten Gallengänge“ - „Über das Verhalten lebender Muskeln gegen Borsäurelösungen“ - „Über den Bau der roten Blutkörperchen“ - „Über den Einfluss der Stromesdauer' auf die elektrische Erregung der Muskeln“ - „Über das Verhalten entnervter Muskeln gegen discontinuirliche elektrischesche Ströme“ - „Über asymmetrische Strahlenbrechung im menschlichen Auge“ - „Über die Peptontheorien und die Aufsaugung eiweissartiger Substanzen“ - „Über die physiologische Bedeutung der theilweisen Zerlegung der Fette im Dünndarm“ - „Über eine neue Methode, Dextrin und Glyycogen aus thierischen Flüssigkeiten und Geweben abzuscheiden“ - „Über einige Consequenzen aus der Young-Helmholtz'schen Theorie“. Nebst diesen, nur beispielsweise angeführten Arbeiten, sind noch äusserst zahlreiche Abhandlungen aus allen Gebieten der Physiologie, der reinen Physik und Chemie, der Morphologie, ja selbst der Botanik von B. veröffentlicht worden und ausserdem noch mehrere Schriften nicht naturwissenschaftlichen, sondern ästhetischen Inhalts. Kurz vor B.'s am 7. Jan. 1892 an der Influenza erfolgtem Ableben erschien noch die Monographie: „Schönheit und Fehler der menschlichen Gestalt“.


Sp. 367-368

Czerny, Vincenz v., 19. Nov. 1842 zu Trautenau (Böhmen) geb., studierte in Wien, wo er hauptsächlich Assistent BILLROTH's, vorher aber auch Assistent bei ARLT und OPPOLZER war. Am 19. Dezember 1866 erfolgte seine Promotion, Ende 1871 seine Berufung als Professor der Chirurgie und Direktor der Klinik in Freiburg, eine Stellung, die er 1877 mit der gleichnamigen in Heidelberg vertauschte. Einen Ruf nach Wien 1894 als Nachfolger BILLROTH's lehnte v. C. ab. - C. schrieb „Beiträge zur operativen Chirurgie“ (Stuttgart 1875), sowie über Exstirpation des Kehlkopfes, des Oesophagus, der Niere des Uterus, Magen- und Darmresektion, Operation an Kothfisteln, Radikaloperation der Hernien, Gallensteine, Erkrankungen der Wurmfortsätze etc.


Sp. 410-412

Donders, Frans Cornelis, geb. 7 27. Mai 1818 zu Tilburg in Noord-Braband, trat im Alter von 17 Jahren zu Utrecht als Zögling in das grosse Reichs-Hospital für Militärmedizin und widmete sich an dortiger Universität von 1835 bis 40 dem Studium der Medizin. Während zweier Jahre, nach beendigtem Studium erst in Vliessingen, darauf im Haag, als Militärarzt angestellt, promovierte D. an der Universität Leiden auf Grund einer „Dissertatio sistens observationes anatomico-pathologicas de centro nervoso“ und wirkte dann als „Lector anatomiae et physiologiae“ an der Utrechter militärärztlichen Reichsschule bis 1848, dem Zeitpunkte seiner Berufung zum Professor e. o. an die med. Fakultät der Utrechter Universität. Angeregt durch die Forschungen von SCHLEIDEN u. SCHWANN und unterstützt vom einem Chemiker, wie MULDER, hatte sich D. zunächst und mikroskopischen und mikrochemischen das Untersuchungen der tierischen Gewebe zugewendet und die Ergebnisse derselben (1846) in den „Holländischen Beiträgen zu den anatomischen und physiologischen Wissenschaften“, welche er im Vereine mit VAN DEEN und MOLESCHOTT herausgab, veröffentlicht. Aber schon vorher noch hatte D. durch seine 1844 gehaltene und 1845 im Druck erschienene Rede: „Blik of de stofwisseling als bron der eigen warmte van planten en dieren“ die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. In dieser Rede wird die Haut als Wärmeregulator des tierischen Körpers erklärt und es werden, wie man heutzutage sagen kann, dem Prinzipe von der Erhaltung der Arbeit entsprechende Anschauungen über die Vorgänge des Stoff- und Kraftwechsels in den organischen Leibern entwickelt. - Auch der grosse Ophthalmologe regte sich in D. schon in diesen ersten Jahren seiner schriftstellerischen Thätigkeit. Es erschienen die Abhandlungen: „De bewegingen van het menschelyk oog“ (Holland. Beiträge 1846) - „Über die Bestimmung des Sitzes der mouches volantes“ (Z. f. phys. H. 1847) , und die von D. seit 1845 redigierte medizinische Zeitschrift „Het Nederlandsch Lancet“, von welcher zwölf Bände erschienen sind, brachte 1848 die Abhandlung: „De anwending van prismatische brillenglazen tot genezing van scheelzien“. In demselben Jahre erschienen die Arbeit „Über den Zusammenhang zwischen dem Convergiren der Sehaxen und dem Accommodationszustande der Augen“ und die Untersuchungen über die Regeneration der Hornhaut. Mit seiner 1852 erfolgten Ernennung zum ordentlichen Professor wandte sich D. vornehmlich der Ophthalmologie zu und übte bis 1862 augenärztliche Praxis aus Seit 1855 Mitredakteur des v. GRAEFE'schen „Archivs für Ophthalmologie“, eröffnete D. 1858 das aus freiwilligen Beiträgen hervorgegangene „Nederlandsch Gasthuis voor ooglijders“ zu Utrecht, in welchem er augenklinischen, auch von Ausländern, namentlich von Deutschen stark besuchten Unterricht erteilte, dabei war er trotz zeitraubender praktischer Thätigkeit, rastlos schriftstellerisch thätig und veröffentlichte eine grosse Zahl von Journalaufsätzen zur vergleichenden Anat. und Physiologie des Sehorgans, welche das ältere Biogr. Lexikon verzeichnet. (B.-L. II p. 203). Die wichtigsten darunter sind diejenigen Arbeiten, die sich auf Refraktion, Accommodation, Brillenbestimmung etc. beziehen. 1863 erhielt D. als Nachfolger des 1862 verst. SCHRÖDER VAN DER KOLK die ordentliche Professur der Physiologie, und es wurde 1866 das ganz nach D. Angaben eingerichtete neue physiologische Laboratorium in Utrecht eröffnet, wo er bis 1 Jahr vor seinem 24. März 1889 erfolgten Ableben in segensreichster Weise ; als Lehrer und Forscher wirkte. Von den vielen seit 1862 erschienenen Arbeiten D.'s verdienen Erwähnung: 1863: „Refractionsanomalien, oorzaken van strabismus“ (Versl. en med. k. Acad.; deutsch: „Zur Pathogenie des Schielens“ [Arch. für Ophthalmologie]) und „Über einen Spannungsmesser des Auges“ (Ophthalmotonometer; Ib.), sodann aber vor allem 1864: „The anomalies of refraction and accommodation“ (edit. by the New-Sydenham Society; 1866 erschien hiervon die deutsche Übersetzung von 0. BECKER, eine italienische von A. QUAGLINO und eine französische von WECKER in „Manuel d'ophthalmologie“). Ferner: „De l'action des mydriatiques et des myotiques“ (Ann. d'oculist. LIII) - „Klangfarbe der Vocale“ (Arch. für die Holländ. Beiträge). 1865: „Over stem en spraak“ (Arch. voor Natuur en Geneeskunde). Im selben Jahre (1865) erschien auch J. J. DE JAAGER's Dissertation: „De physiologische tijd bij psychische processen“, eine Arbeit, welche unter D.s Leitung und wesentlicher Mitarbeiterschaft entstand. Um die Zeit zwischen Reiz und psychischem Effekt zu bestimmen, erdachte D. den „Noëmotachographen“ und das „Noëmotachometer“ (Ned. Arch. v. G. en N. III) und veröffentlichte 1868 in REICHERT und DU BOIS-REYMOND's Archiv die Arbeit: „Die Schnelligkeit psychischer Processe“.


Sp. 587-588

Gegenbaur, Karl, zu Heidelberg, geb. 21. Aug. 1826 in Würzburg, studierte dort seit 1845, besonders unter KÖLLIKER und VIRCHOW, war von 1850 bis 52 Assistent am Julius-Spital, hielt sich aber, da er sich gänzlich der Anatomie und vergleichenden Anatomie zu widmen beabsichtigte, 1852 bis 53 an der sizilianischen Küste auf, um sich mit der Organisation der niederen Seetiere des Mittelmeers bekannt zu machen. 1854 habilitierte er sich in Würzburg als Dozent für Anatomie und Physiologie, wurde 1855 in Jena Prof. e. o., 1858 Prof. ord. d. Anat. und Direktor der anat. Anstalt, 1873 in gleicher Eigenschaft nach Heidelberg berufen, wo er gegenwärtig noch wirkt. Schriften: „Untersuchungen über Pteropoden und Heteropoden“ (Leipzig 1855) - „Untersuchungen der vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere“ (1864 bis 72 -Heft 1 bis 3) - „Grundzüge der vergl Anatomie“ (Leipzig 1870, 2. Aufl. 1878, auch englisch: London 1878) - „Lehrbuch der Anatomie des Menschen“ (Leipzig 1883, 7. Aufl. 1899, 2 Bde) u. v. a. Seit 1875 giebt G. das „Morpholog. Jahrbuch, Ztschr. f. Anat. u. Entwickelungsgesch.“ heraus.


Sp. 713-715

Helmholtz, Hermann Ludwig Ferdinand v., zu Berlin, der weltberühmte geniale Physiolog und Physiker, muss, obwohl er in den letzten Dezennien .seines Lebens sich ausschliesslich der Physik widmete, auch hier erwähnt werden, da er vom Studium der Med. ausging, eine Zeit lang Arzt und lange Jahre Lehrer der Physiologie war. H., zu Potsdam 31. August 1821 geb., studierte in Berlin seit 1838 als Eleve des med.-chir. Friedrich Wilhelms-Instituts, wurde nach seiner Promotion 1842 mit der Diss.: „De fabrica systematis nervosi evertebratorum“ Unterchirurg in der Charité, 1843 Militärarzt in Potsdam, kehrte 1848 als Lehrer der Anatomie an der Kunstakademie und Assistent, am anat. Museum nach Berliin zurück, wurde aber bereits 1849 als Prof. d. Physiol. und allgem. Pathol. nach Königsberg berufen und 1855 als Prof. d. Anat. und Physiol. nach Bonn versetzt, von wo er 1858 als Prof. der Physiol. nach Heidelberg ging, um 1871 in Berlin eine Professur der Physik zu übernehmen, welche er, zugleich mit der Direktion des physik. Instituts mit dem Charakter als Geh. Regierungsrat und 1883 geadelt, bis 1888 innehatte, wo er zum Präsidenten der physik.-technischen Reichsanstalt in Charlottenburg ernannt wurde. In dieser Stellung verblieb er bis zu seinem 8. Sept. 1894 an Apoplexie erfolgten Tode. 1891 bei Gelegenheit seiner 70 jähr. Geburtstagsfeier hatte er den Titel „Exzellenz“ erhalten. H. gehört zu der Reihe der aus JOHANNES MÜLLER's Schule hervorgeg. berühmten Physiologen und begründete seinen Ruf mit der Schrift: „Über die Erhaltung der Kraft“ (Berlin 1847), in welcher er zum ersten Male zu zeigen versuchte, dass alle Vorgänge in der Natur den Grundgesetzen der Mechanik gehorchen. In den folgenden Jahren war H.'s Thätigkeit hauptsächlich der Physiol. der Sinne zugewendet. Den unschätzbarsten Dienst aber leistete er der menschlichen Pathol. und Therapie durch die Erfindung des die ganze Augenheilkunde revolutionierenden Augenspiegels, den er in einer besonderen. Schrift: „Beschreibung eines Augenspiegels zur Untersuchung der Netzhaut im lebenden Auge“ (Berlin 1851) bekannt machte. Seine weiteren, die höchste Bedeutung in. Anspruch nehmenden und auf ihren Gebieten bahnbrechenden Werke sind: „Handbuch der physiologischen Optik“ (Leipzig 1856 bis 66), in welchem seine sämtlichen Forschungen über den Gesichtssinn niedergelegt sind, und „Die Lehre von den Tonempfindungen“ (Braunschweig 1862; 2. Aufl. 1865), welches seine akustischen Untersuchungen im Zusammenhange dargestellt enthält. Ausserdem hat er eine grosse Reihe anderer Arbeiten, z. B. Messungen über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Nervenreizung, Untersuchungen über Gegenstände aus der Optik, Akustik, Elektrizitätslehre vielfach in Zeitschriften, bes. in MÜLLER's Arch. (1845, 48, 50, 52 u.s.w.), POGGENDORFF's Annalen (von 1852 an) und CRELLE's Journ. f. Math., V. GRAEFE's Arch. (1855), aber auch als kleinere Schriften, wie: „Über die Wechselwirkung der Naturkräfte u.s.w.“ (Königsberg 1854) - „Über das Sehen des Menschen“ (Leipzig 1855) - „Populäre Vorträge“ (2 Hefte, Braunschweig 1865, 71) veröffentlicht. Seine wissenschaftl. Abhandlungen sind in 2 Bdn. gesammelt (Leipzig 1881 bis 83), seine Vorträge und Reden ebenso in 2 Bdn. (Braunschweig 1884) erschienen. - Am 6. Juni 1899 wurde in dem Vorgarten der Berliner Univ. sein Marmorstandbild enthüllt. Die Zahl der seinem Andenken gewidmeten Schriften, Nekrologe, Gedächtnisreden ist gross. Ein Verzeichnis dieser Litteratur findet sich in dem von E. GURLT für VIRCHOW's Arch. CXXXIX 1895 verfassten med.-naturwissensch. Nekrolog p. 578, wozu noch zu erwähnen sind die posthum erschienenen Schriften von E. DU BOIS-REYMOND (Leipzig 1897), die Rede von TH. W. ENGELMANN (Ib. 1894) und die von W. V. BEZOLD (Ib. 1895). Über die Beschaffenheit seines Gehirns berichtete D. HANSEMANN im Arch. f. Anat. u. Physiol. 1899 Heft 3 u. 4, physiol. Abt. p. 371.


Sp. 796-798

Hyrtl, Joseph, weltberühmter Anatom, geb. 7. Dezember 1811 zu Eisenstadt studierte in Wien und zeichnete sich durch seine Fähigkeiten und Kenntnisse in der Anatomie so aus, dass er bereits 1833 dort als Prosektor angestellt wurde 1837 übernahm er die Professur der Anatomie in Prag, 1845 die erste Professur der Anatomie in Wien; 1847 wurde er Mitglied der k. Akademie der Wissenschaffen. 1874 sah er sich veranlasst, infolge zunehmender Schwäche seiner Augen zu resignieren und lebte seitdem zurückgezogen, aber noch fortdauernd wissenschaftl. thätig, in Perchtoldsdorf bei Wien, wo er 1885 unter grosser Beteiligung seiner, zahlreichen Schüler und Verehrer sein 50jähr. Doktor- Jubiläum feierte und 17. Juli 1894 starb. H. muss als der berühmteste Anatom seiner Zeit bezeichnet werden. Als akadem. Lehrer unerreicht, als Schriftsteller von bewundernswerter Gewandtheit, besass H. die Gabe, die trockensten Kapitel seiner Wissenschaft in hohen Grade fesselnd in Wort und Schrift darzustellen. Beweis hierfür ist sein 1846 bis 90 in 20 Aufl. erschienenes, ungemein populäres „Lehrbuch der Anatomie“, das nicht bloss für den Anfänger die beste Einführung in das Fach, sondern selbst gereifteren Forschem eine Quelle der Belehrung bot. Reich gewürzt mit histor., kulturhistor., linguist. Daten, humorist. Mitteilungen wird es auch in späteren Zeiten seinen Wert behalten. Wie H. ein Meister der Sprache war, so auch in der anat. Technik und hat auch darüber nicht bloss mehrere lehrreiche Schriften verfasst, sondern zahlreiche Präparate, darunter auch mikroskop. Injektionsstücke geliefert, die Weltruf besassen. Im einzelnen hat er seine Wissenschaft durch eine Reihe von Thatsachen bereichert, die in seinen Schriften niedergelegt sind. Von diesen können wir an dieser Stelle nur die folgenden grösseren Monographien, Lehrbücher und linguist. anat. Werke erwähnen, deren Verzeichnis dem von WALDEYER im älteren Biogr. Lex. gegebenen Verzeichnis entnommen ist: „Die Blutgefässe der menschlichen Nachgeburt in normalen und abnormen Verhältnissen“ (Wien 1870) - „Die Corrosionsanatomie und ihre Ergehnisse“ (Ib. 1873) - „Handbuch der praktischen Zergliederungskunst“ (Ib. 1860) - „Lehrbuch der Anatomie des Menschen“ (Ib. 1884, 17. Aufl.) - „Handbuch der topographischen Anatomie und ihrer praktisch medicinisch-chirurgischen Anwendungen“ (2 Bde., 7. Aufl., Wien 1882) - „Das Arabische und Hebräische in der Anatomie“ (Ib. 1879) - „Onomatologia anatomica. Geschichte und Kritik der anatomischen Sprache der Gegenwart“ (Ib. 1880) - „Die alten deutschen Kunstworte der Anatomie“ (Ib. 1884). H. war auch als Mensch von grosser Herzensgüte. Er gründete ein Waisenhaus in Mödling, dem er sein ganzes Vermögen hinterliess, ferner, eine Kinderbewahranstalt in Perchtoldsdorf und stiftete mehrere Stipendien für arme Studierende. Um die Wiener Univ., deren Zierde er war, hat er sich die grössten Verdienste erworben. Ein grosser Teil der österr. Anatomen zählte zu seinen Schülern, u. a. war auch der Jahre lang in Petersburg wirkende Anatom WENZEL GRUBER H.'s Schüler.


Letzte Änderung: Mai 2014     Gabriele Dörflinger   Kontakt

Zur Inhaltsübersicht     Historia Mathematica     Homo Heidelbergensis     Biographisches Lexikon / Julius Pagel