Signatur UB: IZA Biog-D-DE 008::3.1898
Hebler, Rudolf Albrecht Carl, Universitätsprofessor der Philosophie in Bern, * 18. December 1821 in Bern, † 4. September 1898 in Bern. H. stammte aus einer seit 1578 in Bern eingebürgerten Familie. Sein Vater, Charles H., war von Beruf Notar, aber in wirthschaftlichen Dingen nicht eben geschickt, träumerisch, .beschäftigte sich gerne mit Astronomie, redete von Büchern, die andern gleichgültig waren, machte auch Gedichte. Während er dann in Paris eine neue Wirksamkeit suchte, stand der Knabe in Bern unter der Obhut zweier Tanten, deren eine eigenthümlich begabt war und griechisch lernte. Und als die beiden Damen nach Kornthal (Württemberg) übersiedelten, wurde der Knabe mitgenommen und trat hier sechsjährig in die berühmte Erziehungsanstalt. Nachdem er aber einmal hieher in's Ausland gelangt war, schien es besser, ihn auch hier das Gymnasium besuchen zu lassen; er genoss den Unterricht vortrefflicher Lehrer am Gymnasium zu Stuttgart. Daher rührt nun gewiss sein Verständniss für alles deutsche Wesen, für deutsche Gemüthsart, deutsche Bildung, für die geschichtliche Entwicklung Deutschlands. Den Schweizer und den Berner Bürger vergass er nicht, und wenn er auch im späteren Leben lieber hochdeutsch sprach, so beherrschte er doch, soviel wir merkten, das gute Berndeutsch mit wünschenswerthester Vollkommenheit. Aber er sprach auch in Bern lieber hochdeutsch, und bis an sein Ende war der schwäbische Merkur sein lieber täglicher Berichterstatter. Nur gab er nicht zu, dass in den grossen Jahren Bisrnarcks nur aus dieser zufälligen Anwesenheit in Deutschland und nicht aus vernünftigen Gründen seine
Im Jahre 1850 erschien sein erstes Werkchen: »Spinozas Lehre vom Verhältniss der Substanz zu ihren Bestimmtheiten dargestellt von C. H - r.« Nur mit einer Andeutung seines Namens wagte er also vor die Oeffentlichkeit zu treten. Aber Kuno Fischer sah in der Abhandlung die Arbeit »eines mit Spinozismus vertrauten und diese Lehre kritisch penetrirenden Kopfes«, entwickelte ausführlich seine abweichenden Ansichten, erklärte sich aber »in den Hauptpunkten einverstanden.« »Leibnitz (so lautet in zierlichem Witz, der ihm immer zu Gebote stand, der letzte Satz der Schrift) Leibnitz ist der rückwärts gelesene Spinoza.« Aber neben den Aufgaben der Philosophie
1858 - vielleicht im Zusammenhang mit einem neuen Sieg der Radicalen, 2. Mai 1858, und mit der Wahl eines neuen Regierungsraths - trat er von der Stelle eines Secretarius zurück, um sich jetzt bloss als Privatdocent und schriftstellerisch zu bethätigen. Er gab 1861 »Lessingstudien« heraus, in deren letztem Stück: »Lessings Gedanken über Nationalität und Staat«, wo bestritten wird, dass Lessing Republikaner gewesen sei, auch wieder seine Heiterkeit und sein Witz aufs Anmuthigste zu Worte kommen, und die einem Fachgenossen im Ausland als Ganzes »schon desshalb ausnehmend zusagten, weil sie keine Zeile enthielten, die überflüssig sei«. Und 19. Mai 1862 zum hundertsten Geburtstag Fichtes hielt er einen öffentlichen Vortrag und besprach dessen »Grundsätze über Wesen und Bestimmung des Gelehrten«. 1863 wurde er a.o. Professor; zugleich wurde ihm der Doctortitel honoris causa ertheilt mit Wyss, Franck, Mendel und dem grossen Berner Mathematiker Ludwig Schläfli. Er war damals College von M. Lazarus, der mit Ris die ordentliche Professur inne hatte, und eng befreundet mit Hermann Usener und Ludwig Tobler. Die Ferien führten ihn (Herbst 1874) nach Italien bis Rom, nach München, Tirol, natürlich aber je und je in die Schweizerberge; es ziemt sich wohl, dass der Schweizer seine Berge kennt, und er kannte ihre Namen gut und Weg und Steg, wanderte gern, bestieg mit Usener den Titlis und umkreiste in fröhlicher Wanderung mit Ludwig Tobler die Blümlisalp; in Prosa und Poesie wurde die Erinnerung an diese schönen Tage von beiden Freunden festgehalten. W. Fetscherin, Lehrer an der Kantonsschule, Prof. Ludwig Hirzel, Prof. med. Langhans, Prof. Alfred Stern, Hermann Löhnert, in der Ferne Pfr. Rector Herold in Chur und Pfr. Dr. Kitt in Bergamo, wenige Andere hatten das Glück aus seinem wohlgeordneten, sehr zuverlässigen Wissen Nutzen zu ziehen und sein freundliches Wesen und seinen köstlichen feinen Witz zu geniessen. Und die Familie von Dr. Leo Weber-Perty, Bundesrichter, war für ihn ein zweites Heim.
1864, vermehrt 1874, erschienen nun als Fortsetzung und Vollendung des 1854 Begonnenen, seine »Aufsätze über Shakespeare«. Es belustigte H., dass sein Name auch im grossen griechisch-deutschen Wörterbuch von Passow vorkommt, und er schrieb sich die Stelle heraus. »Passow s. v. mochleutés (»der mit dem Hebel Hebende und Bewegende«) übersetzt die aristophanischen Worte kainón epón kinetés kai mochleutés: neuer Wörter Beweger und Hebler.« Wir meinen zwar, dass Hamlet nicht zu tadeln ist, wenn er vor der Ermordung eines Betenden zurückschrickt, und glauben mehr an wirklichen als an bloss vorgegebenen Wahnsinn; wir haben aber schon erwähnt, mit welcher Ehrerbietung die Kritik diese Aufsätze behandelt; also möchte der Verf. gerade in diesem Werke ein »Hebler« gewesen sein, nicht von Wörtern, sondern von neuen Ansichten über Shakespeare, vor Allem über dessen seltsam geheimnissvollen Hamlet. Jedenfalls trägt aber zur Freude des Lesers auch der nie schwülstige, sondern je und je scherzende, immer natürliche Ton bei, der Rosenkranz und Vischer schon in dem Versuch über den Kaufmann von Venedig anzog. In einem Aufsatz der Zeitschrift »Im neuen Reich« 1875 führte er seine Ansichten im Gegensatz zu Werder noch weiter aus. Die nächsten Schriften gehörten wieder dem philosophischen Gebiet, an:
Aber wir würden gar zu unvollständig über den verehrten Mann berichten, wenn wir nicht erwähnten, mit welcher Freude er nun 1870 die Siege Deutschlands und in den folgenden Jahren die in dem Sinne der »Elemente einer philosophischen Freiheitslehre« S. 122 wahrhaft republikanische Staatskunst des grossen Reichskanzlers verfolgte. Die politisirenden Gespräche auf gemächlichen Wanderungen Abends oder Nachmittags vor der Stadt gehören zu des Ref. liebsten Erinnerungen.
Erst 1872, 50jährig, »auf Anlass ihm von Seiten auswärtiger Universitäten gemachter und von ihm abgelehnter Anerbietungen«, wurde er ordentlicher Professor. 1877 verfasste er die »Lessingiana« als Beilage des Glückwunsches, den die Berner Universität Tübingen zum 400jährigen Feste darbrachte. Er war in Würtemberg als Kind, als Knabe und als Jüngling Schüler und Tübinger Student gewesen; er liebte das gemüthvolle und tüchtige Schwabenland, die Heimath D. F. Strauss', Ed. Zellers, Fr. Vischers, und er liess sich nichts entgehen von Erinnerungen und Beiträgen, welche das Lebensbild der Dichter Uhland, Kerner, Mörike vervollständigten; immer wieder verweilte er im Gespräch bei. ihnen; seine Schrift war also eine Art Threpteria, ein persönlicher Dank, und gerne übernahm er es, auch als Abgeordneter dem Feste beizuwohnen, und freute sich, mit Vischer, Rümelin, Sigwart wissenschaftliche und freundschaftliche Worte zu tauschen.
Erst 1878 finden wir im Lectionscatalog von ihm »Lehre der Willensfreiheit« angekündigt. "Wie die Süsswasserquellen im Meer drang jetzt eine Frage, die schon den Knaben geängstigt hatte, durch die Gedanken aller der Jahre hindurch und verlangte eine Lösung. Anfang 1887 waren die »Elemente« fertig, und Sigwart und Usener wünschten freudig zur Vollendung Glück; Usener vermittelte einen Verleger, und noch in demselben Jahre erschienen sie bei Reimer in Berlin: »Elemente einer philosophischen Freiheitslehre«. Deterministische Freiheit ist sein Bekenntniss, nicht Determinismus, nicht Indeterminismus, aber deterministische Freiheit; nur dass er sich lieber Determinist nennt, als Indeterminist. Und Fr. Jodl sah in H.'s Schrift den erfreulichen Beweis, dass endlich die allein natürliche und wissenschaftlich brauchbare Ansicht, nämlich ein (richtig verstandener) Determinismus wieder zum Durchbruch zu kommen beginne.
Mit diesem Buche schloss H.'s Schriftstellerei ab, und er hatte nun wohl gesagt, was er auf Erden sagen sollte. Auch seine Thätigkeit an einer Universität klang allmälig aus, und 1891, 70jährig geworden, liess er sich in den Ruhestand versetzen. Aber noch etliche Jahre edler Musse bei leidlicher Gesundheit waren ihm beschieden. Taines, Sybels, Treitschkes Werke be- schäftigten und erfreuten ihn. Dann starb 1896 sein Freund Ludwig Tobler in Zürich, und die Familie, mit der allein er später verkehrte, zog weg. Er war sehr einsam; aber er ertrug die Einsamkeit mit wunderbarer Selbstgenügsamkeit und Heiterkeit, und man verliess ihn nie, ohne einen reizenden Scherz und einen treffenden Gedanken mitzunehmen.
Aber auch sein äusserliches Leben rundete sich seltsam ab. Umgeben
Werke: Spinozas Lehre vom Verhältniss der Substanz zu ihren Bestimmtheiten dargestellt von C. H-r. Bern, Verlag von Jenni Vater 1850. - Shakespeares Kaufmann von Venedig. Ein Versuch über die sogenannte Idee dieser Komödie. Von R. A. C. Hebler. Bern, Verlag von Huber 1854. - Lessing-Studien. Von C. .Hebler, Privatdocent der Philosophie an der Hochschule Bern. Bern, Verlag von Huber (Körber) 1862. - Zum hundertsten Geburtstag Fichtes. Seine Grundsätze über Wesen und Bestimmung des Gelehrten. Von Privatdocent Hebler. Abdruck aus dem »Schweizerischen Museum«. Bern, Haller'sche Buchdruckerei 1862. - Aufsätze über Shakespeare von C. Hebler, Professor an der Universität Bern 1864. Zweite, beträchtlich vermehrte Ausgabe 1874. Verlag der J. Dalp'schen Buchhandlung. - Die Philosophie gegenüber dem Leben und den Einzelwissenschaften, in den Vorträgen von Virchow und Holtzendorff, Berlin 1868, 2. Auflage 1874. - Philosophische Aufsätze von C. Hebler. Leipzig, Fues' Verlag 1869. - Lessingiana, Berner Universitätsschrift 1877. - Elemente einer philosophischen Freiheitslehre. Berlin, Reimer 1887. - Kleine Aufzeichnungen. Beilage der Allg. Schweizer Zeitung 1899, Nr. 22 ff. - Ein Besuch bei Arthur Schopenhauer. Deutsche Rundschau August 1899.
Nekrologe: Neue Züricher Zeitung 6. Sept. 1898. Bund 7. Sept. 1898.
Bern.
Karl Frey.
Letzte Änderung: Mai 2014 Gabriele Dörflinger Kontakt
Zur Inhaltsübersicht Historia Mathematica Homo Heidelbergensis Mein Leben / Leo Koenigsberger