Mein Leben / Leo Koenigsberger

Friedrich Grohé

Nachruf aus:

Chronik der königlichen Universität Greifswald.
[1] 1886/87

Signatur UB Heidelberg: UIE 572::1886-89


21. November 1886 starb nach längerem Leiden der ordentliche Professor der pathologischen Anatomie und Director des pathologisch-anatomischen Instituts Dr. Grohé, nachdem demselben noch kurz zuvor durch Allerhöchstes Patent vom 12. November 1886 der Character als Geheimer Medicinalrath verliehen worden war.

Jacob Friedrich Grohé war als Sohn des gleichnamigen ev. Kaufmanns in Speyer am 12. März 1830 geboren. Seine Vorbildung erhielt er am Gymnasium und Lyceum zu Speier. Im Jahre 1850/51 bezog er die Universität Würzburg, 1851/52 Giessen und beendete 1852 nach Würzburg zurückgekehrt daselbst seine Studien 1856. Am 13. August 1856 wurde er in Würzburg zum Doctor promovirt. Schon während seiner Studienzeit von 1853 (Ostern) bis 1856 bekleidete er an dem pathologischen Institut, welches damals unter Rudolf Virchow sich zur ersten Lehrstätte der pathologischen Anatomie in Deutschland aufgeschwungen hatte, die Stelle eines Assistenten. Ausserdem war Grohé als Assistent an dem Hospital ,,Kreisverpflegs-Anstalt für Unterfranken'' und am Siechenhaus der Stadt Würzburg angestellt. Als es im Jahre 1856 dem Einflüsse Schönleins gelang, die Rückberufung Virchows an die Berliner Hochschule durchzusetzen, da begleitete Grohé seinen Lehrer auf der damals noch beschwerlichen Reise, und trat am 14. Novbr. 1857 an dem daselbst neu begründeten pathologischen Institut in Berlin als Erster in der sich nunmehr entwickelnden Virchow'schen Schule die Stelle des anatomischen Assistenten an. Schon im folgenden Jahre am 12. August 1858 wurde er als ausserordentlicher Professor an die Universität Greifswald berufen, wo er nicht nur als der erste zur selbständigen Lehrthätigkeit gelangte Schüler Virchows, sondern überhaupt als einer der ersten Vertreter seiner Wissenschaft in Deutschland das Lehramt der pathologischen Anatomie und Allgemeinen Pathologie bekleiden sollte. Der Anfang dieser Laufbahn war reich an Schwierigkeiten, da an Räumen nur ein kleines Leichenhaus mit einem Sectionszimmer primitivster Art, an Mikroskopen, Sammlungspräparaten und andern Lehrmitteln so gut wie nichts vorhanden war, und die Mitbenutzung der engen Räumlichkeiten von dem Leiter der chirurgischen Operationskurse das Arbeitsfeld der pathologischen Anatomie noch mehr einschränkte. Durch diese äusseren Umstände ist es wol begreiflich, dass Grohé einerseits verhältnissmässig wenig Gelegenheit zu grösseren wissenschaftlichen Arbeiten fand, für deren Vollendung es vor Allem eines reicheren Untersuchungsmaterials und eines geeigneten Laboratoriums bedurft hätte, und dass andrerseits sein organisatorisches Talent zu immer höherer Ausbildung gefördert wurde, da ihm die Aufgabe oblag, aus den vorhandenen kümmerlichsten Anfängen eine Lehrstätte für moderne Wissenschaft geradezu neu zu schaffen.

Am 31. Mai 1862 wurde er ordentlicher Professor.

Während des Feldzuges 1866 hatte sich Grohé zur Dienstleistung zur Verfügung gestellt, und wurde als dirigirendor Arzt eines Reserve-Lazareths in Demmin mit der Pflege verwundeter und erkrankter Krieger betraut, eine Aufgabe, welcher er sich mit dem ganzen Eifer seines pflichttreuen gewissenhaften Charakters hingab, so dass ihm als Anerkennung seiner Verdienste von Sr. Majestät der Rothe Adlerorden IV. Klasse verliehen wurde, während ihm das Comité für das Reservelazareth ,,in dankbarer Anerkennung seines Wirkens'' eine prachtvolle silberne Schale zum Andenken überreichte.

In den folgenden Jahren wurde die Arbeitskraft Grohé's zum guten Theil durch den Neubau eines eignen, grossen und wie schon hier hervorgehoben sein mag, äusserst zweckmässig angelegten pathologischen Instituts in Anspruch genommen. Während dieser Bau seiner Vollendung entgegenging brach der Krieg 1870 aus. Auch hier erschien Grohé wieder auf dem Platze; er verliess auf mehr als drei Monate im Winter 1870/71 seinen Hörsaal, und hat siebenmal seinen Sanitätszug (Königl. Preussischen Nr. 3) mit sichrer Hand durch drohende Gefahren bis vor Paris geführt. Es war bei einer dieser Fahrten, dass der Sanitätszug unter Grohé's Führung bei Toul eine Brücke passirte, welche von Franctireurs zu einem Ueberfalle ausersehen war; kaum hatte der letzte Wagen die Brücke verlassen, als unter donnerndem Krachen die steinernen Pfeiler zusammensanken - die Explosion war um Sekunden zu spät erfolgt. Bei einer der Hinfahrten, welche zum Sammeln von Verwundeten um die Befestigungen von Paris unternommen wurde, sowie auf dem Transport dieser Verwundeten nach Corbeil wurde mehrfach auf den Sanitätszug und seine Führer geschossen, so dass Grohé sein ihm verliehenes eisernes Kreuz im Feuer feindlicher Geschütze erworben hat.

Seit dem Frieden 1871 wirkte er 13 Jahre lang ununterbrochen an hiesiger Universität. Er war deren Rector magnificus im Jahre 1874/75, Decan seiner Facultät in den Jahren 1868/69, 1872/73 und 1879/80. Besonders war er in dem nunmehr eröffneten pathologischen Institut als Organisator, Lehrer und Forscher thätig, obwohl eine schleichend sich entwickelnde Herzkrankheit seine Schaffensfreudigkeit allmählig zu lähmen begann. Im Herbst 1884 auf einer Keise nach Ostende brach dieses Leiden plötzlich hervor mit einem Anfall von schwerer, tagelang währender Ohnmacht, welche ihn in die höchste Gefahr brachte, und nur durch die sorgfältigste Pflege seiner Gattin unter der Obhut seines Freundes Leichtenstern in Köln langsam in Genesung übergeführt werden konnte. Seitdem wurde es manifest, dass ausser dem Herzleiden eine andere schwere Störung bestand (Diabetes mellitus), welche Grohé nöthigte, während des Winters 1884/85 um Urlaub zu bitten. Noch einmal unternahm er es zu Ostern 1885 die ganze Arbeitslast seiner Amtstätigkeit seinen Schultern aufzubürden, allein die Kraft erlahmte mehr und mehr, ein erneuter Anfall, an Schwere demjenigen in Köln kaum nachstehend, traf ihn am 3. März 1886, und erzwang eine dauernde Schonung. Beurlaubt auf l Jahr musste der arbeitsfrohe Mann nunmehr ganz seiner Gesundheit leben, er gelangte noch vorübergehend zu einer erfreulichen Besserung, allein erneute Anfälle von Ohnmacht und Verschlimmerung des Grundleidens warfen ihn im Herbst auf sein letztes Krankenlager.

Am 12. November 1886 hat Se. Majestät die Urkunde ausgefertigt, welche Grohé zum Geheimen Medicinal-Rath ernannte; es war der letzte Freudenschimmer, der auf sein müdes Antlitz fiel. Am 21. November 1886 erlöste ihn ein sanfter Tod von seinen Leiden.

Als Lehrer hat Grohé frühzeitig seine Wirksamkeit begonnen, von den 56 Lebensjahren, welche er erreicht, hat er genau die Hälfte als Lehrer der pathologischen Anatomie in Greifswald gewirkt. Strenge wissenschaftliche Methode, scharfe Beobachtung, Verbannung aller blendenden Hypothesen, das ist der Inhalt seiner Lehren, das ist das Band gewesen, welches ihn schon als Jüngling an seinen grossen Meister Rudolf Virchow gebunden hat, das hat seinem innersten Charakter allezeit entsprochen. Seine zahlreichen Schüler haben ihm vielfältige Beweise dankbarer Anhänglichkeit gegeben, noch jetzt besteht ein Verkehr alter Grohé'scher Schüler mit dem pathologischen Insitut, welches in der Uebersendung von wissenschaftlich werthvollon Objekten einerseits, in bereitwilliger Ertheilung von Rath und Belehrung andrerseits seinen Ausdruck findet. In akademischen Stellungen befinden sich von den früheren Assistenten Grohés: Professor Hertz in Amsterdam, Prof. Roth in Basel, Prof. Fürstner in Heidelberg und Dr. Beumer in Greifswald.

Von wissenschaftlichen Abhandlungen sind die ersten noch unter persönlichem Einfluss von Liebig in Giessen gearbeitet worden, ein Theil der späteren ist zerstreut in den Verhandlungen des Greifswalder medicinischen Vereins abgedruckt, eine experimentelle Untersuchung von höchster wissenschaftlicher Bedeutung ,,Ueber Verschimmelung im lebenden Thierkörper'' hat Grohé durch seinen verstorbenen Schüler Alwin Block in dessen berühmt gewordener Dissertation 1870 veröffentlicht. In Virchows Archiv finden sich:

Virchow, Archiv.

XXIX. Melanotisches Carcinom des Zwischenkiefers ausgehend von den Zahnsäckchen der Schneidezähne.
1858.
XIII. Bd.   Ueber Kalkmetastase.
1861.
XX. Beiträge zur patholog. Anatomie und Physiologie.
I. Zur Geschichte der Melanämie nebst Bemerkungen über den normalen Bau der Milz und Lymphdrüsen.
XXII. Vivianitbildung an der Leber.
II. (Forts, zu XX.). Ueber Pigmentanschwemrnung in den Nierengefässen. Umfangreiche Cyste am rechten grossen Hirn mit einem sarcomatösen Tumor.
1863.
XXVI. Ueber den Bau und das Wachsthum des menschlichen Eierstocks und über einige krankhafte Störungen desselben.
XXVII. Erwiderung an Hrn. Prof. Pflüger in Bonn, den Bau des menschlichen Eierstocks betreffend.
1864.
1865.
XXXII. Ueber die Bewegung der Samenkörper.
Netzknorpel-Chondrom mit contractilen Zellen.
XXXIV. Zur Kenntniss der Veränderungen innerer Organe bei akuter Arsenvergiftung.
Ausserdem Akten über:
,,Meningitis cerebro-spinalis epidemica'' aus dem Jahre 1865.
In anderen Zeitschriften:
1866. Grohé und Mosler: Ueber die gegenwärtige in Greifswald herrschende Trichinenkrankheit. Berl. Klin. Wochenschr.
1869. Intercanaliculäres Fibrom der Brustdrüse. Eitrige Zellgewebsentaindung des Halses (Angina Ludovici) ebendaselbst.

Zu zwei dicken Bänden sind die ausführlichen, und für viele wissenschaftlichen Arbeiten massgebenden kritischen Referate angewachsen, welche Grohé vom Jahre 1861 bis 1876 incl. für den ,,Jahresbericht über die Fortschritte der Gesammten Medicin'' von Vircbow und Hirsch geliefert hat.

Als Direktor des pathologischen Instituts hat sich Grohé ein monumentum aere perennius gesetzt, indem er nicht nur mit einer seltenen Begabung Pläne und Einrichtungen ersonnen hat, welche aufs Wirkungsvollste den hiesigen Verhältnissen angepasst sind, indem er nicht nur in gewissenhaftester Ordnungsliebe auch das kleinste seiner Arbeitsmittel in gutem Stande erhielt, sondern indem er mit sehr bescheidener Dotirung allmählig einen Lehrapparat neu geschaffen hat, dessen vortreffliche und zweckmässige Anordnung noch vielen Generationen von Schülern zu statten kommen wird. Wer die geringe Zahl von Sektionen in. Betracht zieht, welche dem Lehrer der Pathologie hier in Greifswald zur Verfügung stehen, wer davon Kenntniss hat, wieviel Mühe und Arbeitszeit die Zubereitung und Aufstellung anatomischer Präparate erfordert, der wird sich in aufrichtiger Bewunderung vor dem Manne verneigen, welcher die beiden grossen Säle des pathologisch ana- tomischen Museums mit kostbaren, wissenschaftlich wie für den Unterricht überaus reichhaltigen Sammlungspräparaten angefüllt hat.

Als Lehrer, als Mann der Wissenschaft, als leitender Beamter des pathologjschen Instituts bewährte Grohé die gleiche Treue, den gleichen Ernst in der Erfüllung seiner Pflichten, die gleiche Entschiedenheit und klare Offenheit in Wort und That. Ein reiner edler Charakter, ein offenherziger, deutscher Mann, das war Friedrich Grohé.


Letzte Änderung: 25.07.2005     Gabriele Dörflinger   Kontakt

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