Herrmann von Helmholtz' Wissenschaftliche Abhandlungen
von G. Wiedemann

Gustav Heinrich Wiedemann geb. 2.10.1826 in Berlin, gest. 23.3.1899 in Leipzig


S. XV - XXXVI aus:
Helmholtz, Hermann von: Wissenschaftliche Abhandlungen. - Leipzig : Barth
Bd. 3. - 1895
UB-Signatur: O 416-10::3

Hermann von Helmholtz
photographiert 1891 in Florenz

(...)

Hermann Helmholtz wurde am 31. August 1821 zu Potsdam geboren, wo sein Vater Gymnasiallehrer war. Seine Mutter war die Tochter eines hannoverschen Artillerieofficiers, eines directen Nachkommen des Penne, von dem der Name Pennsylvanien herrührt.

Wenn er von sich selbst erzählt, dass er als ein schwächliches Kind viel auf das Spiel im elterlichen Hause angewiesen war, so erkennt man die für die Wissenschaft so bedeutsamen Folgen hiervon auch noch in späteren Jahren, wo er mit seinem oft stillen, in sich gekehrten Wesen die wissenschaftlichen Probleme in sich verarbeitete. Seinem für die Mathematik und Naturforschung angelegten Geist entsprach es vollkommen, dass er als Knabe im Spiel den Aufbau geometrischer Gebilde bevorzugte und sich in der Schule nur schwer mit den oft willkürlich und unzusammenhängend erscheinenden grammatischen Regeln befreundete. Dagegen ging ihm der Sinn für die organisch gegliederten literarischen Erzeugnisse der Classicität und den Aufbau der Sprache in keiner Weise ab. Noch als Student las er Lokmâns Fabeln in der arabischen Ursprache. Er hat dieses literarische Interesse bis in sein Alter bewahrt. Und wenn er als Jüngling an philosophisch-metaphysischen, zu keinem Ziel führenden Gesprächen im Hegelschen und Fichteschen Sinn wenig Interesse fand, so theilte er darin die auch anderen, wenn auch minder begabten Naturforschern angeborene Neigung, stets an die feste Basis der Realität anzuknüpfen. Dass er indess in seiner Universalität auch Geschmack und eingehendes Verständniss für tiefer begründete philosophische Entwickelungen in reichem Maasse besass, beweist seine spätere eingehende und kritische Beschäftigung mit Kant.

Von den vielen Geistesgaben, welche Helmholtz zu Theil geworden waren, war aber vielleicht die wichtigste der innere Zwang und die Fähigkeit, ein jedes Problem in der einfachsten Weise zu erfassen und auf das zweckmässigste durchzudenken und von allen Seiten zu betrachten, bis seine Lösung, sei es vollständig, sei es wenigstens für eine Reihe von Fällen zu einem klaren gesicherten Abschluss gekommen war. Diese Begabung verlieh den Forschungen von Helmholtz die eminente Klarheit, mit der er jederzeit zielbewusst seine grossen Arbeiten durchführte. Dazu half ihm eine ganz ausserordentliche mathematische Befähigung. Gegen Ende seiner Studienzeit reichten seine Kenntnisse kaum weiter, als wie sie etwa dem Werk von Navier über Differentialrechnung entsprechen: und dennoch las er bald darauf mit grosser Leichtigkeit schwierige Abhandlungen von Poisson. Durch eigenes Arbeiten erreichte er bei der Behandlung mathematisch-physikalischer Probleme eine Höhe, wie nur wenige Mathematiker und mathematische Physiker, sowohl in der ihm freilich stets nur als Mittel dienenden formalen Behandlung, als auch in der Conception weittragender allgemeiner Fundamentalsätze.

Für die Sammlung der nöthigen verschiedenartigsten Kenntnisse, die bei der Allgemeinheit der Anlage von Helmholtz die reichsten Früchte tragen mussten, war es eine günstige Fügung, dass er sich in Folge von äusseren Verhältnissen nicht sofort eigenen Specialforschungen widmen konnte. Er musste sich erst in dem Friedrich-Wilhelms-Institut, der sogenannten Pepinière in Berlin, auf den Beruf eines Militärarztes vorbereiten, und dann, nach Absolvirung eines praktischen Cursus in der Charité in Berlin, als ,,Compagniechirurgus'' die ihm durch die Vorbildung in der Pepinière auferlegte militärärztliche Dienstzeit in Potsdam wenigstens theilweise absolviren.

Der Kampf mit der Geringfügigkeit der literarischen und experimentellen Hülfsmittel in der Pepiniere und in Potsdam drückte seinen Forschungstrieb nicht nieder. Als es ihm während seiner Studienzeit gelang, ein Mikroskop zu erwerben, benutzte er es sofort zu seiner ersten wissenschaftlichen Forschung; auf Anregung von Joh. Müller zur Bearbeitung seiner übrigens durchaus selbständigen Promotionsschrift über die Ganglien der Invertebraten (1842), einer Abhandlung von dauerndem Werth, da in ihr der Zusammenhang zwischen Nervenfasern mit Nervenzellen nachgewiesen ist. Letztere sind hiernach als centrale Organe anzusehen.

Dieser Arbeit sind später noch einige andere anatomische gefolgt; über die Rippen und die Armmuskeln (1856) und über die Gehörknöchelchen (1868).

Noch während seines Aufenthaltes in Berlin wendete sich Helrnholtz einem früher namentlich von Schwann bearbeiteten Thema zu, ,,über Gährung und Fäulniss''. Der erste Theil desselben, über den Einfluss des Sauerstoffs auf die Gährung, wurde im Laboratorium von Magnus ausgeführt. Helmholtz zeigte, dass der Sauerstoff nicht die Ursache jener Processe ist, auch nicht die aus den Hefepilzen abgeschiedenen Stoffe für sich es sind, da sich die Gährung durch poröse Membranen nicht fortpflanzt, durch welche sie hätten voraussichtlich hindurch diffundiren sollen. Leider gestattete ihm die Unvollkommenheit seines Mikroskopes kein tieferes Studium der bei der Fäulniss einwirkenden Organismen.

Als Militärarzt in Potsdam arbeitete Helmholtz im Gebiet der Physik und Physiologie zuerst theoretisch-literarisch weiter. Vor Allem veröffentlichte er seine fundamentale Schrift über die Erhaltung der Kraft (1847). Diese, wohl seit Jahrhunderten die bedeutendste Leistung auf dem Gebiete der Naturwissenschaften, ist die erste physikalische Arbeit von Helmholtz.

Durch den Gang seiner Laufbahn wurde er darauf längere Zeit von rein physikalischen Forschungen abgezogen. Als er durch Fürsprache von Alexander von Humboldt aus dem Militärdienst entlassen war, erhielt er in Folge einer Empfehlung seines Vorgängers Brücke an Johannes Müller die Stellung als Lehrer der Anatomie an der Kunstakademie in Berlin (1848). Dann wurde er als Professor der Physiologie und pathologischen Anatomie nach Königsberg (1849), und als Professor der Anatomie und Physiologie nach Bonn (1855) berufen. Inzwischen blieb er in diesen Doppelstellungen wesentlich der physiologischen Richtung treu. Er konnte dies um so leichter, als in Folge der mannigfachen, tief eingreifenden Arbeiten von Ernst Heinrich Weber, Ludwig, E. du Bois-Reymond, Brücke und ihm selbst die Physiologie sich immer mehr zu einer selbständigen Wissenschaft ausgebildet hatte. In Folge dessen wurde ihm auch die für die Physiologie allein gegründete Professur (1858) in Heidelberg übertragen.

Entsprechend der neueren physiologischen Richtung suchte auch Helmholtz die Lebensvorgänge immer mehr auf exacte physikalisch-chemische Grundlagen zurückzuführen. In Anknüpfung an seine und seiner Vorgänger Vorstellungen über die Beziehungen zwischen Wärme und Arbeit wies er mittelst Thermoelementen nach, dass die Muskeln nicht nur durch das Eintreten von Blut erwärmt werden, sondern dass die verbrauchte Arbeit bei ihrer Contraction sich z. B. in Wärme umsetzte.

Dann aber vertiefte er sich in das aussichtsreiche, aber besonders schwierige Gebiet, in welchem die Eindrücke der äusseren Erscheinungen mit ihrer Wahrnehmung und Empfindung, sowie den darauf folgenden psychischen Reactionen verknüpft werden sollten, in das Studium der Sinneswahrnehmungen.

In seinen elektrophysiologischen Forschungen hatte E. du Bois-Reymond gelehrt, die experimentellen Hülfsmittel der Physik in der von ihm erreichten hohen Vollkommenheit auf das Studium physiologischer Vorgänge anzuwenden. Alsbald löste Helmholtz eines der schwierigsten Probleme dieses Gebietes, die Bestimmung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Nervenreizes (1850). Der experimentellen Anordnung und Ausführung dieser Versuche lag einerseits die Eegistrirung vermittelst des von ihm construirten Myographiums, andererseits die Methode von Pouillet zur Messung kleinster Zeiten zu Grunde. Selbst die erfahrensten Physiologen hatten nicht gehofft, diese Messungen mit Erfolg durchführen zu können. Helmholtz erwies sich dabei sofort als einer der geistvollsten und geschicktesten Experimentatoren.

Die Geschwindigkeit jener Fortpflanzung, welche man früher für unendlich gross gehalten hatte, war etwa nur 30 m in der Secunde; man konnte also kaum mehr annehmen, dass sie, etwa wie die Lichtbewegung, mit enormer Geschwindigkeit durch Schwingungen eines besonderen Agens fortschritte.

Noch weit geringer wurde die Geschwindigkeit der Reflexleitung im Rückenmark gefunden. Auch die Contraction des Muskels beginnt nicht unmittelbar mit dem Nervenreiz, obgleich bereits vor derselben, in dem Stadium der ,,latenten Energie'' elektrische, andere Nerven erregende Schwankungen darin nachzuweisen sind.

Dann wendete sich Helmholtz den Untersuchungen der Sinnesorgane selbst zu, denen des Auges und des Ohres. In ihnen legte er in umfassendster Weise die äusseren Functionen, das Zustandekommen der Wahrnehmungen in physikalischer und physiologischer Beziehung, ihre psychologische Bedeutung und sogar ihr Verhältniss zur Aesthetik klar.

Bei der Untersuchung des Auges war es zunächst erforderlich, die anatomischen und geometrischen Verhältnisse bei seinen Bewegungen und mechanischen Veränderungen genauer als bisher zu studiren. Hierzu construirte Helmholtz das wichtige Ophthalmometer, dessen Princip, wenn auch nur entfernt, an das des Heliometers erinnert.

Dasselbe wurde zuerst zur Messung der Grösse des Hornhautbildes, bezw. der Krümmung der Hornhaut verwendet.

Diese Arbeiten sind zu den besten zu zählen, welche wir in der Anatomie besitzen.

Für die Betrachtung der inneren Theile des Auges erfand Helmholtz den Augenspiegel (1851).

Als Brücke gezeigt hatte, dass man durch Reflexion von Licht von einem schräggestellten Spiegelglase in das Innere eines menschlichen Auges dasselbe durch das Glas hindurch erleuchtet sehen konnte, erfasste Helmholtz kurz darauf den Gedanken, die Brechung der Augenmedien durch ein vor das Auge des Beobachters gehaltenes Linsenglas zu compensiren, um so die Einzelheiten im erleuchteten Auge scharf und deutlich zu sehen.

So entstand der Augenspiegel, durch dessen Anwendung die sichere Untersuchung des gesunden und kranken Auges ermöglicht und die Augenheilkunde in segensreichster Weise auf einen ganz neuen Standpunkt erhoben wurde. — Helmholtz hat seiner Erfindung als solcher nach Brückes Beobachtungen keinen besonders hohen wissenschaftlichen Werth beigelegt, indess eben in der scheinbar geringfügigen Anwendung der Beobachtungslinse zeigt sich sein genialer Blick.

Nach Festlegung dieser Verhältnisse im Auge konnte Helmholtz an das Studium der eigentlichen Sehthätigkeit herangehen. Er begründete damit das Gebiet der neueren Ophthalmologie. Vor Allem ermittelte er den Eindruck der Spectralfarben und ihrer Mischungen im Gegensatz zu dem von gemischten Pigmenten ausgehenden gefärbten Lichte. Er prüfte und erweiterte die Theorie von Thomas Young, wonach die Netzhaut drei Arten von Nervenfasern enthält, roth-, grün-, und blau-violett-empfindliche, so dass der getrennte oder gemischte Eindruck dieser drei Farben genügt, um in physiologischer Beziehung alle Farbeneindrücke hervorzurufen.

Unter vielem Anderen studirte er auch die Ursache des Glanzes und die Theorie der Entstehung der räumlichen Vorstellungen, die er durch die Erfindung des Telestereoskopes sehr schlagend illustrirt hat.

Die Resultate dieser Forschungen sind in dem Handbuch der physiologischen Optik (erste Lieferung 1856) vereint. Nicht genug kann man bewundern, wie der in seiner Genialität stets eigenen hohen Zielen nachstrebende Verfasser es nicht verschmäht hat, in diesem Werk mit unendlichem Fleiss und grösster Gewissenhaftigkeit das bereits vorhandene Material zusammenzutragen, zu ordnen und auf Grund seiner eigenen Resultate kritisch zu verarbeiten.

In unmittelbarem Anschluss an die physiologisch-physikalischen Erfahrungen ging Helmholtz auch auf das psychologische Gebiet über. Er behandelt die Frage, welchen Realitäten die Zeichen entsprechen, die wir mit dem Auge und dem Tastsinne erhalten. Etwas abweichend von seiner physiologischen Optik nimmt er wie Kant an, dass die Vorstellung des Raumes eine dem Menschen a priori gegebene, für uns nothwendige, also in Kants Sinne transcendentale Form der Anschauung sei. Indess zeigt er, dass Kants Beweis für den Ursprung a priori der geometrischen Axiome unzureichend ist.

In seinen Abhandlungen über die Thatsachen, welche der Geometrie zu Grunde liegen, fügt Helmholtz im Anschluss hieran seinen bisherigen Untersuchungen ein neues Gebiet, das der Geometrie, hinzu. Er prüft, welche Sätze derselben objectiv gültigen Sinn haben, wieviel dagegen nur auf Definitionen beruht. Er, der Physiker und Physiologe, steht dabei auf nicht geringerer Höhe als der grosse Mathematiker Riemann in seinen gleichzeitigen Arbeiten über denselben Gegenstand.

Durch Berichte über die Arbeiten betreffend die Theorie der Akustik und die akustischen Phänomene in den Fortschritten der Physik von den Jahren 1848 und 1849 hatte sich Helmholtz mit der Literatur dieses Gebietes vertraut gemacht. Er trat schon während seiner optischen Untersuchungen in das zweite grosse Gebiet der Sinnesphysiologie ein, in die Lehre von den Tonempfindungen. Vor Allem studirte er während seines Aufenthaltes in Bonn (1856) die Combinationstöne. Er fügte den bekannten Differenztönen die, wohl noch weiter zu untersuchenden Summationstöne hinzu und leitete die Bedingungen des harmonischen Zusammenklanges aus der Abwesenheit der Schwebungen ab. Dies war früher wesentlich nur auf der Grundlage der einfachen Verhältnisse der Schwingungszahlen, .bezw. der Uebereinstimmung des physiologisch empfundenen Abstandes der Töne geschehen.

Sodann ermittelte Helmholtz in Anschluss hieran die den Vocalen zu Grunde liegende Klangfarbe, welche neuerdings Gegenstand weiterer Untersuchungen geworden ist. Er behandelte die Bedingungen der gleichschwebenden Temperatur, die physikalisches Interesse bietenden Bewegungen der Violinsaiten und der Zungenpfeifen. Er studirte auch vom anatomischen Standpunkt die Mechanik der Gehörknöchelchen.

Diese mit physikalischer Bestimmtheit und logischer Schärfe durchgeführten Untersuchungen vereinte und verarbeitete er in seinem fundamentalen Werk ,,die Lehre von den Tonempfindungen als physiologische Grundlage für die Theorie der Musik''. Wie er aber stets mit weitem Blick die Beziehungen seiner Erfahrungsresultate nach allen Richtungen erkannte und verwerthete, so benutzte er sie auch hier als physikalische Grundlage einer Harmonielehre.

Helmholtz besass in seiner wunderbaren Vielseitigkeit eine hohe musikalische Begabung, ein sehr feines Gehör, eine gründliche und ausgedehnte Kenntniss der musikalischen Literatur und der Compositionen. Er erfreute sich gern und oft bis in sein Alter hinein ihres unmittelbaren Eindrucks. Daneben aber verfolgte er ein höheres Ziel. Er drang in die Principien ein, nach welchen die Tonwerke aufgebaut waren und verknüpfte sie mit seinen theoretischen Errungenschaften.

Die Musiker von Fach in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts waren in einer mehr formalen, zuweilen auch auf philosophischen, z.B. Hegelschen Principien aufgebauten Harmonielehre aufgewachsen, die oft in einer ziemlich umständlichen Nomenclatur ihren Ausdruck fand. Es ist wohl begreiflich, dass sie sich nur schwer mit den Grundlagen der neueren Theorie befreundeten. Sie waren noch wenig vertraut mit physikalischen Anschauungen, die überdies von vielen Seiten den abstracten Philosophen gegenüber als minderwerthig angesehen wurden. Dennoch musste sich die Theorie von Helmholtz, da sie auf experimentell sicher gestellten Erfahrungen beruht, später erweitert und in einzelnen Punkten ausgebaut, Bahn brechen. Dass sie das gethan, wird auch jetzt von musikalischer Seite anerkannt.


Durch die Aufstellung des Princips von der Erhaltung der Kraft mit den sogleich zu besprechenden, sich daran schliessenden Arbeiten ebensowohl, wie durch seine ganz in dem Boden der Physik wurzelnden physiologischen Forschungen war Helmholtz unbedingt der erste Physiker Deutschlands geworden. Als im Jahre 1871 durch den Tod von Magnus die Professur der Physik in Berlin erledigt war, konnte, nur er berufen werden. Er folgte dem Rufe, vielleicht auch, weil er vorauszusehen glaubte, dass ihn die weitere Beschäftigung mit der Physiologie zu vivisectorischen Arbeiten führen musste, welche seiner Gemüthsrichtung weniger zusagten.

So concentrirte sich seine wissenschaftliche Thätigkeit naturgemäss auf das Gebiet der Physik.

Vom Jahre 1871 bis 1875 hat Helmholtz indess noch viele physiologisch-optische Versuche angeregt, aber selbst nicht mehr in diesem Gebiete experimentirt. Dann ruhte die physiologische Optik. Als er aber im Jahre 1884 die zweite Auflage der ,,physiologischen Optik'' in Angriff nahm, und namentlich vom Jahre 1889 an, hat er wiederum theoretische Schlussfolgerungen aus Beobachtungen Anderer gezogen.


Die vielen einzelnen Wechselbeziehungen der Naturkräfte, welche in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts aufgefunden waren, und namentlich die Feststellung ihrer quantitativen Verhältnisse, hatten wiederholt die Veranlassung dazu gegeben, sie von einem einheitlichen Gesichtspunkte als Bewegungserscheinungen zu betrachten.

Zuerst musste man sich auf die Wärme beschränken, von der bereits Bacon sagt, dass ihre Form die Bewegung sei. Aehnliche Ansichten hatten Rumford und Davy. Sie hatten indess noch keine Vorstellung von der Unzerstörbarkeit der ,,Kraft'', wofür wir jetzt den Namen ,,Energie'' setzen würden. Robert Mayer aus Heilbronn hat ohne Zweifel das Verdienst, für die Beziehungen der mechanischen und auch chemischen Energie zur Wärme das fundamentale Naturgesetz von der Erhaltung der Energie zuerst durch theoretische Betrachtungen bewiesen zu haben (1841-1842). An der Hand der vorliegenden experimentellen Daten hat er durch geniale und noch heute gültige Betrachtungen die Grösse des mechanischen Wärmeaequivalentes numerisch berechnet. In voller Erkenntniss der Tragweite seines Princips hat er seine Ergebnisse auf den Haushalt der Natur übertragen, von dem Mechanismus des Sonnensystems (1848) bis zu dem Organismus der Thiere und Pflanzen. Ganz analoge Schlüsse hat dann viel später auch Sir William Thomson veröffentlicht. Während ferner Joule durch Versuche die Aequivalenz von Arbeit und Wärme messend verfolgte, ja sie selbst unter Vermittelung alternirender Magnetisirungen nachgewiesen hatte, gab Grove in rein speculativer Weise zunächst im Januar 1842 in einer Vorlesung in der London Institution der Ueberzeugung Ausdruck, dass die Unzerstörbarkeit der Kraft auf alle Gebiete zu übertragen wäre. Was aber die früheren Forscher in ihrer mehr einseitigen Ausbildung nicht vermochten, das leistete der junge Militärarzt in seinem im Jahre 1847 erschienenen fundamentalen Buch über die Erhaltung der Kraft. Ohne die Leistungen von R. Mayer zu kennen, welche in den, dem Physiker weniger nahe liegenden Liebigschen Annalen erschienen waren, stellte Helmholtz, gestüzt auf die Erfahrungen und mit mathematischer Schärfe das Princip von der Erhaltung der Kraft als ein allgemein gültiges auf, und wendete es auf alle Gebiete der Naturerscheinungen vollkommen einwurfsfrei und mit staunenswerther Klarheit an. Die älteren Berliner Physiker, auch Poggendorff als Redacteur der Annalen der Physik und Chemie, erkannten den hohen Werth dieser Arbeit nicht. Indess ist ihnen daraus nicht, wie häufig geschieht, ein Vorwurf zu machen. Sie waren eben in der realistisch-empirischen Methodik aufgewachsen, fürchteten ein neues Eindringen der rein speculativen Richtung und konnten die Bedeutung so weittragender und umfassender Vorstellungen nicht in sich aufnehmen. Auch uns Zeitgenossen, als Schülern dieser Generation, wurde es nicht ganz leicht, uns sofort in dieselben hineinzufinden, dann aber erfüllten sie uns mit um so grösserer Begeisterung. Wir erkannten, dass dem ersten grossen Grundprincip der Natur, der durch Lavoisiers Untersuchungen begründeten Erhaltung der Materie, nun auch ein zweites Grundprincip, die Erhaltung der Energie in ihrer Universalität, an die Seite gestellt war.

Nicht unabhängig von der verschiedenen geistigen Richtung und Veranlagung der Nationen mag es hierbei erscheinen, dass das die Materie als solche betreffende, auf realer Erfahrung beruhende erste Grundprincip dem romanischen, das zweite von vornherein von ihren speciellen Eigenschaften absehende, zunächst auf mehr speculativem Wege gefundene, dem germanischen Volksstamm entsprungen ist.

Das Princip von der Erhaltung der Energie hat für den Forscher noch eine besondere Bedeutung. Da nach demselben keine Energie geschaffen werden und keine verschwinden kann, mussten fortan alle Versuche über die Umwandlung der Naturkräfte (oder richtiger Energien) in einander daran gebunden sein. Der Forschung waren in dieser Richtung bestimmte Grenzen gesetzt, welche u. A. die früher so oft und auch jetzt noch zuweilen erstrebte Erfindung eines perpetuum mobile unbedingt ausschlossen. Im Anschluss an das Princip von Helmholtz ergab sich dann später, dass nur gewisse Energieformen vollständig in andere umgewandelt werden können, nicht umgekehrt. Wir erinnern nur an den zweiten Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie in den hochbedeutenden Arbeiten von Clausius, welche er veröffentlichte, kurz nachdem er über die Abhandlung von Helmholtz im Colloquium von Magnus berichtet hatte.

Das Princip von der Erhaltung der Energie verwendet Helmholtz bei der Discussion der thermochemischen Vorgänge in den galvanischen Ketten, in denen nur in einzelnen Fällen die elektrische Energie (elektromotorische Kraft) dem thermischen Aequivalent der chemischen Processe entspricht und die Processe beim Durchleiten eines Stromes umgekehrt werden können, in anderen aber nicht. Letztere Erscheinungen begründet Helmholtz durch die Aufstellung neuer, ganz allgemeingültiger Begriffe, der freien und gebundenen Energie.

Für alle umkehrbaren Processe, welche sie auch sein mögen, beweist Helmholtz, dass sie dem Princip der kleinsten Wirkung unterworfen sind. Dass andere nicht umkehrbar sind, glaubt Helmholtz darauf zurückführen zu können, dass uns Hülfsmittel fehlen, um alle bei ihnen vorkommenden Aenderungen, Bewegungen, Verschiebungen rückläufig zu machen. So gelangt er auch in diesem Gebiet, von einem einzelnen Fall ausgehend, wiederum zu einheitlichen grösseren Principien.

Auch in anderen Gebieten der Elektricitätslehre benutzt Helmholtz das Princip der Energie; so z. B. in der Theorie der inducirten Ströme und des Verlaufs derselben in Folge der Selbstinduction. Durch sehr elegante Versuche beweist er die theoretisch abgeleiteten Resultate.

Ferner dient ihm dasselbe Princip als Hülfsmittel, um zu entscheiden, ob das allgemeine Gesetz von Wilhelm Weber, welches unter Annahme zweier Elektricitäten die Fernewirkungen ruhender und bewegter Elektricitätsmengen in sich fassen sollte, allgemeine Gültigkeit haben kann. Dieses Gesetz, nach dem die Wechselwirkung der elektrischen Massen auch von ihrer Bewegung abhängig wäre, hätte, auf andere Anziehungserscheinungen übertragen, eine weit über die Elektricitätslehre hinausgehende Bedeutung. Helmholtz weist indess, trotz mannigfacher Einwände, mit Sicherheit nach, dass es unter gewissen Bedingungen nicht dem Princip von der Erhaltung der Energie entspricht. Die Bedeutung der Conception des Grundgedankens dieses Gesetzes, sowie sein historischer Werth, die auch Helmholtz stets anerkannt hat, bleibt dessen ungeachtet unverändert bestehen. Wohl aber haben die Betrachtungen von Helmholtz zur Folge gehabt, dass man sich mehr und mehr von der Vorstellung instantan zwischen den Körpern direct übertragener Wirkungen auf grössere Entfernungen abgewendet hat und dafür die eine gewisse Zeit erfordernde Vermittelung derselben durch ein Zwischenmedium, wie nach den Annahmen von Faraday und Maxwell, treten lässt. Den zeitlichen Verlauf der Fortpflanzung hatte Blaserna in Folge mangelnder experimenteller Hülfsmittel nicht bestimmen können, Helmholtz selbst fand nicht die Musse, ihn, wie er wollte, zu verfolgen; er wurde erst durch seinen unmittelbaren Schüler Hertz in umfassender Weise auf eine höchst sinnreiche Weise experimentell nachgewiesen.

In einer der hierher gehörenden Arbeiten von Helmholtz ist auch die Grundlage für die elektromagnetische Theorie zahlreicher optischer Vorgänge enthalten.

Scheinbar auf einem ganz anderen Gebiete liegen die hochbedeutenden mechanischen Untersuchungen von Helmholtz über die Bewegungen von Flüssigkeiten, welche sich nicht durch Potentialfunctionen darstellen lassen, über die Wirbelbewegungen, deren Behandlung bis dahin wegen ihrer besonderen mathematischen Schwierigkeiten unterblieben war. Er zeigt u. A., dass Wirbelringe und Wirbelfäden in sich geschlossene Gebilde sind, welche unveränderliche Mengen Flüssigkeit enthalten und unzerstörbar sind, dass sich Wirbelringe je nach der Bewegungsrichtung in ihnen einander anziehen oder abstossen, dass sie sich auch durcheinanderschlingen können. Wie weittragend diese Untersuchungen sind, zeigen die späteren Hypothesen von Sir W. Thomson u. A., nach denen man sich in dieser Weise die Atome und ihre chemischen Verbindungen gebildet denken könnte.

Nimmt man nach Maxwell an, dass die Ferne Wirkung der elektrischen und magnetischen Kräfte durch ein Medium vermittelt wird, so kann man durch die Vorstellung von Wirbelringen des Mediums, welche die Kraftlinien als Axen umgeben, die beobachteten Erscheinungen erklären. Somit schliessen sich auch diese Arbeiten wiederum denen über die Theorie der Elektricität auf das Innigste an.

Ferner hat Helmholtz eine Reihe von elektrolytischen Arbeiten ausgeführt, über die elektrische Endosmose, die Elektrolyse des Wassers und die Polarisationserscheinungen an den Elektroden. Er kommt dabei zu der Annahme entgegengesetzt geladener, durch einen kleinen endlichen Zwischenraum von einander getrennter Doppelschichten. Diese Hypothese ist vielfach, wenn auch nicht ganz allgemein, angenommen und verfolgt worden. Leider ist Helmholtz selbst, entgegen seiner Absicht, durch andere Aufgaben verhindert worden, dieselbe vollständig durchzuarbeiten.

An die früheren Jugenderinnerungen mit seinem mühsam erstandenen Mikroskop erinnert es, wenn Helmholtz (1874) nach 32 Jahren fast gleichzeitig mit Abbe die Grenze ermittelt, bis zu der die Vergrösserung der Mikroskope in Folge der Beugung des Lichtes an den Rändern kleiner Körper gebracht werden kann. Die Gegenstände müssen mindestens 1/5000 mm Durchmesser besitzen, um gesehen zu werden. Durch diese Bestimmung hat er den praktischen Optikern den grossen Dienst geleistet, ihnen die Grenze zu zeigen, über welche sie selbst mit den vollkommensten Hülfsmitteln nicht hinausgehen können.

Auch in der höheren Optik hat Helmholtz Bedeutendes geleistet. In dem Jahre 1874 behandelt er die anomale Dispersion und führt sie mit Benutzung der Annahme von Sellmeier auf die Wechselwirkung der Aethertheilchen und mechanischen Molecule zurück.

In einer zweiten, viel späteren Abhandlung vom Jahre 1892 betrachtet er die Farbenzerstreuung auf Grundlage der Maxwellschen Gleichungen mit der Vorstellung von Paaren von entgegengesetzt geladener Ionen von träger Masse, welche in den Aether eingebettet sind. Er gelangt endlich zu Discussionen über die Natur des freien Aethers, ob derselbe frei von Beharrungsvermögen sei. Er beweist unter der Voraussetzung der Incompressibilität, dass die elektrodynamischen Gesetze und das Princip der kleinsten Wirkung alle Veränderungen und Bewegungen des Aethers darstellen.

Nicht nur in persönlicher Beziehung, sondern auch in allgemeiner Hinsicht ist es hoch interessant und bedeutungsvoll, zu sehen, wie die Betrachtungsweise von Helmholtz sich je nach der Art der behandelten Probleme und dem Stadium ändert, in welchem sich ihre Lösung befindet.

In seinen älteren Arbeiten und manchen neueren geht er von allgemeinen Differentialgleichungen, bezw. den allgemeinen Principien der Mechanik aus und gewinnt so die möglichst allgemeinen Resultate für gewisse Gebiete und Erscheinungen, ohne dabei genöthigt zu sein, specielle Annahmen über den Aufbau der Materie, des Aethers, der Natur der Elektricität zu machen. Dahin gehören u. A. die Untersuchungen über das Princip von der Erhaltung der Kraft, die hydrodynamischen Arbeiten, die Betrachtungen über das Webersche Gesetz der elektrischen Fernewirkungen.

In anderen, besonders späteren Untersuchungen, wo es sich darum handelt, die allgemeinen Resultate auf complicirte Vorgänge anzuwenden, scheut sich Helmholtz nicht, moleculare Hypothesen zu Hülfe zu nehmen, wie bei der Betrachtung der elektrischen Doppelschichten bei der Elektrolyse, bei der der Valenzladungen. Ebenso geht er bei der wiederholten Behandlung der Dispersion, wenn eine Differenzirung der allgemeinsten Bewegungserscheinungen in einzelnen Gruppen mit bestimmten Constanten eintritt, von dem elastischen zu dem neueren, dem elektromagnetischen Standpunkt über. Auch seine lezten Arbeiten über monocyklische Systeme und die sich daran schliessenden Betrachtungen führen zu ganz bestimmten mechanischen Weltanschauungen; zahlreiche Vorgänge werden auf verborgene Bewegungen zurückgeführt.

Wie beim Anblick eines Gemäldes, beim Anhören eines Musikwerkes Helmholtz neben dem ästhetischen Eindruck stets die wissenschaftliche Grundlage desselben herausfühlte und analysirte, so auch beim Anschauen der Natur. Die beim Cap Antibes gegen das Ufer anspülenden Meereswogen regen seinen Forschungsgeist an. Aus mathematischen Berechnungen ergeben sich maassgebende Folgerungen, namentlich in Betreff der relativen Geschwindigkeiten des Windes und der Wellenzahl, der Erklärung der Wolkenreihen.


Die von Helmholtz vor einem grösseren Kreise gehaltenen und später im Druck erschienenen öffentlichen Vorlesungen sind zuweilen für einen oberflächlichen, nur Unterhaltung suchenden Zuhörer nicht ohne Weiteres fassbar. Indess sind sie ausserordentlich klar, von vollendeter Form und im höchsten Grade anregend, bei der Höhe und Schwierigkeit der Gegenstände für den Leser fast noch genussreicher und belehrender, wie für den Hörer. Abweichend von so vielen anderen Vortragen geben sie nicht das von Anderen Erforschte in einer etwas veränderten Form, sondern sie behandeln, abgesehen von einigen, bestimmten Zwecken dienenden Reden, durchweg Gebiete, die Helmholtz selbst erschlossen hat. Oft verschaffen sie dem Zuhörer einen weit umfassenden Einblick in dieselben, so die Vorträge über die Wechselwirkung der Naturkräfte, über die Erhaltung der Kraft. Ja, sie bilden in vielen Fällen geradezu Ergänzungen seiner Abhandlungen, indem Probleme, die dort nur gestreift oder gar nicht besprochen sind, hier eine ausführliche Erledigung finden, so z. B. die Bestimmung der Sonnentemperatur, die Valenzladungen u. s. f.

Auch die Betrachtung über das Eis und die Gletscher gehört hierher.

In einer Reihe von Vorträgen über die anatomisch-physiologischen Erscheinungen des Sehens, über das Optische der Malerei, über die physiologischen Ursachen der musikalischen Harmonie befindet sich ebenfalls Helmholtz ganz auf eigenem Boden, als Begründer und Schöpfer weit über seinem Thema stehend und alle Uebrigen darin überragend.

In anderen Vorlesungen behandelt Helmholtz Gegenstände, die sich, weniger für rein wissenschaftliche, physikalisch-physiologische Bearbeitung eignen; aber nach mannigfachen verschiedenartigen Auffassungen doch noch der gründlichen Beurtheilung durch einen weit über der Sache stehenden Geist harrten. So ist von höchstem allgemeinem Interesse ein Vortrag über Goethes naturwissenschaftliche Arbeiten, in welchem er ihre hohe Bedeutung voll würdigt und Goethes eigenthümlichen Widerspruch gegen die Resultate exacter Forschung, namentlich in der Optik, auf dieselbe geistige Anlage zurückführt, vermöge deren er in anderen Theilen der Naturforschung, in der vergleichenden Anatomie, Grosses leistete.

In seinen akademischen Vorlesungen bot Helmholtz den Zuhörern sein Eigenstes und Bestes, oft dabei improvisirend. Wie er sich selbst beim Lesen weitläufigerer Abhandlungen aus Anfang und Ende den Inhalt reconstruirte und auf seine Richtigkeit prüfte, so gab er auch seinen Hörern oft nur die Resultate seines Denkens, ihrer eigenen Arbeit die Ausführungen überlassend. Hoch erfreulich ist es, dass seine Vorlesungen über theoretische Physik mit seiner Einwilligung nach stenographischen Aufzeichnungen und nachgeschriebenen Heften von A. König, 0. Krigar-Menzel und C. Runge demnächst veröffentlicht werden.

In den von ihm geleiteten Laboratorien, in Heidelberg und in Berlin, hat Helmholtz eine eigentliche Schule nicht begründet, welche in seinem Sinne die von ihm begonnenen Untersuchungen fortgeführt hätte. Der Flug seiner Gedanken war zu hoch, als dass minder Begabte ihm zu folgen vermochten. Dennoch sind vortreffliche Arbeiten aus denselben hervorgegangen, unter anderen auch von seinem eigenen, leider nur allzufrüh verstorbenen Sohn, der sich sehr schnell zu einem durchaus selbständigen Forscher von hervorragen dem Verdienst heranbildete.

Am tiefsten ist wohl Hertz, wenigstens auf elektrischem Gebiete, in die eigensten Gedanken von Helmholtz eingedrungen.


Als Helmholtz im Jahre 1888 die Leitung der Dank der edelmüthigen Schenkung von Werner Siemens begründeten physikalisch-technischen Reichsanstalt übernahm, erwuchs ihm eine neue, ganz andere Aufgabe, als die rein wissenschaftliche Forschung. Die für speciell wissenschaftliche Untersuchungen bestimmte Abtheilung konnte sich nur langsam entwickeln; auch traten die die Technik betreffenden Arbeiten, die Grundlegung der Methodik für Messungen von grösster Schärfe in verschiedenen Gebieten naturgemäss in den Vordergrund.

Ganz bewundernswerth ist es, wie Helmholtz sich auch diesen Aufgaben unterzog, wie er sich den Verwaltungsgeschäften widmete und ganz eingehend die Einzelheiten der verschiedenen practischen Arbeiten kannte und beherrschte Meisterhaft verstand er es, das grossartige Institut zu organisiren, leitende Gedanken anzugeben und mit ebenso grosser Ruhe und Festigkeit, wie Wohlwollen und Milde, die vielen unter seiner Leitung arbeitenden heterogenen Elemente, von denen so manche nicht nur vollauf befähigt, sondern auch schon gewohnt waren, eigene Wege zu gehen, zu den gemeinsamen Zielen zu vereinen.

Für die meisten Sterblichen kommt mit vorrückenden Jahren die Zeit, wo die Befähigung zur Erfassung origineller Gedanken, zu selbständigen Forschungen auf neuer Grundlage aufzuhören beginnt. An Stelle dessen tritt das durch vielfache Erfahrungen geklärte und gereifte, weitere Gesichtskreise umfassende Urtheil, der ruhigere Ueberblick. Man hätte glauben sollen, dass Helmholtz in den Aufgaben der Reichsanstalt das Ziel gefunden hätte, in welchem er in den Jahren des Alters nach seinen grossartigen früheren Leistungen diese Eigenschaften in Beschaulichkeit mit grösstem Erfolge verwerthen würde. Statt dessen forscht er, ungeachtet seiner grossen amtlichen Thätigkeit und den von ihm nicht ungern erfüllten äusseren Anforderungen seiner Stellung, auch wissenschaftlich unverändert bis an sein Lebensende weiter und vollendet noch theoretische Untersuchungen, welche denen in seinen besten Lebensjahren vollkommen ebenbürtig sind.

Helmholtz starb am 8. September des Jahres 1894.

Ueberblickt man das wissenschaftliche Leben von Helmholtz, so staunt man über die Grösse und Fülle seiner Leistungen. Während viele andere bedeutende Forscher sich einzelne Themata heraussuchen, die sie dann mit bestem Erfolg bearbeiten, so hängen bei Helmholtz alle Arbeiten in seinem ganzen Leben harmonisch zusammen. Von der Untersuchung der Sinnesorgane, in welcher willkürlichen Annahmen über die Wirkung einer Lebenskraft feste physikalische und physiologische Erfahrungen gegenübergestellt wurden, bis zur ,,Erhaltung der Kraft'', in der ganz allgemein die Umwandlungen der Energie durch die Constanz und Unzerstörbarkeit derselben begrenzt wurden, zieht sich derselbe Grundgedanke. Fast alle späteren Arbeiten schliessen sich demselben an und so gelangt Helmholtz allmählich in richtiger wissenschaftlicher Entwickelung von den allgemeinen mechanischen Betrachtungen zu Hypothesen über den Aufbau und die innerste Natur der Materie, mit deren Betrachtung sein Leben abschliesst.

Diese grossartige Entwickelung von Jugend auf war in dem wunderbar klar und universell beanlagten Geist von Helmholtz begründet; aber auch in dem unermüdlichen Fleiss, mit dem er selbst untergeordnete Arbeit nicht scheute, falls sie seinen Zielen entsprach, und in der eisernen Consequenz, mit der er seine Ziele unentwegt verfolgte.


Mit freudiger Genugthuung muss es Alle erfüllen, welche Helmholtz persönlich näher gestanden oder die seine ganz ungewöhnlichen Leistungen, selbst auch nur oberflächlich, kennen gelernt haben, dass seine ausserordentlichen wissenschaftlichen Verdienste auch in weitesten Kreisen im reichsten Maasse anerkannt worden sind. Selbstverständlich war er Mitglied aller gelehrten Gesellschaften von irgend welcher Bedeutung. Bei seiner ruhigen, wohlwollenden Art, mit der er selbst heftige wissenschaftliche Angriffe rein sachlich widerlegte, hatte er keine Feinde; wo er hinkam, im Inlande wie im Auslande, begegnete man ihm mit Ehrfurcht und aufrichtiger Zuneigung. Von seinem Fürsten wurde er durch Verleihung der höchsten Ehren, des Adels, hoher Titel und Orden seinen Verdiensten entsprechend ausgezeichnet. In allen Kreisen war er ein stets mit grösster Hochachtung begrüsster, gern gesehener Gast.

Unsere Zeit hat sich selbst geehrt, indem sie ihrem ersten Naturforscher, Hermann von Helmholtz, nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der Gesellschaft, die ihm mit vollem Recht zukommende Stellung gab.


Letzte Änderung: Mai 2014     Gabriele Dörflinger   Kontakt

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