Brief Hermann Helmholtz' vom 4.6.1859 an seine Frau Olga

Potsdam Sonnabend d. 4. 6. 1859
Vormittag

Liebste Olga

Du wirst wohl schon den Brief von Julien mit der Nachricht von des Vaters Ableben erhalten haben. Er ist in der letzten Nacht 2 3/4 Uhr gestorben. Sein Zustand ist wohl ähnlich der der Mutter, Gehirnerweichung, gewesen, nur daß die schlagartigen Zufälle weniger schnell tödtlich gewesen sind. Er ist am Mittwoch Nachmittag noch spazieren gegangen und sehr munter gewesen, was er überhaupt in der letzten Zeit meist gewesen sein soll, und in der Nacht hört ihn Julie poltern, und findet ihn bewußtlos im Bette aufrecht sitzend. Von da ab hat er nur noch unterbrochene Zeichen des Bewußtseins gegeben, in der zweiten Nacht ist er sehr unruhig gewesen, so daß der Wärter ihn immer wieder in das Bett hat zurückbringen müssen, und gestern früh, als Julie die Nachricht gab, hatte schon der Todeskampf angefangen. Otto war schon vor mir hier eingetroffen, Marie ist zu derselben Zeit brieflich benachrichtigt worden, von ihr wissen wir natürlich noch nichts. Das Begräbniß soll Montag Abend um 6 Uhr sein; da Eltester krank und verreist ist, muß ich Bollert zur Begleitung auffordern, weil dieser der einzige ist, mit dem der Vater noch zeitweise verkehrt hat.

Julie und Marie, wenn sie kommen sollte, sind von Wilkens aufgefordert, dort zu schlafen, was auch für Julien wohl besser ist, als neben der Leiche. Unter diesen Umständen werden Otto und ich hier im Hause schlafen. Eine Menge Bekannter haben sich Juliens bisher sehr freundlich angenommen, namentlich sind Schönfeld's darin sehr liebenswürdig. Die Eunicke wollte uns auch gleich alle Tage zum Essen haben, damit Julie nicht zu kochen brauchte. Meine Fahrt war ganz gut, nur mit ungeheurem Niesen begleitet, aber ohne Husten, so daß Du Dich nicht zu ängstigen brauchst.

Bis zum Begräbniß werde ich hier bleiben müssen, dann muß ich noch mindestens einen Tag auf Berlin und einen auf Dahlem rechnen, werde also wahrscheinlich erst am Freitag wieder kommen können. Laß also doch dem Dr. Wundt nach dem Institut Vormittags bestellen, daß er anzeigen möchte, ich würde 8 Tage nach Pfingsten am Montag das Colleg wieder anfangen, und ihn selbst ließe ich bitten, das Laboratorium während dieser Woche zu dirigiren.

Gehe bei gutem Wetter fleißig spazieren, oder fahre, und scheue kein Geld für Droschken Caffee oder Selterwasser, und laß bald Gutes von Dir hören. — Die Ordnung der Seiten dieses Briefs zeugt von einer durchwachten Nacht.

Grüße Deine Mutter und die Kinder.

Dein Hermann.


S. 181-182 (ohne Fußnoten) aus:
Letters of Hermann von Helmholtz to his wife : 1847-1859 / ed. by Richard L. Kremer. - Stuttgart : Steiner, 1990. - (Boethius ; 23)
ISBN 3-515-05583-5
Signatur UB Heidelberg: 90 H 786

Edith von Branca, die Enkeltochter Hermann von Helmholtz' und seiner Frau Olga verkaufte die Briefe 1947 gegen CARE-Pakete an die Houston Library der Harvard University in Cambridge,
Beschreibung des Archivbestandes in der Harvard-Universität siehe   https://hollisarchives.lib.harvard.edu/repositories/24/resources/2215


Letzte Änderung: Mai 2014     Gabriele Dörflinger   Kontakt

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