Briefwechsel Anna und Hermann von Helmholtz, 1883

18.05.1883 Anna von Helmholtz: Tod ihrer Tante Mary
17.06.1883 Hermann von Helmholtz: Gelände für die Reichsanstalt — Einladung zu einer Amerikafahrt
16.10.1883 Hermann von Helmholtz: Geodätischer Kongress in Rom
Quelle:
Anna von Helmholtz : ein Lebensbild in Briefen / hrsg. von Ellen von Siemens-Helmholtz. - Berlin : Verlag für Kulturpolitik
Bd. 1 (1929)
Signatur UB Heidelberg: F 6834-3-44::1


Rue du Bac, 18. Mai 1883.

Hier bin ich lieber Hermann, und habe noch das ganze Begräbnis mitgemacht — hier im Hause, dann in der Kirche und noch auf dem Père la Chaise — drei Reden des Geistlichen, alles sehr schön und würdig. Alle die alten Zeitgenossen kamen zuerst hier herauf, gingen dann entblößten Hauptes zu Fuß bis in die Kirche in der Rue de Grenelle. Die Damen fuhren in vielen Kutschen.

Hermite, Barthélémy-St. Hilaire, Mignet, der Duc de Broglie und eine Fülle alter Herren waren gekommen, der Tante die letzte Ehre zu erweisen. Mme de TourguenefF war in die Kirche gekommen.

Ida war am 15. Mai morgens angelangt, hatte eben sich in ihr Zimmer verfügt, weil man ihr gesagt hatte: Madame va très bien — gleich darauf wurde sie gerufen: Madame se meurt! und in der Tat fand sie Tante ohne Zeichen des Wiedererkennens und leise atmend: „I want to go — to go to heaven.“ Es waren ihre letzten Worte.

Das Haus ist gespenstisch. Totmüder als ich war noch Niemand, dennoch bin ich so froh hier zu sein. Morgen um 10 Uhr findet eine Seelenmesse in Sainte Clotilde statt. Tante ist 94 Jahre alt geworden, ihre Mutter war 96, ihre Großmutter 103 Jahre alt — das ist doch noch eine Familie.

(S. 264)


Berlin, 17. Juni 1883.

Meine liebe Anna!

Ich hoffe, daß nun wenigstens gestern Euer Abschluß der Pariser Arbeit von statten gegangen ist. Ich fürchte nur, daß unser Wiedersehen zunächst nicht von langer Dauer sein wird, da für die beiden Söhne zu sorgen ist. Gestern Abend war ich bei Siemens. Er zeigte mir das Terrain, welches er für das Projekt der Reichsanstalt abgeben will — ein Hektar, gerade hinter Warschauers Garten, Straßenfront Mommsen gegenüber. Die Institutsgebäude würden in den hinteren Theil mitten in ein großes Gartengebiet kommen. Gestern früh hatten wir noch eine Sitzung mit Wehrenpfennig um die Form des Antrages für das Budget zu besprechen. Werner Siemens sagte, er habe ursprünglich eine Summe zu gleichem Zwecke testamentarisch der Akademie vermacht. Er glaube aber nun, die Sache besser fördern zu können, wenn er den Staat bewege, dieselbe dauernd zu unterstützen. Er ist in dieser Beziehung sehr großartig und ich glaube, daß diese Schenkung sehr stark für die angeregten Pläne ins Gewicht fallen wird.

Gestern war Geheimrat Hertzog hier und brachte mir eine Einladung zu einer Reise in 67 Tagen an den Stillen Ocean und zurück — vom 15. August bis 22. Oktober — zur Eröffnung der Northern Pacific Railway. Dreißig hervorragende Männer Deutschlands sollen eingeladen werden, wahrscheinlich gehen Graf Lerchenfeld, Minister Krüger, Georg Bunsen, Gneist. Will man sich Amerika noch in diesem Leben ansehen, wäre dies die günstigste Gelegenheit, die man sich denken kann. Ich habe noch nicht nein gesagt, obgleich es eigentlich nicht nötig ist, Amerika zu sehen, wenigstens nicht für das, was ich in der Welt zu thun habe. Gedenke in Liebe

Deines H. H.

(S. 267-268)


Rom. Istituto Fisico, Piazza Cimarra,
16. Oktober 1883.

Meine liebe Anna!

Hier sitze ich sehr gut untergebracht und vom Collegen Blaserna mit äußerster Zuvorkommenheit verpflegt, hoch auf dem Viminal und kann aus meinen Fenstern nach Westen und Süden den größten Theil von Rom übersehen. Gestern Vormittag habe ich mir das Institut angesehen, wobei ich manches für einen etwaigen Neubau gelernt habe, allerdings sind hier die Bedingungen besonders günstig, weil das Institut fern von fahrbaren Straßen liegt und festen Untergrund aus felsartigem Tuff hat, daher auch ein sehr schönes trockenes Souterrain. Aber es war auch nicht Geld genug da für das Institut; was er konnte, hat Blaserna sehr zweckmäßig eingerichtet.

Um zwei Uhr war Eröffnung des Congresses in dem großen Saale des Capitols, wozu die anwesenden Minister angetreten waren und mein Freund, der Unterrichtsminister Baccelli, eine lateinische Rede hielt. Statt der Lectoren paradierte hinter ihm ein Fähnlein behelmter Dragoner. Diese erste Versammlung war ziemlich stark besucht von Eingeladenen, weshalb ziemlich schlecht zu hören war. Es wurden officielle Berichte verlesen, zuerst einer von General Bayer, dann ein langer französischer Bericht über das Motiv der Einführung einer internationalen Zeit und des dazu gehörigen ersten Meridians. Dieses Thema wird der Tummelplatz aller Schönredner bei diesem Congresse werden, wenn es nicht gelingt, die Sache in einer gestern gewählten Commission zu begraben.

Abends hatte Blaserna zwei Astronomen eingeladen, Schiaparelli, den berühmten Kometenmann, und Tachini; nachher kamen noch drei jüngere Physiker. Heute soll Tommasi Crudele eintreffen und mit uns essen. Morgen ist großes officielles Diner, am 24. soll eine Spazierfahrt nach Neapel und auf den Vesuv stattfinden. Die Sitzungen sind nur Nachmittags, so daß die Sache etwas chronisch angelegt ist. Die Vormittage sollen frei bleiben für das Studium der ewigen Stadt. Der Eintritt für die Mitglieder des Congresses ist in allen öffentlichen Sammlungen frei, auch Permessi zum Vatican werden uns zugeschickt, kurz man ist sehr aufmerksam.

19. Oktober 1883.

Nun habe ich auch das hiesige chemische Institut studiert, wo Canizzaro viele sehr zweckmäßige Einrichtungen hat und einige Schwiegkeiten gut beseitigt sind, mit denen wir in Berlin gekämpft. Auch hatten wir Experimente über Messung der Schwere durch das Pendel zu sehen, welche hier von zwei Professoren der Polytechnischen Schule Pisati und Pucci angestellt worden sind und sehr gut durchgeführt waren.

Im Theatro Valle sah ich mit Blaserna eine kürzlich aufgetauchte famose Schauspielerin Signora EleonoraDuse. Dieser Theatereindruck hat meinem Italienisch sehr vorwärts geholfen, wenn ich auch nicht viel vom Dialog verstand.

Gestern begab ich mich im Vatican in die Sixtinische Kapelle — und dann zum Thore hinaus, da ich das sehr dringende Bedürfnis hatte, mich zu bewegen, wozu ich seit Paris kaum noch gekommen war. Ich ging zwischen Monte Mario und Tiber zum Ponte Molle, fuhr von dort zur Porta del Popolo und wanderte über Monte Pincio nach Hause.

Wir hatten noch eine Sitzung der Academia dei Lincei, wo ich anstandswegen erscheinen mußte; es gab nur einen kurzen Vortrag und mikroskopische Demonstration von Tommasi über Malaria-Bazillen in den Blutkörperchen. Ein junger Archäologe begleitete mich alsdann auf das Forum und zeigte mir die neuesten Ausgrabungen. Sie haben gewaltig aufgeräumt und der ganze Abhang des Palatin, wo die Kaiserburgen stehen, ist gegen das Forum frei gemacht worden, so daß dort die terrassenförmig übereinander gebauten Grundmauern der Wohnungen des Pontifex und der Vestalinnen entsprechend frei geworden sind. Das Ganze ist dadurch viel verständlicher und regelmäßiger geworden.

Im Congreß war großer Akt zu Ehren von General Bayer. Die Italiener haben ihm eine große goldene Medaille geprägt, und ich muß dieselbe mitnehmen, um sie ihm zu überreichen. Dann war großes Festessen von Minister Baccelli eingeladen im Hotel Quirinale. Ich saß neben Contessa Lovatelli, einer verwitweten schönen stattlichen Frau, als Philologin Mitglied der Lincei, Cousine des uns bekannten Conte Lovatelli und des Principe Torlonia, Bürgermeisters von Rom. Viele Toaste, ich habe deren letzten ausgebracht auf die städtischen Behörden Roms und habe großen Beifall geerntet. Das ist aber eigentlich bisher meine einzige That auf dem Cqngresse. Sonst finde ich mich ziemlich unnütz hier. Heute ist ein Theaterabend, morgen ein großes Fest der Stadt Rom mit Beleuchtung des Capitolinischen Museums.

22. Oktober 1883.

Nach der letzten Sitzung des Congresses werde ich in der Richtung nach Florenz und Wien übermorgen abreisen. Sir William Thomson hat mir hierher telegraphiert, daß er beabsichtige, von Wien mit Lady Thomson über Berlin zu reisen, falls sie mich dort anwesend fänden. Hast Du etwas dagegen, daß ich sie einlade bei uns zu wohnen ?

Inzwischen war ich mit Blaserna im Albanergebirge, wo es wirklich sehr schön und erfrischend ist, abgesehen von der merkwürdigen Conformation des Gebirges, welches ganz vulkanisch ist und eine Anzahl kleiner Krater enthält, die wiederum in einen großen Krater eingeschachtelt sind. Es ist leicht zu erreichen und eine notwendige Ergänzung von Rom. Wir fuhren nach Frascati und über Castel Gandolfo mit dem stattlichen Sommerpalast der Päpste, nach Albano, dann nach Genzano und machten einen langen Spaziergang am Nemi See, hoch oben am oberen Rande des Trichters. Heute haben wir Sirocco, eine entsetzliche Temperatur und von Zeit zu Zeit heftige Regengüsse.

Dein H. H.

(S. 271-273)


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