Anna von Helmholtz: Briefe von 1867 bis 1870

Anna von Helmholtz schreibt an ihre Mutter, an ihre Tante Mary von Mohl in Paris und an ihren Mann Hermann Helmholtz.
28.10.1867 an Pauline von Mohl
20.01.1868 an Mary von Mohl
02.06.1868 Herrmann Helmholtz an Robert von Mohl
08.01.1869 an Mary von Mohl
25.07.1869 an Mary von Mohl
08.09.1869 an Herrmann Helmholtz
19.09.1869 an Pauline von Mohl
29.09.1869 an Mary von Mohl
18.04.1870 an Pauline von Mohl
26.06.1870 an Pauline von Mohl

Quelle: Helmholtz, Anna von: Anna von Helmholtz : ein Lebensbild in Briefen / hrsg. von Ellen von Siemens-Helmholtz. - Berlin
Band 1 (1929)
Signatur UB Heidelberg: F 6834-3-44::1


Heidelberg, 29. Oktober 1867.

Liebste Mama!

Anbei sende ich Dir das Opus, an dem wir uns vorigen Winter abgekreuzigt haben; gelesen habe ich es nicht, werde es auch so bald nicht thun, da ich mich doch nur der Mißhandlung der Sprache schämen würde. Kapitel 1, 2, 4, 5 und 7 sind von mir, 3 und 6 hat Käte übersetzt. Die zweite Hälfte des Buches entstand bei Professor Wiedemann. Vom Honorar habe ich 70 Gulden auf einen Teppich im Balkonzimmer verwandt. Ich nahm einen guten Brüsseler Teppich und es ist recht warm und behaglich geworden.

Hier ist Heulen und Zähneklappern allenthalben, weil keine Studenten gekommen, aber sehr viele abgegangen sind, wozu auch Vangerows kranker Zustand viel beigetragen haben kann. Hermann kann nicht klagen, es sind eher mehr als weniger Zuhörer bei ihm geworden.

Denke Dir, Professor Tyndall hat mir eine allerliebste kleine Brosche in römischem Golde mit Perlen geschickt und mich gebeten, dieselbe als Andenken an die Mühe, die wir uns mit der Übersetzung seines Buches gaben, anzunehmen. Die Übersetzung sei „perfection“, wie er sich schmeichelhaft ausdrückt. Wenn sie ihm recht ist, können wir ja auch zufrieden sein. Du glaubst nicht, mit welchem Gefühl des Behagens ich über meinen kleinen Teppich dahin schreite und der überwundenen Anstrengung gedenke. Denke nur, unsere Übersetzung erregt die höchste Bewunderung der Sachverständigen. Vieweg hat mir heute geschrieben, ob wir nicht ein zweites Buch über „den Schall“ auch übernehmen wollten, er bekomme allerlei günstige und höchst anerkennende Berichte von allen Seiten. Das ist doch schön; ich gedenke auf diese Weise das Mobiliar des Hauses nach und nach zu vervollständigen. Tyndall selbst schreibt eben ein kurzes Lebensbild des kürzlich verstorbenen Faraday und bittet mich diese Übersetzung gleichfalls zu übernehmen. Also Arbeit genug, wie Du siehst.

Deine Anna.

(S. 144-145)


Heidelberg, 20. Januar 1868.

Meine liebe Tante!

Es ist gar lange schon her, seit ich Dir schreiben wollte, um Nachrichten von Dir zu erbitten. — Unser armer Kleiner macht gar keinen Fortschritt in seiner Gesundheit seit dem Herbste, trotzdem ich ihn von dem Landaufenthalt frisch wie eine Rose nach Hause zurückgebracht hatte, auch imstande eine Menge von Dingen zu unternehmen. Seit der großen Kälte dieses Winters geht es ihm weniger gut und seine Kräfte vermindern sich. Dieses verhindert ihn freilich nicht, sehr heiter zu sein, einen großen Teil des Tages zu zeichnen und mit Feuereifer zu spielen, trotzdem er ausgestreckt zu liegen hat auf dem Sopha. Zuweilen klagt er über große Müdigkeit im Rücken, das arme Kind. Jedermann sagt mir, daß sich nichts anderes tun lasse als zu trachten, daß das Kind an Kräften gewinnt. Ich kann die Bedingungen unseres Lebens ihm zu Liebe nicht ändern. Es gibt keine Möglichkeit ihm den Winter zu ersparen. Der Frühling und ein Teil des Sommers ziehen dahin, ehe die Folgen der ungünstigen Jahreszeit überwunden werden; kalte Luft bekommt ihm nicht und Stubenluft schwächt ihn. Ich setze alle meine Hoffnung auf den Frühling und ich übersetze emsig Tyndall, um in der Lage zu sein, den kleinen Mann im Sommer an die See zu bringen, wie wir es schon lange anstreben.

Inzwischen hat er fließend lesen gelernt — er hat sich selbst französische Buchstaben beigebracht, auch Zahlen und wünscht glühend, Stunden zu haben bei einem richtigen Lehrer. Je mehr man vorrückt, umso mehr sehe ich die großen Erschwerungen seiner Existenz, sowohl seelisch, wie körperlich. Es ist ein Glück für ihn, daß Jedermann ihn lieb hat und nach dieser Seite hin wird das Leben für ihn reicher sein dürfen, als für die ganz gesunden Menschen. Es gibt in allen Dingen einen Ausgleich — die lebhaftesten und rauhesten Kinder sind sanft und gut für ihn.

Aber vergib es mir, liebste Tante, daß ich mich so ausbreite über den großen Schmerz meines Lebens. Für den Rest meines Daseins habe ich, Gott sei es gedankt, nur Veranlassung glücklich und dankerfüllt zu sein.

(S. 334-335)

         


Brief Hermann von Helmholtz's an seinen Schwiegervater Robert von Mohl vom 2.6.1868.

Heidelberg, 2. Juni 1868.

Bester Papa!

Ich muß Ihnen doch melden, daß Pläne im Werke sind, um mich von Heidelberg nach Bonn zurückzuführen und zwar um dort die Professor der Physik zu übernehmen, an Stelle des verstorbenen Geheimrat Pflücker. Das Anerbieten hat für mich manches Verlockende. Meine Arbeiten haben mich in den letzten zehn Jahren eigentlich mehr in das Gebiet der Physik, als der reinen Physiologie geführt. Wäre ich nicht durch äußere Umstände gezwungen gewesen, mich der einträglichen Wissenschaft, der Medizin, zuzuwenden, würde ich von Anfang an die Physik ergriffen haben. Hier muß ich mein Colleg vor 20 bis 25 Zuhörern lesen, während ich in Bonn 120 bis 150 Zuhörer haben würde; und auf einen merklichen Fortschritt in der hiesigen Fakultät fange ich an, die Hoffnung zu verlieren. Dennoch muß ich gestehen, daß meine hiesige Existenz angenehmer, bequemer und unabhängiger ist, als ich sie in Bonn finden würde.

Ich habe also Beseler auch nur in einem als Privatbrief abgefaßten Schreiben erklärt, daß ich einen solchen Ruf nicht unbedingt würde ablehnen können. Gehen sie auf meine Bedingungen ein, so würde die Sache sich schnell entwickeln …

Anna bereitet ihre Abreise vor.

Ihr treuer

H. Helmholtz.

(S. 147)


Heidelberg, 8.Januar 1869.

Mein Mann hatte dieser Tage eine ernste Entscheidung zu treffen. Vor sechs Monaten hatte man ihm den Lehrstuhl der Physik in Bonn angeboten — die Sache lockte ihn, weil er gern befreit sein würde von der medizinischen Seite der Physiologie, um sich nur mit der reinen Physik zu beschäftigen. So versprach er seinen Freunden in Bonn, seine hiesige Position gegen diejenige in Bonn zu vertauschen, bei Erfüllung gewisser Vorbedingungen persönlicher wie wissenschaftlicher Art — alsdann hörte er nicht wieder davon reden. Erst jetzt macht ihm die Preußische Regierung ein Angebot, aber auf einer so wenig entsprechenden Basis, daß mein Mann, nach einer gewissen Zusammenkunft mit dem Curator von Bonn, es ablehnte weiter zu verhandeln. Er erklärte, daß man der moralischen und materiellen Unterstützung der Regierung gewiß sein müsse, um befriedigende Erfolge erreichen zu können — und es handle sich darum, neue Laboratorien zu schaffen und darum, daß er eine solche Aufgabe nicht unternehmen könne unter einem Ministerium, welches zum Auftakte schon beginne materielle Schwierigkeiten zu machen.

Da er Rücksicht und Vertrauen, welche er berechtigt ist zu erwarten, dort nicht begegnet hatte, zog er es vor auf seinem Posten zu verbleiben unter einer Regierung, welche jederzeit sehr liberal ihm gegenüber gehandelt hat. Hier hat er nur die Summe zu nennen, deren er bedarf für sein Laboratorium und seine Instrumente und alles wird ihm bewilligt. — Man hat sogar seine Einkünfte erhöht um tausend Gulden — kurzum der Gegensatz ist sehr schlagend. Ich selbst bin sehr glücklich hier zu bleiben. Wenn ein solcher Wechsel sich vollziehen sollte, würde ich es vorziehen, daß es geschehen würde um nach Berlin zu kommen, wo wahrhaft aller geistige und materielle Gewinn unendlich viel bedeutungsvoller sein würde.

(S. 335-336)

         


Heidelberg, 25. Juli 1869.

Ich werde meinen Laden für einen Monat schließen. Ich weiß mir nicht mehr zu helfen vor Besuchen aller Art, von denen getrennt ein Jeder äußerst angenehm sein würde; wenn aber alle Tage von morgens elf Uhr ab Menschen erscheinen, endet es damit, daß es Einem über den Kopf steigt. Es kommen uns Menschen von allen Seiten Europas, ohne die Amerikaner zu zählen. Das wäre auch alles gut und schön, wenn nicht die Naturforscher meistens etwas schweigsam wären; da mein Mann auch nicht gerade schwatzhaft ist, fällt die Aufgabe, die Conversation flüssig zu halten, wesentlich auf mich — welches zuweilen schwer lastet. Wir hatten nicht weniger als fünf Nationalitäten neulich Abend — einen Brasilianer, zwei Holländer, eine Familie aus Nîmes und einen römischen Grafen mit Gemahlin, um den Tee bei uns zu nehmen; aber da sie allerseits am nächsten Morgen wieder abreisen, kommt man sich vor wie ein Hôtel.

Dieses Alles aber bezieht sich nicht auf den Besuch von Tyndall, der mir die höchste Freude bedeutete, welche ich seit langer Zeit empfunden habe. Er vertrachte mit uns den gestrigen Tag und fuhr heute Morgen schon weiter. Welch ein angenehmer Mann, lebhaft und aufrichtig, voller Geist, voller Einfälle, fast zärtlich. Er hat mein Herz ganz erobert und ich hoffe ihn recht oft wiederzusehen, er ist nur schwer zu fangen. Er sprach mir von Dir und dem Vergnügen, welches er empfindet, wenn er von Zeit zu Zeit Dir begegnen darf. Ich wollte, ich wüßte Dein Rezept, liebe Tante, um immerdar jung zu sein — es ist dies die schönste Gabe der Natur.

Wir fahren am elften des Monats nach München. Es findet in diesem Jahre eine große internationale Bilderausstellung dort statt, welche wir bei dieser Gelegenheit genießen werden.

(S. 336-337)


8. September 1869.

Inzwischen haben wir Verschiedenes erlebt und viele Menschen gesehen; ich war auch viel mit Fuesslis Sitzungen beschäftigt, war bei Lenbach, der herrliche Sachen im Atelier hatte. Ich glaube, er möchte Dich gerne malen; lege Du ihm ja keine Hindernisse in den Weg, falls er dieses proponiert. Lenbach ist ein genialer Kerl, voll Witz und Ursprünglichkeit und hat einen ebenso großen Stolz auf seine Extraction als ein Anderer auf seinen Stammbaum. Er ist im Atelier mehr in seinem Rahmen als am Teetisch — aber er ist solch ein Original, so witzig und amüsant, daß er Einen überall fesselt und Einem überall auffällt.

(S. 151)


Innsbruck, Sonntag, 19. September 1869.

Heute nur wenige Silben, liebste Mama, um Dir zu sagen, daß bei uns alles glücklich von statten ging: Reisebegegnung mit den Geschwistern, Einquartierung bei Professor Pfaundler — gestern feierliche Eröffnung der Naturforscher-Versammlung, Hermanns große Rede — Dîner, Berg Isel und Konzert im Theater. Innsbruck ist zu schön, nicht allzu heiß und solch blauer Himmel.

Heute bin ich fünf und dreißig Jahre alt, hélas! aber das Alter drückt mich nicht.

Deine Anna.

(S. 151)


München, 29. September 1869.

Wir bleiben diese Woche noch hier Wegen meines Bildes, welches Fueßli zu malen begonnen hat und welches er zu vollenden wünscht. Die Ähnlichkeit ist vollkommen getroffen und das Bild ist sehr schön als Zeichnung und Pose — ich bin nicht ganz einverstanden mit dem Colorit, welches mir sehr licht zu sein scheint. Fueßli jedoch, der etwas zu viel die alten Meister zum Vorbild genommen hatte und dem man den Vorwurf machte allzu schwarz zu sehen, hat seine ganze Art zu sehen umgewandelt und sieht nun allenthalben nur Licht.

(S. 337)

         


Heidelberg, 18.April 1870.

Liebste Mama!

In Berlin ist Professor Magnus, der Physiker gestorben; nun kommen hier allerlei Kandidaten um dorthin empfohlen zu werden. In Berlin denken sie in der Fakultät an Hermann und an Kirchhoff, im Ministerium wird aber die Billigkeit entscheiden.

Gegen Kirchhoff ist seine Gesundheit der Hauptgrund, denn er hat seine Vorlesungen in diesem Winter durch eine Verschlimmerung des Fußes wieder zu büßen gehabt. Die Unbequemlichkeiten einer großen Stadt dürften sich sehr an ihm rächen. Allein Hermann hofft, daß Kirchhoff den Ruf bekommen möge, weil er selbst viel lieber hier ist. Berlin aber schlägt man nicht aus, deshalb würde er es vorziehen, wenn der Kelch nicht an ihn herankäme. Wir sind natürlich gespannt, in welcher Etage des Friedrichs-Baues die Bombe einschlagen wird. Im Übrigen sind die beiden Rivalen darum nicht weniger gute Freunde als sonst.
(S. 153)


Heidelberg, 26. Juni 1870.

Endlich kann ich Euch sicheres melden, meine liebe Mama, wegen der Berliner Angelegenheit: wir werden dahin gehen, aber erst im Frühjahre, was gewiß für alle Theile am besten ist. Hermanns Forderungen wurden alle genehmigt vom Cultus- und vom Finanzministerium. Da es sich jedoch um einen bedeutenden Neubau handelt, muß der Consens der Kammern dazu eingeholt werden, ehe die Sache formell ganz in Ordnung ist.

Die Gefühlsseite, die alte liebe Heimat verlassen zu müssen, um in der großen fremden Stadt ein neues Leben zu beginnen, fängt erst allmählich an sich als etwas Gewisses hinzustellen. Ich habe mir Berlin zwar von jeher als unseren einstigen Aufenthalt gedacht und habe es mir vor zwei Jahren schon darauf hin angesehen; aber dem Anscheine nach habe ich es unerfreulich genug gefunden. Daß wir gute Freunde da finden werden, ist eine große Lichtseite — und vorderhand lasse ich mir das Herz nicht schwer machen.

Hier wissen die Leute noch nichts Gewisses über unser Bleiben oder Gehen, so daß wir nicht darüber zu reden brauchen, und das ist gut.

Eure Anna.

(S. 153)


Letzte Änderung: Mai 2014     Gabriele Dörflinger   Kontakt

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