Brief Hermann Helmholtz' vom 30.3.1859 an seine Frau Olga

München, d. 30. 3. 59.      
Mittwoch früh      

Mein geliebtes Engelchen

eben habe ich Dein Brieflein empfangen, aus welchem ich mit Freuden ersehe, daß es Dir und Käthen gut geht. Ich werde deshalb meinen Urlaub auch noch in so weit verlängern, daß ich erst am Sonntag früh hier abziehe, und gegen 3 Uhr in Heidelberg eintreffe. Du kannst mir also immer noch einen Brief, gleich nach Empfang dieses schicken; den würde ich dann am Sonnabend früh erhalten. Schicke doch auch gleich unter Kreuzband den Correcturbogen an mich ab; ich hatte nicht geglaubt, daß er so früh kommen würde, sonst hätte ich Dich im Voraus darum gebeten.

Mir ist es bisher hier vortrefflich gegangen. Am Sonntag früh, gleich nach Abfassung des ersten Briefes an Dich erschienen Eisenlohr und der hiesige Physiker Jolly, um mich abzuholen. Nachdem wir uns in der Akademie eingeschrieben hatten, brachte uns Jolly in Kaulbachs Atelier, der eben mit einem riesigen Carton der Schlacht von Salamis beschäftigt war, einem höchst gewaltigen und großen Werke. Kaulbach selbst, den ich auch später beim ersten Festessen wiedergesehen habe, ist eine außerordentlich liebenswürdige und feine Künstlernatur, mit regem Interesse für Alles, dem sich nur entfernt eine Beziehung auf die Kunst abgewinnen läßt. Er ist auch hier der Liebling Aller. Pauli, der so ungünstig über ihn urtheilte, mit seiner schroffen Weise muß ihm widerstanden haben. Übrigens habe ich leider erfahren, daß Pauli's Frau schon im October gestorben ist, und er selbst nach London gegangen, um sich durch Thätigkeit zu betäuben, und durchaus nicht wieder nach Rostock zurück will.

Nachher flanirten wir etwas durch die Straßen, machten dann Visiten bei einigen Akademikern; zu Mittag und Abend lud mich gleich Jolly ein, dessen Frau aus Heidelberg eine Schwägerinn von Leber ist. Nachmittag besah ich mir die Bavaria; in der Ferne lagen sehr verlockend die Alpen. Ich war auch im Kopf der Statue, zwei Haarflechten erscheinen innerlich als zwei Canapees, auf denen je drei Leute sitzen können.

Der Montag verging en grande parure. Um 9 Uhr Gottesdienst mit einer ganz wackeren Predigt in der protestantischen Kirche; um 11 Uhr Sitzung, wo König Ludwig erschien und sich uns vorstellen ließ. Dieser Kerl ist eine reine Carricatur. Ein Gerippe um welches die engste Uniform schlottert, Gesicht wie eine alte Frau mit Sommersprossen und einer großen Balggeschwulst auf der Stirn, harthörig und dabei von einer unruhigen Beweglichkeit, hastig hin und her schießend, und dabei will er noch ein 17jähriges Mädchen heirathen. Mich hielt er wegen meines Ordens für einen Niederländer, und troz alles Anschreiens erzählte er mir, welche Oranier er alle gekannt, und welche er nicht gekannt habe. In der Sitzung hielt ein katholischer Altbayer, ein Orientalist Müller eine Rede über die Geschichte der Akademie, worin er sich in größter Heftigkeit gegen die Jesuiten losließ, daß ich meinen Ohren nicht traute. Da das Essen spät war frühstückte ich in ziemlicher Gesellschaft ein Glas Bier, welches hier in der That alle auswärtigen Nachahmungen des Bayrischen Bieres bei weitem übertrifft, und etwas Weißbrod. Um 3 Uhr ein sehr großes Festessen hier im Bayrischen Hofe. Ich saß zwischen Schönbein und Bischoff, gegenüber Liebig u[nd] Kaulbach; es war sehr amüsant. Abends ein Stück von Terenz im kleinen Theater.

Gestern früh war ich mit Eisenlohr in der optischen Werkstatt von Steinheil (Ministerialrath) außerhalb der Stadt, und sah viel Vortreffliches. Dann eine ziemlich langweilige Sitzung mit Reden, nachher wieder bayrisch Bier und Mittagsruhe. Dann Essen bei Majestät, dem eine sehr lange und ausführliche Vorstellung vorausging. Der König ist sehr freundlich spricht verständig, scheint aber die schlechte Ernährung von seinem Vater geerbt zu haben. Freute sich mich persönlich kennen zu lernen, ich dankte für gnädige Bewilligung; er hoffte, daß ich für die Architectur von Säälen würde Aufschlüsse erhalten, ich konnte ihm darauf wenig Aussicht machen. Sehr brillante Tafel im Barbarossa Saal, sehr feines und wenig substantielles Essen, wie ich es liebe. Nachher im Theater Ödipus von Colonos mit Musik von Mendelssohn, die ihm aber nicht mehr so gut geflossen ist, wie die der Antigone. Heut sind uns die Saale des Schlosses geöffnet, am Abend großes Maifest im Rathhause, wobei feierlich der Bock angezapft werden soll.

Ich muß schließen, da R. Wagner gleich kommen wird mich abzuholen. Laß noch einmal Gutes von Dir hören, mit schönen Schweinen, welche Glück bedeuten, verziert; grüße Deine Mutter und die Kinder, und sei gegrüßt in treuster Liebe von Deinem

H. H.

S. 178-181 (ohne Fußnoten) aus:
Letters of Hermann von Helmholtz to his wife : 1847-1859 / ed. by Richard L. Kremer. - Stuttgart : Steiner, 1990. - (Boethius ; 23)
ISBN 3-515-05583-5
Signatur UB Heidelberg: 90 H 786

Edith von Branca, die Enkeltochter Hermann von Helmholtz' und seiner Frau Olga verkaufte die Briefe 1947 gegen CARE-Pakete an die Houston Library der Harvard University in Cambridge,
Beschreibung des Archivbestandes in der Harvard-Universität siehe   http://oasis.lib.harvard.edu/oasis/deliver/~hou00973


Letzte Änderung: Mai 2014     Gabriele Dörflinger   Kontakt

Zur Inhaltsübersicht     Historia Mathematica     Homo Heidelbergensis