Otto Lummer: Robert von Helmholtz †.

Am 9. August d. J. versammelte sich die physikalische Welt Berlins, um von einem hoffnungsvollen Jünger ihrer Wissenschaft auf immer Abschied zu nehmen. Robert von Helmholtz war einem Herzschlage erlegen, welcher seinen 14tägigen qualvollen Leiden ein schnelles Ende machte. Mit ihm schied ein reger Geist, der mit starkem Willen das Siechthum seines gebrecblichen Körpers zu überwinden wusste; in ihm verlieren seine Collegen einen begabten, dabei neidlosen Mitarbeiter; die seinem Herzen Nahestehenden einen treuen und warmen Freund, unsere Zeitschrift einen hochgeschätzten Mitarbeiter.

Als der Sohn des berühmten Physiologen Hermann Helmholtz am 3. Marz 1862 zu Heidelberg geboren, fallen Robert Helmholtz' Jugendjahre mit der Glanzperiode „Alt Heidelbergs“ zusammen. Früh schon quälten ihn körperliche Gebrechen, mit denen er bis an sein Ende einen fortwährenden Kampf zu bestehen hatte. Seine zarte Gesundheit hinderte ihn am Schulbesuch, und nur zur Ablegung des Abiturientenexamens besuchte er die obersten Klassen des Französischen Gymnasiums zu Berlin, wohin sein Vater 1871 als Akademiker und Physiker an der Universität berufen worden war. Nach Erlangung des Reifezeugnisses, zog es Robert Helmholtz mächtig nach der Stadt, wo er als Knabe gespielt. Sich der Naturwissenschaft widmend, arbeitete er mehrere Semester im Laboratorium von Robert Bunsen, und kehrte dann nach Berlin zurück, wo er sich mathematischen Studien eifrig ergab und im physikalischen Institut unter der Leitung seines grossen Vaters arbeitete.

Ausgestattet mit glänzenden Geistesgaben, besass er neben zäher Ausdauer und regem Fleisse lebhafte Begeisterung für der Wahrheit letzten Grund. Früh schon betrat er die ehrenvolle Bahn selbständiger Forschung, auf der ihm neben innerer Befriedigung des Forschers auch äussere Anerkennung und Lohn nicht fehlen sollten. Mehrfach hat er auch in dieser Zeitschrift von seinen Forschungen in klaren Darstellungen Mittheilung gemacht.

Im Jahre 1885 wurde Robert von Helmholtz zu Berlin promovirt. In seiner Doctorschrift “Untersuchungen über Dämpfe und Nebel, besonders über solche von Lösungen“ bestimmte er die Dampfspannungen von Salzlösungen oder vielmehr den Sättigungsgrad der über denselben befindlichen Dämpfe. Dazu werden diese mit Luft gemengt und durch eine adiabatische Druckerniedrigung in Form von Nebeln niedergeschlagen. Aus der Grösse der kleinsten Depression, welche noch im Stande ist, Nebel sichtbar zu machen, kann die Sättigung des Wasserdampfes berechnet werden, ähnlich wie man aus dem Thaupunkte auf die relative Feuchtigkeit der Luft schliesst. Dieses Verfahren erwies sich genauer als die directen Messungen von Regnault, Wüllner und Tamann. Schon diese eine Arbeit berechtigte zu den schönsten Hoffnungen. Ging aus ihr doch mit Deutlichkeit hervor, dass der Verfasser Beobachtungstalent und logische Schärfe des Denkens in gleichem Maasse beaass, Experiment und Mathematik gleich gut beherrschte.

Im Sommer und Herbst des Jahres 1886 finden wir Robert von Helmholtz auf schwerem Krankenlager. Wieder musste er sich einer Operation an seiner kranken Wirbelsäule unterziehen. Todesmuthig aber zeichnet er, dem jede Thätigkeit untersagt ist, während seiner schweren Krankheit die Fiebercurven fein säuberlich auf Coordinatenpapier, deren Maxima lächelnd dem Freunde zeigend. Treue Pflege und ärztliche Kunst erhalten ihn dem Leben und es folgen genau drei Jahre fast vollständiger körperlicher Frische. Gleich als ob es gälte, diese letzte Frist tüchtig auszunutzen, hat der Entschlafene in dieser kurzen Zeit erstaunlich viel geleistet. Noch in demselben Jahre erschien seine Abhandlung „Die Aenderungen des Gefrierpunktes berechnet aus der Dampfspannung des Eise“ und wenige Monate später seine „Versuche mit einem Dampfstrahl“. In ersterer Arbeit werden aus den Sätzen über die „freie Energie“ Folgerungen über die Schmelzung des Eises gezogen und Beziehungen zwischen den Dampfspannungen des Wassers und Eises einerseits und dem die Schmelzung bewirkenden Drucke andererseits aufgestellt. Es wird unter Anderem gefunden, dass allgemein unter dem Schmelzpunkte die Dampfspannung des flüssigen, über demselben die des festen Körpers die grössere ist. Ausserdem wird die Eiscurve theoretisch neu berechnet, und es werden so numerische Daten für die Gefrierpunktserniedrigung durch Druck gewonnen. In der zweiten mehr experimentellen Arbeit wird der Dampfstrahl als Reagenzmittel (für Stauberzeuger einerseits und für chemische Processe andererseits) kennen gelehrt. Derselbe nimmt eine deutlich veränderte Gestalt an, sowohl wenn Staub, als wenn chemische Gleichgewichtsstörungen in der umgebenden Atmosphäre vorhanden sind. Es liess sich zeigen, dass bei den Flammen unverbrannte Molekeln noch in den Verbrennungsgasen sich treffen und hier dieselben Processe stattfinden wie in der Flamme. Interessant sind die beschriebenen Versuche dadurch, dass jene beiden genannten Factoren identisch mit der Bedingung der Elektrisirung der Luft zu sein scheinen.

Aus einer mitgetheilten Beobachtung am Solfatarakrater bei Neapel geht hervor, dass Robert von Helmholtz auch auf der Reise durch die sagenumwobenen, die Phantasie berauschenden Gefilde Italiens sich seinen nüchternen Beobachtungssinn bewahrt hatte. Gestärkt an Körper und Geist, machte er sich nach seiner Rückkehr an die Lösung der vom Verein für Gewerbfleiss zu Berlin gestellten Preisarbeit „Ueber die Strahlungsenergie von Flammen“, auf deren Lösung ein Preis von 5000 Mark und eine goldene Medaille gesetzt war. Zwei Jahre mühevoller Arbeit folgten jetzt, deren Früchte nicht ausblieben. Aus der kurzen Mittheilung, die er vor der Physikalischen Gesellschaft zu Berlin machte, geht als wesentliches Resultat hervor, dass die Flammenstrahlung im allgemeinsten Fall als zusammengesetzt aus der regulären Temperaturstrahlung erstens des eventuell fest ausgeschiedenen Kohlenstoffs, zweitens der erhitzten Gase, aber hauptsächlich aus der „chemischen Strahlung“ der durch die Verbrennung gebildeten Wasser- und Kohlensäure-Molecüle anzusehen ist. Aus der experimentell bestimmten Strahlung der reinen Wasserstoff- und Kohlenoxydflamme berechnet Robert von Helmholtz das Strahlungsvermögen der anderen Flammen (Grubengas, ölbildendes Gas, Leuchtgas, Methyl-Aethylalkohol etc).

Auf seinem letzten Krankenbett war er mit der Publication dieser Arbeit beschäftigt und noch zwei Stunden vor seinem Tode dictirte er einen Brief an seinen Verleger. So arbeitete sein Geist noch immer, während sein Körper schon im Sterben lag.

Es wäre unsere Charakteristik des Verstorbenen nicht vollständig, wollten wir einen Aufsatz unerwähnt lassen, den derselbe in Rodenberg's „Deutscher Rundschau“ veröffentlicht hat. Der Nachruf, den Robert von Helmholtz unserem Gustav Kirchhoff gewidmet hat, ist mehr als eine Denkrede. In scharfsinnigen allgemeinen Betrachtungen weiss er Kirchhoff's exceptionellen mathematisch-physikalischen Geist ins rechte Licht zu setzen. Die Schilderung von seinem Wirken und Leben ist mit einer Wärme, mit einer kindlichen Liebe und Ehrfurcht geschrieben, dass sie uns tief ergreift. Bei der Mittheilung von Kirchhoff's grosser Entdeckung aber beweist er ein entschiedenes Talent für populäre Darstellung.

Wenn alledem noch hinzugefügt werden kann, dass Robert von Helmholtz ein geistreicher und feinwitziger Redner, ein liebenswürdiger und fesselnder Gesellschafter war, so ist wohl das Urtheil erlaubt, dass er ein seltener Mensch gewesen, dem eine glänzende Laufbahn bevorstand. Dabei war er von grosser Bescheidenheit und Selbstlosigkeit, ohne falschen Ehrgeiz und ohne alle Anmassung. Seine Pflichttreue war geradezu rührend. Bildete doch während seiner Krankbeit die Voraussicht, am 1. October seine neue Stellung an der Physikalisch-technischen Reichsanstalt nicht antreten zu können, seine grösste Sorge. Leider sollte es den Mitarbeitern dieser Anstalt nicht vergönnt sein, einen so tüchtigen Gelehrten, dabei neidlos anerkennenden Beurtheiler fremden Verdienstes, zu den Ihren zu zählen.

Vergegenwärtigen wir uns zum Schluss die im Vorhergehenden flüchtig geschilderten Vorzüge des Entschlafenen, so staunen wir, wie in einem so gebrechlichen Körper ein so klarer Geist wohnen und eine so schöne Seele sich entwickeln konnte. Ja, vielleicht ist es gerade das körperliche Gebrechen gewesen, welches den Reichbegabten so früh zur geistigen Entwickelung, und seine Herzensgüte so voll zum Reifen brachte. Dass körperliche Nachtheile den damit Behafteten schon früh zum Nachdenken über des Lebens Werth und zum Studium des eigenen Ichs drangen, ist uns verständlich. Robert von Helmholtz' herrlicher Charakter aber bewirkte, dass solche Betrachtungen den körperlich Zurückgebliebenen nicht zum Pessimisten, sondern zu einem strebsamen, bescheidenen, immer heiteren, liebenswürdigen und glücklichen Menschen werden liessen. Schwere Kämpfe mag er gekämpft haben, die Anderen ganz erspart bleiben. Doppelt daher gebührt unserem Dulder die Palme, der es verstanden hat, die Herzen Aller zu gewinnen und sich trotz jugendlichen Alters ein bleibendes Denkmal in den Annalen der Physik zu setzen.
    O. Lr.

Quelle: Lummer, Otto: Robert von Helmholtz †
In Naturwissenschaftliche Rundschau 4 (1889), S. 567–568


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