Julius Reiner: Hermann von Helmholtz

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Helmholtz als Professor in Bonn.

(1855-1858.)

Nach dem ersten Semester in Bonn konnte Helmholtz seinem Vater berichten, daß er sowohl in wissenschaftlicher als auch (Seite 16) pädagogischer Hinsicht mit seiner neuen Stellung sehr zufrieden sei. Die Ausarbeitung seines umfangreichen Werkes über physiologische Optik nahm ihn bereits damals stark in Anspruch, dabei vernachlässigte er nicht seine Untersuchungen über die Sinnesempfindungen und die sich gelegentlich darbietenden Fragen, die in einem mehr oder weniger engem Verhältnisse zu denselben standen.

Gleichzeitig mit diesen Untersuchungen wurde er gezwungen, über die Tonempfindungen sich näher zu orientieren. Auch hier sehen wir ihn eigene Wege einschlagen. Seinem umfassenden Geiste stellen sich immer wieder neue Zusammenhänge dar, die exakt zu formulieren nicht so leicht war, wie die bloße gedankliche Konzeption. Getreu der induktiven Methode, mußte er unzählige und mühevolle Untersuchungen anstellen, bevor es ihm gelang, die blitzartig auftauchenden, leitenden Gedanken durch Tatsachen zu stützen. Er mußte sich dabei mit den damals herrschenden Ansichten zuerst auseinandersetzen, bevor er zur Darstellung und Beweisführung seiner eigenen Ideen übergehen konnte. Medizinische, anatomische und physiologisch-chemische Prinzipien mußten erörtert, geprüft, die Physik und Mathematik zu Hilfe genommen werden, um diesen gewaltigen wissenschaftlichen Aufbau exakt zu formulieren.

Charakteristisch für die Art, wie Helmholtz zu arbeiten pflegte, ist sein eigenes Bekenntnis, das er am 2. November 1891 bei der Feier seines 70. Geburtstages in einer Tischrede niedergelegt hat. Diese Rede gestattet uns einen Einblick in die intimsten geistigen Funktionen des großen Forschers, der es sich selbst zur Aufgabe gestellt hat, den Zusammenhang der geistigen und körperlichen Funktionen und die Kompliziertheit der seelischen Vorgänge zu klären. Eine Stelle aus dieser interessanten Rede möge hier wiederholt werden: „Ich muß sagen, als Arbeitsfeld sind mir die Gebiete, wo man sich nicht auf günstige Zufälle und Einfälle zu verlassen braucht, immer angenehmer gewesen. Da ich aber ziemlich oft in die unbehagliche Lage kam, auf günstige Einfälle harren zu müssen, habe ich darüber, wann oder wo sie mir kamen, einige Erfahrungen gewonnen, die vielleicht anderen noch nützlich werden können. Sie schleichen oft ganz still in den Gedankenkreis ein, ohne daß man gleich von Anfang ihre Bedeutung erkennt; dann hilft später nur zuweilen noch ein zufälliger Umstand erkennen, wann und unter (Seite 17) welchen Umständen sie gekommen sind; sonst sind sie da, ohne daß man weiß woher. In anderen Fällen aber treten sie plötzlich ein, ohne Anstrengung, wie eine Inspiration. Soweit meine Erfahrung geht, kamen sie nie dem ermüdeten Gehirn und nicht am Schreibtisch. Ich mußte immer erst mein Problem nach allen Seiten soviel hin und her gewendet haben, daß ich alle seine Wendungen und Verwickelungen im Kopfe überschaute und sie frei, ohne zu schreiben, durchlaufen konnte. Es dahin zu bringen, ist ja ohne längere vorausgehende Arbeit nicht möglich. Dann mußte, nachdem die davon herrührende Ermüdung vorübergegangen war, eine Stunde vollkommener körperlicher Frische und ruhigen Wohlgefühls eintreten, ehe die guten Einfälle kamen. Oft waren sie wirklich . . . des Morgens beim Aufwachen da. … Besonders gern aber kamen sie … bei gemächlichem Steigen über waldige Berge in sonnigem Wetter. Die kleinsten Mengen alkoholischen Getränks aber schienen sie zu verscheuchen. Solche Momente fruchtbarer Gedankenfülle waren freilich sehr erfreulich, weniger schön die Kehrseite, wenn die erlösenden Einfälle nicht kamen. Dann konnte ich mich wochenlang, monatelang in eine solche Frage verbeißen. …“

Helmholtz widmete sich bereits damals, wie oben erwähnt wurde, seinen Untersuchungen über Tonempfindungen. Diese Fragen führten ihn auf allgemeine akustische Probleme, deren Lösung ihn sehr in Anspruch nahm, zumal seine technischen Hilfsmittel nicht gut genug waren, um ihn in seiner Arbeit zu fördern. Der kunstsinnige König von Bayern, der von diesen Untersuchungen hörte, erbat sich ständigen Bericht über ihren Fortgang und spendete dem Forscher eine größere Summe, damit er sich die nötigen Apparate anschaffe.

Helmholtz' Ruhm wuchs durch die immer zunehmenden interessanten und bedeutenden Untersuchungen, er wurde von auswärtigen wissenschaftlichen Korporationen mit den ihnen zur Verfügung stehenden Ehren überhäuft, auch die größeren Universitäten bemühten sich, ihn für sich zu gewinnen.

Nach kaum dreijähriger Tätigkeit in Bonn, folgte auch Helmholtz einem Rufe nach Heidelberg, wo er von Michaelis 1858 bis Ostern 1871 als Professor der Physiologie tätig war.


S. 15 - 17 aus:
Reiner, Julius: Hermann von Helmholtz. - Leipzig, [1905]

Letzte Änderung: 27.02.2013 Gabriele Dörflinger   Kontakt

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