Werner von Siemens hatte mit eigenen Mitteln die Gründung der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt zustande gebracht. Der Zweck dieser Anstalt war, die für exakt-wissenschaftliche Zwecke erforderliche Präzisionstechnik zu fördern. Der Fortschritt der exakten Wissenschaften hängt nicht zum geringen Teil von den technischen Hilfsmitteln ab, die die Untersuchungen erst ermöglichen. Die alten Griechen und Römer konnten nur Vermutungen über die Natur und ihre Erscheinungen aufstellen, sie hatten keine technischen Hilfsmittel, mit denen man experimentieren konnte. Erst in der Neuzeit ist es (Seite 50) gelungen, mit Hilfe der sinnreichen Apparate, Untersuchungen anzustellen, die mit der bloßen Vernunft nie gemacht werden könnten. Letzten Endes haben die technischen Hilfsmittel den Zweck, nicht nur die sinnlich wahrgenommenen Erscheinungen zu kontrollieren und zu messen, sondern auch die dem Menschen für die zahlreichen subtilen Erscheinungen fehlenden Sinne zu ersetzen.
Der berühmte englische Physiker Clerk Maxwell pflegte zu sagen, daß die Uhr, die Wage und das Fußmaß die Symbole des errungenen Fortschrittes sind. Eben darin, daß wir heute Vorgänge von 1/000 Sekunde und Erscheinungen von 1/000 Millimeter und darüber genau messen können, liegt unser Fortschritt gegenüber der früheren Zeit.
Bereits in seiner am 16. Juni 1883 ausgearbeiteten Denkschrift wies Helmholtz auf den Wert eines derartigen Institutes hin. Die wissenschaftliche Abteilung des Institutes sollte genau die Intensität der Schwere und die Vergleichung dieser Intensität an verschiedenen Stellen der Erdoberfläche bestimmen. Sie sollte Untersuchungen über die elektrischen Maßeinheiten, über Druck und Dichtigkeit der Gase und Dämpfe bei verschiedenen Temperaturen und die Messung der dabei verbrauchten Wärmemengen anstellen. Alle diese Untersuchungen sind nicht bloß von rein wissenschaftlichem Interesse, sondern sie sind dazu geeignet, in das praktische Gebiet der Nutzanwendung der Wissenschaften überzugreifen. Ferner hob Helmholtz in seiner Denkschrift hervor, daß durch die Gründung einer derartigen wissenschaftlichen Abteilung auch die Möglichkeit geboten würde, daß ältere und bewährte Physiker Deutschlands die Gelegenheit finden könnten, einzelne Untersuchungen auszuführen, für welche sie in ihrem Heimatsorte nicht die nötigen Hilfsmittel finden.
Die Arbeiten an der Reichsanstalt nahmen Helmholtz stark in Anspruch, trotzdem ihm ein großer Stab von tüchtigen Mitarbeitern, so z. B. der Direktor der Anstalt, Loewenherz, zur Seite stand. Aus der im Jahre 1890 herausgegebenen „Denkschrift über die bisherige Tätigkeit der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt“ ist zu ersehen, was seit Begründung derselben geleistet wurde. Die Neuherausgabe seiner physiologischen Optik und kleinere wissenschaftliche Veröffentlichungen füllten seine von amtlicher Tätigkeit freie Zeit aus.
Aus Anlaß des 70. Geburtstages wurde Helmholtz von zahlreichen wissenschaftlichen Körperschaften ausgezeichnet. Kaiser Wilhelm II. verlieh ihm am 12. Oktober 1891 den Charakter eines wirklichen Geheimen Rates mit dem Prädikate „Exzellenz“. Dieser Auszeichnung fügte er die Worte bei: „Sie haben, ihr ganzes Leben (Seite 52) zum Wohle der Menschheit einsetzend, eine reiche Anzahl von herrlichen Entdeckungen vollbracht. Ihr stets den reinsten und höchsten Idealen nachstrebender Geist ließ in seinem hohen Fluge alles Getriebe von Politik und der damit verbundenen Parteiungen weit hinter sich zurück. Ich und mein Volk sind stolz darauf, einen solch bedeutenden Mann unser nennen zu können.“
Am 2. November 1892 feierte Helmholtz sein fünfzigjähriges Doktorjubiläum, das wieder Anlaß zu vielen Auszeichnungen und Ehrenbezeigungen gegeben hatte. Die Festlichkeiten, die zu seinen Ehren veranstaltet wurden, unterbrachen nur für sehr kurze Zeit seine Forscherarbeit, wie das die bald darauf erschienenen Untersuchungen über die „Elektromagnetische Theorie der Farbenzerstreuung“ beweisen.
Im August 1893 unternahm Helmholtz in Begleitung seiner Frau eine Reise nach Amerika, wohin er als Regierungsvertreter bei dem in Chicago abzuhaltenden Elektriker-Kongreß gesandt wurde.
Elektrodynamische Untersuchungen und die Beschäftigung mit dem Werke von Hertz „Die Prinzipien der Mechanik“, zu dem er im Juli 1894 ein Vorwort geschrieben hatte, nahmen Helmholtz letzte Zeit in Anspruch. Er starb am 8. September 1894 an den Folgen einer Lähmung.
Seiner innersten Natur nach war Helmholtz ein schlichter Mann, dem die Wissenschaft über alles ging. Mit Recht wurde er ein Genie der Arbeit genannt Seine geistige Überlegenheit wirkte auf seine Umgebung und besonders auf seine Schüler mehr anregend (Seite 53) als erdrückend. Er schätzte die Leistungen seiner Kollegen und Schüler in aufrichtiger Teilnahme und unterließ es bei keiner Gelegenheit, die Verdienste anderer anzuerkennen und die von ihnen ausgegangene Anregung und Belehrung in das richtige Licht zu rücken.
Von allen Seiten eilten die Vertreter der wissenschaftlichen und bürgerlichen Korporationen herbei, um dem großen Denker und Forscher die letzte Ehre zu erweisen.
Der Hofprediger D. Frommel widmete dem Dahingegangenen einen Nachruf, in dem er seine Begabung, verbunden mit der eisernen Energie und unermüdlichen Geduld der Arbeit rühmte.
Die irdische Hülle des Toten wurde auf dem alten Friedhof am Lietzow
beigesetzt.
S. 49 - 53 aus:
Reiner, Julius: Hermann von Helmholtz. - Leipzig, [1905]
Letzte Änderung: 03.03.2013 Gabriele Dörflinger Kontakt
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