Julius Reiner: Hermann von Helmholtz

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Helmholtz als Präsident der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt.

(1888-1894)

Werner von Siemens hatte mit eigenen Mitteln die Gründung der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt zustande gebracht. Der Zweck dieser Anstalt war, die für exakt-wissenschaftliche Zwecke erforderliche Präzisionstechnik zu fördern. Der Fortschritt der exakten Wissenschaften hängt nicht zum geringen Teil von den technischen Hilfsmitteln ab, die die Untersuchungen erst ermöglichen. Die alten Griechen und Römer konnten nur Vermutungen über die Natur und ihre Erscheinungen aufstellen, sie hatten keine technischen Hilfsmittel, mit denen man experimentieren konnte. Erst in der Neuzeit ist es (Seite 50) gelungen, mit Hilfe der sinnreichen Apparate, Untersuchungen anzustellen, die mit der bloßen Vernunft nie gemacht werden könnten. Letzten Endes haben die technischen Hilfsmittel den Zweck, nicht nur die sinnlich wahrgenommenen Erscheinungen zu kontrollieren und zu messen, sondern auch die dem Menschen für die zahlreichen subtilen Erscheinungen fehlenden Sinne zu ersetzen.

Der berühmte englische Physiker Clerk Maxwell pflegte zu sagen, daß die Uhr, die Wage und das Fußmaß die Symbole des errungenen Fortschrittes sind. Eben darin, daß wir heute Vorgänge von 1/000 Sekunde und Erscheinungen von 1/000 Millimeter und darüber genau messen können, liegt unser Fortschritt gegenüber der früheren Zeit.

Bereits in seiner am 16. Juni 1883 ausgearbeiteten Denkschrift wies Helmholtz auf den Wert eines derartigen Institutes hin. Die wissenschaftliche Abteilung des Institutes sollte genau die Intensität der Schwere und die Vergleichung dieser Intensität an verschiedenen Stellen der Erdoberfläche bestimmen. Sie sollte Untersuchungen über die elektrischen Maßeinheiten, über Druck und Dichtigkeit der Gase und Dämpfe bei verschiedenen Temperaturen und die Messung der dabei verbrauchten Wärmemengen anstellen. Alle diese Untersuchungen sind nicht bloß von rein wissenschaftlichem Interesse, sondern sie sind dazu geeignet, in das praktische Gebiet der Nutzanwendung der Wissenschaften überzugreifen. Ferner hob Helmholtz in seiner Denkschrift hervor, daß durch die Gründung einer derartigen wissenschaftlichen Abteilung auch die Möglichkeit geboten würde, daß ältere und bewährte Physiker Deutschlands die Gelegenheit finden könnten, einzelne Untersuchungen auszuführen, für welche sie in ihrem Heimatsorte nicht die nötigen Hilfsmittel finden.

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Helmholtz' Sohn, Robert, dessen Entwickelung den Eltern viel Sorge bereitete, hat um jene Zeit sein Doktorexamen bestanden und sich in der Folgezeit der exakt-wissenschaftlichen Richtung seines Vaters angeschlossen. Der Vater nahm mit großem Interesse Anteil an den Untersuchungen seines Sohnes und schreibt ihm gelegentlich: „Was deine Probleme betrifft, so weiß ich, daß die Astronomen die Frage diskutiert haben, ob die Gravitation Zeit brauche. Welche Genauigkeit aber dabei zu erreichen ist, weiß ich nicht. Sie (Seite 51) behaupten, die Beobachtung spräche gegen diese Hypothese. Jedenfalls lohnt es nicht, eine solche Frage anzugreifen, ehe man nicht weiß, welche Beobachtungen möglich wären, und wie auszuführen, um sie zu entscheiden. … Um die Gravitation des Mondes zu messen, sind unsere bisherigen Methoden, die Schwerkraft zu messen, noch nicht genau genug. … Ich für meinen Teil habe allerdings, was ich von Mathematik weiß, nur an den Problemen, die ich zu lösen versuchte, gelernt und konnte durch rein abstrakte Studien, ohne Anwendung auf Probleme, nie etwas begreifen.“ Leider sollte die Freude an seinem Sohne dem Forscher nicht lange beschert bleiben. Er starb am 5. August 1889. Seine letzte Arbeit „Über die Licht- und Wärmestrahlung verbrennender Gase“, die von dem Verein für Gewerbefleiß in Berlin mit 5000 Mk. und einer Medaille gekrönt wurde, gab der Vater mit einer Einleitung heraus, der wir folgende Stelle entnehmen: „Als die ersten Korrekturbogen des nachfolgenden Aufsatzes ankamen, lag der Verfasser schon auf seinem Sterbebett. Mir, als seinem Vater, ist also die traurige Pflicht zugefallen, die Drucklegung zu überwachen. Er hatte gehofft, die letzte Hälfte des Aufsatzes noch durchzuarbeiten und zu vervollständigen…. Auch kenne ich seine Absichten in dieser Beziehung nicht genau genug, denn er pflegte ganz selbständig zu arbeiten und holte sich selten bei mir Rat. Erst wenn er die Sachen zu Papier gebracht hatte, pflegte er sie mir zu zeigen und mit mir darüber zu sprechen….“

Die Arbeiten an der Reichsanstalt nahmen Helmholtz stark in Anspruch, trotzdem ihm ein großer Stab von tüchtigen Mitarbeitern, so z. B. der Direktor der Anstalt, Loewenherz, zur Seite stand. Aus der im Jahre 1890 herausgegebenen „Denkschrift über die bisherige Tätigkeit der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt“ ist zu ersehen, was seit Begründung derselben geleistet wurde. Die Neuherausgabe seiner physiologischen Optik und kleinere wissenschaftliche Veröffentlichungen füllten seine von amtlicher Tätigkeit freie Zeit aus.

Aus Anlaß des 70. Geburtstages wurde Helmholtz von zahlreichen wissenschaftlichen Körperschaften ausgezeichnet. Kaiser Wilhelm II. verlieh ihm am 12. Oktober 1891 den Charakter eines wirklichen Geheimen Rates mit dem Prädikate „Exzellenz“. Dieser Auszeichnung fügte er die Worte bei: „Sie haben, ihr ganzes Leben (Seite 52) zum Wohle der Menschheit einsetzend, eine reiche Anzahl von herrlichen Entdeckungen vollbracht. Ihr stets den reinsten und höchsten Idealen nachstrebender Geist ließ in seinem hohen Fluge alles Getriebe von Politik und der damit verbundenen Parteiungen weit hinter sich zurück. Ich und mein Volk sind stolz darauf, einen solch bedeutenden Mann unser nennen zu können.“

Am 2. November 1892 feierte Helmholtz sein fünfzigjähriges Doktorjubiläum, das wieder Anlaß zu vielen Auszeichnungen und Ehrenbezeigungen gegeben hatte. Die Festlichkeiten, die zu seinen Ehren veranstaltet wurden, unterbrachen nur für sehr kurze Zeit seine Forscherarbeit, wie das die bald darauf erschienenen Untersuchungen über die „Elektromagnetische Theorie der Farbenzerstreuung“ beweisen.

Im August 1893 unternahm Helmholtz in Begleitung seiner Frau eine Reise nach Amerika, wohin er als Regierungsvertreter bei dem in Chicago abzuhaltenden Elektriker-Kongreß gesandt wurde.

Elektrodynamische Untersuchungen und die Beschäftigung mit dem Werke von Hertz „Die Prinzipien der Mechanik“, zu dem er im Juli 1894 ein Vorwort geschrieben hatte, nahmen Helmholtz letzte Zeit in Anspruch. Er starb am 8. September 1894 an den Folgen einer Lähmung.

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In Helmholtz ist ein Fürst der Wissenschaft dahingegangen. Unter den Denkern und Forschern des XIX. Jahrhunderts nimmt er einen Ehrenplatz ein, der ihm einen dauernden Namen in den Annalen der Wissenschaft sichert. Er gehörte zu denjenigen begnadeten Geistern, denen es beschieden war, die menschliche Erkenntnis gewaltig zu fördern und der leidenden Menschheit zu helfen. Seine Erfindung des Augenspiegels hat millionenfaches Leid aus der Welt geschafft, und die wieder leuchtend gewordenen Augen der Erblindeten und Kranken waren glänzendere Beweise seiner Bedeutung, als die ihm erteilten Orden. In ihm war ein Forscher und Wohltäter der Menschheit dahingegangen.

Seiner innersten Natur nach war Helmholtz ein schlichter Mann, dem die Wissenschaft über alles ging. Mit Recht wurde er ein Genie der Arbeit genannt Seine geistige Überlegenheit wirkte auf seine Umgebung und besonders auf seine Schüler mehr anregend (Seite 53) als erdrückend. Er schätzte die Leistungen seiner Kollegen und Schüler in aufrichtiger Teilnahme und unterließ es bei keiner Gelegenheit, die Verdienste anderer anzuerkennen und die von ihnen ausgegangene Anregung und Belehrung in das richtige Licht zu rücken.

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Ein kühler Septembertag. Von dem Dache der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt in Charlottenburg wehte am 13. September, am Tage der Bestattung von Helmholtz, die Flagge Halbmast. An herrlichen Palmgruppen vorbei gelangte man zur Villa, in der der Verstorbene die letzten Jahre seines Berliner Schaffens wohnte. Die Leiche war an der Stelle aufgebahrt, an der Helmholtz drei Jahre zuvor anläßlich seines siebzigsten Geburtstages so viele Huldigungen empfing. Zu den Füßen des Sarges lagen zwei Ordenskissen, dazwischen die Kränze des Kaisers, der Kaiserin Friedrich und das Blumengewinde, das Potsdam dem unsterblichen Ehrenbürger gewidmet.

Von allen Seiten eilten die Vertreter der wissenschaftlichen und bürgerlichen Korporationen herbei, um dem großen Denker und Forscher die letzte Ehre zu erweisen.

Der Hofprediger D. Frommel widmete dem Dahingegangenen einen Nachruf, in dem er seine Begabung, verbunden mit der eisernen Energie und unermüdlichen Geduld der Arbeit rühmte.

Die irdische Hülle des Toten wurde auf dem alten Friedhof am Lietzow beigesetzt.


S. 49 - 53 aus:
Reiner, Julius: Hermann von Helmholtz. - Leipzig, [1905]

Letzte Änderung: 03.03.2013 Gabriele Dörflinger   Kontakt

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