UB-Signatur: H 87::Phil-hist: 18.1897-99
Die Verdienste Münsters auf dem Gebiete der Mathematik und der Astronomie bestehen nicht in neuen bahnbrechenden Entdeckungen, sondern vielmehr darin, dass er die Errungenschaften der grossen deutschen Mathematiker und Astronomen des Renaissancezeitalters, eines Peuerbach, Regiomontan, Werner und Stöffler gemeinverständlich darstellte und für technische Zwecke zu verwerthen suchte. Bereits während seiner Tübinger Studienzeit war er durch seinen Lehrer Stöffler in die Grundlehren beider Wissenschaften eingeführt worden, und zwar mit so gutem Erfolge, dass er es später wagen durfte, mit einer ziemlichen Reihe mathematisch-astronomischer Schriften vor die Oeffentlichkeit zu treten. Zunächst bearbeitete er 1527, angeregt durch die in zahlreichen Ausgaben verbreiteten Almanache und Ephemeriden seines Lehrers, ein Werk über das Kalenderwesen(201), das allerdings diesen Gegenstand nicht in systematischer Weise erschöpfend darstellte, sondern vielmehr eine Anzahl kleiner unzusammenhängender hebräischer und lateinischer Aufsätze über die Chronologie der Bibel, über die jüdischen Feste, das Sonnen- und Mondjahr, die Mondphasen, sowie über die bis 1573 zu erwartenden Sonnen- und Mondfinsternisse umfasst. Es macht durchaus den Eindruck einer unfertigen Compilation und fand darum auch nur sehr geringen Beifall. Münster suchte dem abzuhelfen, indem er es noch im Jahre 1527 wesentlich verkürzt und mit verändertem Titel abermals herausgab(202). Aber auch diesmal war der Erfolg wenig ermuthigend, ebenso bei einem zwei Jahre später veranstalteten Neudrucke, der so schwachen Absatz fand, dass sich, wie es scheint, nur ein einziges Exemplar erhalten hat. Münster sah deshalb von weiteren Veröffentlichungen auf dem Gebiete des Kalenderwesens ab und wandte sich, einer Liebhaberei seiner Zeitgenossen entgegenkommend, der Verfertigung einfacher astronomischer Instrumente zu, welche die damals noch kostspieligen und seltenen Taschenuhren ersetzen sollten und mit deren Hilfe sich ausserdem verschiedene interessante astronomische Aufgaben annähernd richtig lösen liessen. Zunächst erfand er eine aus drehbaren concentrischen Papierscheiben zusammengesetzte Vorrichtung, das »Instrument der Sonnen«, das er in einer kleinen, auch für die Kenntniss seiner kosmographischen Bestrebungen wichtigen und darum schon früher erwähnten Flugschrift ausführlich, aber etwas unklar beschrieb(203). Es besteht aus fünf Scheiben. Die grösste ist an der Peripherie in 366 gleiche Theile getheilt und stellt einen vollständigen Kalender mit den Namen der zwölf Monate dar. Die- zweite enthält die 12 Zeichen des Thierkreises, deren jedes in 30 Grade getheilt ist. Die dritte, der Decimalzirkel genannt, zeigt die Eintheilung des Tages in 12 Stunden, die vierte die Wochentheilung des Jahres und eine Reihe von Jahreszahlen, die fünfte endlich eine Karte von Deutschland; nebst einem Meilenzeiger. Ausserdem ist in dem gemeinsamen Drehpunkte der Scheiben ein Compass angebracht. Mit dessen Hilfe und durch gleichzeitige verschiedenartige Drehung der Scheiben kann man ohne Schwierigkeit und ohne weitläufige Berechnungen die Tag- und Nachtlänge, die Zeit und den Ort des Auf- und Unterganges der Sonne, die gerade ablaufende Stunde des Tages oder der Nacht, die Goldene Zahl, den Sonntagsbuchstaben und das Osterdatum jedes Jahres, die Polhöhe des Beobachtungsortes und die Himmelsrichtung und Entfernung aller anderen Orte Deutschlands hinlänglich genau ermitteln(204).
Wenig später erfand Münster noch eine ähnliche, gleichfalls aus drehbaren Papierscheiben bestehende Vorrichtung, die er das »Instrument über den Mond« nannte. Es diente zur Bestimmung des Mondlaufes, der Mondphasen, des Mondalters und der Breite der Mondsichel, zur Vorausberechnung der eintretenden Mondfinsternisse, sowie während der Nacht zur Feststellung der Zeit mit Hilfe des Mondscheins oder des Standes zweier Circumpolarsterne. Um es weiteren Kreisen bekannt zu machen, beschrieb es Münster ausführlich, wiewohl nicht ganz klar, in einer 1529 erschienenen äusserst selten gewordenen Schrift(205). Dieses kleine Werk war, wie auch das vorangegangene über das Sonneninstrument, zunächst für Laien bestimmt und darum in deutscher Sprache geschrieben. Beide Schriften zeigen ihren elementaren Standpunkt auch dadurch, dass sie nur das Beobachtungsverfahren, nicht aber dessen wissenschaftliche Begründung angeben. Da sie aber auch in den Kreisen der Gelehrten und im Auslande Beachtung fanden, entschloss sich Münster 1531, sie ins Lateinische zu übersetzen. Er verkürzte sie etwas und verschmolz sie zu einem einzigen Buche, dem er als Einleitung eine kurze Darstellung der Planetentheorie nach Maassgabe des Ptolemäischen Weltsystems vorausschickte(206). Diese Einleitung liess er indessen bei einer neuen, 1534 zugleich in lateinischer(207) und französischer(208), später auch noch in deutscher Sprache(209) erschienenen wenig veränderten Ausgabe wieder weg und erweiterte sie in den nächsten Jahren zu einem selbständigen ausführlichen Werke in zwei Büchern, dem Organum uranicum, das er 1536 veröffentlichte(210). Das erste Buch dieser Schrift enthält in wissenschaftlicher und doch allgemeinverständlicher Form eine übersichtliche Darstellung des vorkopernikanischen Weltsystems auf Grund der astronomischen Schriften des Ptolemäus. Zur Veranschaulichung der behandelten astronomischen Begriffe und Lehrsätze dienen zahlreiche sehr instructive und trefflich ausgeführte Holzschnitte. Das zweite Buch giebt Anweisung, für alle Tage und Stunden der Jahre 1536 bis 1571 mit Hilfe beigefügter Tafeln den Stand und die Bewegung jedes einzelnen der sieben alten Planeten zu berechnen. Zur Erleichterung des ziemlich umständlichen Verfahrens sind wiederum mehrere Messinstrumente mit drehbaren Papierscheiben beigegeben.
Diese ausgesprochene Liebhaberei Münsters, mechanische Vorrichtungen zur möglichst leichten und doch annähernd richtigen Beobachtung und Berechnung astronomischer Vorgänge zu ersinnen und zu verfertigen, veranlasste ihn auch zu eingehender Beschäftigung mit der Theorie und der Construction der Sonnenuhren oder Horologien, jener vielgestaltigen Apparate, welche mit Hilfe der Richtung des Schattens, den ein von der Sonne beschienener, der Erdaxe paralleler Zeigerstab auf eine als Zifferblatt eingerichtete ebene oder gewölbte Fläche wirft, die Tagesstunde angeben. Die erste Anregung zu diesen Studien verdankte Münster, wie er selbst rühmend hervorhebt, seinem Lehrer Stöffler, der als kenntnissreicher und geschickter Mechaniker eine Reihe von Sonnenuhren der verschiedensten Systeme hergestellt hatte(211). Weitere Förderung empfing er durch die einschlägigen Werke der namhaften Mathematiker Georg Peuerbach, Johannes Regiomontanus, Paulus von Mittelburg, Johannes Schöner, Andreas Stiborius und Andreas Stabius, sowie des ihm persönlich befreundeten Oppenheimer Stadtschreibers Jakob Kobel, eines äusserst fruchtbaren und vielseitigen Schriftstellers. Die gewonnenen Kenntnisse legte er nach vielen vorausgegangenen praktischen Versuchen seit 1531 in vier wenig von einander abweichenden ziemlich umfangreichen Werken nieder, die in allgemein verständlicher Form und ohne hohe mechanische Fertigkeiten oder mathematische Kenntnisse vorauszusetzen, Jedermann Anleitung geben sollten, Sonnenuhren aller Art zu verfertigen. Obwohl diese Schriften lediglich Constructionen, aber keinerlei Beweise oder Formeln geben, gewannen sie durch ihre Reichhaltigkeit und praktische Verwerthbarkeit grosses Ansehen und weite Verbreitung und verschafften ihrem Verfasser den Ehrennamen eines Vaters der Gnomonik.
Zuerst erschien 1531 die Compositio Horologiorum(212), welche nicht nur die mit einem ebenen Zifferblatte versehenen Aequatorial-, Horizontal- und Verticaluhren, sondern auch die verschiedensten Arten von Sonnenuhren mit concav oder convex gewölbten cylinder- oder halbkugelförmigen Zifferblättern beschrieb und durch gute Abbildungen veranschaulichte. Die Schrift fand solchen Beifall, dass Münster bereits 1533 eine neue stark vermehrte und hier und da verbesserte Ausgabe unter dem Titel Horologiographia veranstaltete(213). Sie schildert mehrere neue, durch den französischen Kosmographen Orontius Finäus construirte Arten von Horologien und enthält auch ein früher fehlendes. Inhaltsverzeichniss und alphabetisches Sachregister. Bald nach der Drucklegung dieses Werkes wurde Münster vielfach von ,,einfältigen Laien'', namentlich von Malern, Bauleuten und Metallarbeitern gebeten, eine kurze, leicht verständliche und praktische Anleitung zur Verfertigung von Sonnenuhren in deutscher Sprache zu veröffentlichen. Er kam dieser Aufforderung sehr gern nach, da er es für eine Ehrenpflicht des Gelehrten hielt, auch dem »gemeinen Mann« und dem »gemeinen Nutzen teutscher Nation« nach besten Kräften zu dienen, und liess 1537 eine populär gehaltene, von allem gelehrten Ballast befreite, doch etwas breit angelegte und schwerfällig stilisirte Uebersetzung seiner Horologiographia erscheinen(214), die namentlich in Handwerkerkreisen guten Absatz fand und noch 27 Jahre nach seinem Tode unter verändertem Titel neu aufgelegt wurde(215).
Während er in den bisherigen Schriften nur die rein technische Seite der Herstellung von Sonnenuhren beschrieben hatte, bemühte er sich späterhin, auch die geometrischen Grundlagen derselben gemeinverständlich darzustellen. Dies geschah in seinem letzten Werke, das er Rudimenta mathematica betitelte(216) und kurz vor seinem Tode herausgab. Dieses umfangreiche, mit vielen Holzschnitten ausgestattete Buch ist dem gelehrten Ungarn Johannes Dernschwamm gewidmet, der sich als diplomatischer Agent des habsburgischen Kaiserhauses bei der Pforte Jahre lang in Konstantinopel aufhielt und eine höchst werthvolle, leider noch ungedruckte Beschreibung seiner Reisen durch die Türkei hinterlassen hat. Es zerfallt in zwei Abtheilungen, deren erste de principiis geometriae, inservientibus horologiorum confectionibus rerum mensurationibus, variis astronomiae instrumentis atque omni architecturae fabrica handelt. Es giebt in elementarer, leicht verständlicher und stets von den Verhältnissen des praktischen Lebens ausgehender Darstellung einen Abriss der niederen Geometrie. Als Quellen werden die Schriften der Mathematiker Euklides, Theon, Vitruvius, Campanus, Johannes Regiomontanus, Carolus Bovillus, Johannes Stöffler, Paulus von Mittelburg und Orontius Finäus genannt. Münster führt zunächst die einzelnen Arten der Linien Flächen und Körper vor, zeigt dann an gut gewählten Beispielen ihre Ausmessung und Berechnung und verwendet die gewonnenen Kenntnisse sogleich in vielseitiger Weise zur Lösung astronomischer und technischer Aufgaben. In dem Abschnitte von den Dreiecken giebt er beispielsweise Anleitung, den Durchmesser und den Erdabstand des Mondes (ersteren berechnet er zu 365, letzteren zu 28.679 deutschen Meilen) und der Sonne (ihre Entfernung vom Mittelpunkte der Erde findet er zu 957.894 deutschen Meilen), die Bahnen verschiedener Wurfgeschosse, die Höhe von Bergen, Bäumen und Bauwerken, die Tiefe von Brunnen und Abgründen und die Breite von Gewässern mit Hilfe einfacher selbstgefertigter Instrumente zu ermitteln. Die zweite Abtheilung des Werkes, de omnium generum horologiorum delineatione, compositione et fabricatione handelnd, ist eine wenig veränderte, durch mehrere eingeschobene Holzschnitte und Textstücke vermehrte Ausgabe der früher erschienenen Horologiographia.
Nach der Vollendung dieser Schrift wollte Münster an die Ausarbeitung eines Werkes über die Theorie und Praxis der astronomischen Ortsbestimmungen gehen, doch verhinderte ihn sein plötzlicher Tod an der Durchführung dieses Planes. Als Vorarbeit kann ein Abschnitt aus dem ersten Buche der grossen Kosmographie angesehen werden, der im engen Anschluss an Ptolemäus von der Berechnung der Polhöhe vermittelst des Gnomons handelt.
Das Werk enthält eine Sammlung kleiner Aufsätze astronomischen und chronologischen Inhalts:
Letzte Änderung: 24.05.2014 Gabriele Dörflinger Kontakt
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