Lexikon bedeutender Mathematiker — B. Van der Waerden

Quelle: Lexikon bedeutender Mathematiker / hrsg. von Siegfried Gottwald ... — Thun [u.a.], 1990. — S. 473-474


Van der Waerden, Bartel Leendert: geb. 2. 2. 1903 Amsterdam. — Dem Studium 1919-1924 in Amsterdam, Göttingen und Hamburg folgten die Promotion 1926 in Amsterdam und die Habilitation 1927 in Göttingen. 1927 wurde v. d. W. Assistent und Privatdozent an der Univ. Göttingen, 1928 o. Prof. in Gröningen; von 1931 bis Kriegsende war er o. Prof. an der Univ. Leipzig, 1947 Gastprof. an der Johns Hopkins Univ. in Baltimore, 1948-1951 Prof. an der Univ. Amsterdam, und ab 1951 als Nachfolger von R. FUETER Prof. an der Univ. Zürich, wo er seit 1972 Honorarprof. ist.

Arbeitsgebiete v. d. W.s sind Algebra und algebraische Geometrie, Zahlentheorie und Topologie, aber auch Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik sowie — besonders stark in späteren Jahren — Geschichte der Mathematik und der Naturwissenschaften. Grundlegende Arbeiten sind der exakten Neubegründung der algebraischen Geometrie gewidmet. V. d. W. befreite sie von unscharfen geometrischen Begriffsbildungen und zeigte, wie sie mit algebraischen Methoden scharf zu erfassen ist. Insbesondere gelang es ihm, den Begriff des allgemeinen Punktes auf einer algebraischen Mannigfaltigkeit algebraisch genau zu fassen. Grundlegende Arbeiten v. d. W.s sind der Frage gewidmet, wie man geeignete Multiplizitäten einzuführen hat, damit sich der Bézoutsche Satz, nach dem die Anzahl der Schnittpunkte von n Hyperflächen im n-dimensionalen projektiven Raum, genommen mit ihrer Vielfachheit, gleich dem Produkt der Gradzahlen dieser Flächen ist, auf den Schnitt einer r-dimensionalen und einer (n-r)-dimensionalen algebraischen Mannigfaltigkeit verallgemeinern läßt.

Wichtige Arbeiten befassen sich mit der Galois-schen Theorie, der Invariantentheorie und der Darstellungstheorie. Durch praktische Fragestellungen angeregt, beschäftigt sich v. d. W. eingehend mit wahrscheinlichkeitstheoretischen Fragen; die hieraus entstandenen Arbeiten sprechen unmittelbar den Biologen und Mediziner an. Von v. d. W. stammt ein parameterfreier Test, der sog. X-Test, zu dem er auch Tabellenmaterial herausgegeben hat. Zahlreiche seiner Arbeiten sind der Geschichte der antiken Mathematik und Astronomie gewidmet.

V. d. W. versteht es, den Kern einer Theorie herauszuschälen und verständlich und einprägsam darzustellen. Seine beiden Bände „Moderne Algebra“ haben zahlreichen Mathematikern als Einführung in die Algebra gedient. Hervorzuheben sind ferner seine „Einführung in die algebraische Geometrie“, sein Ergebnisbericht über „Gruppen von linearen Transformationen“, seine ausgezeichnete Einführung „Mathematische Statistik“, „Die gruppentheoretische Methode in der Quantenmechanik“, seine beiden Bände „Erwachende Wissenschaft“, die „Sources of Quantum Mechanics“ und sein anregendes Büchlein „Einfall und Überlegung“.

— Günther Eisenreich

Lit.: Elem. Math. 28 (1973), 25-32; 100 Jahre Mathematisches Seminar der Karl-Marx-Universität Leipzig, Berlin 1981, S.218-244


Abschrift durch Gabriele Dörflinger  Kontakt

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