Lexikon bedeutender Mathematiker — Nikolaus von Cues

Quelle: Lexikon bedeutender Mathematiker / hrsg. von Siegfried Gottwald ... — Thun [u.a.], 1990. — S. 346-347


Nikolaus von Cues; Nicolaus Cusanus; eigentlich Nikolaus Chryppfs oder Krebs: geb. 1401 Kues an der Mosel, gest. 11. 8. 1464 Todi (Umbrien); Philosoph, Kleriker. — Der Sohn eines Moselschiffers besuchte die Fraterherrnschule in Deventer, studierte in Heidelberg und ab 1417 in Padua, wo er 1423 Doktor der Rechte wurde. Nach Tätigkeit als Rechtsberater u. a. in Trier und Köln wandte er sich der Theologie zu, wurde 1430 zum Priester ordiniert, 1431 Dechant von St. Florin in Koblenz, nahm am Konzil in Basel teil, war danach im diplomatischen Dienst der katholischen Kirche, wurde 1448 Kardinal, 1450 Bischof von Brixen und später Generalvikar in Rom.

N. v. C.' philosophischer Kerngedanke, die coincidentia oppositorum, d. h. das Zusammenfallen der sich im Endlichen ausschließenden Gegensätze im Unendlichen, also in Gott, war eine wichtige Vorstufe in der Neubelebung der Dialektik in der europäischen Philosophie. Er war verbunden mit N. v. C.' Auffassung, daß das Verständnis Gottes wesentlich auch durch das Verständnis seiner Werke und damit der Welt erreicht werden müsse — und daß dieses Verständnis stark quantitativ geprägt sein müsse.

Diesen Kerngedanken führte er schon 1440 in seiner „De docta ignorantia“ („Die belehrte Unwissenheit“) aus und verband ihn bereits da z. B. mit Erörterungen der Stellung der Erde im All. Bei N. v. C. ist die Erde ein Stern unter vielen gleichartigen, die alle von Gott gleich weit entfernt und wenigstens insofern gleichberechtigt sind. Spekulativ nahm er so z. B. Ideen von N. KOPERNIKUS, J. KEPLER und G. BRUNO (1548-1600) vorweg. Er betonte die Bedeutung der Mathematik und der experimentellen Wissenschaften für die philosophische Erkenntnis, förderte so die Herausbildung der exakten Naturwissenschaften und trieb selbst mathematische und physikalische Studien. Er engagierte sich für eine Kalenderreform, beschrieb z. B. Hygro- und Barometer, erörterte die Verwandlung eines Kreises in eine Strecke als Approximationsproblem, untersuchte verschiedene weitere geometrische Aufgaben und wurde vor allem durch den Gedanken der coincidentia oppositorum zu Spekulationen über das Unendliche angeregt, die sowohl Unendlich-Großes (worauf später noch G. CANTOR zurückverwies) als auch Unendlich-Kleines (und somit Vorahnungen späterer infinitesimaler Betrachtungen) betreffen.

N. v. C. stand am Beginn der Ablösung der Wissenschaft von der im Mittelalter typischen scholastischen Bindung an die Lehrmeinungen des ARISTOTELES.

Poggendorff, Dictionary of Scientific Biography — Siegfried Gottwald

Lit.: Deutsche Akad. Wiss. Berlin. Vorträge und Schriften, H. 97, Berlin 1965; A. Lübke: Nikolaus von Cues. München 1968


Abschrift durch Gabriele Dörflinger  Kontakt

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