Lexikon bedeutender Mathematiker — Sofja Kowalewskaja

Quelle: Lexikon bedeutender Mathematiker / hrsg. von Siegfried Gottwald ... — Thun [u.a.], 1990. — S. 257


Kowalewskaja; Kovalevskaja; geb. Korwin-Krukowskaja, Sofja (Sonja) Wasiljewna: geb. 15. 1. 1850 Moskau, gest. 10. 2. 1891 Stockholm; Mathematikerin, Schriftstellerin. — K. erhielt eine gute Ausbildung im Elternhaus und zeichnete sich früh durch besonderes mathematisches Interesse aus. Mit ihrer Schwester ANNA?, Teilnehmerin an den Kämpfen zur Verteidigung der Pariser Kommune, interessierte sie sich auch für fortschrittliche Ideen und Bewegungen, einschließlich sozialdemokratischer. Da ein Univ.-Studium für Frauen im Rußland jener Jahre verboten war. heiratete sie 1868 V. O. KOWALEWSKI (1842-1883), der später ein bekannter russischer Gelehrter (Paläontologe) wurde und fuhr mit ihm zum Studium nach Deutschland. Zunächst hörte sie in Heidelberg die Vorlesungen von G. KlRCHHOFF, E. DU BOIS-REYMOND (1818-1896) und H. HELMHOLTZ, kam 1870 nach Berlin und, weil auch die Berliner Univ. das Frauenstudium verbot, bekam sie privat Mathematikstunden bei K. WEIERSTRASS. K. wurde eine seiner bekanntesten Schülerinnen. 1874 promovierte sie mit einer Arbeit zur Theorie partieller Differentialgleichungen in Göttingen in Abwesenheit, da sie bereits im Sommer 1874 nach Rußland zurückgekehrt war. Ihre Promotion läßt deutlich den Einfluß von WEIERSTRASS auf ihr Denken erkennen. An diesen knüpfte K. auch in ihrer 1884 verfaßten Abhandlung über die Reduktion einer Klasse abelscher Integrale 3. Ranges auf elliptische Integrale an. 1885 erschien ihre Publikation über den Saturnring. In Rußland hatte ihr P. L. TSCHEBYSCHEW zwar ermöglicht, Vorträge auf den russischen Naturforscherversammlungen (1879, 1883) zu halten, aber eine Anstellung gemäß ihren Fähigkeiten erhielt sie nicht. Durch Vermittlung des Weierstraß-Schülers G. MITTAG-LEFFLER erhielt sie 1883 eine Einladung an die Univ. Stockholm, zunächst als Privatdozent, aber schon ein Jahr später — als erste Frau der Welt — als o. Prof. für Mathematik. Insgesamt war sie 8 Jahre an der Univ. tätig und hielt ihre Vorlesungen auch in schwedisch.

K. wurde berühmt, als sie 1888 den Preis der Pariser Akademie für ihre Arbeit über die Rotation eines schweren Körpers um einen festen Punkt erhielt. Sie verfolgte engagiert die politische Entwicklung in Europa und vertrat aktiv die Interessen jener Frauen, die für ihre Gleichberechtigung kämpften. Nicht zuletzt in diesem Sinne betätigte sie sich auch erfolgreich als Schriftstellerin, zum Teil gemeinsam mit der Schwester von MITTAG-LEFFLER, ANNA-CHARLOTTE LEFFLER (1849-1892); ihre literarischen Arbeiten erschienen zuletzt 1982 in Moskau. Von besonderem mathematikhistorischem Interesse sind ihr Briefwechsel mit WEIERSTRASS (1975, Moskau) und mit MITTAG-LEFFLER (1984, Moskau).

Poggendorff, Dictionary of Scientific Biography — Annette Vogt

Lit.: BB; P. J. Kocina, Sofja Wasilevna Kovalevskaja (1850-1891). Moskau 1981


Abschrift durch Gabriele Dörflinger  Kontakt

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