Bei dem Heidelberger Rathaus handelt es sich
um einen mehrfach umgebauten und erweiterten
Gebäudekomplex, also zumindest entstehungsgeschichtlich
um keinen homogenen Baukörper.
An der Stelle eines 1689 zerstörten
Vprgängerbaus entsteht der barocke Kernbau,
der am heutigen Mittelteil der Marktplatzfassade
noch zu erkennen ist. Der abgerundete
Zwerchhausgiebel mag an die Herkunft
des Architekten aus einer Lütticher Künstlerfamilie
erinnern. Die fast zeitgleiche bauliche
Ausführung mit dem in Wien errichteten
Gartenpalais Liechtenstein deutet zugleich
Einflüsse des Wiener „Stararchitekten“ Domenico
Martinelli an — zumal dieser sich 1699
in Heidelberg aufhält. Von dem ungarischen
Bildhauer Heinrich Charrasky stammt das
heute durch eine Kopie ersetzte kurpfälzische
Allianzwappen über der Balkontüre. Der
Heidelberger Schlossermeister Thomas Pfeterle
fertigt das schmiedeeiserne Balkongeländer,
möglicherweise nach einem Entwurf von
Franz Wilhelm Rabaliatti.
Hermann Lender erweitert das Rathaus um den,
gegenüber Flemals Mitteltrakt in seinen Dimensionen
monströsen, Nordflügel 1886-90.
Erhalten ist im zweiten Obergeschoß der Rathaussaal
im Stil der Neorenaissance. Ihn zieren
Ausmalungen des Münchner Historienmalers
Wilhelm Lindenschmit und Glasfenster des
Karlsruher Kunstgewerbeschuldirektors Professor
Karl Hofacker mit Motiven aus der pfälzischen
Geschichte. Im Gefolge des Rathausbrands von
1908 geht aus einem nationalen Architektenwettbewerb
Willy Graf aus Stuttgart als Sieger
hervor. Die Stadt beauftragt indessen Franz-Sales
Kuhn mit der neobarocken Erweiterung
zum Marktplatz und zur Hauptstraße hin.
Die Bauarbeiten dauern bis Mitte der 20er Jahre
an. Von Kuhn ist auch das neobarocke Foyer
mit Treppenhaus und das Trauzimmer mit ovaler
Kuppeldecke und roten Marmorsäulen. Der
kleine festliche Raum zeigt eine Mischung aus
Gestaltungselementen des Historismus, des
Jugendstils und des Neoklassizismus.
1959-61 erweitert der Leiter des städtischen
Hochbauamts Heinrich Liedvogel das Rathaus
entlang der Hauptstraße und abgewinkelt
zur Mönchgasse (Südflügel) hin. Aus dieser Zeit
stammt ebenfalls das Dachtürmchen mit dem
Glockenspiel auf dem Westgiebel.
Auszug aus:
Müller, Bernd:
Architekturführer Heidelberg : Bauten um 1000 - 2000 / hrsg. im Auftrag
der Stadt Heidelberg von Peter Blum. — Mannheim : Ed. Quadrat, 1998
(Reihe Sonderveröffentlichungen des Stadtarchivs Heidelberg ; 10)
ISBN 3-923003-78-1
Abschrift: 2004 Gabriele Dörflinger Kontakt
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