Architekturführer Heidelberg

Nr. 70,  Seite 78

Rathaus
Marktplatz 10
1701-05
J. Flemal

Bei dem Heidelberger Rathaus handelt es sich um einen mehrfach umgebauten und erweiterten Gebäudekomplex, also zumindest entstehungsgeschichtlich um keinen homogenen Baukörper. An der Stelle eines 1689 zerstörten Vprgängerbaus entsteht der barocke Kernbau, der am heutigen Mittelteil der Marktplatzfassade noch zu erkennen ist. Der abgerundete Zwerchhausgiebel mag an die Herkunft des Architekten aus einer Lütticher Künstlerfamilie erinnern. Die fast zeitgleiche bauliche Ausführung mit dem in Wien errichteten Gartenpalais Liechtenstein deutet zugleich Einflüsse des Wiener „Stararchitekten“ Domenico Martinelli an — zumal dieser sich 1699 in Heidelberg aufhält. Von dem ungarischen Bildhauer Heinrich Charrasky stammt das heute durch eine Kopie ersetzte kurpfälzische Allianzwappen über der Balkontüre. Der Heidelberger Schlossermeister Thomas Pfeterle fertigt das schmiedeeiserne Balkongeländer, möglicherweise nach einem Entwurf von Franz Wilhelm Rabaliatti.
Hermann Lender erweitert das Rathaus um den, gegenüber Flemals Mitteltrakt in seinen Dimensionen monströsen, Nordflügel 1886-90. Erhalten ist im zweiten Obergeschoß der Rathaussaal im Stil der Neorenaissance. Ihn zieren Ausmalungen des Münchner Historienmalers Wilhelm Lindenschmit und Glasfenster des Karlsruher Kunstgewerbeschuldirektors Professor Karl Hofacker mit Motiven aus der pfälzischen Geschichte. Im Gefolge des Rathausbrands von 1908 geht aus einem nationalen Architektenwettbewerb Willy Graf aus Stuttgart als Sieger hervor. Die Stadt beauftragt indessen Franz-Sales Kuhn mit der neobarocken Erweiterung zum Marktplatz und zur Hauptstraße hin. Die Bauarbeiten dauern bis Mitte der 20er Jahre an. Von Kuhn ist auch das neobarocke Foyer mit Treppenhaus und das Trauzimmer mit ovaler Kuppeldecke und roten Marmorsäulen. Der kleine festliche Raum zeigt eine Mischung aus Gestaltungselementen des Historismus, des Jugendstils und des Neoklassizismus.
1959-61 erweitert der Leiter des städtischen Hochbauamts Heinrich Liedvogel das Rathaus entlang der Hauptstraße und abgewinkelt zur Mönchgasse (Südflügel) hin. Aus dieser Zeit stammt ebenfalls das Dachtürmchen mit dem Glockenspiel auf dem Westgiebel.

Auszug aus:
Müller, Bernd: Architekturführer Heidelberg : Bauten um 1000 - 2000 / hrsg. im Auftrag der Stadt Heidelberg von Peter Blum. — Mannheim : Ed. Quadrat, 1998
(Reihe Sonderveröffentlichungen des Stadtarchivs Heidelberg ; 10)
ISBN 3-923003-78-1


Abschrift: 2004     Gabriele Dörflinger   Kontakt

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