Ellen und Fritz von Helmholtz

aus:
Anna von Helmholtz : ein Lebensbild in Briefen / hrsg. von Ellen von Siemens-Helmholtz. - Berlin : Verlag für Kulturpolitik
Bd. 2, 1929

UB-Signatur: F 6834-3-44::2


S. 10

11. Juni 1889.

Nach siebenwöchentlicher Dürre haben wir heute den ersten Regen. Es ist als würde man jetzt erst wieder Mensch. Gestern, am Tage nach ihrer Ankunft von Japan - via Baden - aßen Ottmars, Arnold und Ellen am Tage ihrer Übersiedlung nach Wannsee hier und wollten sich unserer Hütte ansehen, zum Thee waren Siemens von drüben gekommen.
S. 12

2. August 1889.

Jetzt reisen alle Ärzte ab, liebe Ida. Ellen ist gestern aufgestanden und herüber gefahren worden, worauf einige Aufhellung der Stimmung, ab er nicht dauernd, nachts sehr unruhig.

4. August.

Unser armer Robert liegt hülflos und schlaflos. Ellen sitzt bei ihm, löst mich ab. Ich bin ganz Mutlos, Hermann so deprimiert, weil Alles so rätselhaft. Robert ist imm er eiskalt. Es ist herzzereißend, seine großen guten Augen so Hilfe suchend auf sich gerichtet zu sehen. Ich kann ja auch nicht helfen - für heute Nacht habe ich mir eine Victoria-Schwester bestellt - ich muß einmal wieder schlafen.

Anna.

In den Abendstunden des 5. August 1889 war das Leben des geliebten Sohnes erloschen.
S. 14
Anna H. an ihre Mutter 13.8.1889
Der große Schmerz hat uns enger als je vereint und mir ist, als wüßte ich erst jetzt, wie lieb sie mir sind - Hermann und Ellen - und Fritz, der unsere Gesamtaufgabe sein wird.
S. 15

Wannsee, 19. August 1889.

Mein geliebter Mann!

Ich bin nun hier, Ellen hat mich schließlich geholt. Die unbewußten Kinderseelen sind eine große Labsal in meiner Traurigkeit und ich glaube doch, ich bleibe jetzt am besten hier und zu Hause.


S. 17-18

11. September 1889.

Mein liebr Fritz!

. . .
Gestern pilgerten wir hinauf zum Salzberge und zur Pension Moritz, wo es mir so gut gefiel. Ich habe lange mit der Besitzerin gesprochen über ländliche und wirtschaftliche Verhältnisse und nach ihren Angaben wäre es doch möglich in hiesiger Gegend das eine oder andere Hofgut oder Lehen, wie sie hier heißen, größer oder kleiner, zu erstehen, falls Du Dich entschließen solltest und könntest, Landwirt zu werden. Mir würde ein solches Leben für Dich am liebsten sein, weil ich glaube, daß Du Dich einarbeiten und glücklich und nützlich dabei sein könntest. Aber im Laufe dieses Winters müssen wir nun die volle Kraft einsetzen für Dein Examen, dann erst werden Entschlüsse zu fassen sein.

13. September 1889.

Liebste Ellen!

. . .
Ich bin unfähig Wünsche oder Entschlüsse zu fassen; das Einfachste scheint mir das Beste, hier bleiben so lange es geht, dann zurück und gleich hinaus zu Dir, wenn Du mich haben willst, während Papa über den Schwarzwald fährt, um in Schiltach den Studienplan für Fritz zu besprechen - alsdann die Naturforscher Versammlung in Heidelberg zu erreichen.

Deine Mama.


S. 19-20

Wannsee, 11. Oktober 1889.

Liebe Ida!

Da unser Lady of the lake mir durch einen permanenten Husten, durch leise schwache Stimme schon im August auffiel, bat ich heute Gerhardt sie zu behorchen und merkte gleich am Klang des Klopfens, daß etwas nicht in Ordnung sei. Gerhardt sagte mir dann, es werde mir lieb sein, die Wahrheit zu hören. Es sei nur ein Anfang - aber doch der Anfang eines Lungenleidens vorhanden, sie müsse entweder in den Süden oder auf eine Höhe. Roberts Tod, ihre Gemütsbewegung und Selbstüberwindung dabei, keine wirkliche Erholung - Alles kam zusammen, einen leise brauenden Schaden sich einbürgern zu lassen.

18. Oktober 1889.

Wir werden morgen nach Hause zurückkehren und ich werde an die trostlose Arbeit gehen, mir mein Winterheim einzurichten. In diesen Tagen soll die zweite Consultation mit Gerhardt stattfinden und sie müssen sich dann über Zeit und Ziel der Reise einigen. Ich bin nun schon an den Gedanken gewöhnt und finde es nur recht und gut, wenn sie eine lange Zeit der Ruhe im Süden hat.

Anna.


S. 21
Anna H. an Hermann H., Cannes 20.12.1889
... Die Kinder sind süße kleine Leute, Bubi so reizend lustig und eigenartig, daß er die beste Gesellschaft ist für einen traurigen Menschen. Man ist gefesselt und beschäftigt von früh bis spät.

In Ventimiglia fanden wir Ellen, aber sie ist noch nicht runder geworden. Die Wohnung in La Madeleine hat sie reizend gestaltet, durch Hinzufügung des Persönlichen ein entzückendes Nest gemacht. Die Lage ist wunderschön, mein erster Blick auf das von der Morgensonne beschienene alte Fort über dem Meere und die Bergspitzen im Westen, auf die in Duft gehüllte See und Stadt, die Ölbaumwälder, die Palmen und Orangengärten, auf Cactus und Aloehecken zu Füßen des Hauses - war ein so zauberhaftes Bild und so wehmütig zugleich! ...


S. 26-27

Antibes, Charfreitgag, April 1890.

Liebe Ellen!

Ihr seid jung und müßt Euch die Welt ansehen. Ich bin alt und habe nur den einen Wunsch, daß das Gute, was ich noch habe, mir erhalten bleiben möchte. Darum habe ich jeden Tag des Zusammensein mit Dir wie ein Geschenk voll bewußt genossen, wohl wissend, daß solche Zeit, niemals wiederkehren kann. Die paar Tage ohne Dich, haben mich wieder in das Dasein normaler Verantwortlichkeit zurückgeführt. ...

. . .

Wir wollen uns dessen freuen, was der Winter an Dir gethan hat und nachdem Du Deine Lebensökonomie wieder in eigene Obhut genommen hast, Dir wünschen, daß Du Deine Gesundheit in guter Bewaltung hälst, um Dein eigenes und der Deinigen Dasein so hell und sonnig als möglich zu gestalten - nur so kannst Du auch Dein Dasein zu dem machen was Du anstrebst, zu einer Quelle des Glückes für Andere.

Deine treue Mama.


S. 40-41

5. März 1892.

. . .
In acht Tagen will ich mit Ellen nach Genua fahren, woselbst Arnold ankommt. Ich thue es auch mit Wonne und erhoffe, für Hermann eine Stätte zu bereiten, wo es schön ist. Für ihn und mich ist es besser, nicht mit lauter Möglichkeiten zu arbeiten, die endlos sind, sondern mit faits accomplis. Zu Dir komme ich auch, aber wann ist mir nicht klar.

Deine Anna.


S. 53

22. Dezember 1892.

... Ellen so ganz schwarz zu sehen, erinnert mich so furchtbar an unsere Zeit in Cannes. Ach, in dieser grauen Düsterheit des nordischen Himmels, wie sehne ich mich oft dorthin. Arnold in seiner einfachen schlichten Trauer ist so sehr sympatisch. Er hat Ellen und die Kinder vor einigen Tagen hereingebracht mit dem ganzen Gefolge. Ellen sieht so gut aus, wie seit Jahren nicht und die kleine Gerda ist ein süßes Kind; aber die Menge Menschen und Pflichten sind überwältigend und sie wird bald wieder spitz werden.

Deine Anna.


S. 53-54

Marchstraße, 20. Januar 1893.

Meine liebe Ida!

Fritz ist kränker als man denkt, weil er gar nie klagt, der Gut. Wenn ich nicht wüßte, daß man vierzig Tage zu hungern vermag und doch nachher ganz gut weiterleben kann, würde ich verzagen. Aber noch halte ich den Kopf hoch. Was mir alles durch Seele und Sinn geht, Du ahnst es, Liebe. Ich bin für Andre ganz unfruchtbar seit Neujahr. Es geht sehr langsam bergauf. Die Doktoren sind zufrieden. Schweninger sagt; er lebt, also hat er sich ernährt seit 8 Tagen. Jetzt bekommt er sein altes Gesicht wieder und wandert herum, übt sich und seine Kräfte. Wir sind eben in einem chronischen Zustand der Unzulänglichkeit. Sobald ich es wagen darf mit Fritz zu reisen, fahre ich zu Kußmaul nach Heidelberg; das steht fest bei mir.

Heidelberg, 29. März 1893.

Mein lieber Mann!

An ärztlichem Zuspruch fehlt es uns nicht und Kußmaul ist rührend gut und sieht abends und morgens nach uns. Er spricht immer von einer Kur und läßt den Gedanken an ein Entweichen garnicht entstehen. Das alles scheint mir eine Weiterreise ganz auszuschließen. Er erinnert mich nur so sehr an Friedreich in Sprache und Wesen, in der Einfachkeit und Selbstverständlichkeit von allem, was er thut - er orakelt absolut nicht.


S. 90-91
Anna H. an ihre Schwester Ida, Marchstraße, 3.9.1894
Hermann hatte mir so viele Grüße und Dank an Euch aufgetragen, als ich ihm Eure Blumen brachte. Sie dufteten köstlich und standen den ganzen Tag neben seinem Bett. Ich hatte mich so gefürchtet vor dem Tage und es war so schön und harmonisch und still geworden. Arnold und Ellen waren schon da, als ich um acht Uhr herunter kam und an der Wand im kleinen Salon hingen drei wunderbare Pastellbilder und Alles war voll Lorbeer und Lilinen. Ellen in der Mitte mit dem kleinen Günther auf dem Arm, hoch, schlank, blond und poetisch im weißen Gewand, scheinbar schreitend, künstlerisch wundervoll, sowohl zeichnerisch als koloristisch.

Hermann hatte einen so guten, milden, freien Tag, - sah etliche seiner Herren aus der Reichsanstalt und küßte alle fünf Enkel. Dann kam ein müder Sonnabend.


S. 93
Anna H. an ihre Schwester Ida, 22.9.1894
... Meine Aufgabe ist es jetzt, mein Leben - wenn auch nicht freundlich, wie er es wünschte, - aber doch ruhig und seines teuren Andenkens würdig zu gestalten. Ich lasse Ellen die traurigen Pflichten treulich teilen, wie sie die schönen Pflichten und Rechte teilte. Wir gehören ja unlösbar zu einander.

Fritz hat den ganz entschiedenen Wunsch ausgesprochen, diesen Winter noch einmal nach Hohenheim zu gehen. Er möchte seine vier Semester dort haben, um fertig zu studieren, das möchte ich ihm nicht kürzen und beschneiden: ,,Vergeßt nur den Fritz nicht'', hat Hermann immer wieder gesagt.


S. 94

13. Oktober 1894.

Meinen besten liebsten Wünsche sind bei Dir am 15., mein lieber Fritz. Möchtest Du an diesem Wendepunkt Deines Lebens, wo Dir die beste Stütze genommen ist, im Andenken Deines teuren Vaters mit Gottes Hülfe Kraft finden, Dir Deinen Weg zu suchen und ihn im Sinne Deines Vaters treu und gewissenhaft zu gehen. Wir können alle nicht mehr tun, als die Gaben, die wir erhalten haben, nützen nach bestem Wissen und Gewissen.
S. 106

Hotel du Cap Antibes, Charfreitag.

Liebste Ida!

Ellen wird mit Wonne in das Gouvernement Kiew fahren und sich Ottmar als ihren Kavalier erbitten, ladet ihn nur ein, er brennt darauf mitzukommen - et il fera bien dans le paysage. Aber weder Ellen noch Ottmar können am 19. Juni in Leskowa sein, denn Beide sind bei der Eröffnung des Nord-Ostsee-Kanales am 15. Juni beteiligt; Ottmar dienstlich, Arnold und Ellen als Gäste von irgend einem officiell Beteiligten. Sie haben schon im Winter die Einladung erhalten und angenommen. Ganz Europa ist dort zu Schiffe und es ist etwas Ungeheures, was nicht wiederkehrt.


S. 108

Heidelberg, 6. Mai 1895.

Liebe Ellen!

Die Frau Großherzogin war so entzückend gütig und sprach so von Eurem Vater, daß es mir nur leid war, Dich nicht mehr dabei zu haben. Sie sagte, die ganzen Tage hier seien ein stetes Gedenken an ihn gewesen. Königsberger, Victor Meyer und jeder einzelne der Herren habe seinen Ausgangspunkt von ihm genommen. Dann hat sie mir so viel Liebes gesagt und ich habe auch geredet, wie mir zu Mute war.

Bunsen habe ich besucht in seinem hübschen Hause in der Bunsenstraße. Er war rührend und hat den alten drolligen Charme trotz Schwäche und Alter und Fritz kam aus dem Lachen garnicht heraus bei unserer Conversation.
. . .

Viele tausend Grüße

Deine Mama.


S. 116

29. Oktobr 1895.

Ich gebe mir alle Mühe mich einzuwintern. Fritz ist nun hier und ist rührend und gut um mich besorgt. Er geht jetzt morgens in das chemische Laboratorium zu Bolle und nachmittags in etliche Collegia, etwas allgemeine Bildung sich holen bei Treitschke und Kunstgeschichte bei Hermann Grimms Adlatus; abends sitzt er bei mir und wir reden weise.
. . .

Deine Anna.


S. 117
An Frau Professor E. Zeller, Stuttgart:

Berlin, 26. November 1895

. . .

Ich lese auch Goethe und habe mir den Wilhelm Meister zum steten Begleiter erkoren und das Werk, das mir früher nicht verständlich war in seinen Problemen und Führungen, ist mir auch hell geworden wie ein Licht. Fritz ist bei mir. Er ist eines der größten psychologischen Probleme. Alles, was Gemüt, Gesinnung, Charakter, auch Logik und gesunder Menschenverstand in der Natur eines Menschen bedeuten, ist reichlich und rührend vorhanden, doch fehlt der Anschluß an das Wesen Anderer mit der Ausdrucksfähigkeit. Still, ernst und feierlich ist er mitten unter lustiger Jugend. Er ist etwas scheu, weil er sich anders fühlt und sich doch nicht ändern kann. Nur im Tête-à-tête, namentlich mit wohlwollenden älteren Menschen, faßt er Vertrauen und gibt sich wie er ist.

Ich suche für ihn eine etwas verantwortliche Stellung auf einem größeren süddeutschen Gute, wo er sein theoretisches Wissen zur Anwendung bringen könnte.

Deine getreue Anna.


S. 124-125

Heidelberg, 1. Juli 1896.

... Fritz macht mir diesmal mehr Sorge als je bisher. Sein Schwarzwälder Projekt ist unausführbar. Bei Allem, was Fritz tut werde ich doch dabei sein müssen und muß der Aufenthalt doch auch menschenmöglich für mich sein, mein Kind.

Kußmaul will Fritz zunächst den Juli hier behalten, aber er findet die Probe sei gemacht, daß es mit der Landwirtschaft nicht gehe, es müsse später die Gartenwirtschaft versucht werden. Es hat ihn dieses sehr deprimiert. Das Alles geht mir sehr im Kopf herum. Ich sage mir, daß Fritz meine Hauptlebensaufgabe ist und daß er beschäftigt und befriedigt werden müsse. Von heute auf morgen geht das nicht, aber umsehen muß man sich immer und überall.


S. 159-160

Baden-Baden, 20. April 1898.

Liebste Ida!

Wir wollen morgen ein diesmal von mir entdecktes Idyll besichtigen, das mir für Fritz alle ersehnten Vorteile zu bieten scheint. Es ist ein sehr hübsches, kleines ländliches Haus auf dem Berge, einfach, tadellos gut im Stande mit vier Morgen Land, liegt an der schönen Straße nach der Yburg und grenzt an die einstige Villa von Werner Siemens, die der schönste Punkt auf jener Höhe ist. Mit dem Rücken an der idealen Bergstraße, umgeben von hohen Tannen, hat das Häuschen nach Süden einen sanften Bergabhang, zum Teil mit älteren Obstbäumen besetzt; zwei Morgen sind Wiese, alles sehr guter Boden, Quellwasser, auch Wasserleitung, zweihundert Schritt vom Hause sehr gute Stallung, ein ideales Hühnerhaus mit prachtvollen Hühnern, einem Welschkornacker für diese Hühner und Wiese für zwei Kühe. Das Ganze ist gehalten von der saubersten aller Frauen, die das Anwesen vom früheren Besitzer geerbt hat. Es wäre just, was Fritz haben möchte und sollte. Eines Nachmittags ging ich mit Henriette Le Mire über den Berg und sah es am Wege liegen und sagte mir sofort ,,das wäre mein Idyll''; es heißt Porta Maria. Auch Fritz war ganz begeistert und ich werde nun trachten, ob man es nicht pachten könnte.

Fritz ist viel entschiedener und zielbewußter geworden. Er ist sehr bescheiden, weiß aber genau, was er nicht will und was er will. Um hier in der Gegend zu sein, würde er mit dem Kleinsten vorlieb nehmen, aber diese Gegend will er und ich gebe ihm recht. Es ist derzeit ganz paradiesisch schön hier. Man lebt ja nicht von einer Aussicht, aber das Gefühl der Sympathie für Land und Leute ich doch ein großes Moment im Leben und das ist hier vorhanden, bei Fritz und bei mir. Ich denke mir auch sein Vater würde sich gefreut haben, ihn hier zu wissen und ich habe eine Art mystischen Gefühles, das mich bestimmte stracks in jenes Haus hineinzugehen. Für dieses Objekt würde ich jedes Opfer bringen.

Baden liegt gebettet in junges Buchengrün, das zwischen den Tannen steht und in rosa und weiße Blütenbäume gehüllt ist. Unten sind große Magnolienplantagen und die Pflege, die Schönheit des Ganzen bleibt doch einzig in Deutschland. Es ist noch kein Mensch hier, doch traf ich gestern Gräfin Rhena und den Prinzen Karl und gehe morgen mit Fritz bei ihr Thee trinken.

Ach wäret Ihr doch hier in diesem Lande, statt so weit weit fort zu sein! ...


S. 161

Huis ter duin. Noordwyk aan Zee 13. Juli 1898.

Liebe Ellen!

...
Zu Allem was Du in Baden tun wirst, gebe ich meine Zustimmung im Voraus. Ich bin nicht mehr fähig, Anderes als die Schattenseiten zu sehen. Lasse Dich vom Eindruck, den Fritz Dir macht, leiten - mir ist jedes Urteil verflogen. Du steht der Sache frisch gegenüber und kannst ja auch auf drei zählen. Glücklich sein könnte man auf der Porta Maria - und wenn die Wahl wegfällt, schwindet auch die Qual.


S. 164

19. August 1898.

Wir werden heute den Pachtvertrag abschließen, aber die Besitzerin soll bis zum Frühling in Porta Maria bleiben. Im Frühjahr kann man an Haus und Anwesen ändern, was geändert werden muß; wenn es nur dazu kommt! Die namenlose Sorge und Angst, welche ich derzeit durchmache, kannst Du Dir ja denken. Ich bin ja optimistisch in meiner Krankenpflege und hoffe stets, daß es gehen müsse, wie ich es wünsche. Die Schwägerin Julie ist mir ein großer Trost - sie ist so heiter und so mütterlich mit Fritz, daß er gleich ganz anders aussieht - aber ob es vorhält?

Deine Mama.


S. 164-165

Berlin, Rauchstraße, 31. August 1898.

Liebe Ida!

Eben sind sie abgereist, Ellen, Arnold, Renvers und Frau Elisabeth - Nella die Jungfer und vieles Gepäck! Gott führe uns wieder zusammen, ebenso wie wir uns getrennt haben! Fritz, der blasse, schmale, war mit an der Bahn, er ließ es sich nicht nehmen. Unser Abschied heute an derselben Stelle wie vor vier Jahren, als Hermann den Kindern Lebewohl sagte, erfüllte mich mit Gedanken, die ich Niemandem sagen möchte - am wenigsten Ellen, die wohl auch dasselbe empfand. Man sagt sich ja nie Alles und es ist gut so; denn wohin käme man?

Aber daß der ärztliche Freund mit den Kindern in unerreichbare Fernen zog und uns ganz entschwunden ist, macht mich ganz verzagt. Die Verantwortung mit den vielen Kindern, trotz der gut organiersten und geölten Maschinerie, die Umsiedlung aus unserem Nest in das schöne Wannseehaus - Alles drückt schwer auf mir - und doch, ohne diese Umsiedlung wären sie niemals gereist. Ich gönne es ihnen so sehr, einmal in die ganz fremde Welt hineinzufahren mit den guten Freunden und mit der Aussicht, Arthur zu finden in Tiflis oder wo immer. Das Alles macht es zu einer Märchenfahrt.

Übermorgen Vormittag zehn Uhr kommen sie in Petersburg an; abgeholt von Onkel Carl von Siemens, fahren sie sofort nach Gostilitzy, auf dessen Besitzung von dreißigtausend Morgen bei Peterhof - später Moskau - und dreimal vierundzwanzig Stunden Eisenbahn nach Wladikawkas. Man fahre leise und still wie im eigenem Zimmer und alle Eß-Stationen seien ganz ausgezeichnet; jenseits des großen Kaukasus dagegen in Baku am Caspischen Meere, wo die ,,Ewigen Feuer'' brennen und noch Parsen hausen, da müsse man eigene Butterbrote haben. Auch Insektenpulver sei wünschenswert; kurz man ist dort nicht mehr in Europa. In Konstantinopel sind für Ende Oktober bereits Zimmer gemietet worden, weil sie gleichzeitig mit unserem Kaiserpaare dort eintreffen werden. Ottmar arbeitet indessen an der Cairo und Nilfahrt für unsere Majestäten mit den ziemlich unschuldigen egyptischen Behörden. Hoffentlich wird er mit hinaufgenommen nach Assuan auf dieser Nilfahrt.


S. 172

1. Dezember 1898.

. . .
Ich schreibe Dir morgens um fünf Uhr, denn leider ist mein Schlaf, wie der von Lady Macbeth, ganz gemordet, ohne daß ich besondere Missethaten begangen hätte. Diese schwarze, dunkle, nasse Zeit, die mir Atem und Bewegung erschwert, ist mir immer besonders anstrengend. Ich denke der vergangenen Zeiten, des so wenig mehr bedeutenden Lebens und suche nicht zu hadern mit dem Geschicke, das mir dieses Gefühl in steigendem Maße gibt. Die Sorge um Fritz, um seine Gesundheit, um seine Existenz, um die Möglichkeit eine Form für ihn und mich zu finden, geht mit mir herum. Die Ärzte sagen, er müsse ein eigenes Leben und einen Zweck haben und müsse sehen, ohne beständige Anlehnung zu bestehen. Er wird es nicht können, aber ich lasse es nun gehen.
. . .

Deine getreue Anna.


S. 183-184

Baden, Haus Messmer, 7. April 1899.

Die Freude über Porta Maria hat Fritz wirklich die Wendung zur Besserung gebracht. Professor Fleiner ist sehr vergnügt, die Krankheit ist nach ihm sehr viel mehr Nerven- und Seelensache als nur organische Schwäche. Ich habe nun auch wieder Mut.

Mehr schlaflose Nächte habe ich nie verbracht als in den letzten Wochen, zwischen Zweifeln und Furcht über Fritz und seine Kraft zur Übernahme einer Verantwortung, dann wiedr die Ansichten der Ärzte, es müsse versucht werden; der Angst, Fritz werde zwischen uns Allen einfach auslöschen, und hier wieder der bestimmten Weisung von Fleiner: geben Sie ihm sein eigenes Leben. Kurz, nun heißt es: Vogue la galère - Porta Maria soll nun schwimmen.


S. 187
An Frau Professor Eduard Zeller - Stuttgart.

Baden-Baden, Leopoldshöhe, 7. Juli 1899.

Liebe Emilie!

Wir sind nun oben in Porta Maria eingezogen, die Drachenköpfe der Handwerker sind besiegt, nur sporadisch hämmert, streicht oder rasselt einer im Hause - und Fritz bringt das ganze Grundstück weit über mein Erwarten in Gang. Alle Nöte werden überwunden.

Gleich am ersten Tage kamen Franz und Ida bei uns an; leider ist sie krank. Wollen und Können decken sich nicht und das Ende ist eine tiefe Depression. Vieles mag klimatisch sein, die stete Bora die nur mit Schirocco wechselt für sie, die siebzehn Jahre im Hochgebirge gelebt hat, mag ihre Nerven ruiniert haben. Wie ich erschüttert bin, brauche ich Dir nicht zu sagen. Hoffentlich tut der Friedes dieses Waldes etwas! Die Sonne geht eben strahlend zwischen schweren Gewitterwolken hinter den Vogesen unter und es ist unsagbar schön hier vor unseren Fenstern, wo wir das freie Rheintal vor uns haben und drüben jenseits des Badener Tal auf unserer Leopoldhöhe, wo wir den herrlichen Wald vor uns und den Ausblick in die Badener Berge haben gen Süden und Osten. Ich bin ganz unter dem Zauber des ,,Gottesländle'' mit seiner milden vornehmen Natur. Man lebt in ihr so viel sympatischer als in der Schnee- und Eiswelt der Schweiz mit ihrer Unerreichbarkeit und Größe. Es ist auch schöne, milde, von Rosen, Heu und Jasmindüften durchzogene Luft und Fritz ist so glücklich.

Deine Anna.

Letzte Änderung: 08.012004     Gabriele Dörflinger   Kontakt

Zur Inhaltsübersicht     Historia Mathematica     Homo Heidelbergensis